Im März 2023 gab es einen diplomatischen Durchbruch im Nahen Osten: Saudi-Arabien und der Iran, die seit 4 Jahrzehnten verfeindet sind und seit 2016 ihre diplomatischen Beziehungen ganz abgebrochen haben, kündigten an, diese wieder aufzunehmen. Den Erfolg schreibt man ausgerechnet
.
Nun will China im Konflikt zwischen Palästina und Israel als Mediator auftreten. Und auch im Krieg Russlands gegen die Ukraine ist
– wenn auch bisher
Woher kommt das plötzliche Bedürfnis Chinas, Frieden auf der Welt zu stiften? Will das Land den Platz der USA als Weltpolizei einnehmen? Und wenn ja: Wäre das eine bedrohliche Entwicklung, wie viele westliche Beobachter:innen befürchten?
Das und einiges mehr habe ich Bernhard Stahl gefragt. Der Professor für Internationale Politik an der Universität Passau beobachtet das Geschehen auf der Weltbühne sehr genau. Mit ihm habe ich über Chinas diplomatisches Erwachen gesprochen und darüber, was dies für die internationale Ordnung und für uns in Europa bedeutet.
Julia Tappeiner:
In der Vergangenheit haben meist die USA versucht, sich als Friedensstifter zu präsentieren. Nun hat China zuletzt einen diplomatischen Erfolg im Nahen Osten gefeiert. Warum wollen Großmächte immer als Vermittler rüberkommen?
Bernhard Stahl:
Ich würde zunächst einmal sagen, das wollen sie gar nicht immer.
Ach nein?
Bernhard Stahl:
China hat sich lange Zeit geziert, eine Mediatorenrolle einzunehmen. Bei Konflikten ohnehin, aber selbst bei Auseinandersetzungen im
in dem China sitzt. China hat nie große Statements abgegeben, nicht lauthals versucht, eine Koalition zu bilden oder andere Länder für die eigenen Vorschläge zu gewinnen. Wenn China abgestimmt oder ein Veto eingelegt hat, dann hat es sich eher ein bisschen
.
Das ändert sich gerade.
Bernhard Stahl:
Jetzt erleben wir – und das ist in der Tat sehr interessant – ein kleines Erweckungserlebnis. China wird plötzlich auf der internationalen Bühne präsenter. Das zeigte sich bereits beim Beitritt zur
und dadurch, dass China zum Beispiel entschieden hat, mehr an Missionen der
teilzunehmen.
Woher kommt dieser Wandel?
Bernhard Stahl:
Ich sehe es konträr zu dem, wie die meisten
es sehen: China will nicht direkt in eine Konfrontation mit den USA eintreten. China will die alte Weltordnung retten. Und das macht China,
, weil sie sich für viele Konflikte nicht mehr interessieren bzw. weil die USA diese Konflikte sehr schlecht gemanagt haben. Alle 3 Regionen, in denen China jetzt aktiv wird, sind Beispiele für eine unglaublich schlechte Politik des Westens mit ebenso schlechten Politikergebnissen: Die Ukraine und Russland; Israel und Palästina; Iran und Saudi-Arabien.
Warum will China die internationale Ordnung, wie sie bisher war, aufrechterhalten?
Bernhard Stahl:
Weil diese bisher sehr profitabel für China war.
Das klingt widersprüchlich. Die USA haben ja in ihrer Außenpolitik vor allem ein Modell transportiert, das nichts mit China zu tun hat: Demokratie, Menschenrechte, Kapitalismus. Noch dazu haben sie im Zuge dessen stets ihre eigenen Interessen durchgesetzt.
Warum würde China wollen, dass die USA als alleinige Supermacht das Weltgeschehen entgegen Chinas Ansichten prägen?
Bernhard Stahl:
Es stimmt, die USA waren während einer Übergangszeit von ungefähr 10 Jahren nach dem Kalten Krieg die einzig verbliebene
Trotzdem würde ich die Bedeutung der USA nicht so hoch hängen, wie es manchmal getan wird. Für die Verbreitung der Menschenrechte etwa haben sie eigentlich sehr wenig getan, die Europäische Union war hier viel aktiver.
Zudem waren die USA auch damals nicht so hegemonial, dass sich alle Staaten nach ihnen hätten ausrichten müssen. So haben die Mitglieder der sogenannten blockfreien Bewegung während des
wie Indien oder Indonesien, ihre unabhängige Politik weiterverfolgt und sich nur wirtschaftlich an den USA ausgerichtet. Da gab es viele Zwischenlösungen. Und in dieser Welt konnte China reich und mächtig werden.
Lag der Aufstieg Chinas nicht eher an seiner Innenpolitik und an der wirtschaftlichen Öffnung als an der internationalen Weltordnung?
Bernhard Stahl:
Auch. Aber China hat ja durchaus seine Muskeln spielen lassen, wenn es darauf ankam, und versucht, auf Nachbarländer Einfluss zu nehmen. Das Land hat im
interveniert, Vietnam
und konnte in Laos, Kambodscha und Myanmar eine Art
aufbauen.
China will also die Lücke schließen, die die USA hinterlassen haben. Hat China das Zeug zur internationalen Vermittlerin? Vielleicht sogar mehr als die USA?
Bernhard Stahl:
Ein guter Vermittler muss zunächst einmal eine neutrale Position im Konflikt haben. Das wird von westlichen Kommentatoren häufig falsch eingeschätzt. Es ist nicht zielführend zu sagen, man könne nur dann Vermittler sein, wenn man die Aggression Russlands anerkennt. Nein. Denn man muss ja gerade von beiden Positionen gleich weit entfernt sein, um glaubwürdig gegenüber beiden Konfliktparteien zu agieren. Insofern ist die chinesische
viel besser geeignet für eine Mediation in diesem Konflikt als die des Westens.
Außerdem braucht man die Ressourcen. Das heißt zum Beispiel: sehr gute Leute mit diplomatischen Fähigkeiten. Kleinere Länder mit einer geringeren Bevölkerung tun sich da schwerer.
Und schließlich muss man von den Konfliktparteien und von anderen wichtigen Mächten als Mediator anerkannt werden. Sollte dies passieren, könnte China erfolgreich als wichtige Vermittlerin agieren.
Wäre das denn eine gute Nachricht?
Bernhard Stahl:
Viele meiner Kollegen befürworten das nicht. Kommentatoren auch nicht. Sie sagen, damit werten wir China auf. Das ist sicher richtig als Argument. Aber wenn ich an Konfliktlösungen interessiert bin, wenn durch China die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran friedlicher werden, dann finde ich das eine gute Sache.
Ich will aber nicht als Pro-China-Vertreter in Erinnerung bleiben, weil in der Tat ja einige Dinge sehr bedrohlich sind. Chinas Verhalten im
im Inselstreit mit
und hinsichtlich der
ist besorgniserregend. Da entsteht ein Konfliktpotenzial, weil China seine Nachbarländer ständig unter Druck setzt.
Wie ändert sich durch Chinas neue Rolle das Kräfteverhältnis auf der Weltbühne?
Bernhard Stahl:
Bis dato haben wir in einer Hegemonie gelebt, das heißt: die USA, der Hegemon, gibt den Ton an – im Welthandel, in der Sicherheitspolitik, bei den internationalen Institutionen. Jetzt sind wir im Übergang zu einer
in der die Staaten machen können, was sie wollen. Aber die USA verfügen immer noch über die stärksten militärischen Mittel und können im äußersten Fall eingreifen – als einziger Staat überall auf der Welt. Das machen sie aber seltener und seltener. Vor diesem Hintergrund ist es schon bemerkenswert, dass Biden überhaupt noch eine rote Linie in der Ukraine gezogen hat oder auch beim Konflikt mit
Man kann darin die Überbleibsel der Hegemonie sehen.
Was dabei wichtig ist, zu betonen: Der entscheidende Punkt, der die Weltordnung jetzt verändert, ist der Rückzug der USA, nicht der Aufstieg Chinas.
Wie sollte die Europäische Union mit Chinas neuem Streben nach einer Vermittlerrolle in Konflikten umgehen?
Bernhard Stahl:
China beim Wort nehmen und gute Politik belohnen. Aber ich halte nichts von einer Kuschelpolitik mit China. Wir müssen sehr klar benennen, wenn China die
bricht. Von daher war ich ein großer Anhänger der sehr deutlichen Worte, die einige westliche Parlamente gefunden haben, was den
durch China angeht.
Gleichzeitig glaube ich, dass die US-Politik mit ihrem pauschalen China-Bashing wenig effektiv ist.
Der französische Präsident Macron hat gefordert, China nicht eindeutig als Anhänger Russlands abzustempeln, sondern als eigenständige Kraft wahrzunehmen. Das sehe ich auch so: China ist jetzt neutral in diesem Konflikt, und das ist der Staatsführung hoch anzurechnen. Wir sollten alles tun, damit das auch so bleibt. Europa sollte diplomatisch sein: freundlich, aber bestimmt.