Straßenblockaden im Berufsverkehr, und Farb-Schmierereien am Brandenburger Tor – die Protestformen der Letzten Generation haben in den vergangen 2 Jahren polarisiert. Manch einer stellte die »Klima-Kleber« sogar in eine Reihe mit Terrororganisationen, ein konservatives Kampagnenportal versuchte es mit dem
Selbst ob die Letzte Generation mit ihrer radikalen Form des zivilen Ungehorsams auf dem richtigen Weg ist.
Umso spannender, dass es die Aktivist:innen jetzt auf dem konventionellen Weg probieren – als mit dem Namen »Parlament aufmischen – Stimme der letzten Generation« wollen sie sich im Juni ins EU-Parlament wählen lassen.
Auf Listenplatz 2 steht Theodor Schnarr.
Er ist Biochemiker aus Greifswald und seit 2022 bei der Letzten Generation aktiv, unter anderem als Pressesprecher. Im EU-Parlament soll sein Protest eine neue Bühne bekommen. Er plant, Abgeordnetengehälter und andere Privilegien, die mit seiner Wahl einhergehen würden, strategisch für die Bewegung zu nutzen.
Ich habe mit Theodor Schnarr darüber gesprochen, was hinter dem strategischen Wechsel der Protestform steckt, welche Motive er für seine Kandidatur hat – und auf welche ungewöhnliche Art und Weise jetzt das Wahlprogramm der Letzten Generation entstehen soll (Spoiler: Auch du kannst daran mitwirken!).
Lisa Mika:
Wie hat es sich angefühlt, als du dich das erste Mal auf eine Straße geklebt hast?
Theodor Schnarr:
Das war krass. Das war noch zur Anfangszeit der Letzten Generation im Jahr 2022. Es war unklar, ob es überhaupt funktioniert. Fängt die Polizei uns vorher ab? Ich hatte vor, mich auf eine Autobahn zu kleben. Ich hatte mich belesen, wie diese Form des Widerstands funktioniert. Ich wusste, es braucht Wandel, damit wir aus dem Mist herauskommen, in dem wir stecken. Und es war aufregend, Teil davon zu sein.
Hättest du dir damals schon vorstellen können, mal für ein politisches Amt zu kandidieren?
Theodor Schnarr:
Nein, absolut nicht! Damals hatten wir uns um gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Wir wollten keine Partei sein. Dementsprechend war ein politisches Amt für mich damals völlig undenkbar.
Wer bin ich denn auch? Ein Biochemiker, der sich einsetzt für eine Welt, in der wir gut leben können. Warum sollte ich in so einer Position stehen? Nein, das hätte ich nie gedacht.
Wie kam es zum Sinneswandel?
Theodor Schnarr:
Alles, was die Letzte Generation macht, hat eine Strategie. Dazu gehört jetzt die Teilnahme an der Europawahl. Mit der Kandidatur als sonstige politische Vereinigung geht Aufmerksamkeit einher. Wir nutzen die Bühnen, die uns die Wahl bietet. Weil es keine 5%-Hürde gibt, haben wir eine reale Chance, ins Parlament einzuziehen. Wir wagen den Versuch, mitzumischen.
»Für viele fühlt es sich so an, als müssten wir künftig vor allem verzichten. Dabei können wir auch etwas gewinnen«
Ihr wollt den Protest also jetzt ins Parlament bringen. Wie wird das aussehen, wenn ihr es wirklich schafft?
Theodor Schnarr:
Wir wollen diese merkwürdige Normalität unterbrechen. Wir wollen auf Korruption hinweisen. Und auf Entscheidungen, die über Köpfe von Bürger:innen hinweg getroffen werden. Wir wollen bloßstellen, wenn Politiker:innen fossile Projekte um Öl, Gas und Kohle weiter vorantreiben. Um das heutige Unrecht fassbar zu machen, wollen wir die Aufmerksamkeit darauf lenken.
dass ihr unangenehme Wahrheiten ins Parlament tragen wollt. Welche Wahrheiten sind das?
Theodor Schnarr:
Wir steuern auf eine Katastrophe zu. Und unsere Politiker:innen sind nicht dazu in der Lage, das klar zu kommunizieren. Entweder wir ändern jetzt aktiv die Art und Weise, wie wir leben, oder es wird uns einfach passieren. Wir erleben gerade die letzten Momente, in denen wir noch in der Lage sind, aktiv etwas zu ändern. Doch das Fenster schließt sich.
Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, werden vielleicht bald nicht mehr möglich sein. Für viele fühlt es sich so an, als müssten wir künftig vor allem verzichten. Dabei können wir auch etwas gewinnen.
Zum Beispiel?
Theodor Schnarr:
Ordentlich geplante Städte, in denen es saubere Luft und keine Verkehrstoten gibt. Das sind Punkte, an die Politiker:innen sich nicht herantrauen. Offenbar haben sie das Gefühl, Wähler:innenstimmen zu verlieren, wenn sie etwas Unangenehmes ansprechen. Wir wollen genau das machen.
»Ich gehe nicht davon aus, dass wir mit offenen Armen empfangen werden«
Wie stellt ihr euch die Zusammenarbeit mit den anderen Parlamentarier:innen vor?
Theodor Schnarr:
Es gab schon Personen und Bewegungen vor uns, die sich nicht ins Europaparlament wählen ließen, um ein weiteres kleines Rädchen im Getriebe zu sein. Zu ihnen haben wir Kontakt. Von ihnen wissen wir, dass die Abgeordneten einem mit Misstrauen und Ablehnung begegnen. Weil sie in ihrem Dasein, ihren Hinterzimmern und dem Mist, der im Parlament schiefläuft, nicht gestört werden wollen. Niemand mischt sie auf. Deswegen gehe ich nicht davon aus, dass wir mit offenen Armen empfangen werden. Aber das war ja auch bei unseren bisherigen Protestformen nicht der Fall.
Gibt es die Letzte Generation auch in anderen Ländern?
Theodor Schnarr:
Die Letzte Generation ist Teil eines großen internationalen Netzwerks, dem Es ist ein loser Zusammenschluss, über den wir Erfahrungen und Ideen austauschen. In Schweden gibt es beispielsweise die Bewegung Sie versuchen ebenfalls, über die Wahlen ins Parlament zu kommen.
Die Zulassung zur Wahl war scheinbar keine große Hürde für euch. Schnell hattet ihr im März mehr als die doppelte Anzahl der benötigten Doch wie schätzt du die tatsächliche Chance ein, ins Parlament einzuziehen?
Theodor Schnarr:
Viele haben uns nicht zugetraut, genügend Unterschriften zu sammeln, die für die Zulassung zur Wahl notwendig waren. Aber wir haben es geschafft!
Wie unsere Chancen stehen, nun tatsächlich einen Sitz zu bekommen, kann ich nur schwer einschätzen. Bis zur Wahl kann noch viel passieren. Aber unter den Menschen, die ich kenne, gibt es sehr viele, die genervt davon sind, dass es fast egal ist, wo sie ihr Kreuz setzen: Am Ende werden Entscheidungen im Sinne der Großindustrie getroffen.
All diese Leute haben dementsprechend schon Bock, Protest ins Parlament zu wählen. Und das wären dann wir.
Wahlkampf mit Runden Tischen und gerettetem Essen
Was habt ihr für euren Wahlkampf geplant?
Theodor Schnarr:
Wer wir sind, ist bekannt. Was wir machen, ist bekannt. Unsere Proteste sind unsere Wahlwerbung.
Ein anderer wichtiger Punkt läuft gerade an: Wir haben kein festes Team, das sich ein Programm ausdenkt, und ein weiteres, das es abwinkt. Stattdessen veranstalten wir Runde Tische. Die bringen Menschen zusammen, um über Lösungen für die gesellschaftliche Krise zu diskutieren. Mit den Ergebnissen wollen wir ins Parlament.
Diese Form der Programmfindung ist wichtig, weil wir als Bewegung für mehr Demokratie einstehen. Deswegen müssen wir eine Form der demokratischen Praxis finden, die von Lobbyismus unabhängiger und näher an den Menschen ist.
Menschen, die sich in ihrem Leben noch nicht gesehen haben, können in diesem Rahmen zusammenkommen und gemeinsam konstruktiv nach Lösungen suchen.
Während andere Parteien klassischen Wahlkampf machen, wollen wir schon mal gesellschaftlichen Wandel anstoßen. Das ist das Besondere an unserer Kandidatur. Es geht nicht darum, eine bestimmte Anzahl von Menschen ins Parlament zu bekommen. Auch der Weg dorthin kann schon ein Erfolg sein.
Wie funktioniert das mit den Runden Tischen konkret? Wer kann teilnehmen?
Theodor Schnarr:
Alle, die Interesse haben, sind eingeladen, in ihrer Stadt einen Runden Tisch durchzuführen. Wir haben bisher vor allem die Menschen gefragt, die schon Unterschriften für unsere Kandidatur gesammelt haben. Zum Start unserer Kampagne sind deutschlandweit Es wird auch eine größere überregionale Runde geben. Daraus gießen wir dann unser Wahlprogramm.
Ihr setzt im Wahlkampf auf Wie sieht das aus?
Theodor Schnarr:
Wir starten dort Challenges, bei denen Menschen sagen, warum sie es wichtig finden, die Letzte Generation zu wählen. Tiktok ist generell ein großes Thema im politischen Betrieb. Auch weil es von der rechtsextremen Seite so erfolgreich eingenommen wurde.
Je jünger die Menschen werden, umso härter sind sie von den Auswirkungen einer eskalierenden Erderhitzung betroffen. Deshalb ist es wichtig, diese Zielgruppe zu erreichen und ihre Stimmen zu hören.
Wie erreicht ihr eine ältere Zielgruppe, die sich nicht in sozialen Medien bewegt?
Theodor Schnarr:
Da probieren wir verschiedene Möglichkeiten aus. Beispielsweise stellen wir uns mit gerettetem Essen in die Innenstädte und machen darauf aufmerksam, dass wir wählbar sind. Sonst gibt es die üblichen Kanäle. Wahlwerbespots dürfen wir genauso schalten wie die anderen und es gibt Anfragen von Medien. Ich bin optimistisch, dass Menschen, für die wir eine Option sind, von uns mitbekommen.
Wahlwerbespot der Letzten Generation
»Wenn Menschen die Situation genau so sehen wie wir, dann wählen sie uns auch«
Mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten geht ihr auf die Leute zu?
Theodor Schnarr:
Die 2 wichtigsten Punkte sind Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Wir müssen ehrlich über die Situation sprechen, wie sie ist: Es gibt keine klimatische Normalität mehr. Das erkennen wir bereits an den Extremwettern und Dürren. Wir haben die Bedingungen verlassen, Wir betreten jetzt unbekanntes Gebiet. Es braucht Ehrlichkeit darüber, was wir verändern müssen.
Gerechtigkeit bedeutet, anzuerkennen, dass es einerseits Verantwortliche für die Situation gibt, in der wir uns befinden – und dass es andererseits Menschen gibt, die härter davon betroffen sind als andere, wenn die Erderhitzung eskaliert. Wir müssen Lösungen finden, um gerecht und gut zusammenzuleben. Darauf baut alles andere auf.
Die Protestformen der Letzten Generation polarisieren. Das liegt auch an der medialen Berichterstattung. Denkst du, dass euch das im Wahlkampf eher hilft oder schadet?
Theodor Schnarr:
Wir haben in den letzten 2 Jahren Entschlossenheit und Konsequenz gezeigt. Unsere Protestformen sind der Situation angemessen: Uns brennt die Erde unterm Arsch weg. Das ist mittlerweile auch sichtbar. Trotzdem tun viele so, als könnte alles normal weiterlaufen. Das stimmt aber nicht. Unsere Entschlossenheit ist Werbung genug für uns. Wenn Menschen die Situation genau so sehen wie wir, dann wählen sie uns auch.
Es geht uns ja gar nicht um politische Macht. Das unterscheidet uns von Parteien. Ich muss mich nicht beliebt machen, ich bin davon nicht abhängig. Wenn ich ins EU-Parlament gewählt werde, mache ich da meinen Protest. Und wenn ich nicht reinkomme, dann mache ich den Protest weiter auf der Straße.
Lisa hat einen Bachelor in Medien- und Sozialwissenschaft und macht aktuell ihren Master in Osteuropastudien. Von Februar bis Mai 2024 unterstützt sie die Redaktion von Perspective Daily als Praktikantin.