Zynismus ist nicht smart. So gewöhnst du ihn dir ab
Zynische Menschen glauben gern, sie hätten die Welt verstanden. Doch sie irren. Mit ihrer Einstellung schaden sie sich selbst und anderen. Auch ich bin in die Falle getappt – und will mich jetzt daraus befreien.
Als die Tage des vergangenen Jahres kürzer und dunkler wurden, stellte ich fest, dass auch in mir etwas dunkler geworden war. Hatte ich das politische Tagesgeschehen früher mit Elan, Empathie oder aufrichtiger Empörung kommentiert, bemerkte ich nun, wie mir immer öfter ein zynischer Kommentar zu Themen herausrutschte, die in mir Hilf- und Hoffnungslosigkeit weckten.
Von solchen Themen gab und gibt es genug: Da wären die Kriege in Nahost, der Ukraine und anderswo. Femizide und krasse Fälle von sexualisierter Gewalt wie der, den
Immer öfter entlockt mir all das wenig mehr als einen schnippischen Spruch. Nicht, weil mir die Weltlage egal wäre oder ich sie witzig fände. Sondern, so vermute ich zumindest, weil ich mich vor dem Gefühl der Überforderung schützen möchte, die sie in mir auslöst. Ist Zynismus mein Gartenzaun, der eine Grenze zwischen mir und der Welt da draußen zieht, wenn ich nicht mehr aushalte, was ich dort sehe?
Mit diesem Gedanken fühle ich mich unwohl. Seit 8 Jahren bin ich Mitglied einer Redaktion, die versucht, konstruktiv auf die Welt zu blicken. Mit Zynismus ist das kaum vereinbar. Wie konnte es passieren, dass er in meinem Leben auf einmal so viel Raum einnimmt? Und was kann ich dagegen tun?
Ich begebe mich auf Spurensuche. Zynismus – was ist das überhaupt?

»Geh mir aus der Sonne!« Zynismus in der griechischen Antike
Im Altgriechischen steht das Wort »kyon« für Hund, »kynikos« für »hündisch« oder »schamlos«. Danach ist der Kynismus als Strömung der antiken Philosophie benannt, und davon leitet sich auch das Wort Zynismus ab.
Der populärste Kyniker war vermutlich Diogenes, der aufgrund seiner Lebensweise den Spitznamen »Kyon« bekommen haben soll. Wo Plato vornehm dozierte, furzte Diogenes in der Öffentlichkeit. Er schlief in einem Fass, propagierte Bedürfnislosigkeit, Genügsamkeit und das hemmungslose Ausleben der menschlichen Triebe.
Es gibt keine schriftlichen Ausarbeitungen der kynischen Philosophie von Diogenes oder anderen, sie ist nur durch überlieferte Anekdoten bekannt. Das berühmteste Zitat wird Diogenes zugeschrieben. Eines Tages soll Alexander der Große ihn aufgesucht haben, der gerade zum Oberfeldherrn ernannt worden war. Viele Philosophen hatten ihm seine Aufwartung gemacht und zum neuen Amt gratuliert; nicht so Diogenes. Also suchte Alexander den Kyniker auf und fragte ihn höflich, womit er ihm dienen könne. Die Antwort:
Kein Respekt vor Autoritäten, Spott gegenüber der herrschenden Ordnung – das verbindet die Kyniker von damals mit vielen Zyniker:innen von heute.
Ganz nach dem Motto: Es ist mir egal, was die anderen denken, ich habe verstanden, wie die Menschen wirklich ticken. Der Kyniker hat, wie so mancher Zyniker heute, Lust an der Provokation. Auf diese Weise will er der Gesellschaft den Spiegel vorhalten.
Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 1854 wird Zynismus wie folgt definiert:
Der Zyniker missachtet aus einer verneinenden Grundhaltung heraus die überkommenen Ideale in Sitte und Recht, setzt sie durch seinen beißenden Spott herab, nicht selten mit der bewussten Absicht, die Gefühle seiner Umwelt zu verletzen.
Ganz schön destruktiv. Doch was steckt dahinter? Im Wesentlichen ein mangelndes Vertrauen in das Gute in der Welt, meint der US-amerikanische Psychologieprofessor Jamil Zaki, der ein Buch über das Thema geschrieben hat. In
Dabei stößt er auf Gründe, die mir bekannt vorkommen.

Warum ich (wie so viele andere) in die Falle getappt bin
Meine zynischen Kommentare zum politischen Tagesgeschehen stoßen im Normalfall nicht auf Ablehnung, sie kommen niemandem dumm vor. Im Gegenteil. Oft bringe ich Leute damit zum Lachen. Jamil Zaki würde das nicht überraschen: Wir leben in einer Gesellschaft, die Zynismus als Grundhaltung geradezu verherrlicht, so der Psychologieprofessor.
Dafür seien vor allem 3 Mythen verantwortlich:
- »Zynismus ist smart.« Während Optimismus und ein hoffnungsvoller Blick auf die Welt oft als naiv gelten, nehmen viele Menschen an, dass eine zynische Haltung realistischer ist. Wer spöttisch kommentiert, hat es »schon immer gewusst« oder »nichts anderes erwartet«, wenn etwas Negatives eintritt – wenn Rechtsextreme Wahlerfolge feiern, eine Schreckensmeldung die nächste jagt. Tatsächlich werden zynische
Doch Jamil Zaki hat mit einem Blick auf die Forschung Erstaunliches zu vermelden: Zyniker:innen schneiden in kognitiven Tests oft schlechter ab. - »Zynismus schützt uns.« Gehen wir grundsätzlich davon aus, dass Menschen egoistisch sind und an jeder Ecke Unheil wartet, schützt uns das möglicherweise davor, betrogen oder angegriffen zu werden. Doch das führt auch dazu, dass wir uns selbst um das betrügen, was das Leben eigentlich lebenswert macht: Kollaboration, Liebe und Gemeinschaft. All das erfordert Vertrauen in unsere Mitmenschen. Vertrauen, das Zyniker:innen fehlt. Wenn wir andere chronisch unterschätzen, setzen wir eine Spirale der Negativität in Gang, die Ansteckungspotenzial hat – zum Beispiel dann, wenn wir anfangen, schlecht über andere zu reden.
- »Zynismus ist moralisch unbedenklich.« Zynismus lähmt, auch politisch. Es ist kein Zufall, wenn progressiv Denkende abfällig als naive Gutmenschen bezeichnet werden. Zynismus trage letztlich dazu bei, den Status quo zu erhalten, schreibt Jamil Zaki in seinem Buch. Denn Menschen, die ihn verinnerlichen, kommentieren die Dinge eher aus sicherer Distanz, anstatt sich einzumischen und etwas zum Besseren zu bewegen.
Zyniker prangern Ungerechtigkeit an, wo immer sie ihnen auffällt, aber das bedeutet nicht, dass sie sich für Veränderungen einsetzen. Umfragen unter Zehntausenden weltweit haben ergeben, dass Menschen, die anderen vertrauen, eher wählen,
Zynismus wird im schlimmsten Fall zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, mit negativen Folgen für die Gesellschaft – und sogar für unsere Gesundheit.

Wie Zynismus uns und anderen schadet
Wer anderen nicht vertraut, tut sich schwerer damit, Bindungen einzugehen. Die Forschung liefert Hinweise darauf, dass zynische Menschen weniger empathisch sind, häufiger rassistischen Vorurteilen erliegen und sich stärker von ihrer Umwelt isolieren als Menschen, die eher das Gute in anderen sehen.
Die Folge kann Vereinsamung sein. Einsame Menschen, die keine oder zu wenig erfüllende Beziehungen pflegen,
Zynismus ist also nicht nur schlecht für die Seele, sondern auch für den Körper. Forschungsergebnisse weisen zudem auf Zusammenhänge zwischen einer zynischen Grundhaltung und vermehrten Entzündungen sowie Herzerkrankungen hin, heißt es in einem Überblicksartikel im Magazin Psychologie Heute, der sich mit der Frage beschäftigt,
Überhaupt gibt es erstaunlich viel Forschung

So macht uns unsere Umwelt zu Zyniker:innen
Wenn ich zu meinem täglichen Spaziergang in den Park aufbreche, führt mein Weg zunächst durch ein tristes Wohngebiet. Ich würde mich nicht wundern, wenn es in irgendeiner Verwaltung als »Problemviertel« gilt. Am Straßenrand stapelt sich der Abfall: abgebrannte Mülltonnen, kaputte Kühlschränke, leere Getränkekartons. Die Straßenreinigung kann gar nicht so schnell kehren, wie sich hier neuer Unrat ansammelt.
Ich finde das traurig und frustrierend, es macht meinen Alltag ein bisschen hässlicher. Darüber beschwere ich mich öfter im Gespräch mit anderen. Doch ich könnte auch von einem Post erzählen, den ich vor Kurzem in einem sozialen Netzwerk für die Nachbarschaft gesehen habe: Dort verabreden sich Menschen regelmäßig zum gemeinsamen Müllaufsammeln. Das fördere die Gemeinschaft, die Gesundheit (Bewegung an der frischen Luft!) und erzeuge natürlich ein gutes Gefühl, so die Verfasserin des Beitrags.
Über die
»Kinder sind scharfsinnige Wissenschaftler und wie Erwachsene sprechen, hilft ihnen, die Welt zu verstehen.« – Jamil Zaki, Psychologe
Seit er das erkannt habe, achte er darauf, wie und über was er vor seinen Kindern spreche. »Ich gebe mir Mühe, auch auf positive Dinge hinzuweisen, die andere getan haben. Letzte Woche blieb ich mit dem Auto auf einer vielbefahrenen Straße hinter einem Baufahrzeug stecken, bis schließlich ein anderer Fahrer anhielt, damit ich die Spur wechseln konnte.« Normalerweise würde diese kleine Gefälligkeit in der morgendlichen Routine untergehen. Dieses Mal habe er erklärt, wie Fremde langsamer führen, um anderen zu helfen.
Auch Medien tragen dazu bei, dass wir zu Zyniker:innen werden, indem sie vor allem über das berichten, was falsch läuft.
Und schließlich haben auch viele Unternehmen eine zynische Grundhaltung verinnerlicht. Sie setzen auf Wettbewerb unter den Mitarbeitenden, Individualismus und Kontrolle, statt auf Kollaboration, Vertrauen und Teamgeist. In diesem Zusammenhang beschreibt Zaki das Beispiel Microsoft. Fast wäre der Konzern an dieser Haltung zugrunde gegangen: In den frühen 2000er-Jahren war die Unternehmenskultur unter CEO Steve Ballmer von
Doch sie funktionierte nicht. Mitarbeitende sabotierten sich gegenseitig, anstatt gemeinsam an dringend nötigen Innovationen zu arbeiten. Sie verhielten sich wie die am Eigennutz orientierten Menschen, die der CEO in ihnen sah – zum Nachteil aller. Ballmers Nachfolger Satya Nadella ersetzte das Leitbild des egoistisch handelnden Homo oeconomicus durch das vom Homo collaboratus. Mitarbeitende wurden nicht mehr nur aufgrund ihrer individuellen Performance im Unternehmen bewertet, sondern auch danach, wie sehr sie andere unterstützten. Die Menschen im Unternehmen bekamen mehr Freiraum, durften von zu Hause aus arbeiten und erhielten Zugang zu Gesundheitsleistungen, die nicht nur das körperliche, sondern auch das mentale Wohlbefinden in den Blick nahmen. Mit Microsoft ging es bergauf. Auch wirtschaftlich.
»Mitarbeitende in zynischen Organisationen sind weniger zufrieden und schneller ausgebrannt«, fasst Zaki zusammen. Umgekehrt stoße ich während meiner Recherche immer wieder darauf, dass Zynismus auch ein
Spätestens jetzt habe ich verstanden: Zynismus ist schlecht. Der vermeintliche Schutzwall, den ich mir baue, wenn ich mit einem sarkastischen Kommentar jede ernsthafte Auseinandersetzung mit einem schweren Thema abblocke, ist in Wirklichkeit keiner. Ich blocke nichts ab, ich mauere mich ein, schade mir selbst und im schlimmsten Fall auch noch meinen Kolleg:innen und Freund:innen.
Wie mache ich Schluss damit?

Das beste Mittel gegen Zynismus ist ein Gefühl von Verbundenheit
Oft meinen wir es nicht böse, wenn wir schlecht über andere sprechen, manchmal versuchen wir sogar,
Das ist eine kleine Übung, die Jamil Zaki all jenen empfiehlt, die ihrer Umwelt positiv und vertrauensvoll gegenübertreten wollen.
Doch der wichtigste Ratschlag des Wissenschaftlers lautet: Sei skeptisch gegenüber deinen Annahmen, wenn du mal wieder nur das Negative siehst. Fact-checke deinen Zynismus und verstehe, welche Macht er über dein Leben hat. Denn oft erinnern wir uns ausgerechnet an Momente, in denen sich unsere negativen Annahmen bestätigt haben – und handeln dann so, dass wir gar nicht erst das Risiko eingehen, wieder enttäuscht oder verletzt zu werden. Doch damit verbauen wir uns Chancen, an unserem negativen Weltbild zu rütteln.
Zaki empfiehlt, immer wieder kleine Experimente in den Alltag einzubauen. Würden wir zum Beispiel davon ausgehen, dass unsere Arbeitskolleg:innen alle nur an sich denken, könnten wir 3 von ihnen um einen Gefallen bitten. Wenn nur eine Person darauf eingeht, sollten wir unseren Zynismus auf den Prüfstand stellen.
Zaki rät auch dazu, im privaten Umfeld (vermeintliche) Risiken einzugehen: Gibt es etwas, was du einer Freundin oder deinem Partner schon immer mitteilen wolltest – sei es ein Wunsch,
Das beste und zuverlässigste Mittel gegen Zynismus ist ein Gefühl von Verbundenheit. Wie wir dieses Gefühl finden, darüber hat die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel ein Buch geschrieben:
Darin beschreibt sie, wie sich viele Menschen im Alltag einsam fühlen und nach neuen oder tieferen Verbindungen mit anderen sehnen, obwohl wir in einer Welt leben, die vernetzter ist als je zuvor. Doch immer öfter finden Interaktionen nur digital statt.
Von Wurmb-Seibel regt dazu an, darüber nachzudenken, wie viele Leute wir abgesehen von unseren Arbeitskolleg:innen regelmäßig sehen, und zu reflektieren, ob und in welchen Bereichen wir einen Mangel spüren. Umgekehrt lohnt es sich, darüber nachzudenken, in welchen Situationen wir uns von einem Gefühl der Verbundenheit erfüllt fühlen. Beides ist ein erster Schritt, um mehr davon zu schaffen.
Für mich schaffen gemeinsame Erlebnisse ein Gefühl von Nähe. Mit einigen meiner Freundinnen und Freunde beschränkt sich der gemeinsame Kontakt oft auf sporadische Abendessen unter der Woche, vermerkt in einem 2–3-Stunden-Zeitslot nach potenziell stressigen Arbeitstagen. Das können trotzdem schöne Abende sein. Doch die freundschaftsprägenden Momente sind meist wahrscheinlich andere.
Kürzlich fragte mich eine Freundin, ob wir nicht einen ganzen Tag zusammen verbringen wollen. Wir trafen uns zum Frühstück, fuhren anschließend nach Potsdam, flanierten über den Weihnachtsmarkt und bestellten uns am Abend Pizza, die wir auf meiner Couch aßen, während auf dem Beamer eine Reality-TV-Show lief.
Was sich gut anfühlt, verrät uns unser Körper, schreibt Wurmb-Seidel richtig: »Stresshormone senden uns Signale, welche Situationen wir meiden sollten, während die richtige Art Verbundenheit bei uns angenehme Gefühle auslöst.«
Ich habe eigentlich ein feines Radar für die Momente im Alltag, in denen sich das Gute in Menschen offenbart. Ich kann vertrauen, gehe auch mal ein soziales Risiko ein und weiß, wie ich Verbundenheit schaffe, mit Fremden wie mit Freund:innen.
Die Arbeit an diesem Text half mir, zu erkennen: Mein Zynismus sitzt nicht tief, er ist punktuell und aktuell vielleicht Ausdruck einer Überlastung. Um dem entgegenzuwirken, nehme ich mir in diesem Frühling eine 2-monatige Auszeit. Denn diese Recherche hat mir auch gezeigt: Zynisch bin ich nicht smart, nicht lustig, sondern schlicht und einfach eine Zumutung. Für andere und für mich selbst.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily