Ich verlor plötzlich mein Gehör. So lernte ich, damit zu leben
Kann man sich an ein Leben ohne Geräusche gewöhnen? Unsere Gastautorin hat keine andere Wahl – und entdeckt nach einem Schicksalsschlag unerwartet viel Schönes.
Am Anfang ist da immer der Schmerz, aber die Zeit heilt alle Wunden. Man gewöhnt sich an alles.
Nach der zweiten Operation war ich im Grunde gehörlos. Also wenn ich den Tinnitus nicht mitzähle, diesen merkwürdigen Ton, den das Gehirn selbst erzeugt und den es ununterbrochen abspielt, weil es denkt, dass er wichtig ist. Er war immer im linken Ohr, und nach der ersten Operation wurde er viel leiser (das ist eigentlich bis heute so, wofür ich unendlich dankbar bin).
Nach der zweiten Operation verlagerte er sich auch ins rechte Ohr. Und so wurde er ein Teil von mir. Dafür verschwanden die Geräusche der Außenwelt. Am Anfang meinten sie, dass es da wohl ein Blutgerinnsel gebe, und allmählich konnte ich ein paar Geräusche wieder wahrnehmen – das Rascheln von Papier, das Tappen von Schuhen, das Plätschern von Wasser. Ich dachte, dass in ein paar Wochen alles wieder in Ordnung sein würde, dass bald sowohl Stimmen als auch Musik dazukommen würden. Ich konnte mich noch sehr gut daran erinnern, wie sich die geräuschvolle Seite der Welt anfühlte. Das ist jetzt ein halbes Jahr her und ich ertappe mich oft dabei, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was alles ein Geräusch macht.
»Die Vorstellung, nie wieder die Stimme meines Freundes zu hören, brachte mich zum Weinen. Dieses ›nie wieder‹ kann ziemlich erschöpfend sein.«
Als ich aus dem Krankenhaus nach Hause kam, brach der Krieg aus. Die ersten Wochen beweinte ich den Krieg, nicht meine Taubheit. Ich dachte immer noch, dass es bald besser wird. Zum Glück habe ich eine
Jetzt sprechen die Menschen schon lauter und verständlicher und wir kommunizieren fast flüssig, aber am Anfang war es nicht so leicht. Die App schrieb eher eine Art von Dada-Gedichten, zufällig zusammengewürfelte Worte, und ich fühlte mich sehr isoliert. Nicht kommunizieren zu können ist schlimmer, als nichts zu hören. Ich habe damals oft die
Die Vorstellung, nie wieder die Stimme meines Freundes zu hören, brachte mich zum Weinen. Dieses »nie wieder« kann ziemlich erschöpfend sein. Ich erinnerte mich an das Wohlgefühl, das meinen Körper durchströmte, wenn ich seine Stimme hörte. Damit war Schluss. Ich musste lernen, anders zu lieben. Sein Wesen über andere Wege an mich heranzulassen. Und ich musste auch lernen, mich selbst und mein neues Ich zu mögen. Die Tatsache, dass es auf einmal etwas nicht mehr konnte, was es immer gekonnt hatte. Und es ist nicht seine Schuld.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily