Warum zu viele E-Autos eine dumme Idee sind
Wenn wir nur über Millionen selbstfahrende E-Autos sprechen, vergessen wir etwas: Sie rauben uns den Platz zum Leben. So erobern wir ihn zurück.
Stelle dir vor, wir schreiben das Jahr 2027. Du hast dir gerade den neuen Tesla gekauft: Er lädt flott auf, die Reichweite ist kein Thema mehr, auch weil es inzwischen überall Ladesäulen gibt, und der Wagen kostet gerade mal so viel wie ein VW Golf. Du steigst am Morgen ein, nippst an deinem Kaffee, breitest deine Zeitung aus und gibst die Anweisung: »Ab zur Arbeit!« Der Wagen gleitet los, du vertiefst dich in deine Lektüre.
Nach einer Weile blickst du auf: Du und dein IQ-Bolide stehen wenige Kilometer entfernt von deinem Zuhause. Um euch herum: andere schlaue Elektroautos. Zusammen steht ihr im Stau.
So stellen sich die wenigsten die schöne neue Welt der Mobilität vor. Aber genau so könnte es kommen, wenn wir die Verkehrswende weiterhin sich selbst überlassen; wenn wir nach wie vor nur über elektrische und selbstfahrende Autos sprechen – und nicht über das Teilen von Autos.
3 Revolutionen in 3 Szenarien
Zu diesem Ergebnis kommt eine neue
Die Studie untersucht erstmals genauer, wie sich die 3 großen Verkehrs-Revolutionen, die uns bevorstehen, gegenseitig beeinflussen:
- Elektrischer Antrieb: Elektromotoren ersetzen bisherige
- Selbstfahrende Autos: Prozessoren und das Internet übernehmen das Steuer, lenken, bremsen und suchen den schnellsten Weg zum Ziel. Wir legen die Beine hoch.
- Carsharing: Anstatt ein eigenes Auto zu besitzen, bedienen wir uns am großen Fuhrpark eines Carsharing-Anbieters. Im sogenannten Free-Floating stehen die Autos über die ganze Stadt verteilt, wir können sie per App finden, überall einsteigen und sie direkt am Ziel wieder abstellen. Bei anderen Modellen sind die Wagen an bestimmte Stationen gebunden. In Kombination mit selbstfahrenden Autos können wir künftig einen Wagen bestellen, wenn wir ihn brauchen:
Menschen in verschiedenen Regionen und Märkten der Welt verhalten sich sehr unterschiedlich, wenn sie mobil sind. Darüber gibt es viele Studien. Auf diese greifen die Macher der neuen Untersuchung zurück und entwerfen 3 globale Szenarien für den Verkehr im Jahr 2050:
- Weiter so (WS): Wir machen weiter wie bisher: Wir bauen und verkaufen überwiegend Verbrennungsmotoren, auch an Milliarden Menschen in Schwellenländern, die in naher Zukunft mobil sein wollen.
- 2 Revolutionen (2R): Wir satteln schnell auf intelligente und elektrisch angetrieben Autos um. Die weltweiten Verkäufe von E-Autos steigen von derzeit
- 3 Revolutionen (3R): Wir satteln schnell auf intelligente und saubere, elektrisch angetrieben Autos um, bauen Radwege und den öffentlichen Nahverkehr aus und teilen uns wann immer möglich das Auto mit anderen. Finanzielle Anreize und die Gestaltung unserer Städte sorgen dafür, dass immer weniger Menschen ihre eigenen Autos besitzen.
Natürlich wird keines der Szenarien exakt so eintreten. Wie sich die Technologie weiterentwickelt und wie sich Menschen verhalten, ist nicht exakt vorhersehbar. Sie zeigen lediglich die Tendenzen und die Bandbreite auf, in die sich unsere Mobilität entwickeln kann. Welchen Weg wir gehen, haben wir selbst in der Hand.
Intelligente E-Autos nutzen dem Klima
Die erste wichtige Erkenntnis: Szenario 2 (2R) spart im Vergleich zum Weiter so vor allem große Mengen CO2. Bis zum Jahr 2050 würden Autos so jährlich nur noch rund 1,7 Gigatonnen des Treibhausgases in die Atmosphäre blasen. Setzen wir weiterhin auf Verbrennungsmotoren, werden hingegen rund 4,6 Gigatonnen CO2 pro Jahr freigesetzt. Ein Unterschied von 2,9 Gigatonnen. Derzeit emittiert die gesamte Welt pro Jahr rund 38 Gigatonnen. Durch diese Maßnahme könnten wir unsere Emissionen also direkt um rund 8% reduzieren. Und das, obwohl sich zeitgleich die Zahl der Autos auf 2,1 Milliarden fast verdoppelt.
Warum das funktioniert, ist klar: Die E-Autos verbrennen kein Benzin mehr, sondern tanken sauberen Solar- und Windstrom. Weil dieser Strom immer günstiger wird, wird auch das Autofahren schon bald günstiger, schätzen die Wissenschaftler, und somit attraktiver. Gleichzeitig lässt sich auf der Autofahrt nun lesen, arbeiten oder eine Serie auf Netflix sehen, was nochmals mehr Menschen Lust darauf macht: Der Verkehr nimmt um 10–15% zu.
Und genau hier liegt das Problem: Schon heute sind Autos gerade in den Städten in vielen Industrieländern rund 1 Stunde am Tag unterwegs. Das heißt 23 Stunden stehen sie auf dem Parkplatz – und nehmen den Menschen den Platz weg. Auch auf den Straßen verbrauchen sie ein Vielfaches der Fläche im Vergleich zu Bus, Bahn und Rad. So verstopfen sie die Verkehrswege, verlangsamen den Verkehr für alle Teilnehmer dramatisch, machen die Straßen unsicher für Radfahrer sowie Fußgänger und
Probleme, die Stadtplaner und Verkehrsexperten seit Jahrzehnten bemängeln. Denn die negativen Auswirkungen auf die Städte sind längst bekannt: Straßen zerschneiden Wohnviertel, Lärmbelastung drückt vielen Städtern aufs Gemüt. Ein gemütlicher Spaziergang durch die Nachbarschaft wird für viele Großstädter wegen roter Ampeln, zu schnellen und lauten Autos und schlechter Luft zum Hindernislauf. Wo der Straßenverkehr einzieht, zieht sich das öffentliche Leben zurück. Auch die Sicherheit steht auf dem Spiel:
Carsharing nutzt den Städten
Szenario 3 (3R), in dem die Menschen auf den Privatbesitz von Autos verzichten und sie
Die Dauer, die jedes Auto in diesem Szenario in Benutzung ist, steigt rasant; die meiste Zeit befördern die smarten Wagen Menschen von A nach B, Parkraum ist kaum mehr nötig. Ein intelligentes »Ökosystem« aus Fahrtangeboten greift nahtlos ineinander: Wenn wir es wünschen, holt uns ein Wagen ab,
Positiver Nebeneffekt: Im Vergleich zum 2R-Szenario wird eine weitere Gigatonne CO2-Emissionen im Jahr eingespart.
Das dritte R kommt nicht von allein
Während die Elektrifizierung und die Automatisierung vor allem durch den technischen Fortschritt vorangetrieben werden, hängt das dritte R, die Revolution unserer
- Erforschung und Weiterentwicklung intelligenter und elektrischer Autos vorantreiben
- Städtische Auflagen, die den Privatbesitz und leere Fahrten von Elektroautos unattraktiv machen
- Unterstützung für Mitfahrgelegenheiten und die Nutzung öffentlicher Transportmittel
- Ausbau des Angebots im öffentlichen Personenverkehr; Mittel, um die Qualität und Zuverlässigkeit aufrechtzuerhalten
- Gestaltung der Verkehrsflächen und des öffentlichen Raums, sodass sich verschiedene Verkehrsmittel besser ergänzen lassen und alternative Transportmittel (Fahrräder, E-Bikes) sicherer und einfacher zu verwenden sind
- Entwicklungsbanken und Financiers ermutigen, in Schwellen- und Entwicklungsländern nachhaltigen Verkehr als Kriterium zu berücksichtigen
Können wir uns diese Transformation leisten? Die Wissenschaftler schätzen, dass Szenario 3 (3R) nicht nur die Lebensqualität in den Städten hebt und den Verkehrsfluss wieder in Gang bringt, sondern auch 5 Billionen US-Dollar spart im Vergleich zum business as usual.
All diese Vorteile treten unabhängig davon ein, ob die Verkehrsinfrastruktur in einer Region bereits stark ausgebaut ist, ob sie eher auf öffentlichen oder individuellen motorisierten Verkehr setzt. Ob Bangkok, Los Angeles oder Amsterdam, die Tendenz bleibt dieselbe. Die bessere Frage ist also, ob wir es uns leisten können, uns diese Chance entgehen zu lassen.
So konkret stellt sich die Frage für Stadtplaner aber nur selten, denn ein solcher Wandel läuft langsam und schrittweise ab. Kurzfristige Interessen können die nachhaltige Planung erschweren. Auf den ersten Blick mag es zudem schwer erscheinen, alte Gewohnheiten des Reisens zu verändern – das Auto zu verkaufen und einem Roboter das Steuer zu überlassen.
Die Chance, morgens um 8:30 Uhr in Berlin, Stuttgart und Köln freie Straßen zu haben, ist da: Losfahren, Kaffee trinken, Zeitung lesen und pünktlich und entspannt das Büro betreten.
Titelbild: Scharfsinn - copyright