Wir entzaubern 5 »Onkel Erwin«-Mythen zum Bürgergeld
Das Bürgergeld soll Menschen in Deutschland das Existenzminimum sichern. Trotzdem sägen unterschiedliche Interessengruppen ständig daran. Die Argumente landen dann irgendwann beim Familienfest zwischen Grillwurst und Bier. Auch du kennst sicher einen Onkel Erwin. Was du ihm entgegnen kannst.
Kaum eine Woche vergeht ohne neue Spitzen gegen das Bürgergeld:
- Zuletzt kritisierten der Bundestagsabgeordnete
- Brandenburgs Ministerpräsident
- Wer nicht arbeiten will, soll auch keine Existenzminimum-Sicherung kriegen,
Bald wählen Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Man wanzt sich wohl an klassische Themen der in Teilen rechtsextremen AfD heran, könnte man jetzt sagen und dann wieder zur Tagesordnung übergehen.
Das Dilemma: Solche Aussagen landen schnell auf reichweitenstarken Nachrichtenwebsites. Das alles hinterlässt Spuren und sickert bis an die bundesdeutsche Basis. Am Ende steht eine Bestätigung dieser AfD-Themen als relevant.
Wir alle kennen sicher einen »Onkel Erwin« (Sorry an alle echten Erwins, ihr seid nicht persönlich gemeint!). Erwin sitzt auf der Familienfeier, nimmt sich ein Stück Zitronenrolle oder Grillfleisch und sagt kauend sowas wie: »Die Arbeitslosen kriegen eh zu viel Geld, haben sie letztens auch in den Nachrichten gesagt.« Manche nicken, stimmen lautstark zu, während andere dabeisitzen, nach Argumenten suchen, aber nur Gefühle finden.
Und so machen Sätze die Runde wie: »Die Ausländer schicken das ganze Geld zu ihren Familien und arbeiten nicht!«, »Die Sanktionen sind zu lasch!« oder »Die Ukrainer sind faul!«. In den Medien werden schließlich Umfragen lanciert und Stimmung produziert. Weil Politik oft auf Stimmungen reagiert, will die Ampelregierung
Deshalb möchte ich in diesem Text 5 Mythen rund um das Bürgergeld entzaubern. Damit du beim nächsten Familienfest Onkel Erwin mit Fakten antworten kannst. Klicke auf den Mythos, der bei euch ständig auf den Grill kommt, und los geht es!
1. »Das Bürgergeld ist zu hoch!«
Alle 5 Jahre ermittelt die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), wie viel Geld deutsche Haushalte wofür ausgeben. Für Haushalte mit wenig Einkommen erstellt das Statistische Bundesamt eine eigens angepasste Auswertung. Klar: Wer weniger Geld hat, muss einen viel größeren Anteil davon für seinen Grundbedarf wie Lebensmittel oder Hygieneprodukte ausgeben. Luxusartikel, Autos oder Urlaubsflüge spielen kaum eine Rolle. Weil das Bürgergeld aber jährlich angepasst wird und die EVS nur alle 5 Jahre neu erscheint, müssen die Jahre dazwischen mit einer Art Formel überbrückt werden. Und um diesen Punkt geht es Dürr.
Wie wird das Bürgergeld an die Inflation angepasst?
70% der jährlichen Anpassung gehen auf die Preisentwicklung zurück, 30% auf die Entwicklung der Gehälter (nach Steuern und Sozialabgaben). Dabei wird auch ein Teil in die Zukunft geschätzt. Das Argument von Dürr ist, dass dabei eine höhere Inflation angenommen wurde, als im Jahresverlauf wirklich zustande kam. Diese seiner Aussage nach überkompensierten 14–20 Euro pro Monat würden allerdings im kommenden Jahr bei der erneuten Anpassung eingerechnet. Darauf weist auch der Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hin.
Christian Dürr will mit einer Senkung des Bürgergelds nach eigenen Angaben 850 Millionen Euro einsparen. Sein Argument ist aber letztlich nur eine Variante von »Das Bürgergeld ist zu hoch«. Da werden schnell Neidreflexe getriggert und Vorurteile aktiviert.
Ist das Bürgergeld denn jetzt zu hoch?
2010 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Menschen in Deutschland haben das Recht auf ein »menschenwürdiges Existenzminimum«. Das muss also das Bürgergeld leisten. Näheres wird gesetzlich geregelt, und dieses Gesetz hat die Ampelregierung,
Ob die derzeit 563 Euro »zu viel« sind, ist demnach mehr eine ethisch-moralische Diskussion.
Wie viele Menschen in Deutschland in Armut leben, habe ich hier recherchiert:
Hier im Vorbeigehen 850 Millionen Euro sparen zu wollen, während der Staat seit 1997 laut der NGO Oxfam auf bis zu 400 Milliarden Euro aus der abgeschafften
Kurz und knapp: Die Berechnung der Bürgergelderhöhung verlief korrekt, hat die tatsächliche Inflation aber überkompensiert. Senken muss man es deswegen nicht, bei der Anpassung für 2025 wird entsprechend weniger erhöht. Das Bürgergeld muss laut Bundesverfassungsgericht ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten. Wie das geschieht, ist gesetzlich festgelegt. 2 Millionen Menschen müssen dennoch zusätzlich Essen bei den Tafeln holen, weil das Geld nicht reicht.
2. »Arbeiten lohnt sich nicht für alle!«
Christian Lindner sagte gerade erst in einem Bürgerdialog:
Doch die wenigsten dürften wissen, dass dies ein sehr altes Mantra ist, mit dem schon lange Politik gemacht wird. »Leistung muss sich wieder lohnen« war etwa schon bei Altkanzler Helmut Kohl (CDU) 1982 ein Slogan im
Hinter dieser Forderung nach »lohnender Arbeit« steckt aber meist dasselbe Ziel: Steuersenkungen bei mittleren und hohen Einkommen sowie die Absenkung der Sozialleistungen. Es ist eine Nebelkerze. Vor allem für Menschen, die einer gering bezahlten Arbeit nachgehen. Diese lohnt sich dann nur dadurch, dass sich Arbeitslosigkeit noch weniger lohnt.
Linkere Parteien möchten deswegen prinzipiell, dass der Mindestlohn erhöht wird. Derzeit liegt er bei 12,41 Euro pro Stunde. Linke, Grüne, SPD,
Aktuell nutzen FDP und CDU/CSU das Argument des »Lohnabstands«, um härtere Sanktionen und niedrigere Regelsätze beim Bürgergeld durchzusetzen.
Ja, ok, aber lohnt sich Arbeit denn jetzt oder nicht?
Zur Einführung des Bürgergelds gab es diese Diskussion schon einmal. Und sie gab es auch mit Hartz IV. Das ist auch kein Wunder. Denn Preise steigen jedes Jahr, auch ohne die heftige Teuerung der vergangenen Jahre. Diese Diskussion würde sich nur dann jemals beseitigen lassen, wenn Bürgergeld UND Mindestlohn immer zum gleichen Zeitpunkt im gleichen Maße der Inflation angepasst würden. Dann wäre nämlich der Abstand immer derselbe. Der Mindestlohn wird aber in der Mindestlohnkommission zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt, während das Bürgergeld nach den oben beschriebenen Maßstäben berechnet wird.
Rund um die Einführung des Bürgergelds kursierte eine fehlerhafte Berechnung des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW),
Und nach der Erhöhung 2024?
2024 stieg der Regelsatz für Singles von 502 auf 563 Euro. Jetzt lohnt sich Arbeit aber wirklich nicht mehr, oder?
Falsch, sagt das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung München (ifo).
Es wird deutlich, dass trotz der deutlichen Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld weiterhin ein spürbarer Lohnabstand besteht.
Die Forschenden empfehlen allerdings wegen des schrumpfenden Abstands eine Reform des Systems oder eine Erhöhung des Mindestlohns.
Der Mindestlohn ist der Schlüssel
Da der Bürgergeldregelsatz das geforderte menschenwürdige Existenzminimum abbilden soll, aber auch klar ist, dass es vielen Menschen nicht zum Leben reicht, liegt es nahe, den Mindestlohn zu erhöhen, statt das Bürgergeld abzusenken. Bei 15 Euro pro Stunde statt der bisherigen 12,41 Euro wäre der Abstand zum Bürgergeld ziemlich deutlich. Zudem könnte damit der Mindestlohn Menschen helfen, die derzeit arm sind, obwohl sie arbeiten. Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) arbeiteten Ende 2023 rund 20% der
Auch wenn in Deutschland die Mindestlohnkommission für Erhöhungen zuständig ist, könnte die Bundesregierung im Bundestag eine Anhebung an der Kommission vorbei organisieren. Bei der Erhöhung auf 12 Euro ist genau das geschehen.
Kurz und knapp: Arbeiten lohnt sich, sagen auch alle Berechnungen. Wer irgendwas zum Mindestlohn arbeitet, hat immer mehr als jemand, der nicht arbeitet – aber nicht immer genug, um gut leben zu können. Ein höherer Mindestlohn könnte also dabei helfen, mehr positive Arbeitsanreize zu schaffen.
3. »Es braucht härtere Sanktionen, damit auch mehr Bürgergeldempfänger arbeiten gehen!«
Im Vergleich zu Hartz IV sind die Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld geringer. Ein Monat lang 10% bei Terminversäumnissen, 20% bei wiederholten Versäumnissen für bis zu 3 Monate. Vor der Bürgergeldeinführung gab es sogar einen Sanktionsstopp.
Die Frage, ob Sanktionen angemessen sind und in welcher Höhe, ist nicht neu. 2019 musste das Bundesverfassungsgericht darüber urteilen, wie hoch zu hoch ist. Das Ergebnis: Mehr als 30% Kürzung des Regelsatzes ist zu viel. Wenn 100% das menschenwürdige Existenzminimum darstellen sollen, dann sind 30% eine deutliche Unterschreitung.
Bisher hat das Bürgergeld also mit leichteren Sanktionen gearbeitet als Hartz IV. Doch nun plant die Ampel einige Regelverschärfungen.
Es sollen längere Pendelzeiten zumutbar sein, bei Vollzeitstellen bis zu 3 Stunden pro Tag. Wer künftig zumutbare Arbeit ablehnt, muss mit einer 30%-Sanktion von bis zu 3 Monaten rechnen. Vorhandenes Vermögen muss schon nach 6 Monaten statt wie bisher nach 12 Monaten angetastet werden. Das alles soll Menschen schneller in Arbeit bringen – vor allem um Geld zu sparen. Denn das Bürgergeld ist deutlich teurer geworden als gedacht und Bundesfinanzminister Christian Lindner will an der Schuldenbremse festhalten, gleichzeitig aber auch Wohlhabende nicht höher besteuern.
Bewirken Sanktionen denn etwas?
Studien zu der Frage, ob Sanktionen die Arbeitsaufnahme beschleunigen, ergeben: Ja, aber … Einerseits können Sanktionen und auch schon die konkrete Aussicht auf Sanktionen Menschen schneller in Arbeit bringen. Aber: Arbeit, die unter Sanktionsdruck angenommen wird, ist weniger nachhaltig und kann sich negativ auf die Arbeitsqualität auswirken. Andererseits führen mildere Sanktionen dazu, dass weniger Menschen Arbeit annehmen. Sprich: Menschen kommen mit Sanktionsdruck schneller in Jobs,
Oft argumentieren Politiker:innen wie CDU-Generalsekretär Linnemann mit den sogenannten »Totalverweigerern«, die man bestrafen müsse, indem man ihnen das Bürgergeld komplett streiche. Dabei geht es mehr um gefühlte Gerechtigkeit und Populismus: Knapp 16.000 Menschen zählen zu dieser Gruppe, bei etwa 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger:innen. Insgesamt kommen weniger als 3% mit Sanktionen in Berührung.
Kurz und knapp: Es stimmt, Sanktionen bringen Menschen schneller in Arbeit. Aber diese Arbeit ist oft unter dem eigentlichen Qualifikationsniveau und schlechter bezahlt. Schlimmstenfalls entzieht man dem Arbeitsmarkt eine Fachkraft, die eigentlich gebraucht würde, und schickt Menschen in einen dauerhaften finanziellen Abstieg. Die Ampel handelt gerade eher populistisch.
4. »Ausländer bekommen zu viel Geld!«
Dieser Mythos kommt so pauschal und populistisch daher, wie er in Wahrheit klingt – und nicht nur auf Grillabenden mit dem Onkel. Auch hier wird eher ein vages Gefühl bespielt. Kostprobe gefällig?
Das Argument dahinter: Fast jeder zweite Bürgergeldbeziehende sei nicht deutsche:r Staatsbürger:in und das habe mit der Arbeitsmotivation der Menschen ohne deutschen Pass zu tun. Die Zahl an sich stimmt, der Rest weniger. Laut den aktuellen Daten (April 2024) beziehen gut 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld, darunter rund 2,89 Millionen Deutsche und rund 2,65 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Die meisten ausländischen Bezieher:innen stammen aus der Ukraine (721.155), danach kommen Syrer:innen (515.970). Beides sind Länder, aus denen in den letzten Jahren wegen der Kriege vor Ort viele Menschen nach Deutschland gekommen sind. Da die insgesamt rund 1,2 Millionen Ukrainer:innen, die bisher nach Deutschland gekommen sind, nicht durch den Asylprozess müssen, bekommen sie auch sofort Bürgergeld. Aber: Die Arbeitsmarktintegration kostet Zeit und hat laut Forschenden eben nicht nur mit dem Arbeitswillen der Menschen zu tun. Gründe sind auch die Sprachbarriere und bürokratische Hürden, die Probleme bereiten.
Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung zeigte etwa, dass Geflüchtete immer besser im Arbeitsmarkt ankommen, je länger sie in Deutschland leben. So erreichen männliche Geflüchtete 8 Jahre und mehr nach ihrer Ankunft höhere
Wie viel Geld bekommen Asylbewerber:innen?
Alexander Dobrindt, der Mann für Onkel-Erwin-Forderungen der CSU, verlangte kürzlich ein »Zwei-Klassen-System« für Deutsche und Geflüchtete. Das gibt es aber längst. Bürgergeld steht allen hilfsbedürftigen Menschen zu, die arbeitsfähig sind und ihren Wohnort in Deutschland haben. Wer Asyl beantragt hat und noch auf Gewährung oder Ablehnung wartet, bekommt kein Bürgergeld, sondern »Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz«. Hierfür muss auch sämtliches Vermögen der Asylsuchenden vorher aufgebraucht sein. Singles erhalten monatlich 460 Euro, im Bürgergeldregelsatz sind es 563 Euro. Paare erhalten 826 Euro, im Bürgergeld 1012 Euro. Das ist weniger als das Existenzminimum, welches das Bürgergeld sichern soll. Geld bekommen die Asylsuchenden laut Mediendienst Integration häufig erst,
Dass Alexander Dobrindt das nicht weiß, ist kaum vorstellbar. Viel eher scheint es darum zu gehen, die aktuellen Grenzen zwischen den Leistungen Bürgergeld und denen für Asylbewerber:innen zu verwischen. Im Ergebnis kommt bei den Familiengrillfesten dann dieses Gefühl an: Ausländer bekommen genauso viel wie Deutsche. Auf dieses Gefühl zielte wohl auch Friedrich Merz ab, als er davon sprach, dass sich
Warum gibt es für Asylbewerber:innen auf einmal eine Bezahlkarte?
Zuletzt hat die Bundesregierung die Einführung einer Bezahlkarte ermöglicht. Gedacht ist, dass die Kommunen das monatliche Geld für Asylbewerber:innen darauf überweisen und diese Karten etwa für Zahlungen im Supermarkt genutzt werden können. Fakt ist jedenfalls: Der Einführung ging eine längere Kampagne um Geldüberweisungen ins Ausland und eine Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit voraus.
Bisher können nur anerkannte Flüchtlinge ganz normal arbeiten. Ist über den Antrag noch nicht entschieden, bestehen unbequeme Hürden: In den ersten 3 Monaten dürfen sie gar nicht arbeiten und danach muss der künftige Arbeitgeber eine Genehmigung der Ausländerbehörde einholen, die wiederum die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit einholen muss.
Und was ist mit Bürgergeld für Ukrainer:innen?
Brandenburgs Ministerpräsident Woidke (SPD) fragte nun in einem Interview, ob das Bürgergeld für Ukrainer:innen überhaupt noch zeitgerecht sei. Was wäre denn die Alternative? Ukrainer:innen müssten künftig normal Asyl beantragen und über die Erstaufnahmeeinrichtungen nach Deutschland kommen. Das würde tatsächlich so lange die Differenz zum Bürgergeld einsparen, wie es dauert, das Asylverfahren durchzuführen. Vielleicht würde der Staat sogar mehr sparen, weil sie zunächst ihr eigenes Vermögen verbrauchen müssten. Allerdings gäbe es einen ziemlichen Mehraufwand. Und die Zeit, bis Ukrainer:innen arbeiten dürften, würde sich verlängern. Am Ende würde dasselbe Ergebnis stehen. Denn nach der Anerkennung des Asylstatus stünde ihnen trotzdem Bürgergeld zu.
Kurz und knapp: Asylsuchende bekommen weniger Geld als Deutsche und auch als ausländische Menschen mit Aufenthaltserlaubnis. Wie hoch das ausfällt, ist gesetzlich geregelt. Beim Bürgergeld wie beim Geld für Asylsuchende versuchen Politiker:innen deswegen gern, den Bezug möglichst unbequem zu machen. Betroffene beklagen eine damit verbundene Stigmatisierung.
5. »Ukrainer wollen nicht arbeiten, machen es sich gemütlich und das Bürgergeld hat Schuld!«
CSU-Politiker Alexander Dobrindt hat vor Kurzem gefordert, arbeitslose Ukrainer:innen sollten in sichere Gebiete der Westukraine abgeschoben werden. Aber diese sicheren Gebiete gibt es nicht, darauf weist etwa das
Aber wie verhält es sich jetzt mit dem Bürgergeld und der Arbeit? Der CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger schrieb auf X: »Insbesondere wegen des Bürgergelds sind so viele Ukrainer bei uns.« Ein Blick nach Polen lässt das Argument bröckeln. Dort bekommen geflüchtete Ukrainer:innen 69 Euro Startgeld und 120 Tage kostenlose Unterbringung in einer öffentlichen Einrichtung.
In Polen leben
Worum es eigentlich geht, ist die Erwerbsquote ukrainischer Geflüchteter in Deutschland: Viele sind der Meinung, dass zu wenige Ukrainer:innen arbeiten. In Deutschland tun dies laut
Arbeit zuerst? Oder doch Sprache?
Polen und die Niederlande setzen darauf, die Menschen möglichst schnell in Arbeit zu bringen – auch zu dem Preis, dass sie dann im Niedriglohnsektor zu schlechten Bedingungen arbeiten. In Deutschland kamen sehr viele Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung an, darunter Fachleute aus dem Gesundheits- und Erziehungsbereich. Menschen, die dringend gebraucht werden. Diese wollte man entsprechend einsetzen und nicht etwa in ungelernte Tätigkeiten zwingen.
Ähnlich wie auch beim Bürgergeld für Deutsche geht es darum, die vorhandenen Qualifikationen zu nutzen. Weil die Geflüchteten keine Arbeitsmigrant:innen sind, müssen sie zunächst Deutsch lernen und ihre Qualifikationen anerkennen lassen.
Wollen wir Fachkräfte oder einfach Arbeitskräfte?
Die Amtsmühlen mahlen langsam und die Menge an Sprachkursen muss auch erst mal bereitstehen. Außerdem ist die Kinderbetreuung ein Engpass:
Es wird schnell klar: Die Lage ist deutlich komplizierter, als es die zu Punchlines zugespitzten Statements von Politiker:innen und Kommentator:innen in den Medien oft erscheinen lassen. Am Ende steht die Frage: Will man kurzfristig Geld sparen oder langfristig einen Weg verfolgen, von dem alle profitieren können, der aber erst mal schwieriger ist? Sicher hängt das auch von der Einschätzung ab, wie lange die Menschen im Land bleiben möchten. Da allerdings qualifizierte ausländische Fachkräfte Deutschland nicht gerade die Bude einrennen, läge es im eigenen Interesse, um diejenigen zu werben, die schon da sind.
Kurz und knapp: Die Bundesregierung wollte die Fachkenntnisse der Ukrainer:innen für den deutschen Arbeitsmarkt nutzbar machen. Deswegen setzten sie auf Sprachkurse und die Anerkennung der Berufsabschlüsse. Beides dauert allerdings wegen der schieren Menge sehr lange. Der Job-Turbo soll nun mehr Menschen direkt in Arbeit vermitteln. 15% der Geflüchteten aus der Ukraine sind alleinerziehende Frauen mit Kindern. Knappe Kinderbetreuung erschwert es Müttern, arbeiten zu gehen.
Du hast sicher gemerkt: Es gibt einen Grund dafür, dass dir die gewünschten Gegenargumente und Fakten für Onkel Erwin erst immer im Bus nach Hause einfallen. Die Antworten erfordern manchmal, dass man etwas weiter ausholt oder verschiedene Perspektiven betrachtet und einbezieht. Manchmal lohnt sich ein Blick darauf, was Menschen mit einer bestimmten Maßnahme erreichen möchten, um zu entscheiden, ob sie sinnvoll ist oder nicht. Und vor allem ist es eben selten einfach schwarz oder weiß, wie manche Politiker, Medien oder Onkel einem weismachen wollen. Die Wahrheit ist oft grau.
Wenn du wissen möchtest, wie eine Welt aussehen könnte, in der es keine Sanktionen gibt, sondern ein Recht auf Arbeit und Angebote, schau mal in diesen Artikel von mir. In Österreich haben Wissenschaftler der Universität Oxford genau das getestet:
In einer früheren Version fehlte der Hinweis, dass Sanktionen dazu führen, dass Menschen die angenommene Arbeit shcneler wieder verlassen. Dies habe ich nachträglich ergänzt.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily