Gute Ökopolitik ist nicht gleich Ökodiktatur!
»Wir verzichten gern auf schwache Politik und Ökodiktatur«, sagen die Autor:innen von »Wir haben genug!«. In ihrer Streitschrift zeichnen sie ein verheißungsvolles, realistisches Bild eines neuen Wohlstandsmodells, das nicht auf Zerstörung und Ausplünderung, sondern auf Bewahrung, Nachhaltigkeit und Sinnstiftung setzt. Lies jetzt den Auszug.
Gute Regelsysteme sichern die Freiheit. Wer dem demokratischen Staat das Verbieten verbietet, provoziert entweder das Chaos oder den Verlust der Freiheit. Man spricht nicht von einer »Mobilitätsdiktatur«, wenn von der Straßenverkehrsordnung die Rede ist.
Man spricht auch nicht von »Steuerdiktatur«, wenn über eine Novellierung der Einkommensteuer debattiert wird, oder von »Bildungsdiktatur«, wenn es um Schulpflicht oder um Zugangsvoraussetzungen für bestimmte berufliche Karrieren geht. Warum kann man nicht wahlweise rechts oder links fahren? Warum kann man nicht nach Belieben seine Steuern selbst festsetzen oder das Abführen von Beiträgen für Gemeinwohlleistungen folgenlos einstellen? Warum ist es nicht möglich, ohne Studium und nur mit gesundem Menschenverstand Chefarzt oder Richterin zu werden? Willkür? Einschränkung von Freiheit? Niemand käme auf derart abstruse Gedanken.
Wenn es aber um Regeln geht, die das Klima, den Ressourcenverbrauch, die Menge an Emissionen, die Artenvielfalt oder den
Buchauszug: »Wir haben genug!«

Ist Wohlstand ohne Wachstum denkbar? Was gewinnen wir, wenn wir uns vom Überfluss verabschieden? Wie können wir unseren Kindern und Kindeskindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen? Die Streitschrift »Wir haben genug!« gibt antworten und ist beim Oekom-Verlag erhältlich.
Bildquelle: oekom VerlagDas Phänomen scheint historische Ursachen zu haben. Zu lange waren Klima, Luft, Wasser, Boden und die Natur ganz allgemein »freie Güter« – ohne Preis dem Zugriff aller ausgesetzt. Freilich ist bereits diese Kategorisierung Ideologie: Der Zugriff war und ist vor allem denen möglich, die über Mittel verfügen, diese »freien« Güter zu nutzen. Keineswegs konnten alle produzieren, Handel treiben, neue Räume erschließen und sich diese dann aneignen. Nicht alle konnten ausreichend (oder auch über das Maß hinaus) konsumieren. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Gesellschaften nutzte die »freien Güter« und verwandelte sie in brauchbare Güter und privaten Geldgewinn. Die bei Produktion, Handel und Konsum unweigerlich eintretenden Schäden wurden dabei der Allgemeinheit aufgebürdet: Müll blieb lange Zeit einfach liegen, Flüssigkeiten wurden in die Gewässer geleitet oder versickerten im Boden. Gasförmige Abfälle wurden und werden auch heute noch der Atmosphäre »anvertraut« …
Solche Freiheiten bei der Nutzung »freier Güter« will man sich nicht gern nehmen lassen. Staatliche Regeln, die den freien Zugriff einschränken, mit einem »künstlichen« Preis versehen oder gar verbieten wollen, will man um alles in der Welt abwehren. Begriffe, Worte, Narrative sind mächtige Mittel im täglichen Streit der Meinungen, im ständigen Vorbereiten von Entscheidungen bzw. in der täglichen Abwehr derselben. Die »Warnung vor der Ökodiktatur« ist eine beliebte und sehr wirksame Waffe im Meinungskampf.
Wenn es um die natürlichen Lebensgrundlagen geht, soll nach Ansicht vieler alles auf Freiwilligkeit beruhen. Natürlich werden auch »Anreize« akzeptiert. »Umwelt schonen muss sich lohnen« war ein Slogan, den selbst engagierte Leute in den 1980er- und 1990er-Jahren gern benutzt haben. Verschwiegen wurde und wird gern die Tatsache, dass es Pflichten gibt, die erfüllt werden müssen, selbst wenn es sich nicht lohnt, sondern nur kostet.
Kein Mensch käme auf die Idee, allein mit Appellen an den guten Willen zum freiwilligen Steuerzahlen aufzufordern oder mit finanziellen Anreizen Geisterfahrer auf die richtige Spur zu locken. Wenn das Grundwasser durch Düngung und Pestizide belastet wird, rufen viele nach Anreizen für die Verursacher, dieses Tun einzuschränken oder ganz zu unterlassen. Die Forderung nach strikten Regeln gilt als ungehörig, landwirtschaftsfeindlich, diktatorisch. Ganz ähnlich laufen die Debatten um den hohen und eindeutig problematischen Fleischkonsum ab. Ganz zu schweigen von der kaum noch nachzuvollziehenden Diskussion um ein Tempolimit auf den Autobahnen. Schnell heißt es, dass der »Verbotsstaat seine hässliche Fratze« zeige.
Zur Diktatur wird ein Staat vor allem durch Veränderungen der Verfassung, die auf die Missachtung der Menschenrechte und auf die Abschaffung der horizontalen – Legislative, Exekutive, Judikative – und der vertikalen Gewaltenteilung – Selbstverwaltung der Gemeinden, Föderalismus der Länder, Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip – gerichtet sind. Wichtig sind auch die Methoden, mit denen der Staat handelt. Verordnungen und Gesetzgebung durch »Führer«-, Partei oder Cliquenbeschlüsse ohne parlamentarische Mitwirkung und ohne Kontrolle durch Verfassungsgerichte und freie Medien zeichnen diktatorische Systeme aus. Dies zu beachten ist enorm wichtig: Es ist einfach sachlich nicht richtig, alle staatlichen Verordnungen, Gesetze, Maßnahmen, die auf demokratische Weise zustande kommen, für »diktatorisch« zu erklären, nur weil man meint, dass die eigene Freiheit dadurch eingeschränkt wird.
Eine »Ökodiktatur« wäre also ein Staat, der unter Missachtung der Menschenrechte aufgrund von Einzel- oder Cliquenherrschaft sowie unter Ausschaltung aller Kontroll- und Korrekturmöglichkeiten Maßnahmen zum Schutz und Erhalt der Lebensgrundlagen ergreift. Es muss Anliegen aller Menschen mit ökologisch-sozialer Werthaltung sein, es niemals so weit kommen zu lassen und Widerstand zu leisten, wenn sich derartige Tendenzen zeigen sollten.
Man muss sich aber auch wehren, wenn harte Maßnahmen zum Schutz der Lebensgrundlagen prinzipiell als »ökodiktatorisch« verleumdet werden, obwohl sie unter Achtung der allgemeinen Menschenrechte, auf demokratisch-parlamentarischem oder auf verfassungsgemäß direktdemokratischem Weg zustande gekommen sind. Es ist – wie der Soziologe Philipp Lepenies (»Verbote und Verzicht«, Berlin 2022) dargestellt hat – eine von neoliberaler Seite seit vielen Jahrzehnten gepflegte Ideologie, dem Staat jegliches Recht auf Verbote und Verzichtsforderungen abzusprechen. Liberalistische Vordenker wie Friedrich Hayek, Milton Friedman oder auch die in den USA hoch geschätzte Autorin Ayn Rand und viele andere radikalliberale Protagonisten stellten und stellen die Dinge so dar, als sei jegliche staatliche Maßnahme ordnungspolitischer Art eine Verletzung der Freiheitsrechte eines jeden Menschen. Die Warnung vor der
Auf jeden Fall würde so den Nachkommen genau das verweigert, was die Gegner der Ordnungspolitik angeblich verteidigen: die Freiheit (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz 2021). In einer überhitzten Welt mit Wasserknappheit und Dürre, ohne Artenvielfalt und natürliche Schönheit leidet die Qualität des Lebens, und es dürfte sehr schwierig werden,
Diktaturen folgen oft auf schwache Demokratien, die sich als fehlerhaft und unwirksam bei der Lösung anstehender Probleme gezeigt haben. Wer also Probleme wuchern lässt, ohne sie wirksam zu lösen oder partiell abzumildern, fördert die Sehnsucht nach autoritären oder diktatorischen Systemveränderungen.
Wer will schon eine Diktatur: Verhaftung und Straflager bei Kritik an der Regierung, Angst vor möglicher Bespitzelung auch im engsten Privatbereich, Gleichschaltung aller Medien, Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit, Verbot von Oppositionsparteien und Ausschluss nicht konformer Kandidaten oder Kandidatinnen von Wahlen? Eigentlich möchte das niemand. Und doch zeigen empirische Untersuchungen, dass die Zustimmung zur demokratischen Staatsform bei uns kontinuierlich abnimmt, obwohl in ihr – anders als in autoritär oder gar diktatorisch geführten Staaten – die geschilderten Zustände nicht denkbar sind. Es gibt zur Frage des Verhältnisses der Deutschen zur Demokratie unterschiedliche Zahlen. Auch die regionale Verteilung der Zustimmungs- bzw. Ablehnungswerte ist zu beachten. Alarmierend bleibt dennoch der messbare Trend: Unsere gewohnte Art, Politik zu machen, verliert mehr und mehr ihre Fans. Autoritäre Angebote in Nachbarstaaten werden angenommen. Auch in Deutschland gibt es Sympathiekundgebungen für auswärtige autoritäre und diktatorische Machthaber. Parteien des rechtsautoritären Spektrums werden auch in Deutschland gewählt und sitzen in den Parlamenten. Verlage und Medien mit einem Hang zum Autoritären gewinnen Marktanteile. Deshalb gilt für Demokratinnen und Demokraten: aufpassen und handeln.
Die mittlerweile unvermeidliche Umformung unserer ökonomischen und sozialen Verhältnisse unter den Vorzeichen der Nachhaltigkeit und der Vorsorge für die Lebenschancen von Kindern, Enkeln und Urenkeln kann – bei fehlerhaftem Management – die Abwendung von Demokratie und offener Gesellschaft noch verschärfen: Ohne engagierte Gerechtigkeitspolitik kann eine solche Transformation der Lebensbedingungen (Energiewende, Reduzierung des Überkonsums, Bepreisung ehemals »freier Güter« etc.) massive Ängste auslösen. Der Auftritt der sogenannten Gelbwesten-Bewegung in Frankreich hat dort die verantwortlichen Politiker aufgeschreckt und Transformationsversuche für mehr Klimaschutz gestoppt. Sie waren eine Warnung vor sozial unsensibler Ordnungspolitik. Dieses Beispiel darf aber nicht dazu führen, dass gar keine ökologisch motivierte Ordnungspolitik mehr möglich ist.
Auf der anderen Seite zeigen sich immer mehr Aktivistinnen und Aktivisten der Klimaschutzbewegung enttäuscht von den parlamentarisch-demokratischen Möglichkeiten. Auch ihre Aktionen stellen oft eine massive Anfrage an unsere herkömmlichen politisch-demokratischen Verfahren dar. Der Vorwurf ist auch von dieser Seite her vernehmbar: Die Demokratie ist zu schwach, Probleme rechtzeitig zu lösen.
Problemlösende Demokratien können nicht auf das Mittel der Ordnungspolitik verzichten. Freilich sind auch die milderen Mittel der informativen Aufklärung, des Appells zur Freiwilligkeit, des
Beide Maßnahmen –
Ordnungspolitische Maßnahmen sollten unter dem Demokratieaspekt mit höchster Transparenz vorbereitet werden. Das andernorts und auch in Deutschland auf kommunaler Ebene schon vielfach bewährte Mittel des »Bürgergutachtens« sollte auch auf Landes- und Bundesebene
Wenn wir heute angesichts sich verschärfender Gefährdungen der Lebensgrundlagen auf ordnungspolitische Maßnahmen verzichten, kann es sein, dass sich die Verhältnisse in wenigen Jahren zu extremen Bedrohungslagen zuspitzen. Es dürfte uns nicht wundern, wenn dann von Staatsversagen geredet und nach durchgreifenden »starken« Männern und Frauen gerufen wird. Wer heute demokratisch entstandene ordnungspolitische Maßnahmen akzeptiert, handelt problemlösend und beugt dem Entstehen einer abstoßenden »Ökodiktatur« vor.
Vor uns steht die Aufgabe, den hochgefährlichen Wachstums- und Konsumzwang abzuschütteln, der nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts mittlerweile freiheitsgefährdende Aspekte aufweist. Diese Aufgabe stellt gleichzeitig eine Bewährungsprobe für die demokratische, rechtsstaatlich und sozialstaatlich geprägte Staatsform dar. Der von libertärer Seite stets geforderte Verzicht auf Ordnungspolitik macht die Lösung dieser Aufgabe aber unmöglich.
Hinweis: Die Autor:innen treten im Herbst bei der Bayerischen Landtagswahl als Kandidat:innen für die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) an.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily