Verspätungen, Preiserhöhungen, Fahrplanchaos – Wir schimpfen auf die Falschen
Bahn-Bashing ist Volkssport. Dabei richtet sich die berechtigte Wut der Fahrgäste meist auf diejenigen, die den Laden gerade so am Laufen halten. Höchste Zeit, sich zu empören – aber richtig!
Mit Koffer, Kinderwagen und quengelndem 3-Jährigen stehen wir da, in der Kälte von Gleis 3. Die Menschentraube um uns wächst, Wochenendverkehr. Abwechselnd blicken meine Frau und ich bangend auf Anzeigetafel und Bahn-App. Die Ungewissheit nagt an uns: Wird er diesmal kommen? Wechselt das Gleis erneut spontan? Und finden wir mit Kind und Kegel einen Platz?
Wir sind viele, denn die Verbindung eine Stunde zuvor ist mal wieder ausgefallen.
Zeitsprung: Endlich kann der Kleine an unserem Zielbahnhof Oma und Opa in die Arme rennen. Bezahlt haben wir mit 4,5 Stunden äußerst unangenehmer Lebenszeit, für eine Strecke von 150 Kilometern, die mit dem Auto mehr als doppelt so schnell zu schaffen ist.
Ich will ehrlich sein: An Tagen wie diesen hasse ich die Bahn. Ich hasse das Chaos, die Hilflosigkeit, das Ohnmachtsgefühl am Gleis. In diesen Momenten scheint es so, als würden die Verantwortlichen gezielt darauf hinarbeiten, selbst die hartgesottensten Bahnfahrenden zu vergraulen – sie regelrecht zum Umstieg auf das Auto zwingen zu wollen.
Ohne das 49-Euro-Ticket hätten wir für die Hin- und Rückfahrt zu den Großeltern unseres Kleinen über 110 Euro zahlen müssen – und wären inzwischen wahrscheinlich auf das Auto umgestiegen. Doch selbst damit kommt man schon bald nicht mehr hin. Denn die Deutsche Bahn hat zu Mitte Dezember massive Preiserhöhungen bekanntgegeben. Auch das Deutschlandticket soll 2025 teurer werden, 58 Euro pro Person und Monat.
Immer höhere Preise für immer schlechtere Leistungen: Jedes andere Unternehmen wäre schon lange bankrott. Doch an dieser Stelle einfach nur in den Volkssport Bahn-Bashing mit einzusteigen, der aktuell angesichts der Preiserhöhungen (zu Recht) wieder hochkocht, wäre zu einfach. Natürlich ist es gerechtfertigt, die Symptome des Missmanagements anzuprangern – doch zu viele vergessen dabei die eigentliche Ursache.
Denn Schuld ist nicht die Deutsche Bahn allein, sondern der Sparfetisch ihrer Eigentümerin, der Bundesrepublik Deutschland, dessen desaströse Folgen sich Tag für Tag vor unseren Augen entfalten.
Wie die Ampelkoalition die Bahn zum Rückgrat der Mobilität machen wollte
Witze über die Pünktlichkeit der Bahn kenne ich (Jahrgang 1989), solange ich denken kann. Seit ich mit 18 Jahren mein erstes NRW-Studiticket in Händen hielt, erlebe ich die zunehmende Misere Jahr für Jahr am eigenen Leib mit. Verspätungen gehörten schon damals zur Tagesordnung,
Wer sich ein wenig mit der jüngeren Geschichte und den Zahlen beschäftigt, erkennt schnell, dass das kein Zufall ist. Denn die Bahninfrastruktur leidet seit der Privatisierung 1994 aufgrund massiver Einsparungen erheblich – und zerbröselt immer weiter.
Und nicht nur das: Seit der Privatisierung wurden Tausende Arbeitsplätze abgebaut, Bahnhöfe dichtgemacht und ganze Regionen vom Zugverkehr abgeschnitten. Weder die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) noch die wechselnden Koalitionen während der 16 Jahre andauernden Merkel-Ära änderten etwas an dieser politischen Entscheidung.
Statt sich Geld dank der weltweiten historischen Niedrigzinsphase quasi zum Nulltarif zu leihen und in die Modernisierung des Landes zu investieren, klopfte man sich unter Kanzlerin Merkel lieber für die »stabile Haushaltsführung« auf die Schultern
Désiree Schneider hat alles Wissenswerte über die Struktur und Geschichte der Deutschen Bahn aufgeschrieben:
Doch geschehen ist geschehen. Die aktuelle Bundesregierung trat 2021 mit dem Versprechen an, dass nach Jahren der Stagnation nun alles anders wird. Und die Bahn spielt dafür nach eigener Aussage der Koalitionäre eine elementare Rolle.
Die Bahn muss in ganz Deutschland zum Rückgrat der Mobilität werden – auch im ländlichen Raum. Einen Schwerpunkt setzen wir dabei auf den Ausbau der Schieneninfrastruktur und des Bahnbetriebes. […] Wir werden den Masterplan Schienenverkehr weiterentwickeln und zügiger umsetzen, den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln.
Was ist bisher daraus geworden? Haben »die da oben« Wort gehalten und eine ordentliche Schippe draufgelegt, um den Zustand der Bahn zu verbessern?
Die Antwort lautet »Ja«.
Doch nun das unweigerliche »Aber«: Um den ambitionierten Zielen und dem jahrelangen Investitionsstau gerecht zu werden, sind die zusätzlichen Ausgaben nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das zeigt sich vor allem im europäischen Vergleich:
Neuerliche Preiserhöhungen: Farce mit Ansage
Angesichts dieser Zahlen ist es umso absurder, dass die Ampelregierung
Unter der anhaltendenden finanziellen Flickschusterei im Sinne der Schuldenbremse leiden Privatwirtschaft
Für die Bahn bedeutet die aktuell gültige »Einigung« (wer weiß, wie lange diese diesmal Bestand hat) aus dem letzten August, dass geplante staatliche Zuschüsse für die Bahn kurzfristig gestrichen werden. Dafür wird
Klingt ein wenig nach »linke Tasche, rechte Tasche«, hat aber weitreichende Folgen. Denn das sogenannte
Ab 15. Dezember steigen die Ticketpreise einmal mehr, teils überdurchschnittlich: Im Fernverkehr kommen zwischen 5,9% und 6,6% obendrauf. Was auf die gewerblichen Kunden im Güterverkehr und die Privatkunden im Regionalverkehr zukommt, ist noch unklar. Und all das für einen Fahrplan, der inzwischen oft »nur noch geschätzt« werden kann.
Chapeau, liebes Finanz- und Verkehrsministerium! Ein besseres Konjunkturpaket kann sich die Autoindustrie wohl kaum wünschen.
Als wäre es nicht schlimm genug, dass Menschen ihre rare Freizeit auf dem Bahnaltar opfern müssen. Wer aber als Berufspendler oder auch als Unternehmen auf den Güterverkehr der Bahn angewiesen ist, wird sich bald endgültig Richtung Autobahn verabschieden – wenn das nicht schon längst geschehen ist.
Die doppelte Ironie der Republik unter dem Spardiktat:
Wie viele Beispiele braucht es noch, bis der Eiertanz um die Schuldenbremse ein Ende hat?
Ich gebe es gern zu: Es fällt zunehmend schwer, zu diesem Thema Konstruktiven Journalismus zu machen. Nicht weil es keine Lösungen gibt, sondern weil die zugrunde liegenden Probleme hinlänglich bekannt sind – und nicht nur hier immer aufs Neue durchexerziert wurden. Etwa hier:
Die anhaltende Misere der Deutschen Bahn ist das Musterbeispiel dafür, welche Blüten der deutsche Sparwahn treibt. Das geht so weit, dass öffentliche Daseinsvorsorge so weit verkümmert, dass es zu einer regelrechten Tortur wird, diese zu nutzen. Dieser Punkt ist inzwischen definitiv erreicht. Wer nicht vor Klimaschutz-Idealismus strotzt oder es sich schlicht leisten kann, wendet sich ab.
Der internationale Vergleich zeigt: Ländern, denen es wirklich ernst ist mit der Bahn, nehmen auch Geld dafür in die Hand. Das wäre auch hierzulande angezeigt – zumindest dann, wenn die Bundesregierung ihrem verfassungsmäßigen Auftrag endlich gerecht werden will.
Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird.
Das heißt freilich nicht, dass die Geld-Gießkanne alle Probleme von allein löst.
Doch selbst das beste Management könnte die Bahn mit den bereitgestellten Mitteln nicht zum »Rückgrat der Mobilität« in Deutschland machen. So lange keine langfristig gesicherten Mittel bereitgestellt werden, die nicht bei der nächsten Haushaltsdiskussion oder nach einem Regierungswechsel wieder zerpflückt werden, wird es auf Jahrzehnte weiterhin heißen: »Dieser Zug fällt heute leider aus. Wir bitten, dies zu entschuldigen.«
Sorry, die Entschuldigung kann ich nicht annehmen. Sie kommt nämlich nicht von den tatsächlich Verantwortlichen.
Titelbild: Alex Patrick - copyright