So geht Versöhnung: Wie ein Soldat zum Friedensaktivisten wurde
Ich bin nach Bosnien gereist und habe Menschen gefragt: Wie verzeiht man nach einem Krieg? In Teil 1 der Reportagereihe erzählt der Kriegsveteran Adnan Hasanbegović von seinem Weg zur Versöhnung.
Ist es möglich, zu vergeben, wenn Unverzeihliches passiert ist, wenn gemordet, gefoltert, vergewaltigt wurde? Katharina Wiegmann und Judith Braun haben versucht, diese Frage mit den Werkzeugen der Philosophie und der Psychologie zu beantworten:
Die Frage nach Vergebung wird komplexer, wenn es nicht nur eine Person ist, die Unrecht erfahren hat, sondern eine ganze Gesellschaft. Denn politische Versöhnungsprozesse sind oft die Aufgabe mehrerer Generationen.
Ich habe mich deshalb nach Bosnien-Herzegowina aufgemacht. In dem Land auf dem Balkan tobte vor 30 Jahren der wohl heftigste der Jugoslawien-Kriege. Und ein Teil der Bevölkerung erlitt ein grausames Kriegsverbrechen: den Genozid von Srebrenica.
Ich habe mit Menschen gesprochen, die Traumatisches erlebten und trotzdem keinen Hass (mehr) gegen ihre Täter:innen hegen; die daran arbeiten, die zerstrittenen Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen; die für sich persönlich Versöhnung gefunden haben und sich diese Versöhnung auch für ihr Land wünschen.
Jene Menschen will ich in den nächsten Wochen vorstellen und ihren Geschichten Raum geben.
Fotoprotokoll Nr. 1: Adnan Hasanbegović
Der Tunnel ist höchstens 2 Meter hoch und 2 Meter breit. Er engt mich ein. Dankbar laufe ich nach ein paar Minuten die Stufen, die aus dem Tunnel führen, wieder hoch und begrüße das Tageslicht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieses feuchte Loch vor 30 Jahren einmal Freiheit für die Bewohner:innen Sarajewos, der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas, bedeutet hat.
Adnan Hasanbegović steht am Ausgang des Tunnels,
Adnan schloss sich 1992, als Sarajewo
Heute begleitet Adnan Touristengruppen an wichtige Orte der Erinnerung, wie den Sarajewo-Tunnel, und arbeitet als Friedensaktivist.
Seine Erfahrung als Soldat gibt Adnan eine größere Glaubwürdigkeit, wenn er vor dem Krieg warnt. Diese Autorität nutze er, um seine Mitmenschen zu überzeugen, sich nicht in den Erzählungen der eigenen Volksgruppe einzukapseln, erzählt er. Man dürfe nicht glauben, die Gefahr gehe immer nur von der anderen Seite aus.
Seine Abneigung zum Nationalismus hegte Adnan schon als Jugendlicher, als er Anfang der 90er-Jahre mit seinen kroatischen und serbischen Freund:innen antinationalistische Graffitis an die Wände Sarajewos sprühte. Er fühlte sich Jugoslawien sehr verbunden und konnte die Nationalismen, die zu der Zeit erstarkten, nicht nachvollziehen.
Warum er 1992 trotzdem in den Krieg zog? Er war 19 und überzeugt, die bosnische Armee kämpfte für ein gemeinsames Jugoslawien, wie er gegenüber dem südafrikanischen Medium IOL
Um den Krieg zu ertragen, konsumierte er Drogen und Alkohol. Davon wurde er nach dem Krieg abhängig, und er litt unter einer
Erst sein Weg zur Religion und zur Friedensarbeit befreite ihn aus seiner Lage. 1999 traf er in Sarajewo zum ersten Mal auf Friedensaktivist:innen, die ihn inspirierten. Im selben Jahr trat er dem
Im Rahmen seiner Arbeit besuchte er Hunderte Vereine von Kriegsveteranen im ganzen Land und versuchte, die ehemaligen Soldaten für seine Friedensarbeit zu gewinnen. Heute bringt er rund 70 Kriegsveteranen aus allen 3 Volksgruppen – Serben, Kroaten und muslimische Bosniaken – an einen Tisch. Er sorgt dafür, dass die Männer persönlich miteinander sprechen; Männer, die vor 30 Jahren noch aufeinander geschossen haben. Regelmäßig fahren sie zu Gedenkstätten und legen dort Blumen für die Opfer aller Gruppen nieder.
Adnan fordert: Streckt die Hand zur anderen Seite aus, statt in euren
»Nationalismus ist leider sehr präsent unter den meisten Kriegsveteranen. Man sieht es zwar nicht immer nach außen hin, aber wenn du tiefer gräbst, merkst du: Da ist viel Hass gegenüber der anderen Seite. Besonders bei Gedenkfeiern – die Veteranen gedenken der verstorbenen Freunde und Verwandten; doch sie gedenken auch wichtiger Schlachten. Und diese Art der Erinnerung ist nicht vom Frieden getrieben, sondern vom Nationalismus. Wo wir um die Opfer trauern, feiern wir gleichzeitig immer auch etwas anderes, eine neue Ideologie. Und politische Parteien können diese Ideologie leicht missbrauchen.
Viele Veteranen sind noch nicht bereit für den Dialog. Die nationalen Narrative sind nun mal angenehmer; eine multinationale Gesellschaft aufzubauen, ist schwerer. Viele haben auch Angst, von ihrem sozialen Umfeld isoliert zu werden, wenn sie sich der anderen Seite öffnen. Und trotzdem: Selbst die nationalistischsten Veteranen wollen nicht, dass sich der Krieg wiederholt. Wer Krieg erlebt hat, weiß, wie destruktiv er ist. Jeder Kriegsveteran, egal aus welcher Volksgruppe, würde sagen: ›Ich will nicht, dass meine Kinder dasselbe durchmachen müssen wie ich.‹ Und gerade da setze ich meine Friedensarbeit an.« – Adnan Hasanbegović
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily