Deutschland verfällt in Terroraktionismus. Solingen zeigt, wie es besser geht
Während die Politik populistisch nach Maßnahmen ruft, wünscht sich die Stadt selbst Ruhe für Trauer. Damit kann sie ein Vorbild für ganz Deutschland sein.
Ich erfuhr am frühen Samstagmorgen von der Tat in Solingen, direkt nach dem Aufstehen.
Am späten Freitagabend hatte ein zu diesem Zeitpunkt noch unbekannter Täter auf einem Stadtfest in der Solinger Innenstadt 3 Menschen getötet und 8 weitere verletzt. Der Mann entkam zunächst unerkannt.
Mein Bruder hatte die Nachricht in der Familienchatgruppe geteilt. Der Fronhof in Solingen, wo es passierte, liegt gut 7 Kilometer Luftlinie von meinem Zuhause in Wuppertal entfernt. Freunde und Verwandte von mir wohnen in der Stadt. Ihnen geht es gut. Zum Glück. Meine Gedanken begannen schnell, in alle möglichen Richtungen zu wandern. Ich denke an die Landtagswahlen, die bald anstehen, und an die mediale Debatte, die nun losbrechen wird. Daran, wie politische Akteure versuchen werden, die Tat für ihre Agenda zu nutzen.
Die Situation in Solingen wird an dem Wochenende schnell unübersichtlich. Es gibt viele Gerüchte, einen flüchtigen anonymen Täter, dem »arabisches Aussehen« nachgesagt wird, und 3 Tote. »Deutsche, Thüringer, wollt ihr Euch wirklich an diese Zustände gewöhnen? Befreit Euch, beendet endlich den Irrweg der erzwungenen Multikulturalisierung! Schützt eure Kinder!«, schrieb der Spitzenkandidat der Thüringer AfD, Björn Höcke, noch am Freitagabend nur Stunden nach der Tat beim Kurznachrichtendienst X. Bevor irgendetwas klar ist, beginnt er, auf dem Rücken der Opfer Kapital aus dem Gefühl der Unsicherheit zu schlagen.
Was fühle ich? Ich bin wütend. Auf den Täter, auf das, was er in Solingen angerichtet hat, aber ich habe auch Angst. Angst davor, was jetzt kommen wird.
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