Wir könnten in Deutschland 70.000 Jobs aus dem Nichts schaffen. direkt in unseren Städten und Dörfern, wo dann ganz automatisch auch Kaufkraft und Wohlstand steigen würden. Alles, was wir dafür tun müssten, ist, Das sind wohlgemerkt nur die 3 Marktführer, die mit fast 28 Milliarden Euro gemeinsam des gesamten Jahresumsatzes im deutschen Online-Einzelhandel erwirtschaften.
Der Online-Handel wächst seit einigen Jahren deutlich Gleichzeitig sagen 34% der deutschen Amazon-Kunden, dass sie weniger als früher im stationären Einzelhandel kaufen – Das bringt besonders kleine Läden in Bedrängnis. Nun könnten wir mit den eingangs erwähnten 70.000 Job-Chancen argumentieren und an die Vernunft der Verbraucher appellieren. So ein Appell allein hat aber in einer ausgereicht, um das Kaufverhalten der breiten Masse dauerhaft zu beeinflussen. Vielversprechender ist es, wenn die kleinen Davids des Einzelhandels Geschäftsfelder finden, in denen die Goliaths nicht mithalten können. Einige von ihnen sind schon fündig geworden.
Die Goliaths des Einzelhandels
Bevor es um Lösungen geht, werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Goliaths, die den kleinen Händlern zusetzen: Filialisten und Online-Händler.
In nahezu jeder europäischen Innenstadt ist das »&« so selbstverständlich wie Springbrunnen und Tauben – C&A, H&M, Jack & Jones und weitere große Bekleidungsketten haben die Fußgängerzonen fest im Griff. Wer sich individuell kleiden will, hat schlechte Voraussetzungen – die Primark, New Yorker und Zara dazu übergehen ließen, in immer kürzeren Abständen neue Kollektionen Das Wissen um minderwertige Qualität und qualvolle Ausbeutung oft minderjähriger Näherinnen in asiatischen verdirbt vielen Kunden nicht den dafür ist der Preis zu verlockend.
In unterschiedlichen Ausprägungen haben die meisten Branchen ihren eigenen Goliath: Für Möbelhändler ist es IKEA, für Bäckereien sind es Selbstbedienungsketten wie Backwerk, aber auch die Brötchenautomaten der Discounter. Die analogen Goliaths eint das Prinzip »Masse statt Klasse«, das den Kunden
Dieses Prinzip gilt auch für die zweite Gattung, die sich nicht einmal an Öffnungszeiten und am Mietspiegel orientieren muss: die Online-Händler, die immer und überall verfügbar sind. Wenn heute das Klopapier leer oder die Klolektüre durchgelesen ist, können wir noch vom Porzellanthron aus mit dem Das ist zwar bequem, führt aber in der Realität oft zu Frust, etwa wenn das hastige Gekritzel auf dem Annahmeschein unlesbar ist und erst Detektivarbeit im Mehrparteienhaus zutage bringt, welcher Nachbar das Paket denn nun angenommen hat, oder der Lieferant mit Blick aufs Klingelschild und der Erkenntnis, dass der Empfänger im dritten Stock wohnt, erst gar nicht klingelt, sondern direkt in die Postfiliale liefert. Darüber hinaus sind Pakete in Deutschland mittlerweile für verantwortlich.
»Dein Kassenbon ist ein Stimmzettel. Jedes Mal.« – Buylocal.de
Der größte Nachteil der Online-Händler gilt mit Ausnahmen auch für Offline-Filialisten: Das Kapital, das sonst im lokalen Wirtschaftskreislauf erhalten bleiben würde, wandert ab auf die fernen Konten der Marktführer und deren Anteilseigner. In der Steuererklärung und somit fürs Währenddessen lässt die Lebensqualität in den Innenstädten nach – zumindest für jene, die lieber in Tante-Emma-Läden statt in Tante-Euro-Shops kaufen. Es sei denn, Tante Emma geht zum Gegenangriff über.
1. Nur im Laden ist der Kunde wirklich König
Tante Emma kennt ihre Kunden besser als jeder Wenn Tobi, der selbst vor allem Krimis liest, seiner Freundin Steffi einen Fantasy-Roman zum Geburtstag schenken will, bekommt er im Buchladen geduldige und fachkundige Beratung. Kauft Tobi stattdessen online, muss er mit den nicht immer nachvollziehbaren Bewertungen anderer Nutzer vorliebnehmen – und bekommt nach dem Kauf wochenlang weitere Fantasy-Bücher und -Filme sowie Mittelalter-Dekoartikel als personalisierte Werbung angezeigt. Im Gegensatz zum Verkäufer im Buchladen hat der Algorithmus des Online-Händlers nicht gecheckt, dass es sich um ein Geschenk für Steffi handelt und Tobi dem Genre Fantasy wenig abgewinnen kann.
Wenn jemand Tobi am Rechner über die Schulter schaut, ist Werbung für Game-of-Thrones-Poster und Elbenohren nichts, was Tobi peinlich ist. Aber er bekäme sicher rote Ohren, wenn er statt einem Fantasy-Roman ein Sexspielzeug bestellt hätte. Hier steckt der vielleicht größte Unterschied: Im Laden kann der Kunde anonym bleiben, wenn er das will – im Internet macht er sich nackig. Das gilt übrigens auch für zahlreiche Shopping-Bonusprogramme, allen voran der Marktführer »Payback«, mit deren Daten sich Gleichzeitig ist 95% der Payback-App-Nutzer wichtig, dass mit ihren Daten
Persönliche und gleichzeitig vertrauliche Beratung ist eine Stärke des Einzelhändlers, die aber nicht bei jedem Einkauf gewünscht oder notwendig ist. Häufig ist Beratung weniger wert als Flexibilität: Kunden wollen außerhalb der Arbeitszeiten ihre Einkäufe erledigen – in einer Umfrage sprachen sich vor wenigen Wochen sogar fast 2/3 dafür aus, dass Ladeninhaber auch Für kleine, inhabergeführte Läden ist es jedoch schlicht nicht möglich, in puncto Öffnungszeiten mit großen Ketten und Online-Portalen mitzuhalten.
Eine Lösung, wie ihre Kunden trotzdem maximal flexibel sind, hat Dorothee Junck gefunden: Sie betreibt den Buchladen Neusser Straße in Köln-Nippes mit den recht ausgedehnten Wer außerhalb dieser Zeiten ein Buch abholen will, kann das gegenüber beim Supermarkt oder im Kiosk tun: Auf Wunsch hinterlegt Dorothee Junck vorgemerkte Bücher dort. Sie schätzt, dass das rund 20 Kunden pro Woche in Anspruch nehmen. Bislang hat jeder Einzelne die beigelegte Rechnung auch bezahlt.
Bei Büchern zieht das Argument »online ist billiger« eh nicht, weil hier die Buchpreisbindung gilt.
Dorothee Junck führt ihren Laden seit 10 Jahren – 5 davon unter verschärftem Konkurrenzdruck, seit die Mayersche Buchhandlung, eine Kette aus Aachen, schräg gegenüber eine Filiale eröffnet hat: »Ich hatte 2 Möglichkeiten: entweder in Trübsal zu verfallen oder mir zu sagen, das wird die Herausforderung meines Lebens.« Also wurde Dorothee Junck kreativ, schrieb auf ihre Website deutliche Worte hatte die spontane Idee mit der Kiosk-Kooperation. »Ich will hier fürs Viertel eine Komplettversorgung darstellen«, sagt sie. Geschenkkarten, Lesezeichen und die vielen Kleinigkeiten, die oft in Buchhandlungen angeboten werden, hat sie in den eigenen Nachbarladen ausquartiert, deshalb sei das reine Büchersortiment größer als beim Konkurrenten. »Dazu kommt: Jedes einzelne Buch ist von jemandem aus dem Laden ausgesucht worden und nicht von der Zentrale in Aachen bestellt.«
Im Laden setzt Dorothee Junck auf persönliche Ansprache und gute Atmosphäre – »bei uns ist der Algorithmus menschlich«. Manche Kunden hinterlegen sogar die Wohnungsschlüssel bei ihr, wenn sie in Urlaub fahren.
2. Online-Shop und Versand können auch die Kleinen
Das Buch ist zwar ein analoges Medium, aber auch der Leser des gedruckten Wortes hat in der Tasche. Wer im Handel offline erfolgreich sein will, muss online auffindbar sein. Für Buchhändlerin Dorothee Junck sind Instagram, Facebook und Twitter mittlerweile unverzichtbare Marketing-Tools – und Kommunikationskanäle, etwa um zu fragen, ob ein bestimmtes Buch im Laden erhältlich ist. In die Website ist ein Online-Shop integriert, der mittlerweile 11% zum Umsatz beiträgt. Für Selbstabholer ist dieser Service sogar schneller als die meisten Pakete.
Carsten Linz, Business Development Officer bei SAP
Amazon betreibt mittlerweile 4 stationäre Buchläden in den USA und Auch Zalando hat in der Kölner Innenstadt einen Outlet-Store. Aber die kleinen stationären Einzelhändler holen zum Gegenschlag aus, um ihrerseits ins Geschäftsmodell der Onliner einzudringen. Die Düsseldorfer etwa bietet Home-Shoppern persönliche Online-Videoberatung und digitalisiert so das Vertrauensverhältnis zum Kunden.
Das zentrale Element bleibt der Versand:
Die App als digitaler Begleiter den Weg zu stationären Händlern weisen: Über den Standort und vorher eingegebene modische Vorlieben gibt die App an, welcher Laden in der Nähe ist. Nutzer können Neuigkeiten und Sonderangebote der Lieblingsgeschäfte abonnieren, insgesamt nehmen aktuell 33 Händler in Köln teil. (Solche Personalisierung dürfte nur reizen, wer bei den Bonusprogrammen gern seine Daten preisgibt.) Die App funktioniert auch vom Sofa aus – Kunden können sich von einem oder Produkte zurücklegen lassen. Seit dem Launch um den Jahreswechsel haben ein paar tausend Nutzer die App auf ihrem Smartphone installiert; aktuell verzeichnet Betreiber Timo König etwa 10 Downloads pro Tag. Wie sich die App weiterentwickelt,
Beim Kiezkaufhaus in Wiesbaden übernehmen Fahrradkuriere mit elektrisch unterstützten Lastenfahrrädern die taggleiche Lieferung: Über einen Online-Shop bestellen Kunden bei aktuell ca. 30 Einzelhändlern – die suchen die georderten Waren möglichst verpackungsarm zusammen, am Nachmittag fährt ein Fahrradkurier erst die Läden ab, dann die Kunden. Diese garantiert klimaneutrale, taggleiche Lieferung kostet je nach Fahrstrecke innerhalb Wiesbadens Nach gut 2 Jahren am Markt gehen täglich um die 20 Bestellungen ein, was einen »Wir verfolgen eine ›Social Franchising‹-Strategie«, sagt Nanna Beyer vom Kiezkaufhaus: »Das heißt, wir übernehmen die guten Seiten von Franchising wie Synergieeffekte und Vernetzung, schließen die Ausbeutung aber aus.« Noch ist das Kiezkaufhaus ein Zuschussgeschäft für die Initiatoren von der Digitalagentur die Bestellrate steigt aber langsam an. Wir sehen uns nicht als diejenigen, die Waren verfügbar machen – das kann Amazon besser –, sondern als die, die unsere Innenstadt stärken wollen.Nanna Beyer, Kiezkaufhaus Wiesbaden
Das bayerische Startup bietet Städten eine digitale Fußgängerzone an, in der die lokalen Einzelhändler ihre Waren ausstellen und verkaufen können: Das Online-Shop-System läuft mittlerweile in bis zum Jahresende sollen es rund 20 sein. Insgesamt sind etwa 500 Läden angeschlossen – hauptsächlich kleine Einzelhändler, aber auch ein paar bundesweit auftretende Ketten. In den meisten Städten ist bis zu einer bestimmten Uhrzeit eine taggleiche wer von außerhalb bestellt, bekommt die Waren von DHL beziehungsweise der Schweizer Post geliefert. Händler zahlen eine Grundgebühr, außerdem trägt sich Atalanda über Provisionen, die von den Verkäufen fällig werden.
3. Nur im Laden gibt es Begegnungen
Eines findet nur im Offline-Handel statt: menschliche Begegnungen. Wann und wie sehr man diese soziale Interaktion überhaupt möchte, liegt jedoch im Ermessen des Kunden, und »Sammeln sie Treuepunkte?« ist gewiss nicht der unersetzbare kommunikative Zenit, auf den unsere Spezies schon seit der ersten Höhlenzeichnung hingearbeitet hat. Der alltägliche Plausch an der Bäckertheke schon eher. Neben dem wirtschaftlichen Umsatz von Waren geht es also um soziale Vernetzung – des Händlers mit den Kunden, aber auch der Kunden untereinander.
»Alles, was ich hier verkaufe, findest du im Internet billiger. Du musst die Leute an den Laden binden, indem du ihnen etwas bietest«, sagt Ingo Marks. Er betreibt den Spieleladen »Playmore« in Kleve am Niederrhein. Seine Kunden verbringen ihre Freizeit mit Fantasy-Spielen wie »Dungeons & Dragons«, »Call of Cthulhu« oder »Magic: The Gathering«. Das sind im weitesten Sinne Gesellschaftsspiele, die in einer Fantasiewelt stattfinden – also holt Marks die Gesellschaft in seinen Laden: »Wir veranstalten 3-mal wöchentlich Spieleabende: dienstags ist Magic-Tag, mittwochs ist samstags gibt es Die Abende können schon mal bis nach Mitternacht gehen – das funktioniert nur mit Angestellten, die selbst mitspielen. Und besonders für das Tabletop-Angebot tritt Marks in Vorleistung: Er sagt, dass allein für die Spielfläche rund 600 Euro der Ladenmiete draufgehen. Eine Vorleistung, zu schätzen wissen: Die abendlichen Spielerunden, besonders unter der Woche, sind gut besucht – und wer kommt, kauft auch in der Regel etwas. »Ohne die Stammkunden wäre es schwierig, aber so läuft es ganz gut«, sagt Marks.
Veranstaltungen, wenn auch nicht ganz so regelmäßig, bietet auch Dorothee Junck vom Buchladen Neusser Straße in Köln: Zu Lesungen besuchen schon mal über 100 Leute ihren Laden. Die Kölner seien große Namen gewöhnt, aber mittlerweile sei ihr Laden auch bekannt, sagt Dorothee Junck: »Da kann es schon mal passieren, dass
anfragt, der für einen kurzen Termin in der Stadt ist und noch aus seinem Buch lesen will, damit sich die Anfahrt lohnt.«
Stationäre Einzelhändler – das betrifft in diesem Fall auch große Ketten – können ihren Kunden also etwas bieten, was beim Online-Versand verwehrt bleibt: Sie bringen Menschen physisch in einem Raum zusammen und fördern so soziale Interaktion. aus Herne etwa hat dafür einen Café-Bereich eingerichtet, in dem Kunden sich unterhalten oder schmökern können. Aber der wachsende Konkurrenzdruck bewirkt auch eine stärkere Vernetzung unter den Händlern selbst: Besonders in kleineren Städten etablieren sich lokale Bonussysteme, die den Einkauf bei allen teilnehmenden Händlern vergünstigen. Besonders weit geht hierbei das Konzept Regionalgeld – in etwa 30 deutschen Städten existieren lokale Währungen parallel zum Euro, die nur in teilnehmenden Geschäften eingelöst werden können und so helfen,
Sind Preis und Gewohnheit wirklich Totschlagargumente?
Seien wir ehrlich: Viele kleine Einzelhändler haben sich in 3 Feldern gewappnet, aber oft siegen beim Kunden die Argumente Preis und Die bewusste Entscheidung, ein bestimmtes Produkt online zu kaufen, ist ja auch vollkommen okay und wird jeder Einzelhändler verstehen. Allerdings wird er zumindest das Preis-Argument nicht zählen lassen: Wenn Industrieprodukte im Laden mehr kosten als im Netz, liegt das vor allem daran, dass die Händler in jeder Kleinstadt höhere Ausgaben haben. Sie müssen die Produkte vor Ort verfügbar halten, haben höhere Nebenkosten und mehr Personal (das besser verdient als die Lageristen in den Versandzentren). Wie gesagt: Allein durch bewusste regionale Kaufentscheidungen könnten die Deutschen im ganzen Land 70.000 neue Jobs schaffen.
Wenn Zugvögel im Schwarm fliegen, beeinflusst jedes einzelne Tier die Richtung aller – das hat David bei einer Recherche gelernt. Sonst berichtet er eher über Menschen, stellt sich dabei aber eine ganz ähnliche Frage: Welche Rolle spielt der einzelne Wähler und Verbraucher, welchen Einfluss hat jeder von uns auf die Gesellschaft? David recherchiert gern unterwegs, studiert hat er Musikmanagement, Englisch und Journalismus.