Backstage im Bundestag: Ein Abgeordneter zeigt, wie es wirklich zugeht
Muhanad Al-Halak kam als Geflüchteter nach Deutschland. Heute ist er Abgeordneter und legt sich mit der AfD an. Ein Blick in seinen Arbeitsalltag zeigt: Politik ist viel ruhiger und kompromissfähiger, als sie nach außen wirkt.
Er weiß, was heute Mittag passieren wird. Mit wackligen Beinen und leerem Magen wird er zum Pult gehen, hinter sich an der Wand den zweieinhalb Tonnen schweren Adler mit ausgefahrenen Krallen, als griffe er nach ihm. Dann wird Muhanad Al-Halak seine 21. Rede im Plenarsaal des Bundestages halten, vielleicht seine wichtigste.
Es ist 8:30 Uhr, als er vorm Abgeordnetengebäude in der Dorotheenstraße 93 ankommt, in der linken Hand eine schwarze Aktentasche, in der rechten ein Pappbecher mit Kaffee. Am Morgen dieses Arbeitstages, der noch 15 Stunden dauern wird, liegt die Berliner Luft schwer und schwül über der Stadt. Die Sonne hat sich verzogen.
Al-Halak, 35, ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages und gelernter Abwassermeister. Heute lautet seine Mission, wie so oft, einen Kompromiss zu suchen. Das klingt nicht sexy. Aber ohne den geht es nicht in einer Demokratie. Da ist die Koalition aus SPD, Grünen und FDP, die oft keine Einigkeit zeigen, aber eine finden müssen. Dann sind da noch CDU, CSU und Linke, die über den Bundesrat bei Gesetzen mitreden. »Ein guter Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen«, sagte einmal Bundeskanzler Ludwig Erhard.
Al-Halak schließt sein Büro auf. Nach Kuchen ist ihm kaum, »ich werde bis zu meiner Rede nichts runterkriegen, dafür bin ich zu aufgeregt«. Auf ihn warten heute bei der 178. Sitzung in dieser Legislatur 22 Tagesordnungspunkte, über die 733 Abgeordnete beraten werden – bis in die Nacht. Die Sommerpause naht, da muss für Deutschland noch mancher Beschluss her. Er holt ein Tablet aus der Tasche.
Heute soll er gleich zwei Reden halten. Die erste antwortet auf einen Antrag der AfD-Fraktion, die eine Enquete-Kommission fordert, Titel: »Kulturelle Differenzen als mögliche Ursache von Integrationsproblemen bei Zuwanderern«. Die zweite behandelt »Wassermanagement für die Spree«. Beides Themen von schwerem Gewicht, Millionen Menschen sind davon betroffen. Beim ersten geht es um das Miteinander in der Republik – und das Aufregerthema schlechthin: Migration. Beim zweiten um die Gefahr, dass der Hauptstadtfluss austrocknet – ein technisches Problem, für das sich trotz der Tragweite kaum Leute jenseits der Fachwelt interessieren.
Gestern hatte er nach sieben Terminen um elf Uhr am Abend sein Hotel erreicht und sich in beide Reden vertieft, bis nach Mitternacht. Vor sechs war Al-Halak heute Morgen wach, »das ist immer so, ich habe einen inneren Wecker. Und sind einmal die Augen offen, kommen die Gedanken. Das ist wie ein Motor, der nicht stoppt.« Er stockt kurz. »Es gibt ja auch viel zu tun.«
Titelbild: Sascha Montag - copyright