War da was? Ja, Wahlen in deinem Nachbarland Tschechien
Nach diesem Text verstehst du, warum die tschechische Regierungsbildung im Moment die zweitwichtigste für Europa ist.
Mit unserem Nachbarland Tschechien verbindet uns ziemlich viel: Neben einer 800 Kilometer langen Grenze zum Beispiel der kulturelle Anspruch auf
Der strahlende Sieger der Parlamentswahlen vom letzten Wochenende heißt Andrej Babiš. Er folgt
Babiš selbst hat eigentlich wenig Grund, unzufrieden zu sein. Neben seiner erfolgreichen Karriere als Politiker ist er Unternehmer und Milliardär. Stimmen sammelt er, indem er sich als ein Anti-Politiker inszeniert, der lieber anpackt als lange redet.
Um diesen Wahlwerbespot zu verstehen, musst du kein Tschechisch können: Andrej Babiš will »arbeiten. Nicht rumlabern«.
Damit schießt er gegen die nach 1989 etablierten politischen Eliten, gegen ein »korruptes System« – und auch gegen Einmischung aus Brüssel.
Ich erkläre dir die tschechischen Wahlergebnisse gern im Detail und habe auch an anderen Stellen etwas mehr Hintergrundinformationen eingebaut. Willst du lieber sofort wissen, was das alles mit dir zu tun hat, kannst du dich für eine Kompaktversion entscheiden.
Vor allem den Sozialdemokraten hat er damit Stimmen abgejagt. Bei den letzten Wahlen waren sie noch stärkste Kraft, am vergangenen Wahlwochenende verlor die Regierungspartei ganze 360.000 Stimmen an ANO. Dabei waren es für Tschechien eigentlich 4 gute Jahre: Die Arbeitslosenquote ist die niedrigste in der EU, die Wirtschaft wächst beständig. Aber offenbar trauen die Bürger eher dem Unternehmer Babiš als den Sozialdemokraten zu, diese Erfolge auch in mehr Wohlstand umzumünzen. Neben Babiš gibt es 2 Überraschungssieger: die tschechische Piratenpartei und die aggressiv nationalistische SPD, die vor allem gegen die EU und den Islam Stimmung macht.
ANO ist nicht die einzige Partei, die es mit Anti-Establishment-Rhetorik ins Parlament geschafft hat: Die erstmals angetretene SPD (»Svoboda a přímá demokracie«, deutsch: Freiheit und direkte Demokratie) hat mit ihrem deutschen Namensvetter wenig Berührungspunkte. Sie balanciert auf einem schmalen Grat zwischen
Auf Platz 2 und 3 im Wettkampf um Wählerstimmen landeten die konservative, wirtschaftsliberale ODS (11,3%) und die pro-europäischen, progressiv orientierten Piraten (10,8%).
Die großen Verlierer, wie auch bei den deutschen Wahlen, sind vor allem die bisher regierenden Sozialdemokraten. Sie verloren ganze 13,2% der Stimmen und sind mit 7,2% nur noch mit 15 Abgeordneten im neuen Parlament vertreten.
So hat Tschechien gewählt (in %):
9 Parteien haben es in das tschechische Abgeordnetenhaus geschafft. Die Piraten sind zum ersten Mal dabei und auch sonst hat sich einiges geändert – vor allem bei den Parteien der ehemaligen Regierungskoalition aus ANO, ČSSD (Sozialdemokraten) und KDU-ČSL (Christdemokraten). Die ČSSD verliert 35 von ehemals 50 Sitzen, ANO gewinnt 31. Die Christdemokraten haben 4 Mandate verloren und sind künftig mit 10 Abgeordneten vertreten.
Was ist los in Tschechien? Gibt es einen nationalistisch motivierten Rechtsruck à la Ungarn und Polen? Und ist Andrej Babiš wirklich
Warum dich die tschechischen Wahlen interessieren sollten
Vielleicht fragst du dich jetzt: Warum sollte mich das überhaupt interessieren? Eine Antwort vorab: Ohne die kleinen Länder hat die EU keine Zukunft. Es ist schön, dass in Deutschland und Frankreich wieder über neue Konzepte für die Union nachgedacht wird – ohne ein Minimum an Zusammenhalt auch unter den restlichen 25 wird es Europa aber nicht gelingen, gemeinsame Lösungen für ständig wechselnde Herausforderungen zu finden.
Hier sind 3 weitere Gründe, warum die tschechischen Wahlergebnisse mehr mit dir zu tun haben, als du denkst:
1. Weil sich viele Tschechen wünschen, dass ihr Land wie ein Unternehmen geführt wird – und der Businessplan eine deutsche Koproduktion ist
Wahlsieger Andrej Babiš hat sich vor allem mit diesem Versprechen einen Namen gemacht: Er wolle das Land wie ein Unternehmen führen. Es sei ganz einfach, sagte er im Jahr 2012;
Der Grundstein für die Tschechien AG war die
Und das war nicht der einzige westliche Einfluss: Freiheit bedeutete nach 1989 zunächst einmal Marktwirtschaft. Privatisierung, Deregulierung, Liberalisierung des Außenhandels und der Binnenwirtschaft bestimmten den Wandel.
Mit ziemlicher Sicherheit hat Babiš auch schon an dir verdient.
Einer, der sich in dieser Zeit besonders geschickt anstellte, war Andrej Babiš. Seine Holdinggesellschaft Agrofert investierte vor allem in die Agrar-, Chemie- und Lebensmittelindustrie, hat heute rund 250 Tochterunternehmen in 18 Ländern und ist der größte private Arbeitgeber Tschechiens.
Seit 2013 betätigt sich Babiš außerdem als Medienunternehmer. In diesem Jahr übernahm Agrofert

ANO-Wähler glauben daran, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist.
Genau das macht den in der heutigen Slowakei geborenen Unternehmer populär: Er hat es geschafft. Denn die Tschechen vergleichen den erreichten Wohlstand unablässig mit den westlichen Nachbarn, die nach wie vor großen Unterschiede werden als ungerecht empfunden. ANO ist die Partei der Unzufriedenen, die irgendwie trotzdem noch an das Wohlstandsversprechen des Westens glauben – und vor allem daran, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Das unterscheidet sie von der AfD und ihren Wählern.
2. Weil die deutsche SPD im Europaparlament mit den tschechischen Sozialdemokraten arbeitet
Gleiche Verpackung, anderer Inhalt –
Andrej Babiš sieht das genauso. Auch er will nicht, dass Tschechien zum Einwanderungsland wird. Im Parteiprogramm schlägt ANO dennoch relativ gemäßigte Töne an. Im Europäischen Parlament sitzen die Abgeordneten bei der »Fraktion der Liberalen und Demokraten für Europa«, genau wie die deutsche FDP.
Eine grenzüberschreitende Kooperation könnte sich künftig für die Piraten lohnen – die absoluten Überraschungssieger. Sie zeigen, dass die Partei, einst auch in Deutschland als politische Innovation gehandelt, als progressive Kraft in Europa vielleicht doch noch nicht ganz ausgedient hat. Die deutschen Piraten gratulierten den tschechischen Kollegen jedenfalls enthusiastisch, ebenso der Generalsekretär der Pirate Parties International, Thomas Gaul:
Mit dem Einzug der tschechischen PIRATEN in das Parlament ist es gelungen, die Tür zur Freiheit weiterhin offenzuhalten und gegen den europaweit um sich greifenden Rechtsruck ein Zeichen zu setzen.
3. Weil Rechtspopulismus viele Gesichter hat – und europäische Allianzen bildet
In Tschechien ist es aktuell vor allem das Gesicht von Tomio Okamura. Er ist Parteivorsitzender der erstmals angetretenen SPD mit einer tragisch-schillernden Biographie.

Neben Andrej Babiš gehört Okamura zu den beliebtesten Politikern des Landes. Das zeigt auch, dass sich der tschechische Nationalismus nicht – wie in Ungarn und Polen – auf historische Narrative stützt. Er richtet sich vor allem gegen 2 Dinge: den Islam und die EU. Okamura bedient mit seiner plumpen Rhetorik die Angst vor dem Fremden und das Gefühl, von anderen übervorteilt zu werden. Im Vorfeld der Wahlen bekam er Schützenhilfe von Marine Le Pen aus Frankreich.
Ob von der AfD ein Glückwunschschreiben zum guten Wahlergebnis kam, ist nicht bekannt. Die deutschen Rechtspopulisten halten sich lieber an Andrej Babiš. Er habe es verstanden,
Doch Gauland setzt auf den Falschen: Es wäre überraschend, wenn Andrej Babiš auf allzu harten Konfrontationskurs mit der EU ginge. Denn nicht nur sein Land, sondern auch er selbst profitiert von der Mitgliedschaft.
Ein Czechxit ist nicht in Sicht
Wenn Babiš Premierminister wird, bestimmt er auch in der EU mit. Und daran hat der Unternehmer ein besonders großes Interesse. Allein in den Jahren 2014 und 2015 erhielt seine Agrofert-Holding 92 Millionen Euro Subventionsgelder. In einer
Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft sogar wegen Subventionsbetrugs.
Obwohl er in Folge der Ermittlungen im Mai dieses Jahres von seinem Posten als Finanzminister zurücktreten musste – seiner Popularität hat es nicht geschadet: Viele Tschechen würden einen Schuldspruch wohl eher als Beleg für Babiš’ Können betrachten. Brüssel gehört für sie zum Establishment, von dem sie sich übervorteilt fühlen. Weil der Premier in spe in so hohem Maße von EU-Geldern profitiert, wird er sich hüten, einen Czechxit voranzutreiben, und deshalb auch ziemlich sicher nicht mit der rechtspopulistischen SPD und Tomio Okamura koalieren.
Wer mit wem – die Frage ist noch offen. Und kein Zweifel: Die jamaikanischen Farbenspiele in Berlin betreffen dich stärker. Aber die Regierungsbildung in Tschechien ist die zweitwichtigste, die in der EU gerade vonstattengeht. In Prag wird momentan nicht nur über die Besetzung des Premierpostens entschieden – sondern auch darüber, wie es
Mit Illustrationen von Adrian Szymanski für Perspective Daily