Warum wir (fast) keine Angst vor dem Kohleausstieg haben müssen
Beim Thema Kohle gibt es viel Unwissenheit. Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten.
Kannst du dich noch an den letzten Stromausfall bei dir zu Hause erinnern? Bei mir muss es der Sturm Lothar gewesen sein, der zu Weihnachten 1999 in Süddeutschland die Lichter ausknipste. Insgesamt kann ich die Vorkommnisse an einer Hand abzählen.
Stromausfälle sind hierzulande etwas Besonderes, weil Seltenes: Knapp
Trotzdem schleicht das »Schreckgespenst Stromausfall« durch die Köpfe der Menschen – und macht auch vor denen nicht halt, die es besser wissen sollten:
Wir haben jetzt schon Probleme mit der Versorgungssicherheit. Bei manchen Unternehmen
Darin scheinen
Zugegeben, es ist auch nicht immer ganz leicht mit den ganzen Zahlen …
Wenn wir sie vernünftig anschauen, wird aber schnell klar, warum die einen den schnellen Kohleausstieg fordern – und warum sich (fast) niemand vor einem Kohleausstieg fürchten muss. Denn: Die 4 häufigsten Ängste sind unbegründet.
Deshalb gibt es hier für euch, liebe Politiker, eine solide Entscheidungsgrundlage: eine handliche Übersicht zur Frage »Was bedeutet der Kohleausstieg für Deutschland?«.
Um Verwirrung zu vermeiden: Eines der gängigsten Szenarien für den Kohleausstieg bedeutet, die 20 ältesten großen Kraftwerke in Deutschland
Warum so viele den Kohleausstieg wollen
Bevor wir die Ängste beiseite räumen, wäre da noch die Frage: Warum haben sich alle so auf die Kohle eingeschossen? Die Antwort geben 2 einfache Grafiken:
Braun- und Steinkohle sind also für 45% der gesamten Strommenge verantwortlich, die 2015 in Deutschland erzeugt wurde. Die zweite Grafik zeigt, warum das problematisch ist:
Um diese 45% des Stromes zu liefern, verursacht Kohle 80% der CO2-Emissionen aus der Stromproduktion. Kohle ist also mit Abstand die schmutzigste Energiequelle. Auch das Gerücht, die deutschen Kraftwerke seien die saubersten, stimmt höchstens teilweise: Denn Deutschland betreibt aus
Wenn du jetzt wissen willst, was es mit den unterschiedlichen Zahlen in den Sondierungsgesprächen auf sich hat, klicke
hier.
Die Schätzung von CDU/CSU und FDP stammt aus dem Jahr 2016, als die Bundesregierung noch davon ausging, statt der angepeilten 40% Treibhausgasreduktion noch immerhin gut 37% Reduktion erreichen zu können. Doch im Oktober dieses Jahres
Das Klimaschutzziel für 2020 wird also, wenn nichts weiter passiert, um rund 100 Millionen Tonnen CO2 verpasst. Würden wir die ältesten Kohlekraftwerke möglichst schnell abschalten, würde das immerhin die Hälfte,
Die schlechte CO2-Bilanz ist zwar der Hauptgrund dafür, dass viele den Kohleausstieg fordern – aber nicht der einzige: Kohleabgase bringen außerdem Gifte wie Blei in die Luft; Ruß und Feinstaub verursachen auch in Deutschland
Das ist also der Stand und der bringt uns zu den 4 Ängsten, die an die Frage nach einem deutschen Kohleausstieg gekoppelt sind.
Angst Nummer 1: »Dann gehen die Lichter aus!«
Der 28.11.2017 war ein ungewöhnlicher Tag: Für eine gute Stunde, zwischen 10:30 Uhr und 11:45 Uhr, verbrauchten die Menschen in Deutschland mehr als 70
Aber was, wenn wir an einem kalten, windstillen Tag im Januar entscheiden, wieder so viele oder noch mehr
Tatsächlich ist auch das kein Problem: Aktuell sind in Deutschland
Das zeigt auch: Deutschland hat große Überkapazitäten. Das wiederum zieht 3 Konsequenzen nach sich (von denen 2 nicht besonders erfreulich sind).
- Export: Deutschland verkauft große Mengen Strom ins Ausland; in den letzten 5 Jahren haben sich die Exporte verzehnfacht.
- CO2-Emissionen: Obwohl der Anteil der Erneuerbaren Energien stetig steigt, fallen die Emissionen im Stromsektor nicht. Der Grund: Viele verhältnismäßig umweltfreundliche Gaskraftwerke stehen still, weil sie teuer im Betrieb sind. Stattdessen lässt man lieber die Kraftwerke laufen, die billig sind – Kohlekraftwerke.
- Netzstabilität: Tatsächlich machen die vielen Kohlekraftwerke die Netze
Fazit: Dass in Deutschland die Fließbänder stillstehen oder wir zu Hause alle einen Notstromgenerator brauchen, muss also auch ohne die 20 ältesten Kohlekraftwerke niemand fürchten. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, sollte sogar lieber ein paar Kohlekraftwerke abschalten.
Angst Nummer 2: »Das kostet uns hunderttausende Jobs!«
In der Kohlebranche haben einmal hunderttausende Menschen gearbeitet – das ist aber lange her.
Die Zahl der Braunkohlearbeiter fiel vor allem nach der Wende rasant. Die »Blumenerde«, wie die minderwertige Braunkohle im Osten auch genannt wurde, blieb entweder im Boden oder wurde fortan wesentlich effizienter mit großer Maschinerie gefördert.
Bei der Steinkohle sieht es ähnlich aus. Insgesamt sind heute nach Schätzungen des
Gesamtwirtschaftlich gesehen sind diese Zahlen eher unbedeutend. Klimaschutz und Energiewende müssen als übergeordnete Interessen der gesamten Menschheit Vorrang haben vor dem Erhalt dieser ohnehin verschwindenden Arbeitsplätze.
Für die
Wie das geht, macht zum Beispiel Greenpeace Energy vor: Der Energieanbieter bietet den neuen Stromtarif
Klar ist auch: Ohne zusätzliches Geld aus der Politik wird das nicht genügen. Darüber, dass es das geben soll, sind sich die Parteien ungewöhnlich einig. Was damit in den Braunkohlegebieten passieren kann, hat das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung
- Alle Jobs könnten durch den Ausbau von Wind- und Solarenergie ersetzt werden.
- Die neuen Jobs in den Erneuerbaren Energien würden die regionale wirtschaftliche Leistung der Kohleindustrie voraussichtlich
- Knackpunkt: Nur ein Teil der Jobs würde direkt in den Revieren anfallen, der größere Teil würde in der Umgebung entstehen.
Fazit: Der drohende Jobverlust ist insgesamt gering. Mit dem Geld, das alle Parteien versprochen haben, lässt er sich vollständig abfangen. Die Tradition des Bergbaus wird mit oder ohne Kohleausstieg bald ein Ende nehmen.
Angst Nummer 3: »Der Strom wird viel teurer!«
Ob der Kohleausstieg teuer ist, ist eine Frage der Perspektive: Für die Betreiber der Kohlekraftwerke lautet die Antwort wohl erst mal »Ja!«. Vor allem, weil die Kohle teilweise durch teureres Erdgas ersetzt würde, kämen auf sie in den Jahren 2020–2045 zusätzliche Kosten von insgesamt gut 23 Milliarden Euro zu,
Für die, die den Kohlestrom ersetzen werden, sieht die Sache anders aus – sie können mit Gas, Wind und Sonne rund 7,5 Milliarden Euro zusätzlich verdienen.
Und die Verbraucher? Mit Blick auf die Stromrechnung steigen die Kosten in diesem Zeitraum um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Blick berücksichtigt allerdings nicht
Fazit: Ein wenig zu sorgen brauchen sich aber nur RWE und Co. Für die Steuerzahler ist ein Kohleausstieg unterm Strich eine lohnenswerte Angelegenheit.
Angst Nummer 4: »Deutschland macht sich mal wieder vor aller Welt zum Gespött!«
Lauschen wir Vertretern der Industrie, hören wir nicht selten, dass die Kollegen im Ausland über die hohen Strompreise in Deutschland lachen. Schließlich haben auch Atomausstieg und Energiewende nicht nur Lob, sondern auch internationales Kopfschütteln ausgelöst.
Unabhängig von der persönlichen Haltung wäre Deutschland, wenn es heute den Kohleausstieg ankündigte, bereits ein Nachzügler. Zu den Ländern, die den Kohleausstieg bis 2030 bereits beschlossen haben, gehören
- Die Niederlande,
- Frankreich,
- Kanada,
- Italien,
- Großbritannien,
- Mexiko,
- Neuseeland.
Sicher ist: Das Einhalten internationaler Verträge hilft dem Ansehen Deutschlands in der Welt, und ein krachendes Scheitern beim Einhalten des
Fazit: Deutschland wäre mit einem Kohleausstieg international in guter Gesellschaft.
Gesundheit, Natur, vor allem der Klimaschutz und sogar die Versorgungssicherheit sprechen für einen schnellen Kohleausstieg. Angst davor braucht niemand zu haben – vorausgesetzt, die Zahlen stimmen.
Titelbild: Unsplash / Caleb Woods - CC0 1.0