Das sind die 9 wirksamsten Hebel für deinen persönlichen Klimaschutzplan
Verliere dich nicht im Klein-Klein: Mit diesen Schritten kannst du deinen Klimafußabdruck halbieren.
Soll ich die Bambus-Zahnbürste kaufen oder doch lieber die langlebigere elektrische Plastikvariante? Sind Getränke aus Glas- oder recycelbaren Plastikflaschen umweltfreundlicher? Welche Marken für nachhaltige Kleidung gibt es? Und welchen Öko- und Tierschutzsiegeln kann ich vertrauen?
Doch es gibt Berufe – wie etwa Ärzt:innen –, bei denen Menschen viele Entscheidungen treffen müssen. Untersuchungen zeigen, dass diese Verantwortung ermüdet und dazu führt, dass wir am Ende eher irrationale Entscheidungen treffen.
Das Konzept der Entscheidungsmüdigkeit ist allerdings umstritten, da es vor allem im professionellen Kontext viele Faktoren gibt, die zu einer geistigen Ermüdung führen können, und nicht alle Forschenden davon ausgehen, dass die menschliche Entscheidungsfähigkeit eine begrenzte Ressource ist. Fest steht jedoch: Komplexe Entscheidungen zu treffen, ist anstrengend und braucht Zeit. Zeit, die viele im Alltag vor dem Supermarktregal mit einer großen Auswahl von verschiedensten Zahnbürsten nicht haben.
Aktuell sind viele Menschen von Nachhaltigkeitsentscheidungen überfordert. Wenn ich jedes Mal überlege, welches Produkt ich nun überhaupt noch kaufen kann oder welche Verhaltensweisen in meinem Alltag nachhaltiger sind, kann es passieren, dass ich an meine Erschöpfungsgrenze stoße und das Gefühl habe, trotz meines Bemühens doch kaum etwas verändern zu können.
Anika Weinsdörfer weiß, wie leicht es ist, sich beim Bestreben, klimafreundlicher zu leben, im Kleinteiligen zu verlieren. Die Psychologin arbeitet für den gemeinnützigen Verein »3 fürs Klima«.
Und so funktioniert es.
Vorwort: Kenne deine Grenzen
Bevor wir mit den besten Klimaschutzmaßnahmen durchstarten, noch ein paar Daten zur Einordnung: In Deutschland verursacht jeder Mensch durchschnittlich 10,3 Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) pro Jahr. Es gibt verschiedene Treibhausgase mit unterschiedlichen Eigenschaften, manche wärmen die Atmosphäre schneller auf als andere. So ist Methan etwa klimaschädlicher als Kohlenstoffdioxid. Um ihre Auswirkungen auf das Klima vergleichbar zu machen, werden sie alle in CO2e pro Jahr umgerechnet. Die meisten Emissionen verursachen wir mit unserem Konsum und der Art und Weise, wie wir wohnen.
»Die 10,3 Tonnen sind wirklich nur ein
Global gesehen wäre ein Pro-Kopf-Ausstoß von unter einer Tonne pro Jahr klimaverträglich. Für Menschen, die in einem Industrieland leben, ist das allerdings unter den aktuellen Bedingungen nicht möglich. Selbst obdachlose Menschen können diesen Wert nicht erreichen. Denn in Deutschland entfallen allein 1,2 Tonnen CO2e auf jede:n von uns für
Dieser sogenannte »Grundstock« ist momentan rein rechnerisch die harte Grenze aller individuellen Reduzierungsbemühungen. Die reale Grenze liegt jedoch häufig bei rund 5 Tonnen CO2e. Das zeigt die Analyse individueller Bilanzen mithilfe des CO2-Rechners des Umweltbundesamtes, so Weinsdörfer. So weit können Menschen in Deutschland unter den richtigen Umständen ihren CO2-Fußabdruck verkleinern, ohne zu große Einschnitte in ihrer Lebensqualität machen zu müssen.
Für größere Einsparungen braucht es allerdings auch größere Veränderungen: Dein Heizen, Strom und die Mobilität müssten vollkommen auf Ökostrom basieren, deine Ernährung möglichst ohne tierische Produkte auskommen und du müsstest deinen sonstigen Konsum stark reduzieren und viele Kleinigkeiten optimieren. Spätestens hier wirst du auf strukturelle Grenzen stoßen.
1. Schritt: Errechne deine CO2-Bilanz
Wer mithilfe des Onlinetools von KliX³ seinen eigenen Klimaplan erstellt, muss zuerst den eigenen CO2-Fußabdruck berechnen (der Rechner basiert auf dem des Umweltbundesamtes). Dabei werden die Emissionen aus den Bereichen Wohnen und Strom, Mobilität, Ernährung und sonstiger Konsum erfragt. Wohnst du in einem Ein- oder Mehrfamilienhaus? Mit wie vielen Menschen? Wie heizt du? Wie oft fährst du mit dem Auto oder steigst in ein Flugzeug? Achtest du auf saisonale Produkte beim Einkaufen? Kompensierst du deine CO2-Emissionen? Je detailreicher du antwortest, desto genauer wird die Berechnung.
So eine Reflexion ist gut, denn nicht selten haben Menschen ein verzerrtes Bild davon, wie viele Emissionen ihr Lebensstil verursacht und mit welchen Maßnahmen sie diese reduzieren können.
2. Schritt: Mache einen Anfang
Ist die eigene Klimabilanz berechnet, geht es an den Klimaplan. »Zuerst schlagen wir Menschen schnell umsetzbare Lösungen vor, wie zum Beispiel beim nächsten Einkauf zu torffreier Blumenerde zu greifen, Carsharing auszuprobieren, die Auflösung beim Schauen von Videos auf dem Handy oder Laptop herunterzustellen oder im kommenden Monat 3-mal vegetarisch zu kochen«, sagt die Psychologin. Diese kleinen Klimahebel würden zwar noch nicht allzu viel an der persönlichen CO2-Bilanz ändern, könnten aber den Blick für größere Zusammenhänge schärfen und für erste Erfolgserlebnisse auf dem Weg zu mehr Klimaschutz sorgen.
Denn gerade zu Beginn und zwischendrin immer mal wieder leicht umsetzbare Klimamaßnahmen einzustreuen, ist laut Weinsdörfer psychologisch sinnvoll: Auch wenn es in der Realität nicht den größten Unterschied macht, erfahren Menschen so ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Das motiviert.
Für Menschen, die gern mehr erfahren möchten, gibt es für die meisten Vorschläge weiterführende Links – wie etwa eine kurze Liste von Nachhaltigkeitssiegeln für Kleidung –, die Entscheidungsmüdigkeit vorbeugen können.
Dein Fokus sollte jedoch besonders auf dem nächsten Schritt liegen: deine größten Klimahebel ausfindig zu machen. Diese haben weitaus mehr Einfluss als die Entscheidung für eine Zahnbürste.
3. Schritt: Finde deine größten Klimahebel
Die größten individuellen Klimahebel, auch Big Points genannt, auf die sich das Projekt konzentriert, sind gleich 2-fach sinnvoll: fürs Klima und die eigene Psyche.
Das Schöne ist, dass die meisten Big Points nur eine Entscheidung benötigen. Zum Beispiel der Umstieg auf Ökostrom. Du musst dir nur einmal die Arbeit machen, sobald du gewechselt hast, beschäftigt dich das Thema nicht mehr im Alltag.
Weinsdörfer empfiehlt 8 wirksame Klimaschutzmaßnahmen, auf die du dich konzentrieren kannst, ohne dich in kleinen Alltagsentscheidungen zu verlieren. (Spoiler: Wir verraten dir noch eine neunte.) Die Einsparungen, die durch sie erreicht werden können, orientieren sich am durchschnittlichen CO2-Fußabdruck und Konsum in Deutschland. Die realen Werte variieren jedoch stark und der Emissionsverbrauch ist ungleich verteilt. Der CO2-Fußabdruck wird mit steigendem Einkommen und Konsum schnell erheblich größer. Je nach deiner Lebensrealität können einzelne Maßnahmen für dich sinnvoller sein als andere.
Zusammen vermögen es diese 8 Maßnahmen, die durchschnittliche CO2-Bilanz einer in Deutschland lebenden Person zu halbieren:
- Sparduschkopf installieren: »Das ist eine der einfachsten und am meisten unterschätzten Maßnahmen«, sagt Anika Weinsdörfer. Er könnte die Wassermenge, die beim Duschen pro Minute verbraucht wird, nahezu halbieren – auf 6–8 Liter Wasser pro Minute. Dadurch könnten Menschen Wasserkosten von über 100 Euro und je nach Anzahl der Mitbewohnenden ab 0,2 Tonnen CO2e pro Jahr sparen.
- Flüge ersetzen: Muss es jedes Jahr eine Flugreise sein? Oder kommst du auch mit anderen Transportmitteln an dein Ziel? Weniger bzw. überhaupt nicht zu fliegen, ist wohl einer der bekanntesten individuellen Klimahebel. Denn im Durchschnitt verursacht eine Person eine halbe Tonne CO2e pro Jahr.
- Wohnraum dämmen und bewusster heizen: »Das ist ein großer Hebel, bei dem sich Mieter:innen oft ohnmächtig fühlen«, sagt Weinsdörfer. »Tatsächlich können aber auch sie etwas tun. Etwa, das Gespräch mit ihrem Vermieter oder ihrer Vermieterin suchen und vielleicht sogar gemeinsam Anbieter für die energetische Sanierung suchen oder ein Finanzierungsmodell aushandeln.« Ein gut gedämmter Wohnraum kann tonnenweise CO2e pro Kopf und Jahr einsparen. Die Psychologin weist darauf hin: Momentan fördert das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eine Energieberatung für Wohngebäude, bei der ein professioneller Sanierungsplan inklusive Kosten und Einsparpotenzialen erarbeitet wird – die Eigenbeteiligung liegt bei 300–900 Euro.
Doch auch wenn Mietende kaum Einfluss darauf haben, wie ihre 4 Wände gedämmt sind und womit geheizt wird, können sie darauf achten: im Winter nur die Wohnräume heizen, nicht gleichzeitig heizen und lüften, Zugluftstopper unter Türschlitze legen und eine dünne Isolationsschicht hinter Heizkörper anbringen, welche den Wärmeverlust über die Außenwand verhindert. - Pflanzenbasierter ernähren: Ein weiterer Klassiker, mit dem sich der CO2-Fußabdruck durchschnittlich ebenfalls um rund eine halbe Tonne reduzieren lässt, ist eine
- Zu Ökostrom wechseln: Wer sich einmal entscheidet, grünen Strom zu beziehen, kann ebenfalls bis zu eine halbe Tonne CO2e sparen. Das Grüner-Strom-Label und das ok-power-Siegel bieten laut den Forschenden eine gute Orientierung. Es lohnt sich also, deinen Stromanbieter zu checken und gegebenenfalls zu wechseln.
Wer Platz hat und es sich leisten kann, kann sich Fotovoltaikmodule aufs Dach packen, um einen Teil seines eigenen Stromverbrauchs zu decken. - Weniger Verbrenner fahren: »Das Autofahren ist genauso wie die Ernährung ein emotional aufgeladenes Thema«, sagt Weinsdörfer. Den Forschenden ist klar: Nur die wenigsten Menschen könnten von heute auf morgen ihren Verbrenner durch ein E-Auto oder ein Lastenfahrrad ersetzen. Solche Anschaffungen seien eine Kostenfrage und es fehlten gut ausgebaute ÖPNV-Verbindungen und Radwege.
Doch Menschen könnten schauen, ob ein E-Auto ins eigene Leben passe, wenn das Alte ersetzt werden müsse. Außerdem könnten sie Carsharing ausprobieren, innerhalb der Familie, doch am besten mit einem professionellen Anbieter, damit sich die Strukturen weiter etablieren könnten. Insbesondere für Anwohner:innen städtischer Räume blieben öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad jedoch die besten Alternativen. Wer auf eine nachhaltigere Mobilität achte, könne durchschnittlich eine ganze Tonnen CO2e verhindern. - Bewusster konsumieren: Mit 2 Tonnen CO2e liegt unser größtes Einsparpotenzial im Bereich »sonstiger Konsum«. Der Bereich ist sehr groß, doch gibt es eine Faustregel, die auf alles zutrifft: Weniger kaufen, weniger konsumieren, mehr reparieren. Auch das bedeutet nicht, dass du auf alles verzichten und dir bei jeder Kaufentscheidung die gesamte Lieferkette und alle Fallstricke vor Augen führen musst – das ist nicht stemmbar. Doch gerade bei größeren und besonderen Anschaffungen wie einer neuen (oder gebrauchten) Waschmaschine, einem Kühlschrank, einem E-Bike, Laptop oder Smartphone lohnt es sich, einen Blick darauf zu haben und auf energieeffiziente und langlebige Produkte zu setzen.
- Geld anlegen und investieren: Es gibt noch einen achten Punkt, der nicht im durchschnittlichen deutschen CO2-Fußabdruck erfasst wurde: unsere Finanzen. Wo wir Geld anlegen und in was wir investieren, hat große, aber nur schwer auf das Individuum zurückführbare Auswirkungen auf das Klima. Selbst die Entscheidung, bei welcher Bank wir unser Girokonto anlegen, hat einen Einfluss. Geld liegt nicht nur im digitalen Tresor, Banken arbeiten damit, sie investieren es in Unternehmen und Projekte.
Es ist spannend zu sehen, dass man gar nicht das ganze Leben total umkrempeln muss, um nachhaltiger zu leben. Mit einer überschaubaren Anzahl von Maßnahmen lässt sich viel verändern. Manche lassen sich sofort umsetzen, bei anderen muss man auf das richtige Gelegenheitsfenster warten. Das ist das Tolle an dem Klimaplan: Er gibt uns eine langfristige Perspektive. Die brauchen wir, denn wie Städte und Kommunen auch brauchen Menschen Zeit, um sich umzustellen.
4. Schritt: Rede darüber!
Es gibt noch einen neunten Hebel, den wir der Liste hinzufügen können: Reden. Denn wir können nicht nur unseren eigenen CO2-Fußabdruck verkleinern, sondern haben auch Einfluss auf den von anderen. Erzähle, wie du Wasser und Strom sparst, an welche nachhaltige Organisation du spendest, ob du deine CO2-Emissionen kompensierst, an welchen Nachhaltigkeitsinitiativen du dich beteiligst, ob du Carsharing ausprobieren magst oder über ein Balkonkraftwerk nachdenkst. Teile die Hürden, auf die du triffst, und sprich darüber, wie es dir gelingt, sie aus dem Weg zu räumen. Und zwar am besten mit allen – mit deiner Familie, Freund:innen, Kolleg:innen, Nachbarn in der Schlange beim Bäcker, deinem Gegenüber beim Kennenlernplausch im Fitnesskurs, der Zahnärztin oder dem Fahrradmechaniker.
Die Menschen sprechen beim Small Talk gerne über das Wetter. Das ist immer ein guter Aufhänger, um auch mal bewusst die Klimakrise zu adressieren. Ich war selbst überrascht, wie gut das geht und was für spannende Gespräche dabei entstehen, zum Beispiel mit dem Postboten. Es zeigt mir immer wieder, dass ich mit meinen Sorgen nicht alleine bin und viele Menschen sich über die gleichen Themen Gedanken machen – auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt.
Die Auswirkungen davon sind vielleicht nicht direkt messbar, doch sie sind da und nicht zu unterschätzen. Denn gerade im sozialen Miteinander haben die Themen, über die wir reden, und die Art und Weise, wie wir über sie reden, einen großen Einfluss auf uns. »Das Reden schafft Realität«, sagt Weinsdörfer. Im Forschungsprojekt fallen solche Maßnahmen in das Konzept des Handabdrucks, worauf das Projekt im Anschluss an die Big Points eingeht.
Anders als der Fußabdruck bezieht sich der Handabdruck nicht darauf, was für einen Schaden ein Individuum anrichtet, sondern wie es Teil der Lösung sein kann und gesamtgesellschaftlich etwas bewegen kann. Der Handabdruck ist so gesehen die Brücke zwischen der oft suggerierten Lücke zwischen individuellen und systemischen Klimaschutzbestrebungen.
Und das Schöne: Viele Handabdruckmaßnahmen wie das Reden brauchen keinen langen Vorlauf, kosten kein Geld und wenig Entscheidungskraft. Sie sind sofort umsetzbar und sorgen erneut für ein Gefühl der Selbstwirksamkeit.
Du willst mehr über den Klimahandabdruck erfahren? In diesem Artikel stellt ihn Maria Stich vor:
Was du nicht im Alltag reduzieren kannst, rät das Forschungsprojekt durch einen sinnvollen »Spendenabdruck« zu kompensieren. KliX³ ist im März gestartet und läuft vorerst bis 2026, bei ausreichender Finanzierung bis 2030.
Die Projektpartner arbeiten hauptsächlich mit Städten und Gemeinden zusammen, damit möglichst viele Menschen teilnehmen und ihren eigenen Klimaplan erarbeiten. Doch auch Einzelpersonen können sich anmelden und bundesweit daran teilnehmen. Wichtig ist, mindestens ein Jahr dabei zu sein, also 2-mal den CO2-Rechner auszufüllen – zu Beginn und ein Jahr später. Damit die Forschenden die Datensätze miteinander vergleichen können. Zusammen mit den Teilnehmenden wollen die Forschenden herausfinden, wie gut der 3-Klang aus Fuß-, Hand- und Spendenabdruck auf Menschen wirkt und ob er sie in ihrer individuellen Klimaschutzwirkung bestärken kann.
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