Diese Dokus öffnen dir die Augen für die Techwelt
Von wegen Technik soll vor allem dem Menschen helfen. Was die Macher:innen wirklich umtreibt und wo große Probleme liegen, zeigen diese 5 Dokumentationen.
Technologie bestimmt unser modernes Leben.
Wir wachen mit dem Smartphone neben unserem Bett auf, schreiben auf der Arbeit E-Mails und befragen Chatbots. Am Abend schauen wir Serien auf dem Laptop oder zocken digital Spiele.
All das wäre vor 30 Jahren noch undenkbar gewesen.
Heute ist diese Welt der Technik so normal, dass wir sie kaum mehr wahrnehmen. Zu verdanken haben wir sie vorausschauenden Großkonzernen wie Meta, Apple und OpenAI.
In großen Firmenzentralen mit klinisch-weißen Wänden entscheiden dort geniale Vordenker:innen über unsere Zukunft – wie wir übermorgen kommunizieren, arbeiten und leben. Sie erkennen genau, was uns fehlt, und verbessern mit ihren Erfindungen unser Leben Schritt für Schritt.
Das alles jedenfalls wollen dir diese Unternehmen weismachen.
Wer blinden Enthusiasmus für Technologie hat, kauft ihnen die Bewertung ihrer eigenen Arbeit vielleicht sogar ab. Ich nicht.
Dabei bezeichne ich mich eigentlich als »Technologie-Optimisten«. Ich glaube daran, dass (die meisten) Technologien dem Menschen eher nützen als schaden und wir dadurch viele Herausforderungen meistern können. Nur kaufe ich den Technikmacher:innen nicht ab, dass sie ihre Wunderwelt voller nützlicher Geistesblitze ausschließlich zum Wohle der Menschheit einsetzen wollen. Und du solltest das auch nicht.
Denn die makellose Fassade hat längst Risse. Ich habe in den vergangenen Jahren die eindrücklichsten, frei verfügbaren Dokus rund um Fehlschläge, Betrügereien und toxische Praktiken gesammelt, die stellvertretend für Trends der Techbranche stehen.
In diesem Text verrate ich dir die wichtigsten Learnings, damit du sie nicht anschauen musst. Denn nur wenn wir wissen, was in der Techbranche schiefläuft, können wir schlechte Produkte meiden und Unternehmen zur Verantwortung ziehen.
Dich interessiert nur ein bestimmter Film? Klicke auf eine der Überschriften, um direkt zum entsprechenden Abschnitt zu springen:
1. Die Katastrophe namens Metaverse
»Virtuell in perfekter Harmonie miteinander abhängen«: Das ist das Versprechen von Mark Zuckerberg, dem Gründer von Facebook. Er beschrieb damit das ominöse Metaversum (englisch: Metaverse), eine Art 3-dimensionale virtuelle Parallelwelt, an der man über eine VR-Brille teilhaben kann. Mitten in der Coronapandemie und den damals geltenden Kontaktbeschränkungen, 2021, verfolgte Zuckerberg diese Idee intensiv.
Unternehmer wie
Journalist:innen fragten: »Leben wir bald alle in einer virtuellen Realität?«
Die schnöde Antwort ist natürlich »nein«.
Die heiße Phase der Pandemie ging vorüber und Menschen waren froh, ihre Verwandten und Freund:innen wieder von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Fakt ist:
Doch das Metaversum war von Beginn an ein Reinfall. Es ist weder originell noch zukunftsweisend und hat trotz Milliardeninvestitionen gute Chancen, als einer der großen »Meh«-Momente des technischen Fortschritts in die Geschichte einzugehen – wie 3D-Brillen im Kino.
Das macht das Video »Die Katastrophe namens ›Metaverse‹« vom Wissenskanal Ultralativ klar, das zu den pointiertesten und besten Beiträgen zu diesem Thema zählt, die ich kenne. Schonungslos legt es offen, wie Mark Zuckerberg bewusst mit dem Begriff »Metaverse« jongliert und Journalist:innen sowie Unternehmen vor sich hertreibt, ohne genau zu definieren, was es ist.
Hinter Ultralativ steht ein Team um den Journalisten Fynn Kröger, der für sein Projekt den Grimme Online Award 2019 in der Kategorie Wissen und Kultur erhielt. In dem Video entlarvt Kröger, worum es Zuckerberg – und leider zu vielen CEOs der Techbranche – wirklich geht: Macht und Kontrolle.
Denn das Metaversum solle vor allem eine Umgebung sein, in der der Konzern nicht mehr auf andere Plattformen wie Apple angewiesen sei, sondern »alle Zügel in der Hand hält« – Datennutzung, Bezahlfunktionen, Inhalte – und damit ungeniert Nutzungsdaten abgreifen und Werbung verteilen könne.
Dass nicht das Produkt, sondern die Firmenstrategie im Vordergrund steht, sorgt übrigens sogar dafür, dass dem eigenen Team, das im Unternehmen für die Entwicklung des Metaversums verantwortlich ist, der Glaube ans Produkt fehlt. Metas eigene Mitarbeiter:innen nutzen eine erste Version (Horizon Worlds) kaum und stehen ihm so negativ gegenüber, dass Zuckerberg in einer internen E-Mail sogar anordnen musste, mit dem Produkt warm zu werden.
Das vernichtende, aber sehr erhellende Fazit von Ultralativ: Das Metaversum als über die Realität gestülpte Parallelwelt in den Händen eines der furchtbarsten Unternehmen der Welt ist eine Dystopie. Wie gut, dass sie sich bis heute nicht durchgesetzt hat.
Hier geht’s zum Video auf Youtube (deutsch, 10 Minuten, 2022)2. Das Video, das den NFT-Hype zum Platzen brachte
Eine neue, einzigartige, digitale Art, dein Geld anzulegen – das versprach die Technik der NFTs (Non-Fungible Token, deutsch: nicht austauschbare Wertmarke) und verursachte damit vor 2 Jahren Begeisterung bei Kleinanlegenden und dem Finanzmarkt.
Dahinter steckt die Blockchain-Technologie – eine globale und verschlüsselte Kette von Datenblöcken, die keiner Kontrolle durch Banken oder Regierungen unterliegt.
Damit, so die Idee, habe jede:r selbst seine finanzielle Zukunft in der Hand und könne investieren – etwa in eine virtuelle Bildersammlung gelangweilter Affen. Kein Scherz!
Talkshow-Moderator Jimmy Fallon, Musiker Snoop Dogg und Paris Hilton investierten und trieben den Wert des Projekts in die Höhe. Ein Bored Ape mit goldenem Fell erreichte einen Verkaufswert von 3,41 Millionen Dollar.
Es war ein digitaler Goldrausch. Niemand wusste, wie viel Menschen bereit waren, für solche digitale Kunstwerke zu bezahlen –
Und dann veröffentlichte der bekannte linke Youtuber Dan Olson das Video »Line Goes Up – The Problem With NFTs«.
Olson, der seit fast 10 Jahren Analysen zu aktuellen Themen auf dem Youtube-Kanal Folding Ideas veröffentlicht, nimmt darin die ganze Welt der NFTs auseinander. Er erklärt die Technologie der Blockchain,
»Hype«, also mitreißende Werbung, die überzogene Erwartungen erzeugen soll (und damit im schlechtesten Fall an Täuschung grenzt) steht im Kern ihres Geschäfts und Olsons Kritik. Der legt den Finger darauf, dass viele »Cryptobros« selbst eigene Blockchain-Projekte verfolgen und immer vom Hype und dem Investment in
Das Video schlug international ein und öffnete sogar einigen Journalist:innen die Augen, auch wenn Fans der Blockchain-Technologie sofort versuchten, es als »Hit Piece« (deutsch: etwa gezielter Hetzartikel) zu
Wie recht Olson behalten sollte, wissen wir heute. Die Bored Apes haben ein finanzielles Rekordtief erreicht. Der digitale Affe von Musiker Justin Bieber beispielsweise fiel von 1,3 Millionen US-Dollar, die er dafür bezahlt hatte,
Und das hat auch juristische Konsequenzen. Aktuell sehen sich prominente Affenbesitzer:innen wie Justin Bieber einer Sammelklage gegenüber.
Der Vorwurf ist derselbe, den Olson ins Zentrum seines Videos stellt: Marktmanipulation.
Hier geht’s zum Film auf Youtube (englisch, 218 Minuten, 2022)3. Der unerhörte Fall der Elizabeth Holmes
Sie war jung, erfolgreich und Selfmade-Milliardärin. Heute ist sie als größte Schwindlerin des 21. Jahrhunderts bekannt, die ein Unternehmen in den Ruin trieb und eine ganze Branche in Verruf brachte.
Was ist passiert?
Elizabeth Holmes brach 2003 ihr Studium des Chemie-Ingenieurwesens ab, um ein eigenes Unternehmen zu gründen. Theranos, ein Biotech-Start-up, gab das geniale Versprechen, einen Schnelltester für Blutproben zu entwickeln, der in wenigen Augenblicken 240 Krankheiten nachweisen kann. Es klang wie Science-Fiction-Technologie und genau das begeisterte die Techwelt, in der Visionen und Charisma oftmals mehr zählen als handfeste Ergebnisse.
Holmes wurde von Journalist:innen umschwärmt und
Heute sitzt Holmes in Texas als verurteilte Anlagebetrügerin in Haft. Die Doku »Elizabeth Holmes: The ›Valley of Hype‹ behind the rise and fall of Theranos« zeigt, wie es dazu kommen konnte. Denn Holmes wusste, dass ihr Produkt nicht funktionierte, und sie belog die Öffentlichkeit bewusst – teilweise sogar ihr eigenes Team,
Sie versteifte sich auf die Hoffnung, das Produkt trotz enormer technischer Hürden funktional zu bekommen und am Ende doch ihre Vision zu
Die Doku von Yahoo Finance und Journalistin Alexis Keenan fragt: Wie konnte sie alle so lange täuschen?
Keenans vorsichtige Antworten sind bezeichnend für eine Techwelt, die Gründer wie Steve Jobs als Genie verehrt und beständig nach geistigen Nachfolger:innen sucht. Daraus entsteht eine Art Wunderkind-Kult, den Holmes gezielt bedient hat und der bis heute anhält: jung, intelligent, erfolgreich, einzigartig, charismatisch. Solchen Menschen wollen wir zu gerne alles glauben, wenn sie uns von einer beeindruckenden Zukunft erzählen.
Als Schablone passt dies auf viele andere Betrugsfälle der Techbranche,
Diese Personen landen wie Holmes letztlich im Gefängnis.
Hier geht’s zum Film auf Youtube (englisch, 218 Minuten, 2021))4. Pure Gier: Die toxischen Seiten der Bezahlmodelle
»Diese App ist frei und kostenlos. Probiere sie einfach aus!« Das versprechen viele Anwendungen, die wir heute nutzen – von Smartphone-Apps bis zu digitalen Spielen. Doch nach und nach hat sich in den letzten Jahren eine Mentalität breitgemacht, die die Idee von »kostenlos« ad absurdum führt: toxische Monetarisierung.
Unter Monetarisierung versteht man die Tatsache, dass ein Unternehmen mit einem Produkt Geld verdienen muss, um zu
Allerdings passiert dies anders, als du denkst. Denn Testmonate und Demos sind im Techbereich längst passé. Immer mehr Techunternehmen, vor allem im Bereich der digitalen Spiele, ermöglichen eine freie Nutzung (Free-to-Play) – theoretisch zumindest. Wer aber nicht hinter andere Spieler:innen zurückfallen oder sämtliche Funktionen eines Spiels freischalten will, muss bezahlen. Dabei geht es nicht um Kleinstbeträge. Das Spiel »Diablo Immortal« etwa machte 2022 Schlagzeilen, als ein Spieler angab,
Dies beleuchtet das Video »The Immoral Design of Diablo Immortal« von Youtuber und Spielekritiker Josh Strife Hayes. Er seziert das Spiel und analysiert sehr genau, wie die Entwickler:innen bestimmte Bezahloptionen im Spiel zunächst verstecken und subtilen Druck aufbauen: »Je mehr du spielst, desto mehr wächst der Bezahldruck«, so Hayes. Diese Spiele wollen die Nutzenden dazu erziehen, immer mehr auszugeben – indem sie Bezahlen mit Belohnung
Doch es geht noch weiter. Hayes erklärt die zynischen Praktiken der Branche, wobei ganze Spiele auf sogenannte »Whales« ausgelegt sind. Vielnutzer:innen also, die bereit sind, enorme Summen auszugeben – obwohl sie meist keine Millionäre sind und sich dadurch verschulden. In der Industrie ist der Begriff bekannt. Für solche Personen gezielt zu entwickeln, nennt sich dort zynisch »Whale Hunting« (deutsch: auf Walfang gehen).
Dazu kommt, dass viele Produkte mit toxischer Monetarisierung aggressiv an Jugendliche und Kinder vermarktet werden. Hayes’ Fazit ist hart, aber treffend: Solche Bezahlmethoden sind unmoralisch und die Entwickler:innen wissen das auch. »Diablo Immortal« ist nur eines von vielen Beispielen der Branche, das zufälligerweise so stark über die Stränge schlug, dass es mediale Aufmerksamkeit erlangte.
Hier geht’s zum Film auf Youtube (englisch, 44 Minuten, 2023)5. Gezielt süchtig machen: Glücksspiel verpackt in Lootboxen
Unternehmen haben noch eine weitere Art toxischer Monetarisierung erschlossen, die Konsument:innen-feindlich ist und die Grenzen zum Glücksspiel überschreitet: Lootboxen.
Das meint die Idee, dass Belohnungen nicht direkt erworben werden können, sondern wie in einer Art Lotterie zufällig gezogen werden – indem man Päckchen kauft, die sie vielleicht enthalten. Oftmals gibt es dabei Nieten, der Druck, die nächste Box zu kaufen, ist sofort da. Diesem Phänomen geht die aktuelle Doku des WDR »Lootboxen: Wie FIFA & Co an Kids verdienen« nach. Sie erklärt, wieso sich dieses Prinzip für Unternehmen lohnt. 2020 betrugen die Einnahmen durch Lootboxen weltweit 15,2 Milliarden Dollar. Im Techbereich wird gemacht, was Geld einbringt. Moralische Bedenken kommen später. Denn Glücksspiel kann abhängig machen und Lootboxen sind eine Art Glücksspiel. Immer mehr Verhaltenstherapeut:innen warnen davor und berichten von Spielsucht und Depressionen bis zu Selbstmordversuchen. Die einzelnen Schicksale können dramatisch sein, die Belastungen für das Gesundheitssystem hoch.
Die Hersteller:innen verweisen darauf, dass Länder Gesetze erlassen könnten, um diese Praktiken zu verbieten. Die Doku erklärt, dass manche Länder wie Österreich längst reagiert haben und das Lootbox-Prinzip als »illegales Glücksspiel« verurteilen. Belgien zwang Entwickler:innen dazu, diese Systeme aus ihren Spielen zu entfernen. Nur Deutschland schläft. Das Urteil der Doku: »Anscheinend zeigen die Verantwortlichen hier keine Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.«
Hier geht’s zum Film auf Youtube (deutsch, 43 Minuten, 2024)Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily