Nach AfD-Erfolgen: 5 Ideen, wie sich die demokratische Mehrheit jetzt wehren kann
Erstmals ist die rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Bundesland geworden. Was du jetzt tun kannst – von radikaler Selbstkritik bis hin zu Kämpfen gegen Stammtischparolen.
Ganz ehrlich: Überrascht haben mich die Wahlerfolge der AfD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nicht. Vielmehr glaube ich, dass das nur der Anfang ist.
Und das sage ich nicht, weil ich zynisch bin.
Sondern weil ich seit fast 10 Jahren in den Niederlanden lebe und miterlebt habe, dass eine rechtsradikale Partei – hier bei uns die PVV von Geert Wilders – tatsächlich in die Regierung vordringen kann. Und das …
- … trotz menschenfeindlicher Parolen, die zutiefst erschüttern.
- … trotz Hoffnungen darauf, dass die Partei ihre eigene Unfähigkeit offenbaren und sich selbst erledigen wird.
Seit Juni 2024 bildet die
Dass das auch in Deutschland geschehen wird – das halte ich für wahrscheinlich. Denn CDU, SPD, FDP und Grüne tun gerade alles dafür: Sie spielen der AfD in die Karten, indem sie Migration zum größten Problem unseres Landes erklären. Gleiches taten übrigens die etablierten niederländischen Parteien: Wilders konnte deshalb so mächtig werden,
Was kann man jetzt dagegen tun – bevor es zu spät ist?
Was von den Massenprotesten blieb
Anfang des Jahres haben sich das viele Menschen schon einmal gefragt. Und lautstark geantwortet. Noch immer bekomme ich Gänsehaut, wenn ich mir die Videos vom Rathausplatz in meinem Heimatort anschaue. 4.000 Menschen – darunter viele Kinder und Senior:innen – mit bunten Schildern: »Herz statt Hetze«, stand darauf. Oder: »Hass ist keine Meinung«.
Diese Zahlen wecken Hoffnung: In den Niederlanden fielen die Proteste viel kleiner aus. Vielleicht ist Deutschland doch wehrhafter?
Ziemlich schnell folgte jedoch Ernüchterung. An der zweiten Demo in meiner Stadt, Ende April, nahmen nicht einmal halb so viele Menschen teil.
Auch andernorts fragten sich die Übriggebliebenen: Wo sind die Massen hin? Und überhaupt, in Thüringen ist die AfD trotzdem die stärkste Kraft geworden, in Sachsen und Brandenburg erreichte sie jeweils rund 30%.
Die wahre Brandmauer: eine starke Zivilgesellschaft
Die Protestforschung ist sich einig: Protest wirkt.
Wirkung zeigen Proteste dann, wenn Teilnehmende ihr Verhalten ändern. Wenn sie mit Bekannten über die Demos sprechen, Geld an demokratiefördernde Organisationen spenden, sich selbst langfristig engagieren.
An diesem Punkt stehen wir nun: Lässt sich der »Aufstand der Anständigen« in einen »Aufstand der Zuständigen« verwandeln?
Darum habe ich mich umgehört und Ideen gesammelt, was die demokratische Mehrheit nun tun kann: von radikaler Selbstkritik ausüben über Workshops gegen Stammtischparolen organisieren bis hin zu Momenten der Freude schaffen.
1. Solidarisiere dich mit denjenigen, für die der AfD-Erfolg die größte Bedrohung ist
Kommt die AfD an die Macht, wäre es für fast alle schlimm –
Doch einige von uns sind akuter bedroht als andere: weil sie Schwarz sind, muslimisch, jüdisch oder queer, weil sie Behinderungen haben oder ihre Eltern nicht aus Deutschland kommen, weil sie linke Kommunalpolitik machen oder sich für geflüchtete Menschen einsetzen. Sie alle kommen im engen Weltbild der Partei nicht vor – oder nur als Feindbilder.
Auf welche deiner Freund:innen und Bekannten trifft das zu? Sprich mit ihnen darüber, wie es ihnen geht, und finde heraus, was sie gerade brauchen. Es gibt bestimmt etwas, was du tun kannst. Sei es, zu signalisieren: »Du bist nicht allein.«
Besonders wichtig: Zivilcourage zeigen.
Denn nimmt die Wirkung der AfD zu, nimmt auch rechte Gewalt zu. Menschen fühlen sich bestärkt, da ihr Weltbild plötzlich normal und Mainstream erscheint.
So traten 4 mutmaßliche Neonazis am Rande einer Christopher-Street-Day-Parade im niedersächsischen Gifhorn brutal auf eine am Boden liegende Frau ein. Zuvor bedrohten sie offenbar einen CSD in Wolfsburg.
Hassangriffe auf Geflüchtete nehmen ebenfalls zu: 2023 zählte die Polizei in Deutschland 2.378 Straftaten –
Wie verhältst du dich, wenn du so etwas mitbekommst? Wie kannst du helfen, ohne dich selbst zu gefährden? Zahlreiche Vereine bieten Kurse, um dir genau das beizubringen – darunter
2. Widersprich, immer und immer wieder
Vielleicht kennst du persönlich Leute, die die AfD wählen. Oder bei deinem Familientreffen oder in deinem Sportverein fallen immer mal wieder Aussagen, die einfach nicht ok sind. In Foren, Blogs oder sozialen Netzwerken begegnest du womöglich immer wieder rechten Trollen, die rechtsextreme Propaganda verbreiten.
Klar ist: Es ist schwer auszuhalten, wenn ein geliebter Mensch Meinungen verbreitet, die unsere roten Linien überschreiten. Wahrscheinlich hast du schon viele gescheiterte Diskussionen hinter dir und keine Lust auf noch mehr Streit.
Dennoch gilt: Zeige, dass diese Meinungen keine Vorherrschaft haben. Immer und immer wieder.
Die AfD versucht, sich im bürgerlichen Gewand als normale Partei zu etablieren. Doch die AfD ist keine normale Partei. Das müssen wir unterstreichen, indem wir entsetzt bleiben und protestieren, wenn jemand ihre Positionen vertritt. In den Niederlanden machte die bisher regierende VVD das nicht. Stattdessen übernahm sie Wilders’ feindliche Haltung zur Migration – und normalisierte sie auf diese Weise.
Dir fällt es schwer, zu widersprechen?
Im Netz und in Büchern gibt es unzählige Tipps.
- Sozialpsychologin
- Die Autorin des Newsletters »Adé AfD«, Franzi von Kempen, hat Tipps für den Umgang mit rechter Hetze im Netz:
- Möchtest du auch andere dazu ermächtigen, zu widersprechen?
Es geht dabei übrigens weniger um überzeugte Ideolog:innen, sondern um die Menschen, die einen gewissen Hang zu plumpen Parolen oder noch kein gefestigt rechtsextremes Weltbild haben.
Solltest du jedoch beobachten, dass sich eine Person in deinem Umfeld radikalisiert, unterstützen dich Beratungsstellen.
3. Radikale Selbstkritik: Wie viel Rassismus steckt in dir?
Im Weltbild der AfD ist alles schön einfach. Egal ob Bildungsnotstand, mangelnder Wohnraum oder Antisemitismus – laut AfD haben all unsere Probleme eine Ursache: Migration. Die Lösung?
»Migration und Angst vor eingewanderten Menschen sind der Treibstoff für autoritäre Kräfte.« – Gilda Sahebi, Ärztin und Politikwissenschaftlerin
Wer die AfD wirklich schwächen möchte, so Sahebi, muss sich mit dem Kern dieses Narrativs auseinandersetzen: dem Rassismus.
Denn die AfD hat damit so viel Erfolg, weil Rassismen tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind – und die meisten Deutschen tun so, als sei das gar nicht so. So entstehen blinde Flecken, in denen ungesehen Radikalisierung passieren kann. Am Ende wundert man sich dann, warum der Freund, der doch nur ein bisschen auf die »Einwanderer« geschimpft hat, plötzlich AfD wählt.
Wir alle sind rassistisch sozialisiert. Wir wurden in eine Welt hineingeboren, in der Rassismus bereits da war, bevor wir diese Welt betreten haben. Wir alle haben quasi in rassistischer Sozialisierung gebadet.
Das heißt, wir können selbst unabsichtlich Rassismen reproduzieren. Viele Vorurteile – selbst wenn wir sie von uns weisen – haben wir kulturell internalisiert. Sie wirken oft unbewusst
Das ist kein Grund, sich zu schämen oder zu verteidigen. Nur wer akzeptiert, dass es so ist, kann etwas dagegen tun – und der AfD somit ein Stück des Nährbodens entziehen.
Den Anfang unterstützen Bildungsformate wie die
Ausgehend von dieser Selbstreflexion gilt es dann, im eigenen Umfeld zu schauen, wo solche Rassismen existieren – und entgegenzuwirken.
Wenn möglichst viele Menschen möglichst häufig etwas Kleines tun, werden wir auch gesamtgesellschaftlich etwas erreichen. Denn es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass Strukturen und Institutionen am Ende des Tages aus Individuen bestehen. Und diese Individuen sind Sie und ich.
4. Unterstütze Initiativen, die unsere Demokratie stärken
Vereine für Demokratie stehen unter Druck, vor allem im Osten Deutschlands.
Für viele Organisationen wäre es fatal, ihren gemeinnützigen Status zu verlieren: Er ist
Zudem kämpfen viele Engagierte mit persönlichen Anfeindungen, Hasskommentaren und Morddrohungen.
Dieser Angriff auf zivilgesellschaftliche Organisationen unterstreicht, wie essenziell deren Arbeit ist. Sie betreiben Beratungsstellen, Frauenhäuser, Jugendtreffs und Gemeinschaftsgärten, machen politische Bildung, unterstützen Menschen in Not. Offenbar fühlt sich die AfD davon bedroht.
Viele Vereine wappnen sich, indem sie Netzwerke bilden und sich rechtliche Unterstützung suchen. 150 sächsische Initiativen, Vereine und Organisationen haben sich zuletzt als Netzwerk
Vergangene Entwicklungen in den Niederlanden zeigen, wie wichtig solche Allianzen sind: Die progressive Bewegung war hier jahrelang so zersplittert, dass sie den Rechten wenig entgegensetzen konnte.
Wie kannst du Vereinen für Demokratie helfen?
- Wenn du Geld übrighast, spende.
- Teile Projekte in den sozialen Medien, die mehr Aufmerksamkeit bekommen sollten.
- Mache antifaschistische Botschaften sichtbar.
- Unterstütze vor Ort, egal ob als Helfer:in auf einer Demo oder Betreuer:in für Jugendbildungsprojekte.
- Du möchtest dich lieber direkt politisch engagieren? In vielen Gemeinden suchen demokratische Parteien händeringend nach Personen, die bereit sind, sich für die Gemeindevertretung und den Stadtrat aufstellen zu lassen. Sie brauchen dich, um zu verhindern, dass sich die AfD lokal weiter verankern kann.
Im Zweifel rufe einfach an und frage nach, was gebraucht wird.
Du weißt nicht genau, wo du anfangen sollst?
In vielen Städten gibt es Freiwilligenagenturen, die dich an Organisationen vermitteln können. Oder du fragst Bekannte, die schon aktiv sind. Es muss bei den Vereinen auch gar nicht explizit um Arbeit gegen Rechtsextremismus gehen. Auch diejenigen, die sich für mehr Klimaschutz, Feminismus, bezahlbaren Wohnraum oder die Rechte von Geflüchteten starkmachen, setzen der Politik der AfD etwas entgegen.
5. Sorge für dich selbst
Zu guter Letzt: Passe auf dich auf.
Damit meine ich nicht nur den Schutz vor verbalen oder physischen Angriffen. Wer sich für mehr Gerechtigkeit einsetzt, braucht Kraft.
Das haben die Kämpfer:innen der amerikanischen Frauen- und Bürgerrechtsbewegung schon früh erkannt und den Begriff der »Selfcare« – der Selbstfürsorge – geprägt. »Sich um sich selbst zu kümmern, ist kein Selbstvergnügen, sondern Selbsterhaltung, und das ist ein Akt der politischen Kriegsführung«, schrieb die amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde. Auf der anderen Seite ist es schließlich Teil rechtsextremer Taktik, Menschen psychisch ausbrennen zu lassen – auch dann haben sie eine Hürde auf ihrem Weg zur Macht entfernt.
Tue also Dinge, die dir guttun. Den Tag ohne Computer, das Abendessen mit Freund:innen, die Nacht im Club, das Telefonat mit deinem Bruder, die Joggingrunde um den See oder die Meditation am Morgen.
Schaffe dir Momente der Freude. »Wenn man mit einer Politik konfrontiert ist, die darauf abzielt, einen ängstlich, entfremdet und isoliert zu machen, ist Freude ein guter erster Akt des Aufbegehrens«, sagt Rebecca Solnit, amerikanische Schriftstellerin und Journalistin.
Ich selbst hatte kürzlich wieder so einen Moment der Freude. Ein Freund erzählte mir von einer Aktion gegen rechts, die vor 10 Jahren im bayerischen Wunsiedel Hunderte Neonazis auf ihrem Marsch durch die Stadt austrickste.
Das Prinzip war einfach und ziemlich genial: Für jeden Meter, den die Rechtsextremen marschierten, gingen 10 Euro an das Aussteigerprogramm Exit-Deutschland. Die »Läufer« selbst erfuhren davon allerdings erst auf der Strecke, die mit Start- und Ziellinien versehen und Plakaten behangen war.
10.000 Euro brachten die Nazis so zusammen – für Arbeit gegen sich selbst.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily