4 Maßnahmen, damit wir nicht bald untergehen wie die alten Maya
Wir müssen wieder lernen, langfristig zu denken. So kann es gelingen.
Treffen sich ein Priester, eine Unternehmerin und ein Politiker. Wer hat am meisten Weitblick?
Er gibt an, wie weit eine Person oder Organisation üblicherweise in die Zukunft denkt, bevor sie Entscheidungen trifft. Kirchenleute denken in die Ewigkeit. Manager:innen denken meist in Quartalen. Und Politiker:innen haben einen Buxton-Index von 4 oder 5 Jahren. Sie planen also bis zu den nächsten Wahlen.
Das ist ein Grund, warum wirklich wirksame Maßnahmen gegen künftige Krisen wie den Klimawandel nicht immer eine Mehrheit finden: Die Politik plant zu kurzfristig.
Das war schon immer so. Beispiele finden sich zuhauf in antiken Gesellschaften, etwa den Maya. Und das hat sie direkt in den Untergang geführt. Im ersten Teil dieses Textes habe ich schon darüber geschrieben.
Du kannst ihn hier nachlesen:
In diesem zweiten Teil geht es um konkrete Lösungen: Wie lernen wir, langfristiger zu denken? Wie gestalten wir Politik und Gesellschaft zukunftsgerichteter? Zum Beispiel mit diesen 4 Maßnahmen.
1. Vom »Aktualitätsfetisch« zum »Szenarien-Journalismus«
Auch die Medien macht er für den »Kult der Kurzfristigkeit« verantwortlich. Denn sie unterwerfen sich der Tendenz zum schnellen Trend, wetteifern um die neueste Schlagzeile, senden regelmäßig Push-Nachrichten, tickern live zu aktuellen Entwicklungen. Einen »Aktualitätsfetisch« diagnostiziert Pörksen der modernen Medienlandschaft.
Er fordert deshalb eine neue Art der Berichterstattung, die er »Szenarien-Journalismus« nennt.
Journalist:innen sollen über Szenarien für die Zukunft schreiben und so ein vorrausschauendes Denken fördern.
Leser:innen von Perspective Daily dürfte dieser Ansatz bekannt vorkommen. Auch wir versuchen, uns dem Aktualitätsdiktat zu entziehen, setzen auf Kontext und langfristige Entwicklungen. Vor allem blicken wir in die Zukunft und beschreiben mögliche Lösungen.
Der jüngste Bericht des Reuters Institute for the Study of Journalism zeigt, dass immer mehr Menschen Nachrichten vermeiden: 4 von 10 Befragten gaben an, dass sie das manchmal oder oft täten. Unter anderem, weil sich Leser:innen von der Masse an aktuellen News überfordert fühlen.
2. Eine Kultur, die uns daran erinnert, wie klein wir sind
Und doch handelt der Mensch oft, als stünde ihm mehr zu als anderen Spezies, als drehe sich alles um seine Befindlichkeiten.
Daran erinnert der Philosoph Roman Krznaric:
Wer sind wir also, dass wir mit unserer ökologischen Blindheit und unseren tödlichen Technologien alles in Gefahr bringen? Haben wir nicht eine Verpflichtung gegenüber unserer planetarischen Zukunft und den Generationen von Menschen und anderen Arten, die noch kommen werden?
Westlich-kapitalistische Staaten brauchen eine neue Kultur, die an die Flüchtigkeit der menschlichen Existenz erinnert. Sie könnten sich etwas von den Lebensweisen jener Völker abschauen, die bereits nach dieser Erkenntnis handeln.
Bestes Beispiel:
Das Museum »Futurium« in Berlin widmete sich 2023 unter anderem dem 7-Generationen-Prinzip. Bei einer Führung wurden Besucher:innen in 7 Gruppen unterteilt, die jeweils eine Generation repräsentierten und politische Fragen sowie potenzielle Gesetzesentwürfe so behandeln mussten, dass sie von jeder Generationen-Gruppe abgesegnet werden konnten.
Von solchen Projekten und Planspielen brauchen wir mehr – in der Schule, in Museen, in Jugendgruppen. Kinderbücher und -serien können diese Ideen vermitteln. So entwickeln Kinder schon von klein auf ein Verantwortungsgefühl für diejenigen, die nach ihnen kommen.
Auch Kunst hat das Potenzial, ein kulturelles Umdenken einzuleiten. Das will der US-amerikanische Unternehmer und Aktivist Stewart Brand – mit einer riesigen mechanischen Uhr, eingebettet in einen Berg in Texas. Sie wird die Zeit der nächsten 10.000 Jahre aufzeichnen:
Eine solche Uhr, wenn sie ausreichend beeindruckend und gut konstruiert ist, würde für die Menschen die Tiefe der Zeit verkörpern […]. Idealerweise würde sie für das Nachdenken über Zeit das tun, was die Fotografien der Erde aus dem Weltraum für das Nachdenken über die Umwelt getan haben. Solche Ikonen verändern die Art und Weise, wie Menschen denken.
Das Kunstprojekt
3. Eine Ökodiktatur ist auch keine Lösung
Wenn es um die Frage geht, warum viele Regierungen nicht genug gegen die Erderwärmung tun, kommt immer mal wieder jemand zum Schluss: »Wir bräuchten eine Ökodiktatur.« Autokratien – so die Annahme – seien besser darin, schnelle Entscheidungen zu treffen, als die langatmige, stets zu Kompromissen gezwungene Demokratie. Autokratien könnten daher auch unpopuläre, aber dringend nötige Klimamaßnahmen durchsetzen.
Von den 25 Ländern, die am besten bewertet wurden, sind 21 Demokratien. Unter den 25 Ländern mit der schlechtesten Note sind hingegen 21 Autokratien. Deutschland belegt Platz 28.
Stattdessen können wir innerhalb unserer Demokratie Strukturen aufbauen, die sich kurzen Politikzyklen entziehen. Einige Vorschläge:
- Ein Ministerium für die Zukunft: Wales macht es vor:
- Szenarien entwickeln: Wie die Welt von morgen aussieht, können Forschende nicht genau vorhersehen. Doch sie können Zukunftsszenarien entwerfen, um auf dieser Basis Lösungen für potenziell anstehende Krisen zu entwickeln.
- Finanzielle Anreize: Langfristig angelegte Förderprogramme oder Subventionen geben Planungssicherheit und kurbeln Investitionen in die Zukunft an. Bestes Beispiel: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland fördert Ökostrom für die kommenden 15 Jahre.
4. Eliten müssen unter den Folgen ihrer Untätigkeit leiden
London, Anfang des 19. Jahrhunderts. Die industrielle Revolution hat die Bevölkerung rasant wachsen lassen. Doch zu einem hohen Preis: Von der Themse dringt bestialischer Gestank zwischen die Häuser, eine Cholerapandemie lässt viele dahinsiechen, die Kindersterblichkeit steigt auf fast 50%. Die veraltete Kanalisation hält der hohen Bevölkerungsdichte nicht mehr stand. Abwasser gelangt in die Themse, aus der die Menschen trinken, führt zu dem Gestank und der Krankheitswelle. Obwohl Ärzte darauf hinweisen und Ingenieure eine Modernisierung des Abwassersystems vorschlagen, finden sie bei den Eliten kein Gehör. Die Pläne sind ihnen zu teuer.
Erst 1858 erhält das Vorhaben den nötigen Schubser: Es ist ein besonders heißer Sommertag und der Gestank von der Themse dringt in das neu errichtete Parlamentsgebäude. Die Abgeordneten können keine Sitzungen mehr abhalten und fliehen in ihre Häuser aufs Land. Erst jetzt erkennen sie die Dringlichkeit des Problems und bauen ein modernes Abwassersystem. Bis heute sind diese modernen Abwasserkanäle aus dem viktorianischen London in Betrieb. Das Ereignis, das dies ermöglichte, wird in die Geschichte als »der große Gestank« eingehen.
Das historische Beispiel untermauert die Theorie des Evolutionsethnologen Jared Diamond.
Daraus folgt: Politiker:innen, Industrienationen und einflussreiche Menschen müssten die Folgen des Klimawandels stärker spüren. Nur leider treffen die Folgen verstärkt Menschen im Globalen Süden, die am wenigsten Verantwortung dafür tragen. Und dort ansässige Reiche können sich durch ihr Geld besser abschirmen – zum Beispiel indem sie sich robustere Häuser in Lagen bauen, die weniger von Überschwemmungen betroffen sind.
Doch wie kann die Distanz zwischen Eliten und der betroffenen Bevölkerung verringert werden? Englische Künstler:innen haben 2017 ein Experiment gewagt. Im Rahmen einer Ausstellung in den Vereinigten Arabischen Emiraten setzten sie Ministern einen »Verschmutzungs-Apparat« auf. Dieser stieß schädliche Dämpfe aus, die der prognostizierten Luftqualität in 10 Jahren entsprachen.
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