8 Erkenntnisse aus dem Koalitionsvertrag, die du auf dem Schirm haben solltest
CDU, CSU und SPD haben ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Nicht alle finden ihn super. Was drin steht und wie es jetzt weitergeht.
Friedrich Merz lächelt viel, als er im Berliner
Bei der Vorstellung des Vertragswerks schien das vergessen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stand bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags jedenfalls entspannt lächelnd neben Merz, lobte den Vertrag überschwänglich, scherzte sich durch den Nachmittag und sprach natürlich ausdauernder als alle anderen.
Am 6. Mai soll Friedrich Merz laut Medienberichten nun zum Kanzler gewählt werden. Die CSU hat dem Vertrag inzwischen zugestimmt, auch bei der CDU gilt eine Zustimmung auf dem kleinen Parteitag als recht sicher. Nur bei der SPD entscheiden jetzt alle Mitglieder – und in Teilen der Partei, vor allem bei den Jusos, rumort es deutlich. Aber dazu später mehr.
Worauf haben sich SPD, CDU und CSU letztendlich also geeinigt? Was steht in ihrem 144-seitigen Dokument? Kommt der von Unionsseite viel beschworene Politikwechsel? Ich habe mich durchgeblättert und die 8 wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.
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1. Was das wichtigste Wort im Vertrag ist
Ein sperriger Begriff dürfte die Arbeit der wohl kommenden schwarz-roten Bundesregierung in den nächsten 4 Jahren besonders prägen. Im Vertrag heißt es konkret: »Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.« Soll heißen: Alles, was kommen soll, kann nur kommen, wenn das Geld dafür da ist. Eine Einschränkung, die viel Raum für unterschiedliche Deutungen lässt. Lars Klingbeil, aber auch Thorsten Frei (CDU) haben darauf hingewiesen. Dort, wo es im Koalitionsvertrag »wir werden« heißt, scheint die Umsetzung weitgehend beschlossen. Bei »wir wollen« noch nicht. Auch das Wort »prüfen« kommt oft vor. Ein Code für: nicht vom Tisch, aber auch nicht ganz obendrauf.
Beispiele: Mütterrente, Pendlerpauschale und Einkommensteuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen in 2 Jahren – all das zählt zur Kategorie »wir werden«. Eine Strompreisentlastung um 5 Cent pro Kilowattstunde, mehr kostenfrei nutzbare Sanitärinfrastruktur auf Rastplätzen oder die Förderung von Dörfern als »Zukunftsorte« sind mehr im Reich des »Wollens« angesiedelt. »Prüfen« steht zum Beispiel bei der Trennung von Netz und Betrieb der Bahn. Das alles dürfte noch an Bedeutung gewinnen, denn das unternehmensnahe »Institut der deutschen Wirtschaft« (IW) rechnet mit einer jährlichen finanziellen Entlastung für Bürger:innen und Unternehmen durch die Pläne in Höhe von etwa 50 Milliarden Euro.
Der Finanzierungsvorbehalt kann aber auch eine Art Druckmittel für die SPD sein. Ohne Reform der Schuldenbremse kann weniger finanziert werden, auch CDU-Vorhaben wären betroffen. Im Vertrag steht nun immerhin, dass Ende 2025 eine Reform der Schuldenbremse für mehr Investitionsspielraum beschlossen sein soll. Auch die Union hat durch den Finanzierungsvorbehalt ein Interesse daran, die Reform durchzuziehen.
Und während die Regierung plant, gerät die Welt weiter durcheinander. Das mehr als angespannte Verhältnis zu Russland und der neue unberechenbare US-Präsident Donald Trump zeigen, dass heute kaum noch zu erahnen ist, was nächste Woche geschehen könnte. Planung wird immer komplizierter.
2. Die SPD holt sich mehr Ministerien als gedacht
Für Verwunderung sorgte bei vielen Journalist:innen der Verhandlungserfolg der SPD bei der Ressortverteilung: Die SPD erhält 7, die CDU 6 plus Kanzleramt und die CSU 3. Die SPD bekommt für ihr 16,4%-Ergebnis bei der Bundestagswahl ziemlich viel, die CSU für ihre 6% aber andererseits auch. Rund 2% reichten ungefähr für ein Ministerium. Beide Parteien haben ihre Verhandlungsmacht voll ausgespielt. Alle wussten: Merz braucht sie.
Die SPD übernimmt Finanzen sowie Arbeit und Soziales, dazu Verteidigung, Justiz, Entwicklungshilfe, Bauen und Umwelt. Klimaschutz wird wieder aus dem Wirtschaftsministerium gelöst und wandert zurück ins Umweltressort.
Die CDU bekommt Wirtschaft und Energie, das Außenministerium, Bildung und Familie, Gesundheit, Verkehr sowie Digitalisierung. Letzteres wird neu geschaffen. Es gibt also ein Ministerium mehr als in der Ampel. Die CSU bekommt: Inneres, Forschung und Raumfahrt sowie Landwirtschaft.

Welche Minister:innen welches Ressort besetzen, bleibt vorerst unklar.
3. Investieren soll sich für Unternehmen besonders lohnen
Die Koalition in spe möchte neues Wirtschaftswachstum schaffen.
Der Plan? Die
Auch der vielbeschworene Bürokratieabbau soll nun kommen. Unternehmensgründungen sollen einfacher werden, Papierprozesse digitalisiert, Genehmigungen sollen bei Fristablauf als automatisch erteilt gelten. Neue bürokratische Prozesse sollen in Zukunft auf ihre Wirkung geprüft werden. Kommt etwas Neues, muss etwas Altes entfallen. Das Lieferkettengesetz soll wegfallen. Bisher müssen Unternehmen, die im Ausland produzieren, bestimmte Arbeits- und Umweltstandards einhalten. Damit wäre Schluss.
Der Deutschlandfonds soll mit 10 Milliarden Euro Bundesmitteln ausgestattet werden. Durch private Investitionen und staatliche Garantien soll er ein Gesamtvolumen von bis zu 100 Milliarden Euro erreichen. Das Geld soll Unternehmen zur Verfügung stehen – vor allem für Investitionen in Innovation, Wachstum und klimafreundliche Technologien. Der Staat kann dabei auch Kredite absichern oder direkt Beteiligungen eingehen. Diese Idee stammt übrigens vom Nochbundeswirtschaftsminister Robert Habeck, den die Union regelmäßig geschmäht hat.
Unternehmen sollen nach den schwarz-roten Plänen ab 2025 Investitionen 3 Jahre lang mit 30% pro Jahr abschreiben können. Das bedeutet: Sie dürfen im ersten Jahr 30% des Kaufpreises steuerlich geltend machen – und in den Folgejahren jeweils 30% vom Restwert. Sie sparen also schneller Geld.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet allein durch diese Abschreibung, die geplante Senkung der Körperschaftsteuer und die dauerhafte Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie mit jährlichen Entlastungen von rund 15 Milliarden Euro.
Im Bereich des Außenhandels möchte die künftige Bundesregierung schnell ausstehende Freihandelsabkommen der EU ratifizieren und neue abschließen, auch mit den USA.
Der progressive ökonomische Thinktank »Dezernat Zukunft« schätzt auf Basis des Koalitionsvertrags: 24 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen durch das angestoßene Wachstum – in den kommenden 4 Jahren.
4. Unter dieser Regierung gilt: (Nur) Wer arbeitet, zählt!
Der ganze Bereich »Arbeit und Soziales« lässt sich so zusammenfassen: Wer Erwerbsarbeit leistet, erhält mehr Unterstützung. Wer keinen Job hat, bekommt weniger.
So sollen Überstunden steuerlich begünstigt werden, die
Außerdem soll der 8-Stunden-Tag fallen. Stattdessen wird eine wöchentliche Höchstarbeitszeit geplant. Das Ziel: mehr Flexibilität für alle.

Sozial wird es nach der Ampel wieder frostiger. Das Bürgergeld wird abgeschafft, es geht zurück Richtung Hartz IV, künftig unter dem Namen »Neue Grundsicherung«. Der Vermittlungsvorrang kommt zurück, das heißt: Wer keine Arbeit hat, soll zunächst in einen zumutbaren Job vermittelt werden, auch unterhalb der vorhandenen Qualifikation. Deswegen wird es weniger Weiterbildung geben und vorhandene Qualifikationen vielleicht verkümmern. In Zeiten von Fachkräfteengpässen erscheint das wie Politik gegen die eigenen Ziele.
Bei der Einkommensteuer sollen ab 2028 alle entlastet werden. »Entlastung« bedeutet aber auch weniger Geld für den Staat, solange die Schuldenbremse existiert.
Im Gegenzug bleibt der Solidaritätszuschlag bestehen, den mittlerweile nur noch Unternehmen und Spitzenverdiener zahlen. Den wollte die Union eigentlich abschaffen.
5. (Nur) Wer nützlich ist, darf einwandern
Im Vertrag steht nun eine doppelte Botschaft: Das Recht auf Asyl wird
»In Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn«, heißt es dazu im Vertrag. Doch was bedeutet das konkret?
Schwarz-Rot möchte GEAS in diesem Jahr noch umsetzen. Eine »besondere Notlage«, die dauerhafte Grenzkontrollen rechtfertigt, lässt sich aktuell aber schwer begründen.
Zudem möchte die künftige Bundesregierung die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Algerien, Indien, Marokko und Tunesien
Der Koalitionsvertrag kündigt auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien an, vor allem für Straftäter. Auch sollen »Rechtsmittel« überprüft werden: Berufungen, Beschwerden, die Pflicht zur anwaltlichen Vertretung. Ausgesetzt werden soll der Familiennachzug für subsidiär
Gleichzeitig wirbt dieselbe Regierung um Fachkräfte. Für sie soll der rote Teppich ausgerollt werden: schnellere Anerkennungen für Ausbildungen, digitalisierte Prozesse, eine neue »Work-and-stay-Agentur«.
6. Schwarz-Rot will mehr Abschreckung und mehr Kooperation
Die Zeichen stehen klar auf Aufrüstung. Zum einen wegen Russlands aggressiven Verhaltens und auch, weil man sich auf die USA nicht mehr ohne Weiteres verlassen kann. »Wir wollen uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen«, heißt es. Es geht um Abschreckung. Deutschland stehe an der Seite der Ukraine, die als »Schlüsselstaat« für europäische Sicherheit gelte.

Möglich macht das die Anpassung der
Eine neue Wehrpflicht gibt es erst mal nicht, stattdessen einen »attraktiven freiwilligen Wehrdienst«, um Nachwuchs für die Truppe zu finden.
Politische Beobachter:innen erwarten, dass sich Friedrich Merz stärker außenpolitisch engagiert als sein Vorgänger Olaf Scholz. Er hat schnell das Gespräch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gesucht, will das sogenannte Weimarer
Die neue Bundesregierung bekennt sich klar zur NATO, zur UNO und zu Organisationen wie dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH).
7. Wo FDP und Grüne fehlen …
Mit dem Rauswurf der Liberalen aus dem Bundestag verliert er eine Kraft, die sich stets für individuelle Bürger:innenrechte und Datenschutz eingesetzt hat.
Auch die Grünen waren in der Ampel häufig Schutzmacht für Grundrechte – gerade in der Digitalpolitik. Diese Koalition aber zeigt: Weder CDU noch SPD machen das zur Priorität.
Ein Beispiel: Die Cannabisteillegalisierung, einst ein Projekt der FDP und der Grünen, steht auf dem Prüfstand. Die CDU würde sie abschaffen und die SPD liebt sie auch nicht heiß und innig.
Im digitalen Bereich plant die kommende Bundesregierung weitreichende Erlaubnisse für den Staat. Geplant ist eine »Quellen-TKÜ«. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung ist eine spezielle Form der Überwachung, bei der Ermittlungsbehörden verschlüsselte Kommunikation direkt auf dem Gerät einer verdächtigen Person mitlesen können – zum Beispiel bei Messengerdiensten wie Whatsapp.
Auch andere Rechte sind nicht sicher. Das Selbstbestimmungsgesetz, mit dem die Ampel den Geschlechtseintrag für Transpersonen erleichtert hat, soll bis Mitte 2026 auf den Prüfstand. Für lesbische Paare wird die Anerkennung der Elternschaft nicht leichter:
Und was ist mit Klima?
In Sachen Klimaschutz scheint die Koalition weniger ambitioniert als die Ampel. »Wir stehen zu den deutschen und europäischen Klimazielen«, heißt es in dem Vertrag. Bedeutet: 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Der Emissionshandel soll das zentrale Instrument sein, dies zu erreichen.

Der Kohleausstieg bleibt bei 2038, eine Vorverlegung auf 2030, wie sie die Grünen wollten, kommt nicht. Das Gebäudeenergiegesetz soll abgeschafft werden, dafür bleibt eine Heizungs- und Sanierungsförderung. Es zählt grundsätzlich nur noch die CO2-Ersparnis, ganz gleich wie sie erreicht wird.
Einige klimaschädliche Subventionen bleiben bzw. kommen zurück: Dienstwagenprivileg, Pendlerpauschale, Agrardiesel. Luftverkehrsteuern und -abgaben sollen sinken, Fliegen also billiger werden. Gaskraftwerke, wie sie bereits Robert Habeck gefordert hatte, sollen kommen. Allerdings ist nicht klar, ob diese weiterhin auch wasserstofffähig sein müssen.
Investitionen in Bahn und E-Mobilität sind weiter vorgesehen. Das Deutschlandticket bleibt, ab 2029 steigen aber die Kosten für Nutzer:innen. Die staatliche Finanzierung sinkt. Das Klimageld – ein Herzstück der Grünen-Politik – ist erst mal vom Tisch. Entlastungen soll es über eine Strompreissenkung und Förderprogramme geben.
Trost für die Grünen: Auch wenn sie hier tatenlos zusehen müssen, haben sie immerhin 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz in das Sondervermögen Infrastruktur hineinverhandelt.
8. Schwarz-Rot will »Verantwortung« statt »Fortschritt«
»Wieder nach vorne« war ein Slogan der Union im Wahlkampf, das Wahlprogramm kündigte einen »Politikwechsel« an. Und tatsächlich: Ein Politikwechsel ist erkennbar. Im Vergleich zur Vorgängerregierung setzt Schwarz-Rot mehr auf Wirtschaft, innere Sicherheit, und eine robuste Außenpolitik – dafür weniger auf sozialen Ausgleich, Klimaschutz und Migration. Wenig Neues dagegen in der Bildungs- oder Familienpolitik. Sowohl Union als auch SPD konnten einzelne Punkte durchsetzen, aber ein übergeordnetes Zielbild, worauf alles hinauslaufen soll, bleibt vage.
Nachdem die Ampel als Fortschrittskoalition mit ambitionierten Zielen antrat, geht es Schwarz-Rot um »Verantwortung für Deutschland«. Diesen Vorsatz wird die tatsächliche Regierungsarbeit mit Leben füllen müssen. Erst dann wird deutlicher, welche Vorhaben es wirklich über die Hürde der Finanzierbarkeit schaffen.
Übrigens: Schon kurz nach der Vorstellung des
Der Bundesvorstand der Jusos (SPD-Nachwuchsorganisation) war während der Verhandlungen ziemlich still. Nun kündigte er an, dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen zu wollen.
Sie haben jetzt das letzte Wort. Stimmen die Sozialdemokrat:innen zu, wird Friedrich Merz Anfang Mai der neue Kanzler sein.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily