»Linke verstehen zu wenig von Wirtschaft.« Dieser Mann will sie intellektuell ausrüsten
Maurice Höfgen will, dass möglichst viele Menschen wirtschaftliche Zusammenhänge durchschauen. Dafür haut er auch mal Klimawandelleugnern und Neoliberalen ihre Narrative um die Ohren.
10. Juli 2023
– 13 Minuten
Maurice Höfgen
Inflation, Konjunktur, Rezession – selbst politisch interessierte Menschen schalten bei diesen Begriffen instinktiv ab. Wirtschaft? Darum kümmern sich doch Ökonom:innen. Wer nicht das wirtschaftliche Vorwissen mitbringt, beschäftigt sich selten mit den komplexen Zusammenhängen.
Maurice Höfgen will das ändern und Ökonomie erklären, verständlich für alle. nennt er das. Unter anderem in Maastricht hat er Betriebs- und Volkswirtschaftslehre studiert. Seit ein paar Jahren veröffentlicht Maurice Höfgen seine pointierten Erklärvideos . Auch in den klassischen Medien tritt er auf, schreibt eine für die Berliner Zeitung und macht als linker Wirtschaftserklärer selbst vor Diskussionsrunden bei Bild TV nicht halt.
Vor allem junge Menschen nähmen das Angebot an, sagt Maurice Höfgen, folgten seinem wöchentlichen Wirtschaftsbriefing auf dem Youtube-Kanal von Jung & Naiv oder bei Spotify. Zuletzt ist sein »Teuer – Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik« bei dtv erschienen.
Mit mir hat er darüber gesprochen, warum Wirtschaftskenntnisse wichtig sind und wie eigentlich die aktuelle Inflation entstanden ist.
Du möchtest (des-)interessierten Menschen Wirtschaft und Wirtschaftspolitik erklären. Wieso sollte diese Themen jede:r auf dem Schirm haben?
Maurice Höfgen:
Ich halte das für extrem wichtig. Unser Einkommen, unser Lebensstandard, egal ob vom Maurer, Bäcker oder Azubi, hängen davon ab, wofür Politik wie viel Geld ausgibt. Ganz grundsätzlich nervt mich, dass viele Menschen es schwerer haben, als sie es haben müssten. Wenn Politik für die breite Masse gemacht würde, dann könnten viele Menschen ein besseres Leben führen, mit weniger Schmerzen, weniger Leid, weniger Frust.
»Wirtschaft« gilt als eher trockene Materie. Du hast gleich 3 Bücher zum Thema in recht kurzer Zeit hast eine eigene Zeitungskolumne, einen Podcast bei Jung & Naiv, mit dem allein du wöchentlich Zehntausende Menschen erreichst. Warum, glaubst du, gibt es jetzt dieses Interesse?
Maurice Höfgen:
Weil viele mittlerweile verstehen, wie wichtig das ist. Die Leute merken, dass Wirtschaftsfragen extrem relevant sind und es ihnen im Lebensalltag auf die Füße fällt, darüber nichts zu wissen. Sie sind genervt davon, dass die Schulen marode sind, dass Kitaplätze fehlen, dass Brücken kaputt sind und dass es beim Klimaschutz nicht schnell genug vorwärts geht.
Diese Narrative attackierst du sogar bei Bild TV. Du hast dort mit Leuten wie dem umstrittenen Publizisten Henryk M. dem TV-Moderator Peter und der Bundestagsabgeordneten Katja (FDP) über Wirtschaft . Warum tust du dir das an?
Maurice Höfgen:
Weil ich Menschen erreichen will. Meine »Theory of besteht darin, die eigene Bubble so stark wie möglich zu machen und so gut wie möglich intellektuell auszurüsten, aber gleichzeitig nicht die Debatten mit den anderen zu meiden.
Auch wenn das heißt, bei Bild ins Haifischbecken zu gehen und denen ihre ureigenen Narrative um die Ohren zu hauen. Das ist aber immer eine Gratwanderung, weil man gleichzeitig das Medienunternehmen Springer legitimiert und nicht jede faule Lüge in der Debatte entlarven kann. Wenn Broder beiläufig den Klimawandel leugnet, bekommt man in der kurzen Zeit nicht immer alles korrigiert.
Früher hieß es oft, das linke politische Spektrum hätte eher keine Ahnung von Wirtschaft. Zu Recht?
Maurice Höfgen:
Ich finde bis heute, dass der Satz leider stimmt: Linke haben im Durchschnitt zu wenig Ahnung von Wirtschaft. Wenn Linke in Talkshows mit Christian Lindner (FDP) oder Friedrich Merz (CDU) debattieren, dann haben sie oft recht: Das Wirtschaftssystem ist ungerecht. Und da kann man Tränen drüber vergießen. Nur trifft man damit oder überzeugt man damit nicht einen Friedrich Merz oder einen Christian Lindner. Man muss denen erklären, dass deren Politik selbst für deren Klientel, selbst für »die Wirtschaft« schlecht ist. Das ist viel wirkungsvoller, als auf die Tränendrüse zu drücken und dann bei der Frage nach Alternativen blank zu sein.
Wer hat Schuld an der Inflation?
In deinem Buch »Teuer« erklärst du die Inflation für Nichtökonom:innen. Das wollen wir hier auch versuchen, so dass jede:r mitkommt. Wenn wir uns die Inflation als eine Autofahrt in den Italienurlaub vorstellen, mit mir als quengelndem Kind auf dem Rücksitz, das ständig »Wann sind wir da?« ruft: Wann ist die Inflation endlich ausgestanden?
Maurice Höfgen:
Wir haben das Auto das letzte Mal vollgetankt, die letzte Rast gemacht und fahren weiter. Die Landschaft verändert sich, es gibt Berge und man kann die Meeresluft riechen. Das Ziel kommt näher.
Und ist am Ziel alles gut oder warten mehr Probleme?
Maurice Höfgen:
Wir haben früher immer im 4-Sterne-Hotel gewohnt, jetzt werden es eher 3 Sterne werden. So günstig wie 2020 und Anfang 2021 wird es so schnell nicht mehr werden.
Was war deiner Meinung nach der Auslöser dieser heftigen Teuerung?
Maurice Höfgen:
Es gibt 2 Gründe für die steigenden Preise. Erstens, die Coronapandemie: Sie hat die Wirtschaft weltweit verlangsamt und zu Lockdowns in asiatischen Häfen geführt, wodurch wichtige Waren nicht verschickt werden konnten. Dadurch .
Zweitens: Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ab Februar 2022 führte nicht nur zu vielen Toten auf dem Schlachtfeld, sondern auch zu einem Diese beiden Ereignisse sind die Hauptursachen für die Preiserhöhungen: die Pandemie und der Krieg.
Inflation? Preisschock? Erfahre hier mehr!
Inflation? Preisschock? Erfahre hier mehr!
Inflation bedeutet zunächst allgemein: Waren werden teurer, du bekommst im Laden weniger für dein Geld. Die Inflationsrate zeigt an, wie stark im Durchschnitt die Preise gestiegen sind. In der Eurozone gelten 2% Teuerung als sogenanntes Inflationsziel, die Europäische Zentralbank soll darüber wachen, dass es keine großen Abweichungen gibt.
Die Inflation kann durch verschiedene Impulse zustande kommen:
Die Wirtschaft läuft sehr gut. Die Nachfrage ist größer als das Angebot. Deswegen können produzierende Betriebe die Preise erhöhen. Waren werden teurer, die Inflationsrate steigt. Arbeiter:innen sind in einer guten Verhandlungsposition und können mehr Lohn verlangen, um die Preisanstiege zu kompensieren. Es kann eine Lohn-Preis-Spirale entstehen, die die Inflation weiter anfacht.
Das Angebot ist zu gering. In der Folge steigen Produktionskosten, es gibt Knappheit bei Rohstoffen, die Produktionskapazitäten reichen nicht aus, um die Nachfrage zu bedienen.
Diese beiden Szenarien erstrecken sich meist über längere Zeiträume. Hinter beiden steht das gleiche Problem: Es ist mehr Nachfrage vorhanden als Waren, deswegen steigen die Preise.
Als Deutschland aus der Coronapandemie kam, gab es folgende Situation: Die Wirtschaft lief wieder an. Produzierenden Betrieben fehlten zum Beispiel Bauteile, die in China wegen des Lockdowns weniger hergestellt bzw. verschifft wurden, gleichzeitig stieg aber die Nachfrage. Viele Ökonom:innen gingen davon aus, dass sich diese Situation relativ schnell wieder normalisieren würde.
Dann gab es aber eine andere Situation, einen Preisschock. So nennt man eine Lage, in der Preise plötzlich drastisch steigen. In unserem Fall waren das die Preise für Energie, vor allem Gas – ausgelöst durch den Angriffskrieg Russlands. Diese Preise haben sich auf die Produktion von allen energieintensiven Produkten niedergeschlagen. Das würde zusätzlich die Inflation verstärken.
Wer die Deutungshoheit über die Inflation hat, bestimmt die Gegenmaßnahmen
Gerade in der Anfangszeit der Inflation gab es durchaus Expert:innen, die gesagt haben, die Teuerung sei durch das billige der Europäischen (EZB) der vergangenen Jahre . Jetzt geht es gerade um die Frage, ob diese Inflation durch Profite von Großkonzernen verlängert die im Fahrwasser der Inflation ihre Preise erhöhen, . Warum ist es wichtig zu wissen, wie die Inflation entstanden ist?
Maurice Höfgen:
Als der erste Preisschock Ende 2021 auftrat, wurde die Inflation als vorübergehendes Phänomen diskutiert. Liberale Ökonomen und vor allem die seit 10 Jahren vor niedrigen Zinsen, hohen Staatsschulden und , sahen sich nun scheinbar durch die Zahlen bestätigt.
Sie konnten jetzt sagen: »Schaut her, wir haben 10 Jahre lang gewarnt, jetzt ist die Inflation da und wird lange anhalten.«
Deine Einschätzung war eine andere?
Maurice Höfgen:
Ich und auch andere waren nicht dieser Meinung und sagten, die Inflation sei nicht durch billiges Geld entstanden und dass es sich um eine Ausnahmesituation handele, die bald vorbei sein werde. Dann kam die zweite Ausnahmesituation, der russische Angriffskrieg, der die Inflation verstärkte und diese Debatte verlängerte. Dadurch fühlten sich die Crash-Propheten noch mehr bestätigt, weil nun die Inflationsrate nicht mehr auf 4, sondern bis auf 8% gestiegen war.
Was macht die EZB und wo ist die Regierung am Zug? Klicke hier!
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Die Fiskalpolitik und die Geldpolitik sind 2 verschiedene Instrumente, die von den Regierungen der Länder bzw. der Europäischen Zentralbank in der Eurozone eingesetzt werden, um die Wirtschaft zu beeinflussen.
Die Geldpolitik. Sie bezieht sich vor allem auf die Maßnahmen, die die Zentralbank ergreift, um die Zinssätze zu steuern. Durch die Anpassung der Zinssätze beeinflusst die EZB die Kreditvergabe, die Investitionen und den Konsum. Wenn die Zinssätze niedrig sind, kann dies zum Beispiel die Kreditvergabe und die wirtschaftliche Aktivität stimulieren. Wenn die Zinssätze hoch sind, kann dies die Kreditvergabe dämpfen und die Inflation senken. Die Geldpolitik ist dabei aber wenig zielgerichtet, Zinserhöhungen treffen den kleinen Bäcker, der eine neue Maschine mit einem Kredit finanzieren will, und die Häuslebauerin genauso wie den Baukonzern.
Die Fiskalpolitik. Die Regierung kann ihre Investitionen sowie Steuern erhöhen oder senken, um die Wirtschaft zu beeinflussen. Wenn die Regierung Milliarden in die Bundeswehr, die Bahn oder den Straßenbau investiert, führt das zu mehr Arbeit, mehr Einkommen und schließlich auch zu mehr Konsum. Wenn die Regierung Steuern senkt, kann dies bestimmten Menschen mehr Geld zur Verfügung stellen und den Konsum erhöhen. Die Fiskalpolitik hat direkten Einfluss auf bestimmte Bereiche der Wirtschaft. Vor allem Staatsausgaben können bestimmte Wirtschaftsbereiche zielgerichteter beeinflussen, während die Geldpolitik die ganze Wirtschaft betrifft.
Die EZB setzt die Geldpolitik ein, um das Inflationsziel von 2% zu halten bzw. zu erreichen. Vereinfacht gesagt: Steigt die Inflation, setzt die EZB die Zinsen hoch. Das bedeutet: Banken, die sich Geld von der EZB leihen möchten, müssen dafür mehr Zinsen bezahlen. Diese höheren Zinsen reichen die Banken dann an ihre Kund:innen weiter, also an Unternehmen und Privatpersonen. Kredite, um ein Haus zu bauen oder eine Eigentumswohnung zu kaufen, werden ebenso teurer wie Kredite, die Unternehmen aufnehmen, um in Maschinen oder eine Erweiterung ihrer Produktion zu investieren.
Deswegen geben sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen weniger Geld aus. Die Inflationsrate sinkt, aber der Preis ist eine Wirtschaft mit weniger Nachfrage und weniger Arbeitsplätzen.
Warum ist es wichtig zu wissen, wer hier recht hat?
Maurice Höfgen:
Das ist ein hochpolitischer Streit. Denn wenn man den Crash-Propheten oder auch den liberalen Ökonomen jetzt recht gäbe in ihrer Inflationstheorie, in ihrer Diagnose, hieße das, sie könnten ihre Gegenmaßnahmen, ihre Therapie, im öffentlichen Diskurs oder auch in der Politik viel besser durchsetzen. Und deren Therapie ist gefährlich.
Warum?
Maurice Höfgen:
Die Therapie der Crash-Propheten wäre: Die EZB setzt die Zinsen hoch und gleichzeitig setzt der Finanzminister eine Kürzungspolitik durch. 2024 gibt die Ampel rund 30 Milliarden weniger aus als dieses Jahr. Das ist gefährlich, weil wir gerade auch viele andere Probleme haben: marode Schulen, zu wenig Kitas, eine Klimakrise, die wir lösen müssen. Wir müssen den ganzen Gebäude- und Verkehrssektor von fossil auf erneuerbar umkrempeln. Das erfordert mehr Geld, nicht weniger.
Hier die Legitimation für solche Kürzungen, für eine neue Sparpolitik zu erteilen, wäre fatal. Jetzt viel mehr als jemals zuvor. Deutschland muss 2045 klimaneutral werden. Da hängt verdammt viel dran. Das ist ein Spiel gegen die Zeit.
In diesem Artikel spricht Chris Vielhaus mit Carl Mühlbach von Fiscal Future über die Sparpolitik, deren ideologische Ursprünge und Auswirkungen auf Deutschland:
Hat die Bundesregierung diese Therapie der Sparpolitik in der Krise denn angewandt?
Maurice Höfgen:
In der Krise nicht. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die selbst milliardenschwer hintergangen. Mit Doppel-Wumms, Entlastungspaketen, 100 Milliarden Sondervermögen für die Das ist eigentlich nicht das, was Christian Lindners Chefberater Lars der Kopf der deutschen empfehlen würde.
Pragmatisch zu reagieren klingt ja erst einmal gut.
Maurice Höfgen:
Ja, aber jetzt schwenkt es gerade um. Vom Pragmatismus im Krisenmodus, in dem der Staat Geld ausgeben muss, um die Versorgung des Landes mit Gas und Strom zu sichern und Firmen vor hohen Energiekosten zu schützen, hin zu einer ideologischen Gegenoffensive. Christian Lindner bereitet sich für den nächsten Bundestagswahlkampf vor und will dann sagen können, er sei sparsam mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen.
Wie wirkt die Zinspolitik der EZB? Klicke hier!
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Wenn die EZB die Zinsen erhöht, um so die Inflationsrate zu senken, gibt es potenziell mehrere Probleme. Zum einen wirkt die Zinserhöhung auf die gesamte Wirtschaft und kann nicht – wie zum Beispiel Hilfspakete oder Energiepreisbremsen – auf einzelne Industrien oder Gesellschaftsschichten beschränkt werden. Die vereinfachte Logik hinter Zinserhöhungen ist, wie oben angedeutet: Die Zinsen gehen rauf, Unternehmen und Privatpersonen geben weniger Geld aus. Die Inflation sinkt in der Folge wieder.
Zinserhöhungen produzieren Kollateralschäden: Aufträge bei Unternehmen sinken, Menschen verlieren ihre Jobs, die Wirtschaft kann in eine Rezession rutschen. Wenn mehr Menschen arbeitslos sind, haben sie eine schlechtere Verhandlungsposition, was ihren Lohn betrifft. Gewerkschaften können dann nicht mehr so viel Lohn fordern, um die Inflation auszugleichen.
Insgesamt kritisieren vor allem linke und progressive Stimmen diese Art von Geldpolitik als eine Verteilung des Vermögens, aber auch des Einkommens von unten nach oben.
Vor allem, wenn es um einen plötzlichen extremen Anstieg der Energiepreise geht, wie bei der aktuellen Inflation (durch Preisschock), tendieren einige Ökonom:innen dazu, eher zielgerichtete Staatshilfen für Menschen zu fordern, statt mit höheren Zinsen in der Breite zuzuschlagen.
»Die EZB hat die falschen Werkzeuge«
Die Schuldenbremse nimmt der Bundesregierung den Spielraum, neue Schulden aufzunehmen, um zum Beispiel neue Hilfspakete zu beschließen. Also kann ja eigentlich nur noch die EZB eingreifen. Ist das alternativlos?
Maurice Höfgen:
Politisch ist eine Zinserhöhung für die EZB alternativlos, denn alle zeigen auf sie und sagen: »Ihr habt das Mandat, das 2%-Inflationsziel zu erreichen. Gerade sind wir weit darüber. Also müsst ihr was machen.« Die EZB steht da und hat nur 2 Werkzeuge: Sie kann Staatsanleihen verkaufen oder kaufen und Zinsen hoch- oder runtersetzen.
Ein bisschen so, als würde sie eine Wand streichen müssen, aber hätte nur einen Hammer und einen Spachtel. Die EZB hat die falschen Werkzeuge, aber sie versucht es einfach trotzdem, weil sie etwas machen muss, aus purer Verzweiflung.
Ökonomisch ist das nicht alternativlos. Denn wenn Gas, wenn Öl, wenn Strom teurer werden, weil an den Börsen Kriegspanik und Sorge vor Knappheiten herrscht, dann kann die Zentralbank erst einmal nichts dagegen machen. Die Börsenpreise fallen seit September 2022 längst wieder, sind mittlerweile für Gas und Strom sogar auf dem Niveau von 2021, ohne dass die Zentralbank mit den Zinsen Einfluss darauf gehabt hätte.
Aber was bezweckt die Zentralbank dann mit ihrem Eingriff?
Maurice Höfgen:
Das, was die Zentralbank in Wirklichkeit versucht, ist, die Gewerkschaften zu schwächen. Zwar kann sie gegen teures Gas nichts machen, will aber starke Lohnzuwächse verhindern. Dafür zieht sie die Zinsen hoch und schwächt die Wirtschaft, ja, nimmt sogar die deutsche Rezession in Kauf.
Zinserhöhungen wären vielleicht ein probates Mittel, wenn wir eine klassische Inflation hätten, wenn eine brummende Wirtschaft und steigende Löhne der Auslöser wären. Wir haben aber einen Preisschock, das ist etwas anderes, das ist keine klassische Inflation. Außerdem stellt die EZB zu wenig die Frage nach den Nebenwirkungen. Die Kosten dieser Zinsanstiege werden viel zu wenig diskutiert.
Apropos Kosten: In deinem Buch steht die Widmung: »Für die Verlierer der Inflation.« Wer sind diese Verlierer und was ist das Problem, das sie jetzt haben?
Maurice Höfgen:
Die Verlierer sind erst einmal diejenigen, die höhere Preise zahlen müssen, aber keine Lohnerhöhung bekommen haben oder eine zu geringe. Diejenigen, die Pech hatten mit ihrem Strom- oder Gasvertrag, und diejenigen, die ganz klassisches Innenstadtgewerbe betreiben: Bäcker, Friseure, Textilhändler. Sie erleiden einen Sandwich-Schock. Einerseits haben sie höhere Kosten, weil Energie teurer wird. Andererseits fehlt auch den Kunden das Geld in der Tasche, weil sie selbst höhere Strom-, Benzin- und Gaspreise abdrücken müssen. Also: gestiegene Kosten, gesunkene Nachfrage. Ein doppelter Schock für die Innenstädte, die ohnehin seit Jahren ums Überleben kämpfen.
Jetzt wissen wir, wer unter der Zinspolitik der EZB besonders leidet. Was können wir wirtschaftspolitisch für diese Menschen tun?
Maurice Höfgen:
Als Erstes müsste die EZB den Zins in Ruhe lassen, um die Nebenwirkungen einzudämmen. Als Zweites sind die nationalen Regierungen gefordert, die stark gestiegenen Preise abzufedern. Zum Teil haben sie das auch gemacht. Wir haben in Deutschland eine Gas- und Strompreisbremse. Das ist gut, kam aber zu spät.
Was ich nicht verstehe: Warum hat die Bundesregierung das 9-Euro-Ticket oder den Tankrabatt nicht einfach auf 12 Monate verlängert? Es gibt weitere Hebel. Zum Beispiel haben wir in Deutschland das Problem, dass Lebensmittel Preistreiber Nummer eins in der Inflationsstatistik sind. Jeder muss aber Lebensmittel konsumieren, und wenn Brot und Butter teurer werden, trifft das Geringverdiener härter als Fußballprofis.
Was wäre denn eine gute Lösung für dieses Problem?
Maurice Höfgen:
Wir belasten Brot und Butter mit 7% Mehrwertsteuer. Die könnte man einfach streichen. Das erlaubt das EU-Recht. Die Verlierer zu entlasten, geschähe nicht nur aus edlen Motiven oder Barmherzigkeit, sondern schlicht und einfach auch, um die Wirtschaft zu retten. Der Einzelhandel setzt real 10% weniger um als im Vorjahr. Da hilft nur mehr Geld in der Tasche der Kunden. Aber das ist letztlich auch nur Symptombekämpfung. Wenn wir die Ursachen bekämpfen wollen, müssen wir jede Milliarde, die wir finden, auf erneuerbare Energien schmeißen, Gebäude energetisch sanieren. Da müsste die Regierung wirklich auf das Gaspedal treten, um von teuren Öl- und Gasimporten unabhängiger zu werden.
Du arbeitest ja seit ein paar Jahren auch im Bundestag als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einem Abgeordneten von Die Linke. Wie politisch siehst du deine ökonomische Bildungsarbeit, und inwiefern gibt es Überschneidungen zwischen dieser Arbeit und politischem Engagement?
Maurice Höfgen:
Ich bin kein Parteimitglied der Linken. Aber ja, ich arbeite für einen Abgeordneten der Linksfraktion, das stimmt. Ich bin ein politischer Mensch. Alles, was ich mache und sage, ist politisch. Das, was ich mir politisch wünschen würde, steht aber nicht im Vordergrund, wenn ich über Geldsysteme und unser Wirtschaftssystem aufkläre.
Was steht denn im Vordergrund?
Maurice Höfgen:
Ich will die ökonomischen Argumente hinter den Maßnahmen der Regierung klar benennen und debattieren. Das Argument »Es ist kein Geld da« will ich ökonomisch Ob das Geld für Steuersenkungen oder Klimainvestitionen eingesetzt wird, ist eine andere Frage, zu der man unterschiedlich stehen kann. Also: Meine Aufklärungsarbeit ist politisch, aber nicht parteipolitisch.
Das heißt, du siehst deine Zukunft nicht als aktiver Politiker, sondern eher als Erklärer der Wirtschaftspolitik.
Maurice Höfgen:
Für den Moment, ja. Ich will nicht für immer ausschließen, einmal parteipolitisch aktiv zu werden. Aber ich glaube, wenn ich jetzt irgendwo für den Bundestag kandidieren würde und Hinterbänkler wäre, in einer Zeit, in der es ohnehin keine progressiven Mehrheiten gibt, ist mein Nutzen für die Sache größer, wenn ich Aufklärungs- und Bildungsformate mache. Und da sehe ich eine große Lücke an unterhaltsamen, lockeren und vor allem pragmatischen Formaten.
Ich glaube auch, dass die Ideen, mit denen irgendwann linke Mehrheiten wieder möglich werden, nicht die sind, die gerade in den Parteiprogrammen von SPD, Grüne und Die Linke stehen. Deswegen Parteikarriere für den Moment? Nein. Irgendwann ein politisches Amt bekleiden? Vielleicht.
Mit Illustrationen von
Frauke Berger
für Perspective Daily
Jeder weiß: Unsere Arbeitswelt verändert sich radikal und rasend schnell. Nicht nur bei uns vor der Haustür, sondern auch anderorts. Wie können wir diese Veränderungen positiv gestalten und welche Anreize braucht es dafür? Genau darum geht es Benjamin, der erst Philosophie und Politikwissenschaft studiert hat, dann mehr als 5 Jahre als Journalist in Brasilien gelebt hat und 2018 zurück nach Deutschland gekommen ist. Es gibt viel zu tun – also: An die Arbeit!