Der Teufelskreis mit dem Dünger: Wie der Mensch die Natur aushebelte
Die Menschheit muss satt werden, am besten ohne der Umwelt noch mehr zu schaden. Doch wie? Es ist nicht so einfach.
Der britische Ökonom Thomas Robert Malthus prophezeite schon 1798 in seiner Theorie des Bevölkerungswachstums, dass jede Volkswirtschaft eine natürliche Grenze des Wachstums habe: die Ertragskraft des Bodens.
Schließlich könne jede Volkswirtschaft nur auf ihrer limitierten Fläche und damit sehr endlich Nahrungsmittel produzieren. Reicht die Fläche zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgrund des Bevölkerungswachstums nicht mehr aus, um alle Menschen zu versorgen, würden die immer teurer werdenden Lebensmittel die Kaufkraft der Menschen erschöpfen und damit weiteres Wachstum ersticken. In der Theorie stimmt das – in der Praxis lag Malthus dann aber doch daneben.
Er hatte nicht ahnen können, dass Anfang des 20. Jahrhunderts zwei Herren namens Bosch und Haber ein Verfahren erfinden würden, mit dem sich aus Luftstickstoff und Wasserstoff Ammoniak herstellen ließ. Ammoniak ist der weltweit meisteingesetzte Stickstoffdünger, durch den sich die Erträge in der Landwirtschaft vervielfachen ließen. Fritz Haber und Carl Bosch sorgten dafür, dass sich Malthus’ Prophezeiung buchstäblich in Luft auflöste. Bisher jedenfalls.
Durch das 1908 angemeldete Verfahren hebelte der Mensch den Stickstoffkreislauf der Natur aus. Bis dahin ließ sich der für das Wachstum von Pflanzen nötige Stickstoff nur organisch über Mist und Gülle bereitstellen, nun war er industriell in Fabriken herstellbar und quasi endlos verfügbar.
Der Zeitpunkt der Erfindung hätte auch aus Sicht der deutschen Generäle nicht besser sein können. Ammoniak eignet sich nämlich nicht nur für die Herstellung von Kunstdünger, sondern auch für Sprengstoffe. Durch die britische Seeblockade war Deutschland 1914 von den natürlichen Rohstoffen für die Sprengstoffherstellung – vor allem von Natronsalpeter aus Chile – abgeschnitten. Ohne das Haber-Bosch-Verfahren hätte Deutschland den Ersten Weltkrieg aus Mangel an Munition wohl ziemlich schnell absagen müssen.
Zurück zum Boden: Ob der Kunstdünger die Ertragskraft der Böden so nachhaltig steigern kann, dass wir auch künftig der Malthus’schen Prophezeiung entgehen, ist fraglich. Schon heute belastet Überdüngung das Grundwasser und wird über die Flüsse in die Meere eingetragen, wo sie die Vermehrung von Algen ankurbelt. Auch eine Form der Ertragssteigerung, nur dass die in diesem Fall unschöne Folgen hat: Sterben diese Algen ab, werden sie von Bakterien zersetzt. Ein Prozess, der dem Meer Sauerstoff entzieht und zu den sogenannten Todeszonen führt, in denen kein Fisch mehr schwimmt und keine Krabbe mehr krabbelt.
Ebenso erkennt die Wissenschaft immer deutlicher, dass diese lebensfreien Zonen auch im Boden entstehen können: Man muss sich den Untergrund nämlich wie einen lebenden Organismus vorstellen, in den man leider nicht einfach so Nährstoffe hineinkippen kann, um dann wieder mehr herauszuholen. Die Vielfalt der Bodenlebewesen nimmt dadurch nämlich ab und das schwächt die Ertragskraft der Böden, noch mehr Dünger ist notwendig – dieser Teufelskreis ist an vielen Orten dieser Welt im Gang.
Mittelfristig wird zudem die Versorgung mit Phosphor ein Problem: In weniger als einem halben Jahrhundert sollen die weltweiten Vorkommen aufgebraucht sein. Dann sind wir auf Stoffkreisläufe angewiesen, werden also nachdenken müssen, was wir mit unseren Abwässern machen –
Auch hier stehen wir vor natürlichen Limitierungen: Weniger Dünger, weniger Ackerfläche – und gleichzeitig müssen wir die Erträge bis 2050 glatt verdoppeln, um die Weltbevölkerung satt zu bekommen. Eine Ausgangslage ganz im Sinne der Theorie von Malthus: Behält er am Ende nach mehr als zweieinhalb Jahrhunderten doch noch recht?
Sicher ist: Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen. Auch in Deutschland – hier sind wir immerhin Abnehmer von sechs Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Erträge. Gleichzeitig exportieren wir jede dritte Tonne der Erträge unserer eigenen Böden – Landwirtschaft ist längst ein globales Geschäft, das man entsprechend über die Landesgrenzen hinaus denken muss.
Was könnte uns helfen, der Prophezeiung von Malthus zu entgehen? Die Fakten sind schnell erzählt: Die Bevölkerung wächst. Der Wohlstand auch – das treibt die Nachfrage nach Nahrungsmitteln. Der Druck auf den Boden wächst exponentiell, schließlich verändert der Wohlstand die Ernährungsgewohnheiten. Dort, wo die Armut bislang nur weitgehend pflanzliche und industriell unverarbeitete Nahrungsmittel erlaubt, werden die Menschen künftig auch Fleisch und Tiefkühl-Croissants essen wollen. Regionen mit starkem Bevölkerungswachstum wie Nordafrika werden zu mehr als der Hälfte auf Nahrungsimporte angewiesen sein, also von den Böden in Europa, Asien und Lateinamerika abhängig. Mehr als schon heute werden die Erträge der Böden dahin wandern, wo sie die höchsten Preise erzielen. Damit dürften die Preise generell steigen, der Kampf um Boden sich zuspitzen.
Wenn sich ein Gut nicht vermehren lässt, kann man es nur von anderen kaufen, tauschen oder sich einfach nehmen. Die Grenzen dazwischen sind mitunter fließend. Zwischen 2000 und 2018 waren die USA die eifrigsten Bodenkäufer der Welt, mehr als acht Millionen Hektar zusätzliches Land sicherte man sich in Argentinien, der Ukraine, Brasilien und der Volksrepublik Kongo, dazu kamen 90 weitere Deals in anderen Staaten. Zweitgrößter Bodenkäufer in besagtem Zeitraum ist Malaysia, mit dem Erwerb von mehr als vier Millionen Hektar vor allem in Indonesien, Papua-Neuguinea, Kambodscha und Liberia vergrößerte das Land seine Nutzfläche um mehr als zehn Prozent.
Über den Landkäufer China wurde zuletzt am meisten gesprochen, tatsächlich lag das Land mit mehr als drei Millionen Hektar nur auf dem dritten Platz. China investierte vor allem in Laos, Kambodscha, Myanmar und Mosambik.
Vierter relevanter Akteur ist Großbritannien mit einem Zukauf von mehr als zwei Millionen Hektar, vor allem in Indonesien, Uruguay, Tansania und Mosambik.
Die Zahlen zeigen auch, dass Indonesien derzeit das Land ist, das am meisten von seinem Grund und Boden verkauft. Dabei wird in der öffentlichen Debatte um das sogenannte Landgrabbing meist auf Afrika geschaut, die Zahlen zeigen allerdings, dass sich Investoren zurzeit vor allem auf Südostasien konzentrieren, neben Ostafrika. Erweitert man den Zeitraum bis 2022, dann liegt eine Region beim Verkauf seiner Fläche mit großem Abstand vorn: In Osteuropa und Russland haben mehr als 31 Millionen Hektar Land neue ausländische Besitzer.
Auf den meisten dieser von anderen Staaten eingekauften Flächen werden keine Nahrungsmittel produziert, sondern Tierfutter oder Energiepflanzen. Und wer es sich leisten kann, sichert sich Äcker überall in der Welt – die fehlen dann allerdings anderen Menschen.
Die Welternährungsorganisation (FAO) sieht immerhin noch ungenutzte Potenziale: In der Subsahara-Region und in Lateinamerika ließen sich noch landwirtschaftliche Nutzflächen gewinnen. Durch Bewässerung könnten weitere Gebiete nutzbar gemacht werden. Allerdings liegen diese Flächen in einer sehr überschaubaren Zahl an Ländern auf den beiden Kontinenten, und deren Nachbarn könnten eigene Begehrlichkeiten entwickeln. Dort gehen Bodenknappheit und starkes Bevölkerungswachstum Hand in Hand, es fehlt an Infrastruktur, Know-how und Dünger. Zwar könnten global gesehen für die Welternährung immerhin mehr als 100 Millionen Hektar Ackerfläche gewonnen werden – aber ob das reichen wird, ist fraglich: Nach heutigen Berechnungen geht die FAO von mehr als 370 Millionen unterernährten Menschen im Jahr 2050 aus.
Um diese Zahl zu minimieren, müsste global gedacht und agiert werden. Und man müsste anfangen, Nahrungsmittel dort anzubauen, wo sie je nach Art die besten klimatischen Bedingungen und geeigneten Böden vorfinden. Dass heute ausgerechnet Reis das Hauptnahrungsmittel in Afrika ist, hat wenig Sinn auf einem eher trockenen Kontinent. Steigern ließen sich die Erträge zudem durch den Anbau von Arten, die sich an den Klimawandel anzupassen verstehen. Das spricht für den Einsatz von Gentechnik und für die Rückbesinnung auf Vielfalt und alte Sorten.
Die Frage ist, ob diese Herkulesaufgabe mit bodenschonenden Methoden zu bewältigen ist. Dem Ökolandbau wird immer wieder vorgehalten, dass er zwar sinnvoll sei, aber nun mal die Menschheit nicht satt kriege. Das wäre eine ziemliche Zwickmühle – immerhin geht es in der Landwirtschaft nicht nur ums Essen, sondern längst auch um Klimaneutralität, den Schutz der Böden und Biodiversität. Mit der konventionellen industriellen Landwirtschaft ist nichts davon zu erreichen – bleibt der Sektor also einer der größten Emittenten von Klimagasen und ein Vernichter biologischer Vielfalt?
Im Jahr 2023 entfielen 7,7 Prozent aller freigesetzten Treibhausgase auf die Landwirtschaft, für Methan und Lachgas waren es sogar zwei Drittel. Wilfried Bommert, Sprecher des Instituts für Welternährung in Berlin, fordert daher unbeirrt den
Die Bodenfruchtbarkeit sinkt in der industriellen Landwirtschaft dramatisch. Dazu kommen Erosion sowie der Verlust an Wasserreserven, der Rückgang der Biodiversität und der Anstieg an Treibhausgasen,
Der Rückgang der Bodenfruchtbarkeit wird derzeit für alle landwirtschaftlich genutzten Böden auf mehr als 50 Prozent geschätzt. Dazu entfallen auf die Landwirtschaft fast 70 Prozent des weltweiten Trinkwasserverbrauchs; der Rückgang von Wildpflanzen auf intensiv genutzten Landwirtschaftsflächen wird auf 95 Prozent geschätzt.
Trotzdem bleibt die Frage, ob es überhaupt möglich ist, von heute auf morgen auf bio umzustellen. Laut Bommert ist der Schritt unvermeidbar – man müsse aber auch nicht in Hektik verfallen: »Von heute auf morgen gelingt der Umstieg nicht. Wir hätten dafür aber auch eine ganze Generation Zeit.« Man dürfe auch nicht vergessen,
Das Steigerungspotenzial für die kleinbäuerliche ökologische Landwirtschaft beziffern Wissenschaftler hingegen allein in den Tropen und Subtropen durch besseres Know-how und moderne Werkzeuge auf bis zu 150 Prozent. Doch die Welternährung hängt nicht allein von einer Steigerung der Erträge ab: Ein mindestens ebenso wichtiger Hebel, der Malthus’schen Prophezeiung entgegenzuwirken, wäre der Verbrauch.
Und vielleicht ist das auch nicht nötig, gäbe es weniger Fleisch, vor allem aber weniger Verschwendung. Zwischen Acker und Mund gehen zu viele Nahrungsmittel verloren. In Deutschland betrifft das fast jede dritte Tonne, das sind mehr als 300 Kilogramm essbare Nahrungsmittel, die in unserem Land pro Sekunde auf dem Müll landen. Außerdem nutzen wir einen Großteil wertvoller Anbauflächen für die Produktion von Futtermitteln, weil der Verbrauch von Milchprodukten und Fleisch so hoch ist – allein wenn man an diesen beiden Schrauben drehte, würden viele Kapazitäten frei.
- Anteil der weltweiten Ackerflächen, auf denen Biokraftstoffe angebaut werden, in Prozent: 10
- Anteil der verbleibenden 90 Prozent Ackerflächen, auf denen Nahrungsmittel angebaut werden, in Prozent: 19
- Anteil der Ackerflächen weltweit, die die Viehwirtschaft beansprucht, in Prozent: 77
- Zahl der unterernährten Menschen in 2022, in Millionen: 735
- Zahl der fettleibigen und übergewichtigen Menschen in 2022, in Millionen: 1083
Vielleicht reicht es schon, weniger ideologisch an das Thema heranzugehen. Über die Ziele ließe sich doch leicht ein Konsens finden: Die Menschheit muss satt werden. Böden, Wasser, Biodiversität und Klima sollen nicht beeinträchtigt werden. Öko oder konventionell – ist das dann wirklich noch die Frage? Könnte die intensive Landwirtschaft nicht umweltverträglicher werden? Öko ist gut, aber auch nicht perfekt. Wir brauchen mehr Grundlagen- und angewandte Forschung, etwa für den Schutz vor Krankheiten und Schädlingen. Wir brauchen besseres Saat- und Pflanzgut, und wir müssen mehr wissen über Biodiversität und den Nutzen von Ökosystemen.
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