Eine zufällige Begegnung. Der Kuss, der alles verändert, gefolgt vom Kribbeln im Bauch und den ganz großen Gefühlen. Nach einigen Hindernissen schließlich das Happy End: das gemeinsame Glück, am besten, bis dass der Tod sie scheidet.
Geschichten von der romantischen Liebe begegnen uns ständig, ob auf der Kinoleinwand, in Romanen oder im Radio. Das führt dazu, dass wir ihr mehr Aufmerksamkeit schenken, als sie vielleicht verdient, meint die Soziologin Andrea Newerla. Sie hat ein Buch über
geschrieben, ein Plädoyer dafür, Nähe, Beziehungen und Liebe neu zu denken.
Nicht nur, um uns vom individuellen Druck zu befreien. Viel mehr auch mit Blick auf die Frage, wie wir uns in Zukunft umeinander kümmern wollen – in einer Gesellschaft, die immer älter wird, in der romantische Bindungen aber immer seltener bis zum Lebensende halten.
Katharina Wiegmann:
Was ist das Romantikdiktat?
Andrea Newerla:
Ich habe dabei an das Diktat in der Schule gedacht: Jemand liest etwas vor, ich schreibe mit. In diesem Fall ist es eine Liebesgeschichte.
Wir wachsen mit Geschichten auf, die uns erzählen, wie die Liebe auszusehen hat. Von der glücksbringenden, alle Sehnsüchte erfüllenden romantischen Liebe »bis dass der Tod euch scheidet« wird uns von Märchen über Disney bis Hollywood erzählt. Sogar in Actionfilmen gibt es neben dem eigentlichen Plot oft noch eine romantische Erzählung, zum Beispiel bei James Bond.
Wie beeinflusst das unsere Beziehungen?
Andrea Newerla:
Um die romantische Liebe ist eine Norm entstanden, aus der wir nicht einfach ausbrechen können. Sie besagt, dass wir uns romantisch lieben und uns zu verpartnern haben.
Sich davon zu befreien, ist sehr schwierig.
Es werden kaum andere Geschichten erzählt, die beispielsweise
in den Mittelpunkt des Lebens rücken. So werden wir ein Stück weit gezwungen, diese Geschichten von der romantischen Liebe immer wieder neu zu schreiben. Das ist das Romantikdiktat.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass diese Art des Zusammenlebens keine naturgegebene Sache ist – sondern dass es andere Möglichkeiten gibt, das Leben gemeinsam mit
.
»Diktat« klingt sehr negativ. Dabei schauen die meisten von uns gerne romantische Filme, hören gerne Lieder, in denen es um große Gefühle geht. Sind all diese Geschichten nicht einfach ein Spiegel dessen, wonach sich Menschen sehnen?
Andrea Newerla:
Es ist ein bisschen wie die Frage nach der Henne und dem Ei: Was war zuerst da? Vielleicht ist die Sehnsucht nach der romantischen Liebe nur deshalb so groß, weil wir keine anderen Geschichten kennen.
Ich habe nichts gegen die romantische Liebe, nichts gegen das Gefühl und auch nichts gegen die Beziehungsform. Aber Menschen, die sich nicht innerhalb dieser Norm bewegen und sich etwas anderes wünschen, haben es schwer, gesellschaftlich akzeptiert zu werden.
Es wird unterstellt, als Single könne man nicht glücklich sein, man sei beziehungsunfähig. Man hört Sätze wie »Du musst dich nur mehr anstrengen!«.
Dabei wird eher nicht darauf geachtet, ob eine Person andere wertvolle Beziehungen führt. Vielleicht führt sie keine romantische Liebesbeziehung, aber ist dafür in freundschaftszentrierte Kontexte eingebunden, sodass sie sich nicht allein fühlt und der Begriff des Singles sogar der falsche ist.
Außerdem spricht die Empirie gegen die Romantik als Sehnsuchtsort.
Inwiefern?
Andrea Newerla:
Zu den Zeiten unserer Großeltern haben starke Institutionen wie Kirche und Staat dafür gesorgt, dass romantische Liebesbeziehungen das ganze Leben lang gehalten haben. Es gab keine denkbaren Alternativen. Heute ist Selbstverwirklichung, gerade für Frauen, in unserer Gesellschaft zentraler. Die Frauenbewegungen haben einiges erreicht.
Und trotzdem fühlen sich viele Menschen falsch oder unfähig, wenn sie nicht in romantischen Liebesbeziehungen sind, weil mal wieder eine gescheitert ist oder weil sie merken, sie wollen das nicht mehr: von einer Beziehung in die nächste rutschen. Entscheiden sie sich für einen anderen Weg, werden sie als »anders«, als beziehungsunfähig markiert. Man rät ihnen, an sich zu arbeiten.