Wie du andere dazu bringst, Gutes zu tun
Menschen passen sich gern der Mehrheit an. Diese 4 Erkenntnisse helfen dabei, die Macht von Gruppen zu verstehen – und ihre konstruktive Kraft zu entdecken.
Dieser Text startet mit einer kurzen Testfrage: Welche der Linien im rechten Bild ist genauso lang wie die Linie im linken Bild – A, B oder C?
Stimme bitte hier ab:
Das richtige Ergebnis: Linie C ist die Linie, die ebenso lang ist wie die Linie im Bild links. Vermutlich hast auch du dich für diese Antwort entschieden.
Jedoch wäre deine Antwort vielleicht anders ausgefallen, wenn du die Entscheidung nicht allein vor dem Bildschirm getroffen hättest. Als der polnisch-US-amerikanische Sozialpsychologe Solomon Asch das Linien-Experiment im Jahr 1951 das erste Mal durchführte, zeigte sich, wie leicht eine Gruppe die Meinung einer Person beeinflussen kann.
Für sein Experiment setzte Asch verschiedene Versuchsgruppen zusammen, die aus jeweils 6–9 Personen bestanden. In einem Teil dieser Gruppen sollten die Versuchspersonen der Reihe nach eine ehrliche Einschätzung abgeben, welche Linie sie für gleichlang hielten: Sie wählten fast alle die korrekte Antwort C.
Für die übrigen Gruppen waren die Grundbedingungen etwas anders. Asch wies einige zuvor eingeweihte Teilnehmer:innen an, eine falsche Antwort zu geben. Nur die Person, die zuletzt antworten musste, wusste darüber nicht Bescheid. Das Ergebnis: In knapp 37% der Fälle schlossen sich die uneingeweihten Versuchspersonen der offensichtlich falschen Mehrheitsmeinung an. Sie gaben also dem Druck der Gruppe nach.
Einzelne Menschen passen sich der Mehrheit an
Das
Diese menschliche Eigenschaft bereitet uns aber auch einige Schwierigkeiten. Gruppen können uns dazu bringen, uns selbst und anderen zu schaden. Ob wir uns ungesund ernähren, rauchen oder der Umwelt schaden, wird maßgeblich von den Menschen in unserem Umfeld mitbestimmt.
Umgekehrt ist es gerade unsere Vorliebe für Gruppen, die einzelnen Menschen die Fähigkeit verleiht, Dinge zum Positiven zu verändern. Diese 4 Erkenntnisse helfen dabei, die rätselhafte Wirkung zu verstehen, die Gruppen auf uns alle haben können – und die konstruktive Kraft dieses Phänomens zu entdecken.
1. Dass wir uns an Gruppen orientieren, liegt in unserer Natur
Das Asch-Experiment ist nur eine von vielen Untersuchungen, die zeigt, wie sehr uns Gruppen beeinflussen können. Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie zeigten beispielsweise in einem anderen Experiment, dass es schon Kindern im Vorschulalter so geht. Gruppen aus jeweils 4 Kindergartenkindern schauten sich dabei scheinbar identische Bücher an, in denen Tierfamilien dargestellt waren. Die Eltern der Tiere und ein Tierkind waren auf der einen Seite des Buches dargestellt, das zweite Tierkind auf der anderen.
Nun sollten die Kinder beantworten, welches Familienmitglied allein auf einer Seite stand. Der Haken an der Sache: Eines der 4 Kinder erhielt ein Buch, das andere Informationen lieferte als das seiner Spielkamerad:innen. In den Augen dieses Kindes gaben die anderen 3 also eine völlig falsche Antwort. Und trotzdem:
Dass wir unbedingt
2. Gruppen entscheiden darüber, was wir für richtig halten
Wie andere uns im Extremfall in unserem allgemeinen Konsumverhalten beeinflussen können, zeigt ein Experiment aus den Niederlanden eindrücklich. Forscher:innen untersuchten darin, ob es einen Effekt auf die Nachbarschaft hatte, wenn
Müssen wir unseren Hang zu Gruppen überwinden?
Ein weiteres typisches Beispiel dafür, wie sich das Verhalten einer Gruppe im Alltag auf Einzelne auswirkt, ist das Rauchen. Noch vor einigen Jahren waren Zigaretten sozial akzeptiert, günstig zu haben und die gesundheitlichen Konsequenzen Nebensache. Die Hemmschwelle, mit dem Rauchen zu beginnen, war deshalb relativ gering. Das hatte auch einen Effekt auf andere: Fachleute sind sich sicher, dass der Wunsch, zu einer Gruppe aus Raucher:innen zu gehören, einer der Hauptgründe dafür ist, mit dem Rauchen anzufangen. Das ist bis heute so.
Sicher fallen auch dir einige Situationen ein, in denen Gruppen in irgendeiner Weise eine Rolle bei deiner Entscheidung gespielt haben – etwa wenn es um Mode-, Musik- oder Literaturgeschmack geht. Für unseren Hang, uns von vielen beeinflussen zu lassen, gibt es in der Fachwelt verschiedene Begriffe, die unterschiedliche Aspekte des Phänomens betonen: Soziale Ansteckung, Gruppenzwang, soziale Kontrolle und Konformitätsdruck sind nur einige davon. Nicht immer lassen sie sich vollständig voneinander abgrenzen. Eines haben sie allerdings gemeinsam: einen negativen Beigeschmack. Ist unsere Gruppenvorliebe also doch etwas grundlegend Schlechtes, was es häufiger zu überwinden gilt?
3. Der Wunsch, dazuzugehören, kann auch Positives bewirken
Das Beispiel Rauchen zeigt nicht nur die schlechten Auswirkungen, die Gruppen haben können, sondern eignet sich auch als Anschauungsobjekt für positiven Einfluss. Denn unser Umfeld ist nicht nur dazu in der Lage, uns zum Rauchen zu bewegen. Es kann auch dazu führen, dass wir es eben nicht tun. Genau das passiert heute schon deutlich häufiger als noch vor 20 Jahren. Höhere Steuern und eine breite Aufklärung über die schädliche Wirkung von Zigaretten haben dazu geführt, dass immer weniger Menschen mit dem Rauchen beginnen. Mittlerweile sind Zigaretten deutlich weniger sozial akzeptiert.
Der US-amerikanische Verhaltensökonom Robert Frank fordert dazu auf, dass wir alle uns mehr auf diese
Wenn wir versuchen, zu erklären, was andere tun, betonen wir meist übermäßig interne Faktoren wie Charaktereigenschaften oder Persönlichkeit und legen zu wenig Wert auf externe oder situationsbedingte Faktoren.
Langfristige Ziele – wie eine gute Gesundheit oder eine gesunde Ernährung – sind für uns grundsätzlich eher schwierig zu erreichen,
Es ist deutlich einfacher, solche »guten« Verhaltensweisen umzusetzen, wenn unser Umfeld ein ähnliches Verhalten an den Tag legt. Ein Beispiel: Im Jahr 2017 fanden Forscher:innen der London School of Economics and Political Science heraus, dass Haushalte und Unternehmen mit höherer Wahrscheinlichkeit Solaranlagen auf ihren Dächern installierten,
Hier spielt höchstwahrscheinlich auch noch ein anderes Phänomen eine Rolle: Es ist uns wichtig, was andere über uns denken. Glauben wir, dass es gesellschaftlich anerkannt ist, uns umweltbewusst zu verhalten, erscheint uns dieses Verhalten attraktiver.
Auch hier hilft wieder ein Experiment beim Verständnis: Der US-amerikanische Sozialpsychologe Vladas Griskevicius ließ Proband:innen zwischen umweltschonenden und komfortableren Produkten entscheiden, etwa zwischen einem schnellen Luxusauto und einem eher praktischen Hybridfahrzeug oder zwischen einer leisen Geschirrspülmaschine und einem wassersparenden Modell. Eine Gruppe aus unbeeinflussten Versuchsteilnehmer:innen entschied sich eher für die luxuriöse, nicht so umweltfreundliche Variante des Produkts. Wurden die Proband:innen vor der Entscheidung jedoch von den Forscher:innen zu der sozialen Wirkung der ökologisch sinnvollen Produkte befragt, die die Teilnehmer:innen als sehr positiv einschätzten,
Machen wir uns also bewusst, dass unser Verhalten eine Wirkung auf andere hat. Das kann dabei helfen, bestimmte Verhaltensweisen zu verfolgen – und damit ein Vorbild für andere zu sein.
4. Jede:r Einzelne zählt: So kann unser Hang zu Gruppen die Welt retten
Dass umweltbewusstes Verhalten andere beeinflusst, ist das wichtigste Gegenargument für die Aussage, Einzelne seien nicht dazu in der Lage, etwas zu verändern. Klar: Die Person zu sein, die den ersten Schritt tut, ist nicht leicht. Auch das zeigen Experimente wie die von Asch. Ein genauerer Blick auf die Ergebnisse macht allerdings Hoffnung. Denn sobald eine Person widerspricht, schließen sich andere eher der Meinung an, die ihnen richtig erscheint – auch wenn sie damit noch immer einer Minderheit angehören.
Wie wir mit unserem Verhalten andere motivieren können, thematisiert auch der
Eine Methode dafür ist den Umweltpsycholog:innen zufolge soziales Modellverhalten. Es bedeute, einen nachhaltigen Lebensstil vorzuleben, und habe sich in der Psychologie als erfolgreiche Strategie erwiesen,
Wenn wir zu Nachhaltigkeit ermutigen möchten, sollten wir uns selbst gegenüber anderen möglichst offensichtlich nachhaltig verhalten und Verhaltensspuren hinterlassen.
Auch wenn uns unsere soziale Gruppe klein erscheine, solle ihr Einfluss nicht unterschätzt werden, schreiben die Psycholog:innen weiter in ihrem Buch
Hier schließt auch Ökonom Robert Frank wieder an. Er sagt: Wenn wir umweltbewusste Denkweisen und Handlungen übernähmen, würden uns diese Verhaltensweisen wichtig. Das wiederum führe dazu, dass wir auch eher eine Partei wählten, die sich für entsprechende Themen einsetze.
Jede:r kann etwas verändern
Das ist wichtig, weil gerade beim Thema Umweltschutz (und auch bei vielen anderen Problemen)
Wer sich angesichts dieser Tatsachen bislang machtlos gefühlt und sich Fragen gestellt hat wie »Was soll ich schon bewegen?«, kann sich fortan die Ergebnisse aus der Sozialpsychologie in Erinnerung rufen: Jede:r Einzelne von uns ist dazu in der Lage, das eigene Umfeld zum Nachdenken zu bringen –
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily