Wenn alle so drauf wären wie dieser Israeli und dieser Palästinenser, wäre der Nahostkonflikt gelöst!
Beide Männer haben ihre Töchter im Nahostkonflikt verloren. Jetzt kämpfen sie. Doch nicht gegen das, was du vielleicht denkst.
Rami Elhanan ist von Zombies umzingelt. Er hat Angst vor ihnen – dann schießt er. Einen nach dem anderen knallt er ab. »Das sind keine Menschen«, denkt er. Jahre später, der Israeli ist jetzt 47 und kämpft nicht mehr als Soldat im Krieg, trifft er zum ersten Mal einen Palästinenser persönlich. Einen von denen, die er früher für »Zombies« hielt. Er schämt sich heute dafür und sagt: »Ich war Opfer des israelischen Erziehungssystems. Ich wurde
Bassam Aramin sitzt zu dieser Zeit im Gefängnis. Er ist noch nicht erwachsen, als er beschließt, ein Kämpfer zu werden. »Oder zum Terroristen – nenn es, wie du willst«, fügt der Palästinenser hinzu. Gemeinsam mit Freunden beginnt er, Steine auf Israelis zu werfen. Dann werden es Granaten, die aber nicht treffen, weil die Jungs sie nicht bedienen können. Ein weiteres »Verbrechen« von Bassam: Er schwenkte die Palästina-Flagge. Er ist nicht stolz darauf, mit welchem Hass er als Jugendlicher auf Israelis blickte. Doch auch er bezeichnet sich als Opfer seiner Umwelt: »Da kommen Fremde in dein Dorf. Du verstehst ihre Sprache nicht. Sie sind die Unterdrücker, und du musst Widerstand leisten – so wuchsen wir damals auf.«
Schreibt man die beiden Männer heute an und bittet um ein Interview, entgegnen sie: »Mir ist jeder Termin recht, der für meinen Bruder auch passt.« Fragt man sie, warum sie so gute Freunde sind, antworten sie: »Wir sind nicht nur Freunde. Er ist für mich Familie.«
Wie kam es zu dem Sinneswandel? Kann die Geschichte der beiden Männer auch zur Geschichte zweier Völker werden?
»Zum ersten Mal lernte ich das Narrativ der anderen Seite kennen«
Bassam: »Im Gefängnis wollte ich mir einen Film über den Holocaust anschauen. Auch wenn wir Palästinenser ihn für eine Lüge hielten. Ich wollte Bilder genießen, in denen Juden gefoltert und getötet werden. Als ich den Film sah, musste ich weinen. Ich konnte nicht glauben, dass das wirklich passiert war. Dann habe ich begonnen, mich intensiver damit zu beschäftigen, bin nach Deutschland gegangen, um mir die Vernichtungslager anzuschauen. Erst da begann ich, die Geschichte der anderen Seite kennenzulernen.«
Rami: »Nachdem ich meine Tochter verloren hatte, suchte ich nach Antworten. Ein Jahr später traf ich diese wundervolle Person, Mr. Scott Walker, der mich in die Organisation Parents Circle – Families Forum aufgenommen hat. Dort traf ich zum ersten Mal Palästinenser. Es war der erste Schritt für mich, um die Weisheit, den Humor und die Narrative der anderen Seite zu verstehen.
Palästinensische Hinterbliebene zu sehen, die auf mich zugingen, mich umarmten und mit mir weinten, war wie ein Erdbeben. Einmal sah ich eine arabische Frau in ihrem langen traditionellen Kleid und sie trug ein Bild ihres 6-jährigen Kindes an der Brust. Genauso wie meine Frau den Namen unserer Tochter Smadar an der Brust trug. Das hat mein Leben verändert.«
Bassam und Rami verbindet nicht nur eine besondere Freundschaft. Die beiden Männer verbindet auch der Verlust ihrer Töchter. Smadar Elhanan, Ramis Tochter, kam bei einem Attentat palästinensischer Terroristen ums Leben. Sie wurde 14 Jahre alt. Bassams Tochter Abir Aramin starb als 10-Jährige durch den Schuss eines jüdischen Grenzschützers.
Das Schicksal führte die trauernden Väter in die Organisation
Die Geschichte von Rami und Bassam zeigt: Erkennen verfeindete Gruppen hinter den Gesichtern der anderen Seite die Menschen, die dasselbe Leid erlitten haben und dieselben Wünsche teilen,
»Es ist, als würdest du in die offene Mündung eines Vulkans gehen«
Rami und Bassam sind heute Friedensaktivisten. Sie ziehen für PCFF gemeinsam durchs Land, erzählen ihre Geschichte an Schulen, veranstalten alternative Gedenkfeiertage, die beide Nationen vereinen, statt sie zu trennen. Sie wollen ihre Mitmenschen dazu bewegen, sich die Geschichte des Gegenübers anzuhören und eine ähnliche Entscheidung zu treffen wie sie: sich eher in der Trauer um die Opfer zu begegnen, als um den größeren Verlust zu konkurrieren.
Rami: »Der Schmerz über den Verlust eines Kindes ist unerträglich. Es ist ein Schmerz, der niemals verschwindet. Trotzdem liegt es an jedem Einzelnen, zu entscheiden: Was will ich mit diesem Schmerz, mit dieser Wut anfangen? Denn die Wut legt eine enorme Energie frei. Wie es auch mit der Kernenergie ist, kann man sie für schreckliche Dinge nutzen, um Menschen zu töten; man kann sie aber auch für das positive Gegenteil nutzen.«
Nicht alle Betroffenen sehen es so wie Rami und Bassam. Die Arbeit der Aktivisten stößt auch auf Widerstand. Vor wenigen Monaten verbot die israelische Regierung der PCFF, weiter Schulen zu besuchen. Bei den gemeinsamen Gedenkfeiertagen kommt es immer wieder zu Protesten, Rami und Bassam werden als »Verräter« beschimpft.
Rami: »Wenn wir in eine Klasse kommen, sind die Jugendlichen nicht ausschließlich höflich und empfänglich. Es fühlt sich eher so an, als würdest du in die offene Mündung eines Vulkans gehen. Die meisten haben noch nie einen Palästinenser und Israeli zusammen gesehen, die nicht kämpfen.
Doch meist ist es so, dass niemand uns zuhören kann und nachher derselbe bleibt. Nach der Vorlesung stehen die Schüler oft Schlange, um uns die Hand zu schütteln und weitere Fragen zu stellen.«
Bassam: »Wir haben in den letzten 20 Jahren mit Hunderttausenden Kindern und Jugendlichen gesprochen. Das heißt nicht, dass sie plötzlich alle zu Martin Luther King werden. Aber zumindest fangen sie an zu denken, dass vielleicht etwas an dem Narrativ, das sie immer zu hören bekommen, falsch sein könnte.«
Was bringt es, wenn einzelne Menschen beginnen, sich die Hand zu reichen? Genügt das, um ein ganzes Land aus einem nationalistischen, feindseligen Narrativ herauszuführen und nachhaltig Frieden zu bringen?
Weise ist, wer sich selbst verändert und nicht die Welt
Bassam: »Wenn jemand fragt, was wir Einzelne schon erreichen können, entgegne ich mit dem, was
Rami: »Das Oslo-Abkommen ist so dramatisch gescheitert, weil es zwischen
Die Friedens- und Konfliktforschung geht mittlerweile davon aus, dass eine Beteiligung von
Die Friedens- und Konfliktforscherin Desirée Nilsson hat für eine im Jahr 2012 erschienene Studie alle Friedensabkommen nach Ende des Kalten Krieges statistisch ausgewertet. Ihre Analyse zeigt:
Seit der Nahostkonflikt vor wenigen Wochen erneut
Trotzdem blicken Bassam und Rami hoffnungsvoll in die Zukunft.
Ihr Europäer gebt mir Hoffnung. Eure Geschichte ist viel gewaltvoller als unsere, aber heute lebt ihr in Frieden miteinander
Bassam: »Wir werden mit Sicherheit ein Friedensabkommen hinkriegen. Die Frage ist, wie lange es dauert und wie viele unschuldige Kinder dafür noch sterben müssen.
Menschen werden ihren Schmerz irgendwann überwinden und in eine friedvolle Zukunft gehen. Dafür brauchen sie aber auch die richtigen politischen Führungskräfte.
Wenn ich mir Europa anschaue, dann habe ich Hoffnung, dass das passieren kann. Die Geschichte Europas war viel gewaltvoller als das, was im Israel-Palästina-Konflikt gerade passiert. Heute gibt es bei euch offene Grenzen. Ihr liebt euch vielleicht nicht immer, aber ihr respektiert euch. Ihr lebt in Frieden und Sicherheit miteinander.«
2 Väter, die ihre Töchter verlieren. Das ist, was vom Konflikt bleibt, wenn man die Schichten abstrakter diplomatischer Phrasen und Schlagzeilen abschält. Es ist das, was hinter ungreifbaren Begriffen wie »Nahostkonflikt«, »Besatzung« oder »Terrorangriff« steht. Mütter, die ihre Kinder verlieren. Kinder, deren Eltern ermordet werden. Familien, die auseinanderbrechen. Das ist im Grunde die einzige Perspektive, die zählt.
Und vielleicht die einzige Perspektive, von der ein echter Frieden zwischen Israel und Palästina ausgehen kann.
Titelbild: PCFF / Bearbeitung: Frauke Berger - copyright