»Sapperlot, da bringt mir der Migrant was über meine eigene Religion bei!«
Angst vor der Islamisierung des Abendlands? Kein Problem. Ruf einfach Ali Can an, den Asylbewerber deines Vertrauens – auf der »Hotline für besorgte Bürger«.
25. August 2017
– 9 Minuten
Manfred Esser
und brennende Flüchtlingsheime – im Alter von 22 Jahren bemerkt Ali Can, der im hessischen Gießen wohnt, dass er außer solchen Negativschlagzeilen nichts über die Menschen im Osten Deutschlands weiß. Gewalt und Pöbeleien gegen Geflüchtete in machen den Lehramtsstudenten für Deutsch und Ethik wütend und ratlos. »Alter, was ist denn mit diesen Ossis da los?«, fragen seine Freunde.
»Alter, was ist denn mit diesen Ossis da los?«
Doch anstatt mit in diese Hasstiraden gegen das »braune Pack« im Osten einzusteigen, begibt sich Ali Can auf die Reise nach Dresden, Bautzen, Leipzig und Hoyerswerda. Danach kommt ihm die Idee zur Hotline für besorgte Bürger, auf der er auch Anrufern zuhört, die die christlich-abendländische Kultur in Gefahr sehen. den Reisebericht aus Ostdeutschland und weitere Erfahrungen mit seiner Hotline hat er jetzt in einem Buch aufgeschrieben. Ich durfte schon vor der Veröffentlichung darin schmökern und Ali Can im Interview zu seiner Rolle als Asylbewerber Ihres Vertrauens löchern:
Ali, warum wolltest du denn wirklich wissen, was bei den »Ossis da los ist«, und bist nach Ostdeutschland gereist?
Ali Can:
Das Video aus Clausnitz hat mein Fass zum Überlaufen gebracht. Ich sah das weinende Kind im Bus, das sich an seine Mutter klammerte, weil draußen ein wütender Mob diesen Bus umzingelt hielt und rief: »Verpisst euch! Geht nach Hause!« … Diesen Brüllangriff konnte ich mir nicht erklären und dachte mir: Mensch, du musst wissen, was in solchen Leuten vorgeht und was sie zu so etwas bewegt. Ich kannte schon etliche Expertenberichte über der besorgten Bürger. Aber ich konnte aus keinem dieser Berichte ersehen, was ich als Einzelner dagegen tun kann. Abgesehen von einzelnen schlechten Erfahrungen habe ich in Leipzig fast nur interkulturell aufgeschlossene und weltoffene Menschen getroffen. Ich musste meine Schubladen im Kopf also dringend aufräumen.aus dem Buch »Hotline für besorgte Bürger«
In deinem Buch beschreibst du, wie du deshalb auf einer mit vielen Menschen ins Gespräch kommen wolltest. Hat das gut geklappt?
Ali Can:
Das war nicht so einfach. Ich legte mir gute Gesprächsöffner zurecht: das Wetter, das Dresdner Theater. Doch erst mit einem Schoko-Osterhasen kam ich so richtig ins Gespräch. Da fand ich heraus, dass es hilft, Süßigkeiten dabei zu haben, weil das die Situation automatisch auflockert. Das ist so, als ob ich mit dir Filme gucke und wir gemeinsam Chips und Popcorn knuspern. Viel gemütlicher. Süßigkeiten bringe ich jetzt immer mit, wenn ich mit Andersdenkenden rede.
Zu Weihnachten versuchte Ali Can, in Dresden mit Schoko-Weihnachtsfiguren ins Gespräch zu kommen. Und siehe da, auch das funktioniert. Sogar so gut, dass er am Ende
Auf deiner Reise hast du dann die Idee zur »Hotline für besorgte Bürger« entwickelt …
Ali Can:
Nicht ganz. Ich habe diese Reise gemacht und gemerkt, dass ich eigentlich öfter mit solchen Leuten reden müsste. Ich konnte aber nicht jedes Mal nach Dresden oder sonst wohin fahren. 2 Monate nach der Reise rief mich dann eine Dame aus Sachsen an, was mich total überraschte. Sie hatte die Nummer von auf der ich Seminare für kulturelle Vielfalt anbiete. Sie wollte mir einfach nur erzählen, dass sie einen Geflüchteten in echt getroffen hatte und dass diese Begegnung ganz nett war. Obwohl das für mich total banal klang, haben wir weiter miteinander telefoniert. Da merkte ich, irgendwie kann ich doch in Kontakt mit den besorgten Bürgern bleiben. Die Hotline ist das erste bundesweite Projekt, in dem niemand aufgrund seiner Meinung abgestempelt wird.
Bei Anruf Migrant
Worüber wollen die Anrufer mit dir sprechen?
Ali Can:
Islam. Darüber wollen die meisten sprechen. Manche kritisieren die Religion, andere kritisieren die Muslime selbst: Unterdrückung, Ehrenmord, der Vorwurf »Die sehen uns alle als Ungläubige«. Auch wird gesagt, dass islamische Werte nicht mit unseren Werten zusammenpassen. Das Buch habe ich extra so geschrieben, dass die Hauptthemen sichtbar werden: Angst vor der Islamisierung der deutschen Kultur, scheiternde Integration, die Forderung einer Obergrenze für Geflüchtete. Außerdem ist Sicherheit ein großes Thema und ganz allgemein die interkulturellen Herausforderungen im Umgang mit Geflüchteten, auch von Flüchtlingshelfern. Wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Unsere Wurzeln sind da, wo sie sind … Im christlichen Abendland. Deswegen bin ich gegen die Islamisierung.aus dem Buch »Hotline für besorgte Bürger«
Ein Anrufer aus Dresden findet, dass der Islam eine gewaltbereite Religion sei, weil der sogenannte Islamische Staat Sklaverei und das Töten von Ungläubigen mit dem Koran begründet. Warum schenken Menschen der Rhetorik von Terroristen so viel Glauben?
Ali Can:
Erstens: Terroranschlag oder Messerstecherei in Hamburg. Da sterben Menschen, das geht unter die Haut und rührt an den tiefsten Ängsten. Zweitens haben die meisten, die sich gegen die Flüchtlinge und gegen die Muslime aussprechen, keine muslimischen Freunde. Daran müssen wir arbeiten, damit die Leute sich nicht nur auf Rechtspopulisten und verzerrte Bilder und Berichte berufen.
Wie soll das funktionieren?:
Ali Can:
Sie brauchen Muslime des Vertrauens. Damit meine ich keine die auf Facebook und Youtube super beliebt sind. Damit bespaßen und pflegen sie nämlich nur ihre eigene Community. Muslime des Vertrauens – das heißt Menschen, die von besorgten Bürger direkt gefragt werden können: »Hey, du bist doch so ein Muselmann, mit dem kann ich mal so richtig Tacheles reden – du erzählst mir dann aber auch etwas von dir.« Diese Ebene braucht es, denn so können die Leute Insider-Informationen und fundiertes Wissen bekommen – und glauben nicht dem, was verkürzt und politisch instrumentalisiert auf Portalen wie herumschwirrt. Es muss erst Vertrauen entstehen, um dann nicht nur als Muslim oder Migrant, sondern als gleichwertiger Bürger wahrgenommen zu werden.
Du sagst »Muselmann« – der Anrufer aus Dresden nennt dich im Gespräch wie selbstverständlich »Ali Baba«, eine orientalische Märchenfigur. Findest du das nicht respektlos?
Ali Can:
Kennst du das, wenn AfDler, CSUler, Piraten oder Pegida-Leute sagen: Dieses Phänomen ist gar nicht so unwichtig. Wir lehnen Leute sehr oft schon wegen ihrer Wortwahl oder Sprache ab. Oder wir verunsichern sie, indem wir belehrend rüberkommen. Das ist nicht förderlich, auch wenn wir recht haben.
Natürlich würde ich nie selbst Muselmann sagen, das wäre Schwachsinn. Aber wenn ich schon während des Gesprächs wegen dieser Wortwahl ausrasten würde, wäre das super ineffektiv. Leute für Sprache zu sensibilisieren, braucht Zeit. Wenn jemand immer Flüchtling sagt und merkt, ich sage immer Geflüchteter, dann wird er schon irgendwann nachfragen, warum. Sapperlot, da bringt mir der Migrant was über meine eigene Religion bei!aus dem Buch »Hotline für besorgte Bürger«
Ich als geborene Ostdeutsche bin gestolpert, als ich das erste Mal den Namen deiner Hotline las. Für mich klingt der Begriff der »Besorgten Bürger« stark pauschalisierend. Davon willst du doch eigentlich weg?
Ali Can:
Auch viele Anrufer fragen mich das. Das zeigt, dass es diese Vorurteile und Pauschalisierungen gibt, sonst würde man ja nicht empfindlich darauf reagieren. Wenn auch du deine Assoziation einmal beiseitelässt und nur »Hotline für besorgte Bürger« hörst, dann kann es dir auch so ergehen wie einer Mutter, die anrief und dachte, ich sei eine Nummer gegen Kummer. Sie wollte mit mir über ihre pubertierende Tochter reden, die sich jetzt irgendeiner Punk-Clique angeschlossen hat.
Das zeigt: Besorgt sein ist ein ganz menschlicher Zustand, der hin und wieder auftaucht, wenn man eben überfordert ist, nicht weiterweiß oder bestimmte Entwicklungen kommen sieht, die einen verunsichern. Das kann jeden treffen und deshalb rufen bei mir auch Ehrenamtliche, Homosexuelle und Geflüchtete an. Wir müssen zulassen, dass es besorgte Bürger gibt. Es ist nämlich auch ein sehr produktiver Zustand, weil sich Menschen dann über etwas Gedanken machen und gewillt sind, sich damit weiter auseinanderzusetzen.
Was würdest du Menschen raten, die sich auch auf Dialoge mit besorgten Bürgern einlassen wollen? Gibt es Tipps und Tricks für die Gesprächsführung?
Ali Can:
Wir brauchen eine wertschätzende Kommunikation, die versucht, offen zu bleiben. Wir brauchen mehr Fragen als Antworten, damit mein Gegenüber Raum hat. Deutschland ist doch das Land der Dichter und Denker. Wenn nicht hier, wo sonst sollten wir bessere Gespräche führen können? Wertschätzend, offen, erörternd, sodass jeder etwas daraus mitnimmt, gerade weil wir auf Augenhöhe sprechen.
Was haben wir eigentlich geschafft?
Wäre es nicht die Aufgabe der Politik, das zu tun, was du gerade machst?
Ali Can:
Auch die Politik muss mehr Begegnungsstätten schaffen, in denen sich Einheimische und Zugezogene kennenlernen können. In meinem Buch habe ich dafür einen konstruktiven Vorschlag gemacht: Zum Beispiel sind Schulgebäude oft nur bis nachmittags belegt. Danach könnte man die Räume mit Tafeln und Tischen für Kennenlern-Kurse nutzen. Das sollte nicht für Geflüchtete angeboten werden, sondern auch für Menschen aus der Gastarbeitergeneration. Denn wir haben in der Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte viel verpasst.
Auf der anderen Seite gilt: Wenn Angela Merkel sagt: »Wir schaffen das!«, wäre es genauso wichtig, einmal zu reflektieren, was wir bisher bereits gemeinsam geschafft haben. Meine Eltern und ich kamen als Asylsuchende aus der Türkei nach Deutschland. Sie können nur gebrochen Deutsch und trotzdem haben sie sich integriert. Ich studiere jetzt, weil mich Menschen hier an die Hand genommen haben. Das geht vielen so und das haben wir gemeinsam erreicht. Auch das Engagement der vielen Freiwilligen seit dem Jahr 2015 müsste mehr politische Anerkennung finden und gefördert werden. Das sind ein paar Punkte, die ich wichtig finde.
Wenn du jetzt sofort etwas ändern könntest, was wäre das?
Ali Can:
Am liebsten den Weltfrieden herbeiführen, damit kein Mensch zu fliehen braucht – daran arbeitet ich. In Deutschland sollten wir den Blick sofort auf die Schule richten. Die Lehrerausbildung müsste sich jetzt schon verändern. Die Zuwanderung von Geflüchteten läuft seit ein paar Jahren, aber ich hatte in meiner ganzen Lehrerausbildung keinen Kurs, der damit zu tun hatte. Das ist alarmierend. Auch müssten wir Mittler und Brückenbauer bestens ausstatten, und dazu gehören Pädagogen und Sozialarbeiter, aber auch Beamte und Arbeitnehmer in Behörden.
Ein Supermigrant für die AfD
Ali, wie geht es für dich weiter?
Ali Can:
Ich fühle mich wie ein kleiner Schmetterling, der mal hierhin, mal dorthin flattert oder auch an einem Ort kurz verweilt. Ich weiß noch nicht, was aus mir werden soll. Ich habe etwas Aber tatsächlich würde ich gern interkultureller Friedensstifter bleiben. Meine Mission ist es, Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenzubringen und dabei Empathie und Wertschätzung für beide zu vermitteln. Ich biete nun Menschen an, dass sie mich einladen können, zu Veranstaltungen oder zu sich nach Hause – ich rede gerne. Aber es kommen auch immer wieder Freunde zu mir und sagen: Geh’ doch in die Politik! Das Problem ist nur: Ich kann mich irgendwie nicht auf eine Partei festlegen.
Dir wurde ja von einem AfD-Mitglied vorgeschlagen, in die AfD einzusteigen. Das wäre doch ein Anfang?
Ali Can:lacht Stimmt, wenn ich Lust hätte, könnte ich da als der Supermigrant durchstarten. Nee, aber das ist ja auch zum größten Teil nicht meine politische Linie, die die fahren.
Wie geht es mit deiner Hotline weiter – schaffst du es noch, alle Anrufe zu beantworten?
Ali Can:
Da ich oft wegen meines Buches unterwegs bin und mein Lehramtsstudium nächstes Jahr zu Ende bringen sollte, brauche ich Unterstützung. Eine junge Frau aus Gießen hat sich gemeldet und ich schule sie momentan, damit die Hotline ab dem 7. September wieder erreichbar ist. Es haben sich auch noch viele weitere junge Leute gemeldet, die mittelefonieren würden.
Wann und unter welcher Nummer kann ich euch dann erreichen?
Ali Can:
Kostenlos unter 0800 9090056, mittwochs und donnerstags von 18 bis 20 Uhr. Ruft einfach an oder gebt die Nummer weiter! falls ihr nicht durchkommt. Dann telefonieren wir ein anderes Mal.
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.