Hier entsteht die Technik für die andere Hälfte der Welt
Apple und Samsung haben keine Ahnung, was Handys und Router in Kenia können müssen. Deshalb bauen diese 3 Start-ups ihre Hardware einfach selbst.
Die technischen Geräte, mit denen wir uns umgeben, sind Diven: Ständig wollen sie aufgeladen werden, ohne eine gute Internetverbindung sind sie nicht viel mehr als Klumpen aus Glas und Plastik und ein mäßig hoher Fall auf den Gehweg endet meist in einer teuren Reparatur.
Für uns sind diese Kompromisse hinnehmbar, denn Steckdosen sind fast allgegenwärtig und im Zweifel haben wir das Kleingeld, um ein neues Gerät zu kaufen. Aber für einen großen Teil der Weltbevölkerung ist die Technik von heute völlig ungeeignet.
Nicht etwa, weil die Bevölkerung des Kongos ein grundsätzliches Problem mit der Ästhetik des iPhones hätte. Sondern weil sowohl die Funktionen und das Geschäftsmodell moderner
Nischenmärkte mit 3 Milliarden Kunden
Moderne Technologien stehen in Afrika, Asien, Südamerika und dem Nahen Osten vor Herausforderungen, die einer Belastungsprobe gleichkommen.
- Stabile Stromversorgung: Eine verlässliche Stromversorgung ist zwischen Kinshasa und Kalkutta Mangelware. Und ohne Strom kein stabiles WLAN. 1,2 Milliarden Menschen weltweit haben überhaupt keinen Zugang zum Elektrizitätsnetz, noch mehr müssen mit
- Extremes Wetter: In Ländern mit Wüsten oder Monsunregen streicht unsere filigrane Technik besonders schnell die Segel – sie wird nass oder verstaubt.
- Netzzugang: Nur 40% der
- Armut: Das Geschäftsmodell moderner Technik setzt bei den Kunden ein hohes verfügbares Einkommen voraus. Knapp 50% der Weltbevölkerung lebt aber in armen Staaten mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von
Ein Router oder ein Tablet muss in Kinshasa und Accra andere Hürden nehmen als in Berlin oder San Francisco. Ein großer Teil der Menschheit profitiert also nicht von den Vorzügen moderner Technik, weil Lenovo, Samsung und Apple ihre Geräte nicht für die Basis, sondern für die Spitze der Wohlstandspyramide designen. Entweder ist ihre Hardware leistungsstark, hochwertig und teuer. Oder sie ist billig, hat aber einen eingeschränkten Funktionsumfang und hält den Nutzungsbedingungen in Entwicklungsländern nicht stand.
Dass es auch anders geht, zeigen eine Handvoll Start-ups aus Afrika – und verdienen mit ausgefeilten Geschäftsmodellen auch noch gutes Geld. Was internationale Konzerne als unbedeutende Nischenmärkte betrachten, könnte so zum Ursprung der nächsten großen Innovationswelle werden, von der auch wir profitieren können. 3 dieser Start-ups habe ich mir in Kenia genauer angeschaut.
1. Another BRCK in the Wall – so funktioniert der unverwüstliche Router
»Unsere Mission ist es, Afrika mit dem Internet zu verbinden«, sagt Nivi Sharma selbstbewusst. Die Kenianerin ist Managing Director bei
BRCK ist aus Frustration mit dieser Realität geboren. Nivi Sharma erinnert sich noch lebhaft an das Jahr 2013: »Man hat sich gefühlt wie in den 1990er-Jahren.« Wenn in ihrem
Für jemanden wie unseren Gründer Erik Hersman hat das einfach keinen Sinn ergeben. Das Problem war die Hardware: Wir haben Produkte importiert, die von und für Menschen außerhalb von Afrika gemacht waren, und erwartet, dass sie unsere Probleme lösen.
Hersman und seine Mitgründer starteten eine Crowdfunding-Kampagne, um eine neue Art von Router zu entwickeln und produzieren zu lassen. Der BRCK, der auch der Firma ihren Namen gegeben hat, war grundlegend anders als die Geräte, die wir in Europa von unserem Internetanbieter ins Haus gestellt bekommen: Er wechselt selbstständig zwischen Festnetz-DSL und mehreren Mobilfunknetzen, je nachdem, welche Leitung gerade die beste Internetverbindung hergibt. Dank der eingebauten Batterie wie auch dem Anschluss für ein Solarpanel ist der Router vom Stromnetz unabhängig und dank eingebautem Speicher als Server einsetzbar. Und natürlich ist der BRCK wasser- und staubdicht sowie stoßfest.
Die erste Version des 2013 vorgestellten Geräts war vor allem ein Achtungserfolg. »Wir haben gezeigt, dass wir schaffen, was Konzerne wie Intel und Facebook nicht hinbekommen: In Afrika Hardware zu bauen, die für Afrika funktioniert«, meint Sharma.
Inzwischen gibt es die zweite Generation, den »SupaBRCK«. Der als unscheinbarer grauer Kasten daherkommende Router kann mit 3 DSL-Anschlüssen und 3 Mobilfunknetzen gleichzeitig verbunden werden und so 60 Nutzer auf einmal mit WLAN versorgen.
In einem Technikmarkt wird man das Gerät trotzdem nicht finden.
Den Router einfach an Konsumenten zu verkaufen, würde für den größten Teil der afrikanischen Bevölkerung ein anderes elementares Hindernis auf dem Weg zum Internetzugang nicht lösen, so Sharma: das fehlende Geld. BRCK peilt darum ein anderes Geschäftsmodell an: freies WLAN, finanziert durch Aufmerksamkeit.
Bis Mitte 2019 wollen wir 8.000 SupaBRCKs so über Kenia verteilen, dass sich 95% aller Smartphone-Nutzer mindestens einmal pro Tag über unser Netzwerk frei ins Internet einwählen können.
Unternehmen und Organisationen können sich außerdem auch ein Stück virtuellen Speicherplatz auf dem SupaBRCK mieten. »Wir haben 5 Terabyte Speicher auf jedem Router. Wenn jemand seine Website oder seine App kenianischen Nutzern zur Verfügung stellen will, muss er sie also nicht auf einem kalifornischen Cloud-Server speichern. Wir können sie auf 8.000 Super-BRCKs in ganz Kenia kopieren. So sind die Inhalte in hoher Geschwindigkeit verfügbar und sogar dann abrufbar, wenn das Internet komplett ausgefallen ist.«
2. Wenn der Gasmann 2-mal klingelt – saubere Energie zum Kochen dank intelligenter Technologie
In vielen Entwicklungsländern gibt es aber noch wichtigere Bedürfnisse als ein stabiles Internet. Zum Beispiel eine warme Mahlzeit.
»Wir haben hier in Nairobi für verschiedene Firmen gearbeitet und uns gefragt, warum die Bewohner von
Dabei ist Gas eigentlich sogar billiger als Kerosin oder Holzkohle. Das Problem: »Die meisten Menschen können sich Erdgas nicht leisten, weil die Anfangsinvestitionen zu hoch sind«, sagt Talsma. 80 bis 100 Euro muss man für einen Gaskocher und eine gefüllte Gasflasche inklusive Pfand ausgeben – und zwar auf einmal. Wenn die Flasche leer ist, kostet das Auffüllen erneut zwischen 6 und 7,50 Euro, Transport von und zur Tankstelle nicht mitgerechnet. Die Menschen leben aber von Tag zu Tag. Keiner kann sparen.
Für Wasser und Strom gibt es in vielen Ländern schon Prepaid-Zähler, mit denen Kunden kleine Mengen vorab bezahlen können. Wir haben uns gedacht: Warum sollte das mit Gas nicht auch möglich sein?
Seit 3 Jahren entwickelt das multinationale Team von PayGo darum einen intelligenten Gaszähler, der fest mit einer 6-Kilogramm-Gasflasche verbunden ist. Bei Vertragsabschluss bekommen die Kunden von PayGo eine volle Gasflasche, einen Zähler und auch einen Gaskocher mit 2 Flammen bereitgestellt. Gasflasche und Zähler bleiben immer im Besitz von PayGo, der Kocher geht nach einigen Monaten in den Besitz des Kunden über.
»Unsere Kunden können über ihr Handy auch sehr kleine Guthaben auf den Zähler laden«, so Talsma. Der Verbrauch wird genau abgerechnet. Wenn die Gasflasche fast leer ist, meldet der Zähler das an PayGo und ein Kundenbetreuer kommt ohne Aufforderung, um die Flasche auszutauschen. Das System sei bei ihren Kunden extrem beliebt, meint Talsma. Allerdings habe die Firma auch eine steile Lernkurve durchlaufen müssen.
Neben der Kindersicherung sei vor allem der Brandschutz eine wichtige Erwägung gewesen. Und natürlich die Sicherung des Zählers gegen Manipulation. Dass die Belegschaft von PayGo zu einem großen Teil aus Kenianern besteht, sei dabei sehr wichtig gewesen, so Laura Talsma.
Die größten technischen Hürden seien aber inzwischen überwunden. Bei mehr als 200 Kunden ist ein Prototyp bisher im Einsatz. Im nächsten Jahr soll der Kundenstamm langsam ausgebaut werden, bevor die vollständige Marktreife angestrebt wird. »Je nachdem, wieviel Gas ein Kunde verbraucht, haben wir unsere Investition nach etwa einem Jahr wieder drin«, erklärt Talsma das Geschäftsmodell. Danach verdient PayGo an jeder Kilowattstunde Gas ein wenig mit.
3. 3D-Drucker und Co. – die Schaltstelle der vierten industriellen Revolution
Ein weiteres junges Unternehmen,
Seit Kurzem ist Gearbox in einem großen Gebäude in einem Gewerbeviertel von Nairobi anzutreffen. Am Eingang wird man von Bauarbeitern begrüßt, die Mitarbeiter sitzen in provisorisch anmutenden Sitzgruppen in unfertigen Büros.
»Das Gebäude war vorher eine Bank«, erzählt Brenda Livoi, Technische Leiterin bei Gearbox, während sie mir zeigt, was hier in den nächsten Wochen entstehen soll. Im Erdgeschoss stehen in einem großen Raum Plasma-Schneider, CNC-Drehmaschinen und Schweißgeräte. Daneben sind in einem kleinen Zimmer mehrere 3D-Drucker untergebracht. »Unternehmer und Start-ups können bei uns Büroräume oder auch nur einen Schreibtisch mieten und gleichzeitig unseren Maschinenpark nutzen«, beschreibt Livoi die Grundidee hinter Gearbox.
PayGo ist eines der Unternehmen, die auf die Möglichkeiten von Gearbox zurückgreifen. Insgesamt sind derzeit 5 Start-ups unter dem Dach von Gearbox zu Hause. Noch ist ein Großteil der Räume leer, durch die Livoi führt. Wenn alles fertig ist, wird es hier neben Büros und Werkstätten auch Aufenthaltsräume und ein Restaurant geben. »Unser Ziel ist es, eine Gemeinschaft von gleichgesinnten Unternehmen aufzubauen«, so Livoi. »So können wir Erfahrungen austauschen, Aufträge untereinander vergeben, zusammen Investoren anziehen.«
Für Livoi ist es nur logisch, dass Hardware, die für Menschen in Kenia gedacht ist, auch hier entwickelt und hergestellt wird. »Wenn man hier lebt, dann versteht man die Probleme, die man lösen will. Wir versuchen, aus den Ressourcen, die wir hier lokal vorfinden, etwas zu machen. Bevor wir etwas aus China kaufen, versuchen wir immer erst mal, es hier selbst herzustellen.«
Lokale Märkte, internationale Chancen
Eine kritische Masse an gut ausgebildeten und kreativen Unternehmern und Ingenieuren ist in Kenia vorhanden, da sind sich alle Gesprächspartner einig. Und Beispiele wie BRCK und PayGo zeigen, dass man mit innovativen Geschäftsmodellen auch finanziell schwachen Menschen hochwertige Hardware und Dienstleistungen anbieten kann.
Woran es fehlt, sind Investoren. Grundsätzlich interessieren sich viele Menschen dafür, Geld in kenianische Start-ups zu investieren. Zwischen den meist westlichen Kapitalgebern und lokalen Unternehmern gibt es aber viele Missverständnisse. Westliche Investoren haben bestimmte Vorstellungen, wie ein guter Businessplan und ein vertrauenswürdiger Gründer aussehen. Viele potenzielle Kunden in Entwicklungsländern verfügen aber über keine offizielle Adresse, kein Bankkonto und die Polizei lässt sich in ihren Wohnvierteln nicht blicken. Dass man unter diesen Bedingungen trotzdem Geld verdienen kann, ist Investoren schwer vermittelbar.
Vielleicht ist es aber auch eine Chance für Länder wie Deutschland, jenseits von Nahrungsmittellieferungen und Landwirtschaftsprogrammen Entwicklungshilfe neu zu denken. »Was unser kleiner Mikrokosmos von Hardware-Unternehmen hier geschafft hat, zeigt, wie die Europäische Union Investitionen und Zusammenarbeit mit Afrika angehen sollte«, ist Nivi Sharma von BRCK überzeugt.
Den großen internationalen Technologieunternehmen wiederum halten die lokalen Start-ups mit ihren kreativen Lösungen gekonnt den Spiegel vor. Mit wenig Geld werden hier Probleme gelöst, an denen die Ingenieure aus dem Silicon Valley scheitern – wenn sie sich überhaupt darum kümmern. Genauso wie die Industrienationen können aber auch die Technologieriesen von der Herangehensweise afrikanischer Start-ups lernen oder durch Investitionen zumindest dafür sorgen, dass mehr gute Ideen auch umgesetzt werden können.
Strategische Investitionen in Start-ups in Kenia und anderen Entwicklungsländern könnten dort zum Entstehen völlig neuer Wirtschaftsbereiche führen. Kenianische Konsumenten hätten die Möglichkeit, vom globalen technischen Fortschritt zu profitieren. Und wer weiß, von den Innovationen solcher Start-ups würden unter Umständen auch deutsche Kunden profitieren. Ich warte jedenfalls immer noch auf ein Unternehmen, das mir ein gutes Smartphone verkaufen will, das länger als einen Tag ohne Aufladen durchhält.
Titelbild: BRCK - copyright