»Ich ärgere mich, Philosophie und Geschichte studiert zu haben, statt einen Ölkonzern zu gründen«
Frust über Kapitalismus und Superreiche? Den hat Sebastian 23 auch. Doch der Comedian nimmt es mit – Überraschung – Humor!
Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, ist uns lang genug auf der Tasche gelegen.
Kürbis und Maronen harmonieren, Kichererbse und Sesam ebenso, sogar Schokolade und Salz sind eine spannende Verbindung. Aber Mozzarella und Wiener Würstchen sind definitiv keine gute Kombination. Trotzdem standen sie im Sommer 2023 gemeinsam im Mittelpunkt eines größeren medialen Aufsehens.
Das lag aber nicht daran, dass jemand den bedenklichsten Fleischsalat der Welt erfunden hatte, sondern weil eine Supermarktkette den Preis für diese Artikel vorübergehend verdoppelt hatte. Sie wollte damit zeigen, was passiert, wenn man die realen Kosten für Lebensmittel veranschlagen würde. Denn die Folgekosten für die Umwelt spiegeln sich in den meisten Preisen im Laden überhaupt nicht wider.
Das Experiment betraf zwar gerade mal neun Artikel aus einem Sortiment von 3.000 – und das auch nur für eine Woche. Aber immerhin hat es eine Diskussion angestoßen über Fragen wie: Was kosten unsere Konsumgüter wirklich, wenn man die Schäden miteinrechnet, die sie verursachen? Kann man das überhaupt? Ist es am Ende falsch, alles durch eine marktwirtschaftliche Brille zu betrachten? Können wir CO2 zwar bepreisen, aber wie viel ist uns saubere Luft wert? Wie gerne atmest du, auch am Ende des Monats?
Der wohlhabende Verleger Julien Backhaus wurde 2023 in einem ZDF-Interview gefragt, wie er seiner Verantwortung für den Klimaschutz nachkomme. Er entgegnete: »Nach mir die Sintflut.
Einige
Das ist krass. Etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland gehört zu diesen reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung – dafür reicht ein Vermögen von ›nur‹ 125.000 Euro.
Wir leben in einem sehr reichen Land. Was allerdings nicht bedeutet, dass es keine Armut gibt, im Gegenteil. Aktuell liegt die Kinderarmut in Deutschland bei 21 Prozent. Die Schere zwischen Arm und
Wie kam es dazu? Wir alle jubeln seit unserer Kindheit Sankt Martin zu. Was wäre gewesen, wenn Sankt Martin dem armen Bettler gesagt hätte: »Ich kann dir nichts geben. Schluss mit der Gratismentalität! Wenn ich jetzt mit dir teile, hast du keine Erwerbsanreize!«?
Fest steht: Es ist anscheinend derart beeindruckend, wenn ein Reicher einen Stofffetzen seines Vermögens abgibt, dass es noch Jahrhunderte später gefeiert und besungen wird: Rabimmel, rabammel, rabumm!
Manche kaufen sich Grundwasserquellen oder Tausende Wohnhäuser, selbst ganze Landstriche werden inzwischen käuflich erworben. Wir nehmen hin, dass die Welt in weiten Teilen einer Handvoll von Superreichen und großen Konzernen gehört.
Man könnte allerdings ebenso sagen: Dieser Planet hat keinen Eigentümer. Wenn überhaupt, haben wir alle das gleiche Recht, hier zu sein und zu leben und an seinem Reichtum teilzuhaben.
Von dieser Basis aus erscheint es absurd, dass eine einzelne Person sich hinstellt und sagt: ›Das ist jetzt alles meins. Und wenn du kein Geld hast, mir Wasser oder Land oder Luft abzukaufen, sorry, dann kann ich dir nicht helfen. Atme halt was anderes.‹
Natürlich müssen wir einen Weg finden, uns zu organisieren, und der Kapitalismus ist ein solcher Weg. Aber er stößt immer deutlicher an seine Grenzen, vor allem dann, wenn er zum Selbstzweck wird. Wir haben kritische Infrastruktur, Krankenhäuser, Energieversorgung, Verkehr und selbst die Altersvorsorge teilweise oder ganz privatisiert. Und jetzt löffeln wir die daraus resultierende Suppe an allen Ecken und Enden aus, ohne das Ganze jemals auf systematischer Ebene zu hinterfragen. Warum eigentlich nicht?
Ende Juli 2022, also noch während der staatlich subventionierten Tankrabatte, verkündete der Ölkonzern Shell Rekordgewinne in zweistelliger Milliardenhöhe. Und einen Tag später meldeten Chevron, Exxon und Total ebenfalls Rekordgewinne. Da habe ich mich mal wieder geärgert, dass ich damals Philosophie und Geschichte studiert habe, statt einen Ölkonzern zu gründen.
Manchmal muss der Kapitalismus aber auch vor sich selbst gerettet werden, zum Beispiel während der Bankenkrise 2008. Durch die Spekulation mit Schulden tat sich plötzlich ein Loch auf im Fundament des globalen Finanzsystems. Wobei sich uns aus heutiger Perspektive die Frage aufdrängen sollte, ob es nicht vielleicht cleverer gewesen wäre, etwas mehr an der Struktur zu reparieren, statt die Banken einfach nur mit Geld zu bewerfen, bis die Boni für die Manager wieder aus vollen Fässern geschöpft werden konnten.
Denn wo waren wir 15 Jahre später, im März 2023? Da wurden an einige Mitarbeitende der Silicon Valley Bank in den USA, noch wenige Stunden bevor die Bank pleiteging, Boni ausgeschüttet.
Kund*innen hingegen kamen natürlich nicht mehr an ihr Geld. Sympathisch, oder? Selbstverständlich ist der Staat eingesprungen und hat versucht zu retten, was zu retten ist – durch die Gründung einer neuen Bank, übrigens. Das klingt ein wenig so, als würde man einem Ertrinkenden einen Eimer Wasser reichen.
Wenn sie nicht gerade gerettet werden, wettern die führenden Köpfe der Wirtschaft, die reichsten Menschen der Welt, gerne einmal gegen den Staat. Elon Musk sagte einmal sinngemäß, er würde ungern mehr Steuern zahlen, weil der Staat so schlecht darin sei, finanzielle Ressourcen zu verwalten.
Daran musste ich irgendwie denken, als sein Unternehmen Tesla für das neue Werk in Grünheide bei Berlin im November 2020 eine staatliche Förderung in Höhe von geschätzten 136 Millionen Euro beantragte.
Wenn er die bekommt, hat er vielleicht recht – der Staat ist wirklich nicht perfekt darin, Geld zu verteilen. Kein Wunder, dass sich die Bosse und auch wirtschaftsliberale Politiker*innen gegen staatliche Einmischung wehren. Der deutsche Liberale Frank Schäffler schrieb am 2. Juli 2023 auf Twitter (jetzt »X«): »Mindestlohn ist staatliche Bevormundung.«
Man soll also die armen Chef*innen durch Deregulierung von den Fesseln des Allgemeinwohls und der Bevormundung durch ihre Mitarbeitenden befreien. Außer eine Bank geht bankrott, dann dürfen wir alle natürlich jederzeit sofort einspringen und mit Steuergeldern aushelfen. Logisch.
Man braucht keinen Bart wie Marx, um zu erkennen, dass der Kapitalismus im Moment keine besonders gute Figur macht. Irgendwie greift die »unsichtbare Hand des Marktes« immer häufiger ins Leere. Egal, wo du politisch stehst:
Wir sollten uns daher mal grundsätzlich ein paar Fragen stellen: Woher kommt überhaupt die Idee, alles über Geld zu regeln? Hat die Bewertung über marktwirtschaftliche Kriterien eventuell überhandgenommen? Wem verschafft das einen Vorteil? Mir? Dir? Uns? Brauchen wir vielleicht einen anderen Ansatz?
Wir sollten uns mal grundsätzlich ein paar Antworten geben: Was als Tauschmittel anfing, ist längst zum Selbstzweck geworden. Das geht so weit, dass Geld Moral bestimmt: Wo ein Deal geschlossen wird, gibt es meistens keine weiteren Fragen. Einen Vorteil haben davon in erster Linie reiche Menschen. Aber kannst du dir einen anderen Ansatz überhaupt vorstellen?
Den Erfolg eines Landes misst man gerne am
Schon jetzt planen Unternehmen und Regierung damit, dass die Arktis bald so weit eisfrei sein wird, dass Schiffe problemlos die Nordpassage nutzen können – für Reedereien liegt darin ein enormes Einsparungspotenzial. Auch die Anbaugrenze für Soja und Wein verschiebt sich durch klimatische Veränderungen.
Hier gibt es Gewinne zu machen aufgrund der Erderwärmung – in manchen Ländern mag sogar das BIP steigen. Wenn man dann allerdings bei einem Gläschen Weißwein aus Alaska auf Hawaii am Strand sitzen will, sollte man gut schwimmen können, wenn von der Inselkette nur noch die Bergspitzen aus dem Wasser ragen.
Und spätestens, wenn einem das Salzwasser ins Weinglas schwappt, wird man bemerken, dass nicht nur das BIP gestiegen ist, sondern auch die globale Durchschnittstemperatur und der Meeresspiegel. Dann kann man sich hoffentlich schnell genug aus einem 100-Dollar-Schein ein Schiffchen falten.
»Das aktuelle Modell unendlichen Wachstums in einer Welt mit endlichen physischen Ressourcen wird zu Inflation, Klimachaos und Konflikten führen.« Welcher wilde, linksradikale Ökoterrorist diesen Satz gesagt hat?
Nun, das war UNO-Generalsekretär Antonio Guterres im Juni 2022.
Dabei ist es eigentlich eine banale Feststellung. Er hätte mit ähnlicher Berechtigung sagen können, dass man nicht unendlich viel Bier aus einem Fass holen kann. Immer wieder wird vorgebracht, dass Energiewende und Verkehrswende und generell Klimaschutz ja viel Geld kosten.
Aus liberalen Kreisen ist dann zu hören, dass dafür keine neuen Schulden aufgenommen werden sollen, damit man den Nachfahren solide Staatsfinanzen hinterlassen kann. Das klingt immer ein wenig so, als könnten die nächsten Generationen auf solche Kleinigkeiten wie Küstenstädte, Frieden oder Atemluft ja easy verzichten.
Sie werden uns trotzdem dankbar sein, denn immerhin haben wir ihnen solide Staatsfinanzen hinterlassen. Das muss man auch mal positiv sehen. Wobei eine aktuelle Studie des Wirtschaftsministeriums kalkuliert, dass die Klimakrise Deutschland bis 2050 rund 900 Milliarden Euro kosten wird.
Vielleicht sollte man also doch noch mal drüber nachdenken, möglichst viele Ressourcen für Klimaschutz einzusetzen. Mal abgesehen von einer weiteren spannenden Frage: Wie viel Geld ist die Zukunft wert?
An der Stelle darf man sich dann schon fragen, warum die Regierung hier nicht mehr regulierend eingreift. Schließlich sollten doch Politiker*innen unsere Interessen vertreten – und die Interessen zukünftiger Generationen. Das hat sogar das Bundesverfassungsgericht klargestellt, als es 2021 von der Regierung eine Verschärfung des Klimaschutzgesetzes forderte.
Wie wichtig es dabei ist, dass Maßnahmen zum Klimaschutz auch sozialverträglich sind und dass diese Chance auch in der Kommunikation im Vordergrund stehen sollte, zeigte sich für mich sehr deutlich am 9-Euro-Ticket.
Plötzlich war eine ausgiebige Nutzung des Nahverkehrs für alle erschwinglich. Natürlich war das nur eine dreimonatige Momentaufnahme, nicht geeignet für eine nachhaltige Verkehrswende. Zumal die Probleme wie eine schlechte Anbindung insbesondere ländlicher Regionen und mangelnde Barrierefreiheit bestehen blieben. Dennoch: Für einen kurzen Moment in Raum und Zeit waren Bus und Bahn deutlich attraktiver und zugänglicher geworden.
Auf einem Fest habe ich mich mit einem älteren Herrn unterhalten, der wusste, dass ich mich im Umweltbereich engagiere.
Ich staunte nicht schlecht. Da stand ein ausgesprochener Gegner von Klimaschutzmaßnahmen vor mir – und feierte eine Klimaschutzmaßnahme. Weil diese mit deutlichen und spürbaren Verbesserungen für ihn einherging und er dies auch sofort bemerkte.
War das diese »hedonistische Nachhaltigkeit«, von der Bjarke Ingels gesprochen hatte? Immerhin warnte die BILD-Zeitung vor dem 9-Euro-Ticket, weil damit alle Punks nach Sylt fahren könnten, um die Insel mit anarchischem Hedonismus zu zerstören. Die bittere Ironie an dieser Kampagne gegen eine Klimaschutzmaßnahme: Wenn etwas Inseln wie Sylt ernsthaft bedroht, dann sicher nicht Dosenbier und bunte Haare, sondern die Klimakrise.
Wenn wir Klimaschutz progressiv angehen und auch gesellschaftlichen Wandel vorantreiben wollen, muss soziale Gerechtigkeit nicht nur mitgedacht werden, sondern im Vordergrund stehen. Die Vorteile für die Menschen müssen klar kommuniziert werden.
Energiewende bedeutet günstigeren Strom, viele Arbeitsplätze, Aufschwung. Eine Wärmepumpe vervielfacht Energie und spart Geld, wenn wir ihren Einsatz sozial gerecht organisieren. Verkehrswende bedeutet entspannteres und günstigeres Reisen für alle. Und mehr Platz in den Städten. Dass dabei nebenher auch noch das Klima geschützt wird, nehmen wir billigend in Kauf.
Es gibt schon heute Menschen, Firmen und Institutionen, die versuchen, anders zu wirtschaften. Ein unterstützenswerter Trend in diesem Bereich sind Purpose-Unternehmen, die so heißen, weil sie ein übergeordnetes Ziel verfolgen
Es können dabei zwar Gewinne erzielt werden, aber diese sind dann kein Selbstzweck, sondern Mittel zu einem anderen Zweck. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Suchmaschine Ecosia, die von ihren Gewinnen inzwischen unter anderem mehr als 150 Millionen Bäume in 35 Ländern gepflanzt hat.
Ein Purpose-Unternehmen kann sowohl im Profit- als auch im Non-Profit-Bereich spielen. Damit gibt es eine Schnittmenge zum Social Business, der allerdings, wie der Name schon sagt, klar im Businessbereich spielt und Gewinne erzielen will – um diese für soziale Zwecke wieder einzusetzen. Bekanntes Beispiel ist Viva Con Agua, die unter anderem Wasser verkaufen, um damit vielen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu finanzieren.
Dass es auch eine Nummer kleiner geht, beweisen Unternehmen wie das Berliner Modelabel Oktopulli, die als Unternehmen in
Und es geht auch auf ganz anderem Level, wie man bei Buurtzorg lernen kann. Diese niederländische Firma hat sich auf ambulante Pflege spezialisiert und wurde 2006 von Jos de Blok gegründet. Innerhalb der Firma wird komplett auf Hierarchien verzichtet. Richtig gelesen: Es gibt überhaupt keine hierarchischen Strukturen.
Kleine Teams von jeweils etwa zehn Mitarbeitenden verwalten sich selbst. Man mag denken, das sei utopisch und könne nicht funktionieren. Doch Buurtzorg hat aktuell 14.500 Mitarbeitende, kooperiert in 25 Ländern, wurde fünfmal zum Arbeitgeber des Jahres gewählt und wird zu Recht für den Einsatz gegen Zeitdruck und Personalmangel gefeiert.
Da können wir alle noch viel von lernen. Nicht mal ich komme bei der Arbeit ohne hierarchische Strukturen aus – und ich bin freischaffender Künstler.
Staunend lernen können wir auch von der Mondragón Corporación Cooperativa (MCC). Mondragón ist eine Kleinstadt im Baskenland und litt nach dem spanischen Bürgerkrieg unter Massenarbeitslosigkeit. Ein junger Priester namens José María Arizmendiarrieta hatte in dieser Situation 1943 die Idee, die Not der Bevölkerung durch Selbsthilfe zu lindern.
Er gründete eine demokratisch organisierte Fachhochschule, aus der schon bald eine genossenschaftliche Bank und genossenschaftlich organisierte Betriebe hervorgingen, die sich in der MCC zusammenschlossen. Genossenschaftlich bedeutet, dass Mitarbeitende an den Gewinnen der Unternehmen beteiligt sind und bei den Entscheidungen des Führungspersonals miteinbezogen werden.
Die Chefetage darf zudem maximal das Achtfache der Arbeiter*innen verdienen. Und im Krisenfall helfen sich die Genossenschaften gegenseitig aus – falls eine der Firmen scheitert, werden die Mitarbeitenden von anderen Genossenschaften übernommen.
Seit der Gründung haben tatsächlich genau null Menschen ihren Job verloren. Auch das klingt utopisch, nicht wahr? Aber die MCC ist inzwischen weltweit tätig, 80.000 Menschen arbeiten in 95 Firmen in so ziemlich allen denkbaren Branchen. Veränderung ist möglich.
Manchmal scheitert der Wandel nur an Denkblockaden – wir können uns gar nicht vorstellen, dass eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse überhaupt möglich ist.
Dabei ist sie längst im Gange, wie man an den wenigen Beispielen, die ich gerade aufgezählt habe, entspannt ablesen kann. Aber uns treiben die Gewohnheit und die Verfügbarkeitsheuristik: Wir glauben eher das, was wir schon kennen.
Wir könnten anders wirtschaften: nachhaltig, umweltschonend, sozial gerecht – und für so gut wie alle Menschen wäre das ein deutlicher Vorteil. Außer halt für die Chefs einiger Großkonzerne.
Aber die dürfen zum Trost einen Geschenkekorb haben, mit Wiener Würstchen und Mozzarella.
Dieser Text ist ein Auszug aus: Sebastian 23, »Alles wird gut. Die Welt retten in 5712 einfachen Schritten«. bene Verlag / Droemer Knaur 2024.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily