4.000 Schritte für ein gesundes Leben? Warum solche Meldungen Quatsch sind
Letzte Woche ging eine Nachricht durch viele deutsche Medien: Mal wieder soll eine Schrittzahl die neue magische Grenze für ein gesundes Leben markieren. Wir schauen genauer hin.
»Du hast dein Bewegungsziel verfehlt!« Kommt dir diese Nachricht bekannt vor? Viele Menschen werden von ihrem Smartphone am Ende des Tages mit diesen Worten ermahnt, wenn sie keine 10.000 Schritte gemacht haben. Die gelten in diversen Gesundheits-Apps und Schrittzähl-Gadgets noch immer als magische Grenze.
Wer aber die kritische Frage »Wieso eigentlich?« stellt und sich die Mühe macht, genauer nachzuforschen, wird schnell ernüchtert. Denn eigentlich ist schon lange bekannt, dass die 10.000 Schritte reine Willkür sind. Tatsächlich haben sie ihren
Seit allgemein bekannt ist, dass das Schrittziel keinen wissenschaftlichen Hintergrund hat, treibt ambitionierte Spaziergänger:innen natürlich um, ob das Zählen der (all)täglichen Schritte überhaupt Sinn ergibt. Und falls das so ist: Zu wie vielen Schritten würde die Wissenschaft raten?
Nun scheint
Klingt erst mal nicht übel! Denn die 10.000 Schritte am Tag entsprechen etwa 6–8 Kilometern – und das einzuhalten ist gar nicht so einfach. Tatsächlich legen die Menschen in Deutschland im Schnitt wohl um die 5.000 Schritte zurück. Eine Studie aus dem Jahr 2017, die Handy-Daten auswertete, um die durchschnittliche Schrittzahl in
Wer die 4.000-Schritte-Nachricht ernst nimmt, müsste also glauben, wir könnten statt mehr sogar weniger gehen – und immer noch gesund leben. Das ist Quatsch.
Denn wer sich die Mühe macht, wieder etwas genauer hinzuschauen, wird auch hier ernüchtert. Eine ernste und wissenschaftliche Antwort darauf, was die Analyse wirklich aussagt, die gerade viele klickbare Schlagzeilen erzeugt, wäre: »Es ist kompliziert.«
Aber der genaue Blick lohnt sich. Denn er zeigt nebenbei, worauf es beim Interpretieren von Studien ankommt – und warum derartige Meldungen selten halten, was sie versprechen.
Was es mit der Studie auf sich hat
Die Teile der Studie, die wohl für einen Großteil der reißerischen Headlines sorgten, finden sich schnell. Unter anderem in einer Zusammenfassung am Anfang des Artikels: Die Analyse habe ergeben, dass bereits 2.500 bzw. 4.000 Schritte am Tag reichen würden, um gesundheitliche Vorteile zu erzielen. Im späteren Diskussionsteil wird es noch etwas konkreter: »4.000 Schritte pro Tag könnten demnach die Gesamtmortalität senken, und noch weniger Schritte sind nötig, um für eine signifikante Reduzierung der kardiovaskulären Todesfälle zu
Aber wie kommt die Zahl zustande und ist sie wirklich aussagekräftiger als die bisher herangezogenen 10.000 Schritte? Gehen wir einen Schritt zurück.
Bei der
4.000 sind das Mindeste – und alles ist relativ
Auch wenn es in der Zusammenfassung der Studie (und erst recht in vielen Berichten dazu) so klingt, als seien 4.000 Schritte eine Art Wendepunkt, ab dem wir super-gesund leben, steht im Kleingedruckten der Analyse etwas anderes:
- Messbare Effekte auf die Gesamtmortalität zeigten sich tatsächlich ab etwa 3.900 Schritten pro Tag. Ein geringeres Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben, machte sich ab etwa 2.300 Schritten
- Verglichen mit Menschen, die im Mittel eine Schrittzahl von ca. 3.900 an den Tag legten, sorgten 5.500 Schritte für eine um 48%, 7.400 Schritte für eine um 55% und 11.500 Schritte für eine um 67% verringerte Gesamtmortalität.
- Im Vergleich zu der Gruppe, die am wenigsten Schritte machte, nämlich im Mittel 2.300, zeigte sich schon bei 3.900 Schritten ein positiver Effekt: Die Wahrscheinlichkeit, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, sank um 16%. Aber auch hier galt: Je mehr Schritte darüber hinaus eine Gruppe im Schnitt machte, desto gesünder blieb sie. In der Gruppe von Menschen, die im Mittel 6.700 Schritte machten, sank die Sterblichkeitsrate um 49% und bei 10.000 Schritten um ganze 77%.
- Insgesamt verringerten jeweils 1.000 zusätzliche Schritte am Tag die Gesamtmortalität um 15%. Um 7% geringer war das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben pro zusätzlichen 500 Schritten, die die Versuchspersonen in den ausgewerteten Studien am Tag machten. Wieder gilt: Je mehr Schritte am Tag, desto besser.
- Der größte Effekt zeigt sich wohl nicht bei 4.000 Schritten: Mithilfe einer weiteren statistischen Methode stellten die Forschenden fest, dass sich die Mortalität in der Altersgruppe ab 60 Jahren zwischen etwa 6.000–10.000 Schritten am stärksten reduzierte. In der Gruppe der unter 60-Jährigen zeigten sich die stärksten Effekte bei 7.000–13.000 Schritten.
Kurz zusammengefasst: Diese Zahlen zeigen vor allem, dass sich die Effekte der Schrittzahlen je nach Blickwinkel unterscheiden. Je nachdem, welche Gruppen die Forschenden vergleichen, erhalten sie verschiedene Resultate. Auch die statistischen Methoden haben Einfluss darauf. Daraus eine pauschale Aussage wie »4000 Schritte reichen aus« abzuleiten, ist wissenschaftlich gesehen eher absurd. Eigentlich deutet die Studie darauf hin, dass es besser ist, je mehr wir uns bewegen – ganz unabhängig von magischen Grenzen für Schrittzähler-Einstellungen.
Doch selbst in dieser Aussage fehlt noch ein wichtiger Punkt.
Liegt es wirklich nur an den Schritten?
Um sich überhaupt viel bewegen zu können, müssen nämlich bereits einige Punkte zusammenkommen: die nötige Zeit für ausgiebige Waldspaziergänge beispielsweise. Eine gewisse körperliche Fitness ist ein anderer Punkt, der eine Rolle spielt. Wer extra darauf achtet, viele Schritte zu laufen, achtet zudem wahrscheinlich auch in anderen Bereichen auf die eigene Gesundheit. Und wer vorerkrankt ist, wird vermutlich automatisch weniger Schritte gehen – und eher sterben als ein Mensch, der rundum gesund ist.
Das heißt aber nicht automatisch, dass die wenigen Schritte der Grund für die Erkrankung oder den Stress sind – sie können hingegen auch eine Folge davon sein. Welche Rolle all diese Faktoren tatsächlich spielen, werden wir vorerst nicht erfahren, denn darüber sagt die Studie nichts aus.
Das kritisieren übrigens auch die Forschenden selbst im Diskussionsteil ihrer Analyse: Daten zum sozioökonomischen Status sowie zum Lebensstil lagen ihnen nach eigenen Angaben nämlich nicht vor. Auch den Einfluss von anderen Risikofaktoren auf Schrittzahl und Mortalität konnten sie nicht ausschließen.
Deshalb brauche es zukünftig weitere Studien, um den Zusammenhang von Schrittzahl, Vorerkrankungen und Mortalität genauer zu untersuchen. Das gilt ebenfalls für die Effekte, die der Lebensstil neben den Spaziergewohnheiten mit sich bringt.
Das lernen wir daraus
Unterm Strich bestätigt die Studie etwas, was sich die meisten wohl schon gedacht haben: Es ist gut, sich zu bewegen, und besser, sich mehr zu bewegen. Und wer in der Lage ist, sich viel zu bewegen, ist vermutlich gesünder als jemand, der weniger Schritte zurücklegen kann.
Klar, wer Schlagzeilen produzieren möchte, kann auch einfach nicht so genau hinschauen. Aber gerade für Journalist:innen sollte das Ziel nicht die Schlagzeile sein, sondern zutreffend zu berichten. Und dazu gehört eben auch, einen tieferen Blick in Studien zu werfen und im Zweifel Expert:innen zurate zu
Und sicher: Jedem Redakteur kann mal eine Information durchrutschen, davon können auch wir uns nicht freisprechen. Umso wichtiger ist es, immer wieder kritisch hinzuschauen und sich und seine Arbeit zu hinterfragen – bevor man der nächsten Schlagzeile hinterherrennt.
Und falls du dich jetzt noch fragst, was dir wirklich dabei hilft, gesund zu leben: Unter dem Kommentarbereich habe ich dir eine Reihe von Artikeln verlinkt, die sich ausführlich genau mit dieser Frage beschäftigen.
Titelbild: Arek Adeoye | Unsplash - CC0 1.0