»Ohne einen Ort, an dem man regelmäßig zusammenkommt, sieht man seinen Freundeskreis bald nur noch auf Beerdigungen«
3 Jahre und unzählige Entscheidungen: Ein Freundeskreis aus Berlin renoviert gemeinsam einen Hof auf dem Land. Ihre Geschichte zeigt, worauf du achten solltest, wenn du Ähnliches planst.
Die Idee entstand im Jahr 2016, ausgerechnet bei einer Beerdigung. Felix Rhein und Lisa Dorfhuber saßen im Auto und fuhren von Berlin gen Süden, nach Bayern. Die Mutter ihres gemeinsamen Freundes Marco Baldauf war unerwartet verstorben. »Bis dahin hatte das Thema Tod von Eltern in meinem Leben noch keine Rolle gespielt«, sagt Lisa Dorfhuber, die heute 32 Jahre alt ist. Auf der Autofahrt unterhielt sie sich mit ihrem Kumpel Felix über die Endlichkeit und darüber, dass sie gern einen Ort hätten, an dem sie immer wieder mit ihren engsten Freund:innen zusammenkommen und das Leben feiern könnten.
Lisa sagt: »Wir wollten unsere Schicksale aneinanderbinden.«
Felix sagt: »Wenn man seinen
Marco sagt: »Für mich war die Zeit damals sehr emotional und ich war froh, dass meine Freund:innen an meiner Seite waren und wir dieses Projekt gemeinsam geplant haben.«
Lisa dachte an einen Schrebergarten, Felix an einen eigenen Hof. »Think big!«, sagte er damals, so erinnert sich Lisa. »Häuser in Brandenburg sind absurd billig.« Noch beim Leichenschmaus spannen sie die Idee weiter. 8 Gründungsmitglieder waren sie damals, heute sind sie 13 – ein paar Freunde sowie Partner und Partnerinnen sind über die Jahre hinzugekommen. Felix schlug damals vor, ein Konto einzurichten, auf das sie monatlich je 50 Euro überwiesen. So lange, bis eine Summe zusammenkommt, mit der man auf die Suche gehen kann.
Vom Traum zum Projekt – inklusive Management
Dann kamen Corona, Lockdowns,
Deshalb haben die Freund:innen das Berliner Umland in eine Torte verwandelt: Jede:r war für ein Tortenstück zuständig. Zudem entwickelten sie
Über Monate hinweg trafen sie sich wöchentlich in Videocalls und diskutierten. »Am Anfang gab es viel Hin und Her: Wollen wir als Paar zahlen oder pro Kopf? Welche Rechtsform brauchen wir?«, erzählt Katharina Baudisch, 35, eine der Mitgründerinnen. Sie ist eine von ganzen 5 Jurist:innen in dem Projekt. Nach monatelangem Abwägen gründeten sie eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts). »Das war ein sehr langer Prozess – zum Leidwesen aller Nichtjurist:innen in dem Projekt«, sagt Katharina. Die Vor- und Nachteile seien recht komplex. »Für die GbR haben wir uns am Ende entschieden, weil sich so die Eigentumsverhältnisse und Stimmrechte am einfachsten abbilden ließen; und um in der Entwicklung des Projekts nicht auf einen Vereinszweck festgeschrieben zu sein.«
Was sie anderen raten würde, die ein ähnliches Projekt planen und keine Jurist:innen sind? »Das hängt vom Einzelfall ab. Aber ich würde in jedem Fall empfehlen, Eigentumsanteile, Stimmrechte, Regelungen, wer wie wann dazukommen oder aussteigen darf, sowie für den Tod eines Gesellschafters, vertraglich festzuhalten.«
»Den Aufwand total falsch eingeschätzt«
Im Juni 2021 kauften sie dann schließlich einen Dreiseithof in einem kleinen Dorf namens Klüß in Mecklenburg-Vorpommern, an der Landesgrenze zu Brandenburg. Mittlerweile beläuft sich das pro Person eingezahlte Budget auf rund 30.000 Euro – davon kauften sie den Hof, bezahlten Werkzeug, Handwerker:innen und Baumaterialien.
»Im Prinzip war alles bis auf das Dach renovierungsbedürftig.« – Katharina Baudisch, Juristin und Bauherrin
Sie verlegten neue Wasser- und Stromleitungen, rissen Wände heraus, bauten Türen und Fenster ein. »Im Prinzip war alles bis auf das Dach renovierungsbedürftig«, sagt Katharina.
Noch immer ist das Haus eine Baustelle. Katharina sagt: »Wir haben total falsch eingeschätzt, wie aufwendig der Ausbau ist.« Im ersten Jahr habe sie mehr Zeit in das Projekt als in ihren eigentlichen Job investiert. Um die Arbeit effizienter zu gestalten, haben die Freund:innen 5 Arbeitsgemeinschaften gegründet: Recht, Finanzen, Energie, Garten und Design. Um die AGs und Arbeitseinsätze zu koordinieren, Dokumente abzulegen und Baufortschritte festzuhalten, nutzen sie ein Projektmanagement-Tool.
Sie entschieden sich für eine energieeffiziente Sanierung und beantragten dafür eine staatliche Förderung – sowohl der Antrag als auch die Planung und Durchführung nahmen zusätzliche Zeit in Anspruch. Die Solarplatten wurden inzwischen auf den Dächern der Nebengebäude angebracht. Wände, Böden und Dach werden derzeit entsprechend gedämmt.
Lehm zum Dämmen: Das Haupthaus wird energieeffizient saniert
Dafür kommt an einem sonnigen Tag Mitte Oktober Lehmbauer Stefan Renner angefahren. Er wird hier den 2-tägigen »Do-it-yourself-Workshop« durchführen. Die Einsatzleitung für Projekte wie den
Vor dem Haupthaus mischen abwechselnd immer 2 Leute Lehm mit Wasser, bis eine Masse entsteht, die so flüssig sein soll wie »Kuhfladen von Kühen in Stallhaltung«, so Stefan Renner. Dann habe er die richtige Konsistenz. Über einen Schlauch wird das Gemisch anschließend ins Obergeschoss gepumpt.
Unter Anleitung spachteln die Freund:innen Lehm an die Innenseite der Außenwände. Hier oben sollen 8 Schlafzimmer und ein Gemeinschaftsraum entstehen. Noch gibt es weder Wände noch Türen. In dem rund 180 Quadratmeter großen Raum stapeln sich in der Mitte die Holzfaserdämmplatten, die Decke ist mit Plastikfolie bedeckt.
Aus einem Lautsprecher dröhnt der Song »Even Flow« der Rockband Pearl Jam. »Gestern lief den ganzen Tag harter Rock, mir sind fast die Ohren abgefallen«, sagt Katharina. Diskussionen darüber, welche Musik gespielt wird, kennen wohl die meisten Menschen, die schon einmal mit ihren Freund:innen eine lange Autofahrt, einen Partyabend oder einen Urlaub bestritten haben. Für die Gruppe ist es einer der banalsten von Hunderten Kompromissen, die sie seit Jahren
Das Ringen um Entscheidungen ist eine der größten Herausforderungen
Katharina sagt, sie könne die Entscheidungen nicht mehr zählen, die sie miteinander getroffen hätten – es sind Hunderte. Wo werden neue Wände gezogen? Braucht jede und jeder ein eigenes Zimmer? Mit welchen Materialien sollen Wände und Decke gedämmt werden? Wie geht man damit um, dass einige mehr Geld haben – und andere wiederum mehr Arbeit leisten? Was passiert, wenn jemand austreten möchte? Sollen die Fliesen im Wohnzimmer erhalten bleiben? Und was machen wir mit dem Raum daneben?
Um Entscheidungen zu ringen, sich durchzusetzen, gehört zu werden und zu ertragen, wenn etwas nicht so läuft, wie man es möchte – das alles kostet Kraft und Anstrengung. Für manche mehr, für andere weniger.
»Als Freundeskreis muss man normalerweise nicht so krass viele und wichtige Entscheidungen gemeinsam treffen«, sagt Felix. Ihm hilft sein Pragmatismus, den ihm auch die anderen in der Gruppe nachsagen. Dennoch habe er durch das Projekt noch viel gelernt – etwa wie man Themen so »pitcht«, dass sie Erfolg haben. »Wenn man will, dass eine bestimmte Entscheidung im eigenen Sinne gefällt wird, muss man Arbeit reinstecken, eventuell ein Konzept ausarbeiten und gute Argumente parat haben.« Irgendwann wisse man, wem welche Themen besonders wichtig seien. Oft lohne es sich, vorab bilateral zu sprechen. »Aber wir haben auch als Gruppe dazugelernt. Wir erkennen potenziell herausfordernde Situationen und Entscheidungsprozesse schneller und gehen schon im Vorfeld besser damit um«, sagt Felix.
Lisa gibt zu: »Mir verlangen die ständigen Diskussionen einiges ab. Ich bin nicht auf diese Art eloquent und habe nicht gelernt, strukturiert zu diskutieren.« Sie zieht sich öfter heraus – und die Gruppe hat gelernt, hier und da die Geschwindigkeit etwas zu drosseln und die Art der Gesprächsführung so anzupassen, dass möglichst viele mitkommen.
Was ist eigentlich gerecht?
Damit bestimmte Dinge nicht immer wieder diskutiert werden müssen, wurde vieles verregelt. »Es gibt so absurd viele Regeln – das ist wie in der Europäischen Union«, sagt Katharina. Unter anderem gibt es einen umfassenden Vertrag darüber, wie Spritkosten abgerechnet und Übernachtungskosten umverteilt werden. Auch wurde einst festgelegt, dass jeder und jede bei Entscheidungen ein Vetorecht hat – das war vor allem ihr wichtig. »Ich hatte anfangs Angst, von der Meinung der Mehrheit überfahren zu werden«, sagt sie.
Nur für Anschaffungen von bis zu 100 Euro gibt es mittlerweile eine Sonderregel. Diese müssen lediglich in der Telegram-Gruppe »Kleinstanschaffungen« kundgetan werden und von 2 weiteren Personen befürwortet werden. Stimmt innerhalb einer bestimmten Zeit niemand mit einem Veto dagegen, ist die Entscheidung gefallen.
»Anstatt alles aufzuwiegen, sollten wir uns lieber gegenseitig mit Anerkennung und Dankbarkeit bestärken.« – Marco Baldauf, Bauherr
All diese Regeln sollen nicht nur Struktur schaffen, sondern auch für ein Gefühl von Gerechtigkeit sorgen. Denn eine Erkenntnis kam der Gruppe ziemlich schnell: Jede:r definiert Gerechtigkeit ein bisschen anders.
Marco meint: »In einer perfekten Welt würden alle gleich viel machen, aber das ist nicht realistisch. Anstatt alles aufzuwiegen, sollten wir uns lieber gegenseitig mit Anerkennung und
Lisa empfindet vieles – trotz all der Regeln – als ungerecht. Für sie hat die anfängliche Utopie Kratzer bekommen. »Wir haben alle den gleichen Geldbetrag eingezahlt – unabhängig von unseren finanziellen Ressourcen. Arbeitsstunden berücksichtigen wir in der Gleichung hingegen nicht. Das reproduziert im übertragenen Sinne unbezahlte Care-Arbeit«, sagt Lisa. »Wir haben auf finanzieller Ebene Gleichheit erzeugt, aber nicht unbedingt Fairness.«
So werden die Neulinge im Dorf aufgenommen
Lisa kann beim Lehmeinsatz nicht mithelfen, da sie sich vor Kurzem das Handgelenk gebrochen hat. Dafür rollt gerade Sebastian Weise auf den Hof. Der 37-Jährige hat eben Feierabend gemacht und wollte sich einmal anschauen, wie es mit dem Bau vorangeht. Er wohnt mit seiner Frau und ihren 3 Kindern 2 Häuser weiter. Auf dem Hof gegenüber leben seine Mutter und Schwester.
3 Jahre lang studierte er in Güstrow, den Rest seines Lebens verbrachte er in Klüß. Katharina nennt Sebastian »den Bürgermeister«, auch wenn er das offiziell gar nicht ist. Dennoch gehört er zu denjenigen im Dorf, die die Gemeinschaft am Leben halten, die Errichtung eines Spielplatzes vorantreiben und Dorffeste mitorganisieren. Ob er das Projekt von den 13 Freund:innen aus Berlin außergewöhnlich findet? Er schüttelt den Kopf. »Für uns ist es gut, wenn hier nette Leute leben und die Höfe nicht leer stehen.«
Es gab eine Zeit, da verwahrlosten die verlassenen Höfe und Häuser in Klüß. Doch seit Corona haben sie einen deutlichen Zuwachs erlebt. Derzeit steht kein Haus in dem 100-Einwohner-Dorf leer. Für die Freund:innen ist mittlerweile klar, dass sie mit der Dorfgemeinschaft großes Glück hatten. Sie tauschen sich regelmäßig aus, sind bei Festen dabei und bekommen Hilfe, wenn während der Bauarbeiten mal ein Trecker gebraucht wird.
Gesprächsbedarf? Gibt es eigentlich immer
Wenige Wochen nach dem Lehmworkshop wird die Gruppe wieder zusammenkommen, um über die Finanzierung zu sprechen. Alle 6–12 Monate treffen sie sich für ein Strategiemeeting. Die Reserven sind vollständig verplant – doch fertig ist das Haus noch nicht. Wird das Budget um ein paar Tausend Euro pro Kopf erhöht? Oder wird der Ausbau pausiert? Brauchen wir wirklich schon jetzt ein zweites Bad? Welche Küchengeräte sind notwendig? Seit sie das Haus gekauft haben, kommen immer wieder neue Dinge zutage, die finanziert werden sollen – dass das so ist, darüber herrscht Einigkeit. Doch wie viel mehr Geld man reinstecken kann und möchte, das ist sehr unterschiedlich.
Aber auch über den Umgang untereinander wird gesprochen. »Da werden alle Karten auf den Tisch gelegt«, sagt Felix. Gesprächsbedarf gibt es eigentlich immer. »Es gibt wenig Situationen im Leben, in denen man so viel aushalten und ausgehalten werden muss, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen«, sagt Katharina.
Gibt es einen Tipp, den sie anderen mit auf den Weg geben würden, die Ähnliches vorhaben? »Ich würde im Nachhinein empfehlen, ein Haus zu kaufen, das schon fertig ist – dann erspart man sich sehr viele Entscheidungen und Reibungspunkte«, sagt Lisa.
»Ich war am Anfang zu viel Dreh- und Angelpunkt – jedenfalls in meiner Wahrnehmung«, findet Katharina. »Es ist nie gut, wenn die Hauptverantwortung und das Wissen auf wenigen Schultern lastet. Das hätten wir schon früher besser verteilen sollen.«
Marco meint: »Vielleicht hätten wir doch lieber Architekten beauftragen sollen.«
Dennoch blicken sie weitgehend positiv zurück – und in die Zukunft.
»Das Projekt kostet mich viel Anstrengung, aber ich hätte es bereut, wenn wir es nicht gemacht hätten. Ich habe dadurch erfahren, wie stark, wie kreativ und wie fürsorglich meine Freund:innen sein können. Diese Seiten hätte ich nie erkannt, wenn ich nur mit ihnen feiern und Tischtennisspielen gehe«, sagt Lisa. Die Arbeit am Bauernhof habe den Freundeskreis noch mehr zusammengeschweißt.
Für Felix ist Klüß »ein Fluchtpunkt und Hoffnungsschimmer. Wir haben einen Ort außerhalb der Stadt, an den wir jederzeit fahren können. Es macht Spaß, hier gemeinsam Zeit zu verbringen, und ich freue mich auf das, was noch kommt.«
Katharina ist dankbar, dass ihre Freundschaften »das alles ertragen haben« und die Gruppe jetzt einen Ort hat, der den Zusammenhalt manifestiert. »Wenn das Haus fertig ist, werden wir hier kreatives Zeug machen – vielleicht eine Werkstatt einrichten, töpfern, ein Außengym oder eine Außenküche bauen. Das wird Hammer!«
Redaktionelle Bearbeitung: Katharina Wiegmann
Titelbild: Jana Sepehr - copyright