Ist ein Werbeverbot für klimaschädliche Produkte der richtige Weg?
1/3 der Produkte in der Werbung im Fernsehen schaden dem Klima. Warum es ein radikales Umdenken braucht.
Johanna ist spät dran. Sie radelt zum Architekturbüro, in dem sie arbeitet. Sie hat Glück, ihre Branche ist kaum von den Folgen des Verbots betroffen. Anders sieht es bei ihrer Nachbarin aus, die als Texterin in der Marketingabteilung einer Kleidermarke beschäftigt war und mit der sie den ganzen Morgen nach einer neuen Arbeitsstelle gesucht hat. Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass die Regierung mit einem Gesetz jegliche Werbung verboten hat und ihre Nachbarin dadurch ihren Job verlor.
In anderen Bereichen werden die Auswirkungen erst langsam spürbar. Johanna fährt an einer Kreuzung vorbei, auf der eine Gruppe von Unternehmer:innen verschiedener Firmen protestiert. Sie haben Schilder dabei, auf denen Sprüche stehen wie »Ohne Werbung stirbt die Wirtschaft«, »Werbung? Ja, bitte!« oder »Das Werbeverbot gefährdet unsere Demokratie«. Auch ein paar Journalist:innen scheinen dabei zu sein – allerdings nicht, um über die Demonstration zu berichten, sondern weil sie ebenfalls direkt von dem Verbot betroffen sind. Viele Magazine und Zeitungen sind wegen der weggefallenen Werbeeinnahmen pleitegegangen.
Die Menschen tun ihr leid, aber in ihrem Privatleben ist ihr das Verbot bislang eigentlich nur positiv aufgefallen: Im Fernsehen, vor Youtube-Videos und in ihrem Instagram-Feed gibt es keine nervigen Werbeunterbrechungen mehr, die ihr ins Gesicht brüllen, was sie noch alles benötigt, damit sie endlich zufrieden ist in ihrem Körper, in ihren Beziehungen, in ihrem Leben. Kein direkt an sie adressierter Müll mehr, weder im analogen noch im digitalen Briefkasten. Wenn eine Firma dagegen verstößt, kann sie sie ganz einfach über das neu eingerichtete Onlineportal melden.
Ohne die ständig auf sie einprasselnden Werbebotschaften hat sie das Gefühl, viel klarer denken zu können. Außerdem hat sie in den vergangenen Monaten etwas Geld gespart – ob das daran liegt, dass sie nicht mehr aus Impuls eigentlich unnötige Dinge gekauft hat?
In der Mittagspause unterhält sie sich mit einem Kollegen und fragt ihn um Rat. Sie benötigt ein neues Handy, weiß aber nicht, wo sie anfangen soll, nach Informationen zu suchen. Viele Hersteller haben vorläufig ihre Websites stillgelegt, weil bislang unklar ist, ob sie damit bereits gegen das Werbeverbot verstoßen …
Jede dritte Fernsehwerbung preist klimaschädliche Produkte an
Eine Welt wie die, in der Johanna lebt, klingt für manche wohl wie eine wahr gewordene Utopie. Für andere hingegen wie eine dystopische Planwirtschaft. Sicher ist: Eine Welt ganz ohne Werbung ist nur schwer vorstellbar – und wird es auf absehbare Zeit auch nicht geben.
Während über ein vollständiges Verbot von Werbung also höchstens in solchen Gedankenexperimenten wie oben nachgedacht wird, gibt es durchaus immer wieder Diskussionen über Verbote von Werbung für bestimmte Produkte oder in bestimmten Formaten. Bislang ging es dabei beispielsweise um Tabak, Alkohol, Sportwetten, Junkfood und
Zunehmend gerät nun aber auch Werbung für Produkte und Dienstleistungen in die Kritik,
Eine im Mai von der Otto-Brenner-Stiftung und der Universität Leipzig
Was fängt man mit diesem Ergebnis an? Sollte es für solche Produkte ein Werbeverbot analog zu Tabak geben? Ist das überhaupt sinnvoll oder gibt es bessere Alternativen?
Die Wirkung von Werbung
Bevor wir uns Werbung für klimaschädliche Produkte widmen, vorab ein kleiner Crashkurs aus der Werbewirkungsforschung: Welchen Einfluss hat Werbung generell? Und wie genau wirkt sie?
»Während der Erfolg einzelner Werbekampagnen inzwischen relativ gut evaluiert werden kann, ist sehr viel umstrittener, ob Werbung insgesamt auf der Makroebene den Konsum in einer Volkswirtschaft anheizt, also tatsächlich ein ›Wachstumstreiber‹ ist«,
Ob und wie Menschen konsumieren, hängt neben Werbung von vielen weiteren Faktoren ab, wie dem individuellen Charakter oder der aktuellen wirtschaftlichen Lage. Es kann sein, dass die Verbraucher:innen ihr Geld ohnehin ausgegeben hätten – und Werbung nur einen Einfluss darauf hat, für welches konkrete Produkt einer Produktgruppe sie sich entscheiden. Wenn aus einer bestimmten Produktgruppe (zum Beispiel Autos) hauptsächlich klimaschädlichere Modelle beworben werden, könnte das durchaus Einfluss haben.
Werbung allein verleitet uns in der Regel aber nicht dazu, ein Produkt sofort zu kaufen. Sie beeinflusst langsam. So weckt wirksame Werbung zum Beispiel positive Emotionen und versucht, ein Verlangen nach dem Produkt selbst (wie schöne Kleidung) auszulösen oder eine bestimmte Funktion anzubieten, die das Produkt erfüllt (Anerkennung durch schöne Kleidung, mehr Mobilität durch ein E-Bike, Abenteuerurlaub dank Flug). Bei Hygiene- und Kosmetikprodukten kommen häufig auch negative Emotionen ins Spiel, die vermeintliche Makel vor Augen führen sollen, die sich durch das beworbene Produkt beheben lassen.
Trotz der wachsenden Anzahl von Daten, die Unternehmen über ihre potenziellen Kund:innen zur Verfügung stehen, bleibt der Mensch am Ende eine »Blackbox«. In der Werbewirkungsforschung – einem Zusammenspiel aus Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Marketing – gibt es zahlreiche unterschiedliche Modelle, die den inneren Prozess hinter einer Kaufentscheidung zu erklären versuchen. 2 der populärsten sind der Mere-Exposure-Effekt sowie das Involvement-Konzept.
Der
Das
Wirken Werbeverbote? Ja, aber …
Bereits heute ist der Werbemarkt reguliert. Firmen müssen sich mit der Werbung für ihre Produkte und Dienstleistungen an bestimmte Spielregeln halten. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb nennt in einer
Werbung für Alkohol ist aus Gründen des Gesundheits- und Jugendschutzes zwar stark eingeschränkt, aber unter bestimmten Voraussetzungen nach wie vor möglich. Das einzige Produkt, für das es ein weitreichendes Werbeverbot gibt, ist Tabak. In Deutschland wurden Werbespots im Radio und Fernsehen für Zigaretten und andere Tabakwaren bereits 1975 verboten. Seit 2021 verschwindet Schritt für Schritt auch die
Weil Tabakwerbung schon so lange und breitflächig reguliert ist, eignet sie sich am ehesten, um Aussagen darüber zu treffen, ob Werbeverbote etwas bewirken können. Die Cochrane-Review »Wirkung von Tabakwerbung auf das Rauchverhalten junger Menschen« verglich 19 Studien, die zwischen 1983 und 2008 durchgeführt wurden. In 18 davon »erwies sich die Wahrscheinlichkeit später zu rauchen bei jenen Teilnehmenden erhöht, die mehr Werbung ausgesetzt waren oder diese bewusster aufgenommen hatten«, fasst der
Was bei solchen Analysen aber immer zu bedenken ist: Ein Werbeverbot geschieht nicht im luftleeren Raum. So flankierten das Werbeverbot für Tabak viele andere Maßnahmen wie höhere Zigarettensteuern, Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden sowie Verkehrsmitteln und Warnhinweise auf Zigarettenschachteln. Welche der Maßnahmen wie stark wirkt, lässt sich nicht wirklich eindeutig messen. Auch ein potenzielles Werbeverbot für klimaschädliche Produkte wäre kein Allheilmittel.
Wie Werbung für klimaschädliche Produkte die CO2-Emissionen in die Höhe treibt
Obwohl es schwer ist, die Auswirkungen von Werbung im Allgemeinen und Werbung für klimaschädliche Produkte im Speziellen zu beziffern, haben sich verschiedene Analysen in den vergangenen Jahren an einer Annäherung versucht. Für Deutschland gibt es bislang keine Zahlen, aber der Blick in andere Länder zeigt eindeutige Tendenzen:
- Ein Bericht der Organisation
Was für ein Werbeverbot spricht
Zurück zu den »Klimakillern« in deutschen Werbespots. Die Forschenden haben für ihre Untersuchung ein individuelles
So sind 86% der Spots aus der Kategorie Schokolade, Eis und Gummibärchen klimaschädlichen Produkten zugeordnet, 78% der Autos und Autodienstleister sowie 72% aus der Kategorie Körperpflege, Hygiene und Beauty. Teilweise wären »mit einem einzigen der angepriesen Autos, mit einem einzigen der beworbenen Flüge oder Urlaubsziele, mit einer einzigen Kreuzfahrt« das Pro-Kopf-CO2-Budget bereits aufgebraucht, in vielen Fällen sogar weit überschritten, fassen die Forschenden die Ergebnisse zusammen.
Mit einer anderen Einteilung (gibt es in einer fossilen Welt derzeit überhaupt Produkte, die keine Wirkung auf das Klima haben?) hätten es also auch deutlich mehr oder weniger als die rund 3.000 Spots sein können, die in die Kategorie »Werbung für Klimakiller« fallen.
Aber: Die genaue Anzahl ist nicht ausschlaggebend. Dass überhaupt klimaschädliche Produkte beworben werden, ist das Problem. Denn damit verstoßen die Sender – öffentlich-rechtliche genau wie private – gegen ihre eigenen Regeln. Im Medienstaatsvertrag heißt es nämlich:
Werbung darf nicht […] Verhaltensweisen fördern, die die Gesundheit oder Sicherheit sowie in hohem Maße den Schutz der Umwelt gefährden.
Die Studienautor:innen mahnen, dass es deshalb geboten sei, die Werbung auch hinsichtlich ihrer Umwelt- bzw. Klimawirkung zu regulieren. Ein denkbarer Weg – aber nicht der einzige – sind Verbote.
Wie das gehen kann, machen unterschiedliche Nachbarländer Deutschlands bereits vor. So wurden 2021 Werbungen für SUVs, fossile Brennstoffe und Billigflüge in Amsterdam
Zwar beziehen sich die Beispiele nicht explizit auf Fernsehwerbung, ließen sich aber leicht darauf übertragen. Die Stärke des niederländischen und französischen Ansatzes liegt außerdem darin, dass es kein allgemeines Werbeverbot »klimaschädlicher Produkte« gibt, bei dem Streit über die Definition vorprogrammiert wäre. Stattdessen beziehen sich die Verbote auf einzelne, ganz konkrete Produktgruppen, die zweifelsfrei klimaschädlich sind.
Welche Alternativen gibt es?
Werbeverbote stoßen vor allem bei Lobbyverbänden auf viel Widerstand und sind nur schwer umsetzbar. Sie sind aber nicht die einzige Möglichkeit. Die Studienautor:innen der Uni Leipzig machen eine Reihe alternativer Vorschläge, wie Werbung noch reguliert werden könnte:
- Verpflichtende Warnhinweise für klimaschädliche Produkte: Ein solcher Hinweis könnte ähnlich wie der Pflichttext nach Werbeclips für Medikamente eingefügt werden.
- Der Preis für die Platzierung im Programm könnte analog zum CO2-Fußabdruck des beworbenen Produkts steigen. Je mehr Emissionen ein Produkt verursacht, desto teurer wäre es demnach, dafür einen Werbespot zu schalten.
- Vorgabe eines Gesamtbudgets, für das ein Sender in einem bestimmten Zeitraum werben darf. Ein solches System ist zwar in der Theorie denkbar, aber nur schwer in die Praxis umzusetzen.
Ein anderer Ansatz ist es, nicht ausschließlich darauf zu schauen, ob Firmen für klimaschädliche Produkte werben dürfen, sondern auch auf das Wie. Die Forschenden fanden heraus, dass die analysierten Werbespots oft die negativen Effekte der Produkte auf das Klima unsichtbar machten:
Eine Fernreise wird mit Naturschutz in Verbindung gebracht, ein verbrauchsintensiver Hybrid-SUV wird mit Wildtieren und Naturlandschaften beworben, der Konsum von Kaffeekapseln soll eine gescheiterte Klimapolitik ersetzen. Die Werbebotschaften sind, unter dem Klimaschutz-Aspekt betrachtet, zuweilen als absurd bzw. sogar als irreführendes Greenwashing zu bezeichnen.
Greenwashing ist aber nicht nur in Deutschland und nicht nur in Fernsehwerbung ein Problem.
Auch wenn das derzeitige Wirtschaftssystem nicht ohne Werbung auskommt, sollten Verbraucher:innen ihre Entscheidung frei und mündig anhand von Fakten und nicht von grün gefärbten Lügen treffen können.
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