Immer Ärger mit der Bahn? Dann lies diesen Text
Hast du dich in letzter Zeit mindestens einmal über die Deutsche Bahn geärgert? Nach diesem Text weißt du, woran das liegt und was es braucht, damit Züge wieder pünktlich unterwegs sind.
Eigentlich sollte der Text mit einem Witz über die Deutsche Bahn beginnen, doch der wäre sicher nicht angekommen …
Witze wie dieser haben einen Ursprung. Viele Menschen berichten von Verspätungen, Ausfällen, verpassten Anschlusszügen, nichtexistierenden Verbindungen, heruntergekommenen Bahnhöfen, hohen Preisen, schlechter Kommunikation oder fehlender Barrierefreiheit. Da kommt man schnell auf den Gedanken: Bei der Deutschen Bahn läuft einiges schief, und das nicht erst seit gestern.
Wie schlimm es aktuell ist, zeigt eine Entscheidung unseres Nachbarlandes. Die Schweizer:innen haben keine Lust mehr auf die
Auch sehr bezeichnend sind
Doch die eigentlichen Probleme sind noch viel weitreichender und liegen tiefer. Wie tief, zeigt ein Lösungsvorschlag, der momentan politisch und in der Branche rauf und runter diskutiert wird: eine strukturelle Bahnreform –
Doch warum kommt die Bahn jetzt so oft zu spät und wieso hat sie überhaupt so viele Probleme? Und aus welchem Grund soll eine »Zerschlagung« die Lösung sein?
Legen wir unsere Gefühle gegenüber der Deutschen Bahn einmal beiseite und versuchen sie besser zu verstehen. Die Bahn ist heute ein komplexes Geflecht, das nur schwer zu durchschauen ist. Denn wir brauchen eine funktionierende Bahn. Schließlich ist sie in den meisten Szenarien der
Die Deutsche Bahn: Zahlen und Fakten im Überblick
- Name: Deutsche Bahn AG (DB AG)
- Gründungsdatum:
- Eigentümerin: Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr
- »Bahn-Chef«: Vorstandsvorsitzender Richard Lutz (seit 2017)
- Konzernhauptsitz: BahnTower am Potsdamer Platz in Berlin
- Organisation: Die Deutsche Bahn ist eine Aktiengesellschaft, aber nicht an der Börse notiert. Die Bundesrepublik Deutschland ist alleinige Aktionärin. Die Deutsche Bahn AG hat eine sogenannte duale Führungs- und Kontrollstruktur. Diese besteht aus einem Vorstand und einem Aufsichtsrat, der dem Vorstand auf die Finger schaut.
Der Vorstand besteht aus 8 Personen, die jeweils ein Auge auf die Aktivitäten ihres jeweiligen Themenschwerpunktes im Deutsche Bahn-Konzern haben und dessen Interessen lenken. Dazu gehören Nachhaltigkeit (beim Bahn-Chef verankert), Infrastruktur, Finanzen und Logistik, Regionalverkehr, Güterverkehr, Personenverkehr, Digitalisierung und Technik sowie Personal und Recht. Der Vorstand soll den DB-Konzern entsprechend den Anweisungen und Aufträgen des Verkehrsministeriums lenken.
Der Aufsichtsrat bestellt, überwacht und berät den Vorstand. Er besteht aus 20 Mitgliedern. Die Hälfte sind Vertreter:innen der Bundesrepublik wie Staatssekretär:innen oder Mitglieder des Deutschen Bundestages. Die andere Hälfte sind Vertreter:innen des Arbeitnehmers, also des DB-Konzerns. Vorsitzender des
- Größe: Die Deutsche Bahn AG besteht aus 417 Unternehmen und 193 Beteiligungen an anderen Unternehmen weltweit. Zusammen haben alle DB-Unternehmen 338 Tausend Mitarbeitende, davon 215 Tausend in Deutschland (Frauenanteil weltweit: 25%).
- Was sie bietet: Sehr viel Verschiedenes. Die DB AG bringt etwa Menschen und Güter per Zug und Bus von A nach B, entwirft Fahrpläne, legt Gleise, gibt anderen Unternehmen die Erlaubnis, die Gleise zu benutzen, betreibt und vermietet Bahnhofsgebäude, verkauft Immobilen, erzeugt Strom für die Bahn und Haushalte, betreibt ein Car-Sharing-Netzwerk und ein Autohaus für Gebrauchtwagen, verkauft ICE-Kugelschreiber und Bahnhonig.
- Jahresergebnis 2022: Die Bahn hat 2022 »schwarze Zahlen« geschrieben, einen
- Mission und Vision: Viele. Jedes Tochterunternehmen der Deutschen Bahn hat seine eigenen Ziele und Meilensteine.
Nostalgie: Ist alles wirklich schlechter als »damals«?
Über 170 Jahre war die Deutsche Bahn eine Bahn, die in Deutschland Züge fahren ließ, deren Geschäft das Bahnfahren war – und sonst nichts. Diese Bahn erreichte fast sämtliche Dörfer auf dem Land und agierte, unvorstellbar heute, nach einem vergessenen Grundsatz: Dass jede Stadt mit mehr als 20.000 Einwohnern von jeder anderen Stadt dieser Größe mindestens zweimal täglich zu erreichen sein musste, und das mit nur einmal Umsteigen.
So wie Journalist und ehemaliger taz-Chefredakteur Arno Luik die Bahn beschreibt, klingt es wie ein Traum für alle, die in den 90er-Jahren geboren und mit der Deutschen Bahn aufgewachsen sind. Luik selbst ist Jahrgang 1955, war mit den damals getrennten Staatsbahnen unterwegs, hatte deren Zusammenlegung und
Züge, nach denen die Uhr gestellt werden konnte, gutes und ausreichendes Servicepersonal und verlässliche Verbindungen, auch in abgelegenere Regionen –
Doch was die Passagiere der Deutschen Bundesbahn (BRD) und der Deutschen Reichsbahn (DDR), wie Luik, als so positiv in Erinnerung haben, sah die Regierung unter Helmut Kohl (1982–1998, CDU) als wirtschaftliche Sackgasse: Staatsbahnen, die zu viele Menschen beschäftigen, unrentable Verbindungen anbieten und nicht einmal genügend Profite machen, um ihre Personalkosten zu decken. Kurzum: Für sie war die gute alte Bahn vor allem ein Steuerfresser.
Die Verbreitung des Autos, mit dem jede:r individuell schnell von A nach B kommen konnte, machte der Bahn das Leben schwer. Immer wieder wurde eine Reform der Staatsbahn angedacht, um die Betriebskosten zu decken und Schulden abzubauen. Die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland brachte schlussendlich den nötigen Wind für Veränderung. Die Bundesbahn in Westdeutschland und die Reichsbahn in Ostdeutschland sollten zu einem einheitlichen deutschen Bahnsystem zusammengeschlossen – und
Für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, Verkehrsminister (und Auto-Lobbyist) Matthias Wissmann und die Chefetage der Staatsbahnen gab es nur eine rettende Lösung:
Außerdem konnte die Form einer Aktiengesellschaft die Verbeamtung von Hunderttausenden Bahnangestellten umgehen – und somit Staatsgelder sparen. Denn laut dem Vertrag zur deutschen Einheit hätten eigentlich die meisten Bundesbahner:innen und Reichsbahner:innen bei der Zusammenführung 1994 verbeamtet werden sollen.
Die Deutsche Bahn AG war geboren.
Sie sollte die 2 großen Fehler der vorherigen Staatsbahnen ausbessern: mehr Verkehr auf die Schiene bringen (ein Ziel, das wir heute noch haben) und rentabel sein. Doch vergaß sie dabei eine ehemalige Stärke: die Kundenorientierung. Dabei ist die neue Form der Aktiengesellschaft selbst nicht unbedingt das Problem, sondern deren Führung.
Verspätungen: Weißt du, wie die Bahn »Pünktlichkeit« definiert?
2022 kamen nur 65% aller Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn
Warum das so ist?
Seit der Gründung der DB AG 1994 ist das Bahnnetz von knapp 40.000 Kilometern
Braucht es also einfach nur mehr Geld?
Nicht ganz. Das vorhandene Bahn-Budget fließt vor allem in Prestigeprojekte wie
Viele Köche: Weißt du, dass die Bahn aus über 600 Unternehmen besteht?
Seit Gründung der DB AG gab es die Idee, dass Unternehmensteile des Konzerns an die Börse gehen sollten, um sich durch Investor:innen zu finanzieren und den Staat zu entlasten. Um den Konzern börsenfit zu machen, wurden Tochterunternehmen für
Um den Konzern für Investor:innen attraktiver zu machen, wurden in den Jahren 1994–2001 bundesweit 117.000 Arbeitsplätze abgebaut – und damit Personalkosten eingespart.
Was damit begann, die Staatsbahn in ein wirtschaftlicheres Geschäft (für den Staat) umzuwandeln, endete in einem größenwahnsinnigen Versuch einzelner Menschen, sich selbst zu verwirklichen. Eine Schlüsselfigur und ein solcher Selbstinszenierer war der ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn (1999–2009).
In seinen 10 Jahren als Bahnchef wollte er Teile der Deutschen Bahn unter Biegen und Brechen an die Börse bringen, unterstützt von der rot-grünen Regierung und seinem guten Freund, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, 1999–2005). Dafür war ihm jedes Mittel recht. Gleisstrecken, Weichen und wenig benutzte Überholgleise wurden zurückgebaut, damit sie nicht instand gehalten werden mussten. Der Neubau von Schienen wurde generell der Wartung des bestehenden Netzes vorgezogen, da der Bund nur Aus- und Neubauten bezuschusst. Instandhaltung und Sanierung muss die Bahn aus eigener Tasche zahlen. Daher hat sie (und macht es heute teilweise noch)
Im Jahr 2008 einigte sich die Koalition aus Union und SPD nach jahrelangen politischen Diskussionen und starker öffentlicher Kritik sogar auf eine Teilprivatisierung, der Bundestag stimmte zu.
Das heißt, für Bahnkund:innen ist vor allem die strategische Ausrichtung der Bahn schlecht und an vielen Unannehmlichkeiten schuld.
Verlorener Fokus: Weißt du, dass die Bahn einen Großteil des Gewinns im Ausland mit bahnfernen Aktivitäten macht?
Als Mehdorn an die Macht kam, machte die Bahn so gut wie alle ihre Geschäfte und Umsätze in Deutschland mit dem Bahnfahren, über 90%.
Wer einen Blick in den integrierten Bericht des Konzerns wirft, findet
Die beiden Beispiele verdeutlichen einen der häufigsten Kritikpunkte an der Deutschen Bahn: Sie mischt zu viel im Ausland mit, hilft anderen Ländern beim Aufbau eines Bahnnetzes oder bei der Logistik von Gütern und vergisst dabei ihre eigentliche Daseinsberechtigung. Den
Das Grundgesetz verpflichtet den Bund, zum Allgemeinwohl eine den Verkehrsbedürfnissen entsprechende Versorgung mit Eisenbahninfrastruktur und Eisenbahnverkehrsangeboten zu gewährleisten. Die Dauerkrise der DB AG gefährdet jedoch diesen Auftrag des Bundes.
Tochter-Wirrwarr: Weißt du, wie viele Bahn-Unternehmen an einer Reise beteiligt sind?
Du fährst in einem Fernzug von Berlin nach München. Dafür ist nicht »die Bahn« verantwortlich, sondern eine Vielzahl von verschiedenen Tochterunternehmen der DB AG, die alle untereinander abrechnen müssen. Der Wagen, in dem du sitzt, gehört der DB Fernverkehr. Die Rangierlok, die den Zug vielleicht an einem Bahnhof teilt und woanders anhängt, der DB Regio. Die Gleise, auf denen dein Zug fährt, werden von der DB Netz betrieben, die für die Nutzung der Gleise bezahlt werden muss. Der Bahnhof, an dem du aussteigst, gehört zu DB Netz Personenbahnhöfe … Sie alle müssen miteinander kommunizieren, oft bleiben dabei Informationen auf der Strecke – Störungen im Betriebsablauf. Gegen welches der 610 DB-Unternehmen richtet sich also dein Ärger, wenn das nächste Mal ein Zug ausfällt?
Manchmal laufen die Interessen dieser Unternehmen einfach gegeneinander, obwohl sie alle miteinander arbeiten müssen. Kurzum: Der Umbau der Staatsbahn in viele verschiedene Unternehmen funktioniert nicht gut.
Außerdem macht dieses Wirrwarr an Tochterunternehmen auch den Fluss und die Verwendung von Steuergeldern intransparent. Wie genau sie eingesetzt werden, ist immer noch nicht gut zu kontrollieren. Für einige DB-Tochterunternehmen gibt es nicht einmal Zahlen.
Die Zukunft der Deutschen Bahn: Das soll eine »Zerschlagung« bringen
Zu viel Marktmacht und zu schlechte Leistung – das ist die Hauptkritik an der DB AG. Die Monopolkommission, ein unabhängiges Gremium, das die Bundesregierung berät, schaut sich die DB seit Jahren an. Sie
Dann könnte es mehr Wettbewerb im Bahnverkehr geben, Züge könnten pünktlicher und Ticketpreise eventuell günstiger werden.
Die Idee ist nicht neu und steht schon seit Jahren im Raum.
Ohne bessere Infrastruktur wird sich nichts ändern
Wie das erreicht werden kann, von der Regierung kontrolliert wird oder was gemeinwohlorientiert bedeutet, steht noch nicht fest. Kritiker:innen befürchten, dass die gut gemeinte Reform im Sande verlaufen und nur ein Etikettenschwindel werden könnte. Für eine größere Heraustrennung der Infrastruktur aus dem DB-Konzern sei jedoch keine Zeit, denn eine Umstrukturierung binde Kapazitäten, die dringend gebraucht würden, um marode Infrastruktur wieder zu verbessern.
Diese ist letztlich der Knackpunkt. Ohne eine bessere Infrastruktur, mehr Überholgleise, Weichen, Bahnstrecken können nicht mehr Züge fahren, um mehr Menschen und Güter zu transportieren. Die Kapazitäten sind derzeit an ihrem Limit, eine Verspätung, ein Unwetter, ein umgefallener Baum sorgen für Chaos, weil es kein Polster aus Bahnstrecken und Ersatzfahrzeugen gibt, auf das die Bahn zurückgreifen kann. Bis die Infrastruktur nicht in einem besseren Zustand ist, wird die Bahn nicht pünktlicher, der Wettbewerb kann nicht florieren
Wir schaffen die Verkehrswende nicht ohne die Staatsbahn, die Deutsche Bahn. Also ist die erneute kleine Reform ein wichtiger Schritt, wenn »gemeinwohlorientiert« umgesetzt auch ein Schritt in die Richtung ist, wirtschaftlich nicht so lukrative Strecken, Ausweichstrecken und Anschlüsse zwischen Städten im ländlicheren Raum wieder auszubauen. Das wäre auch ein Anreiz für die Bundesländer, die sich um den Regionalverkehr kümmern, abgelegenere Gegenden durch eigene Gleise oder Busverbindungen an das Bahnnetz anzuschließen. Denn genau dort wird die Bahn gebraucht und wertgeschätzt – wie es schon die Bundesbahn gezeigt hat.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily