Wohnst du noch oder pendelst du schon?
So unterschiedlich wollen die Parteien den Stau beim Wohnungsbau und auf den Straßen lösen.
1,4 Millionen Kilometer
Woher kommt die rekordverdächtige Blechlawine, die jeden Tag aufs Neue die Straßen der Republik verstopft? Sie hängt unmittelbar mit einem weiteren
Union und SPD wollen mehr Jobs aufs Land bringen – das wird die nächste Bundesregierung aber nicht davor bewahren, in diesen beiden Bereichen zu handeln: Wohnungsbau und Infrastruktur. Sie kann Einfluss nehmen, ob mehr oder weniger Menschen in Deutschland pendeln müssen, weil Wohnungen in Nähe des Jobs bereitstehen – oder ob sie sogar eher pendeln wollen als bisher, wenn die Verkehrsinfrastruktur besser und Stau seltener wird.
Wie haben die Parteien sich das gedacht?
Neue Wohnungen wollen alle – aber wie?
Nachdem
Das Stichwort »sozialer Wohnungsbau« taucht nur einmal im »Regierungsprogramm« der Union auf: als Rückblick auf die schwarz-rote Koalition, die den Ländern auf Betreiben von Bauministerin Barbara Hendricks (SPD)
»Die eigenen 4 Wände sind entscheidend für ein gutes Leben«, hält auch die SPD fest. Sie erinnert ebenfalls gern an die Investitionen der Großen Koalition in den sozialen Wohnungsbau auf Länderebene, will aber im Unterschied zur Union darauf aufbauen und weiterhin Geld bereitstellen. Damit auch im privaten Sektor mehr gebaut wird, stellt die SPD 2 Anreize in Aussicht: Erstens sollen Baustandards, die bisher in den Ländern festgelegt wurden, bundesweit verbindlich sein. Zweitens will sie finanzielle Anreize schaffen; welche das sind, geht aus dem Programm nicht hervor.
Auch bei den Grünen ist unklar, was »wir unterstützen die Entwicklung der Baukultur« konkret bedeutet – dafür nennen sie an anderer Stelle eine Zahl: Eine Million Sozialwohnungen will die Partei schaffen.
Wir wollen mit einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit faires, gutes und günstiges Wohnen schaffen, Genossenschaften wiederbeleben und den sozialen Wohnungsbau viel stärker fördern.
Noch mal konkreter wird die Linke: Auch in ihrem Programm taucht die Gemeinnützigkeit und
Bei der FDP ist Wohnungsbau zwar das hinterste Kapitel des Wahlprogramms, gibt aber eine klare Richtung vor: »Bremsen beim Wohnungsbau lösen«. Dazu wollen
Für die AfD ist Neubau sogar die einzige Möglichkeit, Mietpreispolitik zu betreiben; die Mietpreisbremse sei gescheitert. Wie der Neubau angekurbelt werden soll, erklärt das Wahlprogramm in ein paar Schlagworten: Neue Baugebiete sollen ausgewiesen werden, Bürokratie verringert und Kosten gedrückt, indem man auf angeblich »unnötige Vorschriften etwa zur Wärmedämmung« verzichtet.
Wie sollen alte Wohnungen bezahlbar bleiben?
Damit Eigentümer bei einem Mieterwechsel nicht mehr übermäßig die Preise anziehen können, hat die Große Koalition in der vergangenen Legislaturperiode die sogenannte Mietpreisbremse eingeführt. Bisher
Die SPD, die die Mietpreisbremse überhaupt erst angeleiert hat, will ihr Baby hingegen nicht gleich wieder abschaffen, sondern
Die AfD, wie oben schon gesagt, will über Neubau die Preise im Bestand stabilisieren. Die Mietpreisbremse verkehrt ihrer Auffassung nach den gewünschten Effekt ins Gegenteil.
Die Mietpreisbremse nimmt zwar einen großen Teil der Wohnungspolitik ein, manche Parteien setzen darüber hinaus aber noch weitere Schwerpunkte.
- Die FDP will stark einschränken, wer in Sozialwohnungen ziehen darf: Berechtigt sollen künftig nur noch Mieter sein, die abgelehnt werden, obwohl sie die Miete zahlen könnten.
- Die Linke will einen Mietspiegel für alle Städte ab einer gewissen Größe einführen. Bis dahin sollen Mieten gesetzlich bei 8,50 Euro
- SPD und Grüne wollen den altersgerechten und barrierefreien Umbau von Wohnungen einfacher machen.
Also unterschiedliche politische Maßnahmen, die dafür sorgen wollen, dass es in der Nähe jedes Arbeitsplatzes eine erschwingliche und attraktive Wohnung gibt? Ist das Stau-Problem jetzt gelöst?
Nein.
Jobs werden immer flexibler, besonders Union und FDP wollen sie weiter flexibilisieren. Seit den 1990er-Jahren steigt der
Welche Verkehrswege sollen in Deutschland ausgebaut werden?
In den Jahren 2000–2013 hat sich die durchschnittliche Pendelstrecke um rund 2 Kilometer erhöht. Für jeden Einzelnen sind 2 Kilometer überschaubar – für die deutschen Verkehrswege bedeutet es jedoch rund
Wie viel Verkehrsinfrastruktur soll neu gebaut werden? Darin bleibt die Union vage: »Wir werden auch weiter Straßen, Autobahnen und Brücken sanieren, neue Projekte realisieren und vorhandene Lücken schließen.« Damit der Güterverkehr weiter zunehmen kann, sollen neue Lkw-Parkplätze an Autobahnen gebaut werden – es sollen aber insgesamt mehr Waren auf die Schiene verlagert werden. CDU und CSU wollen in Gleisanlagen investieren, damit der Personenverkehr leistungsfähiger wird.
Die SPD spricht die Wählergruppe der Pendler direkt an: Damit sie »nicht permanent im Stau stehen«, wollen die Sozialdemokraten »mehr investieren, um die Verkehrswege zu erhalten und auszubauen«. Außerdem will sie, dass sich die Passagierzahlen der Züge bis 2030 verdoppeln –
Einen »nationalen Radverkehrsplan« bringen die Grünen ins Spiel, und auch zum Thema Schienenverkehr gebrauchen sie das Wort »Reform«: Jede Großstadt soll wieder von Fernzügen angefahren werden. Für die Grünen geht »Schiene vor Straße«, die Partei beklagt den zu starken
Die Linken lehnen den Verkehrswegeplan 2030 pauschal ab: »Statt neue Autobahnen zu bauen, wollen wir den Ausbau des ÖPNV sowie des Rad- und Fußverkehrs in den Kommunen und Regionen finanzieren.«
Wahrscheinlich rollen sich der FDP
Zur Freiheit gehört auch, ohne Gängelei selber zu entscheiden, welches Verkehrsmittel man benutzt, und neue Mobilitätskonzepte ausprobieren zu können. Machen wir den Weg frei.
Die AfD fordert, alle Verkehrsträger in den Verkehrswegeplan miteinzubeziehen – welche konkret gemeint sind, wird nicht näher ausgeführt.
Nachdem sich die Große Koalition vor ein paar Monaten ziemlich uneinig war,
Und wie kommen wir voran?
Die größte Neuerung, wie Pendler und Reisende künftig vom Fleck kommen könnten, steckt im Wahlprogramm der Grünen: Der »MobilPass« – ein digitales Ticketsystem, das überall und für alle Verkehrsmittel gilt,
Auch die CDU/CSU denkt, ohne ins Detail zu gehen, in eine ähnliche Richtung: »Es soll eine App und ein digitales Ticket geben, mit dem Fahrgäste überall in Deutschland fahren können.« Dabei sollen die 130 Verkehrsverbünde aufgelöst und zusammengeführt werden. Die SPD bleibt mit ihrer »digitalen Mobilitätsplattform« genauso unkonkret, stellt sich aber offenbar ein ähnliches System vor. Außerdem will sie den »Deutschlandtakt« einführen, einen
Die Linke würde den ÖPNV am liebsten kostenlos machen – die Gemeinschaft soll zahlen, nicht mehr der Fahrgast. Sie setzt sich außerdem für eine Mobilitätsgarantie – mindestens stündliche Anbindung – auf dem Land ein, die FDP sieht dort eher einen sinnvollen Anwendungsbereich für autonomes Fahren. Die AfD will ein »gut aufeinander abgestimmtes Nah- und Fernverkehrsnetz« auf der Schiene – konkreter wird das Wahlprogramm nicht.
Was bedeutet das für Stadt und Land?
Jeden Tag ein Stau, der einmal um Deutschland herumreicht – das darf es zum Ende der nächsten Legislaturperiode nicht mehr geben. Zur Entlastung könnten dann mehr Arbeitnehmer im Homeoffice arbeiten: Das gesamte Parteienspektrum bekennt sich
Was ebenfalls ziemlich wahrscheinlich kommen wird, ist ein bequemes deutschlandweites Ticket für den ÖPNV: Beide Volksparteien wollen das Konzept vorantreiben, der detaillierteste Aufschlag kommt aber von den Grünen. Nur die FDP könnte das Thema ausbremsen, wenn sie
Und wie sieht es mit den Wohnungen aus, die bestenfalls in der Nähe der Jobs liegen? Union, FDP und AfD setzen besonders stark auf Neubau, der den Markt regulieren soll. Dem soll auch die Mietpreisbremse weichen. SPD, Grüne und Linke wollen sie reformieren und legen vergleichsweise mehr Augenmerk darauf, die Mieten in bestehenden Häusern politisch zu regulieren. Wohnungsneubau soll vor allem sozial sein – Grüne und Linke stellen zur Entlastung des Marktes eine Million Sozialwohnungen in Aussicht.
Wie bringen wir in Deutschland also attraktives Wohnen und Verkehr zusammen? Ob am Ende mehr oder weniger Stau dabei rauskommt, liegt ganz an den Parteien.
Dieser Artikel gehört zu unserer Reihe »Deine Wahl 2017«. Du willst mehr zum Thema lesen? Klicke hier!
Mit Illustrationen von Janina Kämper für Perspective Daily