Autofahren im Alter: Warum Gesundheitschecks für Senior:innen am Problem vorbeigehen
Viele Ältere haben Angst davor, ohne Führerschein noch stärker abgehängt zu sein. Das zeigt: Auch sie sind Leidtragende unserer Versessenheit aufs Auto.
Wenn meine über 80-jährigen Großeltern Auto fuhren, haben meine Mutter und ich immer gebangt. Am Steuer saß mein dementer Opa. Meine Oma, die sich nur schwer bewegen konnte, aber klar im Kopf war, gab als Co-Pilotin die Anweisungen. Diese Kombi klappte beim Einkaufen und Kochen wunderbar. Beim Autofahren weniger. »Was, wenn sie ein spielendes Kind oder einen Fahrradfahrer übersehen?«, fragte ich meine Mutter. Eine zufriedenstellende Antwort hatte keine von uns.
Zum Glück kam es nie dazu, sondern lediglich zu Blechschäden und umgefahrenen Straßenpfosten. Doch die Angst vor dem »Was wäre, wenn …« blieb, bis mein Opa starb. Jahrelang hatte meine Familie den Großeltern angeboten, die Einkaufsfahrten für sie zu übernehmen, und ihnen erklärt, das Autofahren sei so nicht mehr sicher – weder für sie noch für alle anderen Verkehrsteilnehmenden. Erfolglos. Auto und Führerschein bedeuteten für beide Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Etwas, was sie nicht bereit waren aufzugeben.
Ich war damals überzeugt: Senior:innen sollten zu ärztlichen Untersuchungen verpflichtet werden, um ihren Führerschein verlängern zu können. Das würde die Straßen um einiges sicherer machen.
Als die EU Ende 2023 regelmäßige Gesundheitschecks für Autofahrer:innen ab 70 Jahren diskutierte, habe ich mich gefreut.
Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob solche Fahrtauglichkeitstest im Alter wirklich sinnvoll sind. Sie ändern nichts am Grundproblem. Ein Blick auf die Forschung zeigt, worüber wir stattdessen sprechen sollten, wenn es darum geht, die Straßen sicherer zu machen.
Ältere Menschen verursachen etwas weniger, doch schwerere Unfälle
Unfallstatistiken verraten:
- Immer mehr ältere Menschen sind auf den Straßen unterwegs:
- Bauen ältere Menschen mehr Unfälle? Das kommt drauf an.
- Allerdings sind Senior:innen meistens an schweren Unfällen schuld, wenn sie darin verwickelt sind. Im Jahr 2022 waren Menschen ab 65 Jahren in 2/3 der Fälle für einen Unfall verantwortlich, in dem jemand verletzt wurde oder ums Leben kam. Ab 75 Jahren sind die Fahrenden sogar in 3/4 der Fälle für den Unfall verantwortlich.
- Gleichzeitig sterben Senior:innen bei Unfällen auch häufiger, was mit der nachlassenden körperlichen Widerstandskraft erklärt werden kann.
Bei diesen Zahlen ist es nicht verwunderlich,
Warum ist das eigene Auto und der Führerschein für Senior:innen trotz der Sicherheitsgefahr so wichtig?
Besonders ältere Menschen,
Diese Unabhängigkeit erhöht zudem ihre Lebensqualität und ihr Wohlbefinden.
- Das Auto ermöglicht ihnen, weiterhin aktiv zu sein, und erhöht das soziale Engagement innerhalb von Gemeinschaften.
- Gleichzeitig halten die komplexen Abläufe beim Autofahren das Gehirn fit.
Wer hingegen auf einen Führerschein im Alter verzichten muss, hat ein höheres Risiko für Depression. Es kann sogar dazu führen, dass Menschen schneller in Pflegeheimen landen. Forschende weltweit lehnen daher Maßnahmen ab, die nur darauf abzielen, dass ältere Menschen ihren Führerschein verlieren können.
Fahrtauglichkeitstests sind weit verbreitet. Was bringen sie wirklich?
Seit 2013 muss überall in der EU der Führerschein nach 15 Jahren verlängert werden. Doch nur in einer Handvoll Mitgliedsländer bekommen Bürger:innen die Verlängerung, ohne eine ausreichend gesundheitliche und körperliche Verfassung bescheinigen zu müssen. Dazu zählen unter anderem Deutschland, Frankreich, Belgien und Österreich. In den anderen europäischen Ländern sind regelmäßige Gesundheitschecks oder zumindest unterschriebene Selbstauskünfte zum Gesundheitszustand und der Fahrtauglichkeit seit Jahrzehnten nötig.
So müssen Menschen in Italien alle 10 Jahre zur Kontrolle zum Hausarzt, für einen Blutdruck- und Sehtest. Erst wenn der Arzt oder die Ärztin die generelle Fitness bescheinigt und den Patienten für fahrtüchtig hält, kann der Führerschein verlängert werden. Ab dem 50. Lebensjahr werden die Zeitabstände kürzer. Dann müssen Italiener:innen alle 5 Jahre den Führerschein verlängern, ab 70 sogar alle 3 Jahre und ab 80 alle 2 Jahre. Ähnlich handhaben es Portugal, Tschechien und Finnland. Die Schweiz verlangt von Auto- und Motorradfahrer:innen ab 75 Jahren alle 2 Jahre einen Hausarztbesuch und Dänemark von 80-Jährigen sogar jährlich. Auch Bundesstaaten Australiens oder der USA haben entsprechende Regelungen.
Über die Wirkung solcher Maßnahmen gibt es überraschend wenige Studien. Die wenigen verfügbaren Ergebnisse fallen unterschiedlich aus, doch mit einer Tendenz: Forschende sind sich einig, dass die kognitiven Fähigkeiten beim Autofahren mit dem Alter generell abnehmen. Trotzdem finden sie ein bestimmtes Alter nicht aussagekräftig für die Beurteilung der Fahrkompetenz. Denn der Alterungsprozess sei sehr individuell und mehr Menschen würden immer länger fit bleiben.
Wenn 85-Jährige selbst mit Demenz
Das betrifft nicht nur
Wie können wir lebenswerte Städte schaffen, die sicher für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen sind? Wie statten wir unsere Orte mit einer guten Transportinfrastruktur aus, sodass Senior:innen nicht mehr auf ihr eigenes Auto angewiesen sind, um zum Supermarkt, Kneipenstammtisch oder dem nächsten Treffen von »Omas gegen rechts« zu gelangen?
Von solchen Diskussionen würden alle Menschen profitieren, jung wie alt. Einige
Fahrtauglichkeit prüfen? Aber dann richtig
Regelmäßige Gesundheitschecks beim Hausarzt oder der Hausärztin sind vertretbar, sofern sie für alle verpflichtend sind (auch wenn die Frequenz mit dem Alter durchaus zunehmen kann) und sie mit anderen helfenden Maßnahmen verbunden werden. Zum Beispiel mit gezielten Trainings zu sicherem Autofahren, die es auf Rezept geben könnte. Auch technische Lösungen könnten helfen, etwa Hilfsassistenzsysteme für den Schulterblick.
Menschen, die tatsächlich nicht (mehr) in der Lage sind, zu fahren, sollten mit kostenlosen oder reduzierten Jahreskarten für den öffentlichen Nahverkehr unterstützt werden.
Eine Alternative zum kompletten Entzug: eingeschränkte Führerscheine. Wie bei Fahranfänger:innen könnte die Fahrerlaubnis mit Einschränkungen verknüpft werden. Menschen können etwa angehalten sein, nur tagsüber zu fahren, bestimmte Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuhalten, weitere Spiegel anzubringen oder nur einen gewissen Radius um ihren Wohnort zu fahren.
Solche Zwischenlösungen könnten vielen Senior:innen die Angst nehmen, ihre Unabhängigkeit komplett aufgeben zu müssen, wie auch meine Großeltern sie hatten. Dass sie so große Angst vor dem Führerscheinverlust hatten, obwohl sich meine Familie um den Erhalt ihrer Lebensqualität gekümmert hätte, liegt auch daran, dass in Deutschland das Autofahren als Zeichen der Freiheit gesehen wird. Ein Verlust ist oft unvorstellbar.
Letztlich ist die Einführung von Gesundheitschecks und anderen helfenden Maßnahmen deshalb eine Gewöhnungssache. Auch Werte können sich ändern. Meine italienische Kollegin Julia Tappeiner muss immerhin alle 10 Jahre zum Gesundheitscheck und wenn sie 70 wird, dann alle 3 Jahre. Das sei in ihrem Land »normal«, versichert sie.
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