Wie politisch sind #DieseJungenLeute?
»Es ist kompliziert«, lautet der Beziehungsstatus vieler Jugendlicher zur Politik. Warum eigentlich? Eine Antwortsuche mit einem Jugendforscher und Deutschlands jüngstem Bundestagsabgeordneten.
Wohnt Kevin Kühnert, der in Talkshows schon mal
Solche Fragen sind nicht nur peinlich, sondern sagen auch mehr über die Fragenden aus als über den Befragten: Offenbar haben einige Journalisten und Politiker von einem 28-Jährigen niemals so viel Gegenwind erwartet, wie ihn Kevin Kühnert gerade gegen seinen Parteichef bläst. Der Vorsitzende der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD, kurz Jusos, hat sich in den vergangenen Wochen als begabter Redner und vor allem als engagierter Kämpfer gegen Martin Schulz’ Groko-Kehrtwende erwiesen.
Seitdem melden sich junge Menschen unter dem
Aber so einfach ist es auch wieder nicht: #DieseJungenLeute sind nach allem, was wir wissen, nicht politischer als ältere Generationen. Und viele – wie auch Kevin Kühnert – fügen sich immer noch in traditionelle Strukturen ein, statt mit ihnen zu brechen. Welchen Beziehungsstatus haben die jungen Menschen und die Politik? Der jüngste Bundestagsabgeordnete und ein Jugendforscher versuchen, diese Frage zu beantworten.
Jugend ist übrigens als Begriff nicht klar eingegrenzt: Die Shell-Jugendstudie betrachtet die Altersspanne zwischen 15 und 25, vor Gericht kann man mit höchstens 20 Jahren zu einer Jugendstrafe verurteilt werden. In den Parteien sind Menschen bis mindestens 30 Jahre (bei der SPD: bis unter 36) auch Mitglied der Jugendorganisationen. Ich selbst gehöre je nach Definition der Jugend an – deshalb sind Textstellen, an denen das besonders deutlich wird, kursiv.
#DieseJungenAbgeordneten
Als Roman Müller-Böhm aus seinem Abgeordnetenbüro anruft, geht es im Plenum des Bundestags gerade um
In seinem Fall hat es 9 Jahre gedauert, angefangen beim Parteieintritt mit 16, dann die Arbeit im Mülheimer Stadtrat und im Landesvorstand der
Nur weil die Leute doppelt so alt sind, heißt das nicht, dass sie doppelt so gute Politiker sind. Ich bin da gelassen und versuche, das zu erreichen, was ich mir für meine Themenbereiche vorgenommen habe.
Ehrlich gesagt: Spätestens hier hatte ich, als ich mein Interview vorbereitet habe, wenigstens ein bisschen Rebellion erwartet. Roman Müller-Böhm ist über seine Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung zur FDP gekommen, das erste Thema
Die Debatte um den Widerstand von Kevin Kühnerts Jusos gegen die heraufziehende Große Koalition – der aus der CSU abschätzig
Dass ein so junges Mitglied diese essenzielle Debatte über die eigene Zukunft so angeführt hat, ist eine wahnsinnige Leistung. Und wenn dann Formulierungen kommen, die abfällig sind, das gehört leider häufig dazu.
Glaubt man Roman Müller-Böhm, so können junge Menschen zumindest innerhalb der etablierten Parteistrukturen etwas bewegen. Im Falle der SPD ist es sogar so viel, dass die Parteiführung wegen des Juso-Widerstands gegen die Groko um die eigene Zukunft bangen muss.
Von verstaubten Strukturen und Parteimief
Die Debatte um die Zukunft der Sozialdemokratie findet Bernhard Heinzlmaier vom
Gern hätte ich Kevin Kühnerts Reaktion auf diesen Vorwurf erfahren, aber laut seinem Pressesprecher hat er in dieser Woche alle Interviewanfragen abgelehnt. Verständlich, schließlich will er gerade den Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und CSU zu Fall bringen, wenn die SPD die Zustimmung ihrer Mitglieder einholt.
Dass viele junge Menschen die Parteien nicht unbedingt als Orte ihrer politischen Erfüllung ansehen, spiegelt sich in Zahlen wider. Bis auf die
»Die Mitgliederentwicklung ist ein klarer Indikator für die abnehmende Engagement-Bereitschaft«, sagt Bernhard Heinzlmaier. Er beruft sich auch auf die
Im Gegensatz zum tatsächlichen Engagement in Parteien oder Gewerkschaften steigt laut der Studie jedoch das politische Interesse der Jugendlichen stabil. 41% bezeichnen sich als »politisch interessiert«; dieser Wert war nur zu Zeiten der
Engagement abseits von Strukturen
Auch der FDP-Politiker Roman Müller-Böhm glaubt, dass Parteien kein Monopol mehr für politische Betätigung besitzen. »Der Zeitgeist hat sich sehr geändert: Inzwischen kommt alle paar Tage ein neues Thema auf.« Deshalb gebe es heute weniger Engagement auf dem »klassischen« Weg, sprich: Der Wille, einer Partei beizutreten, sinkt.
Es ist ja immer die Frage: Will man im klassischen System etwas umsetzen oder projektorientiert mithelfen? Ich finde, das sollte keine Rolle spielen. Hauptsache, man kann etwas erreichen.
Welche Dynamik solch ein projektorientiertes Engagement entwickeln kann, hat sich zum Beispiel im Herbst 2015 gezeigt, als bis zu einer Million Geflüchtete in Deutschland ankamen und vor allem junge Menschen
Ein gewichtiger Teil des politischen Engagements hat sich von der Straße ins Internet verlagert: In sozialen Medien wird diskutiert, auf Plattformen wie Change.org oder ActNow werden Petitionen eingestellt und munter
Ich glaube, die Äußerung von politischer Meinung hat sich geändert: Es geht weniger über die klassische Demo auf der Straße. Die sozialen Medien sind das alles entscheidende Transportmittel von Meinungen.
Die Aktivitäten im Netz sind ungleich schwerer in Zahlen zu fassen als Mitgliedschaften in Parteien – wie viele Facebook-Posts, wie viele Petitionen wiegen einen Stammtisch mit Parteigenossen auf? Wie viele Tweets einen Samstag als Delegierter auf einer trockenen Parteiveranstaltung?
»Man muss hinterfragen, ob die Qualität des politischen Engagements in Organisationen und die Wirksamkeit, die man dadurch entfalten kann, vergleichbar ist mit einer Unterstützung einer Petition im Internet«, sagt auch Bernhard Heinzlmaier. »Das ist eher eine spontane Handlung, die zu einem geringen Preis zu bekommen ist.« Die Mitgliedschaft in einer Partei schließe eine veränderte Außenwirkung, Diskussionen mit Freunden, vielleicht sogar Nachteile am Arbeitsplatz mit ein. »Das kann man alles vermeiden, wenn man abends eine Petition unterstützt oder ein Facebook-Posting
Hört auf, die Jugend weiter zu optimieren!
Also steht am Ende das Engagement im Netz sogar für noch weniger politische Betätigung? Stumpfen uns die stylischen Instagram-Filter noch weiter ab für die gar nicht mal so hotte, aber wichtige Politik? An diesem Punkt des Texts angekommen, bin auch ich kurz mal frustriert. Aber: Es gibt eine Erklärung für das nachlassende Engagement, und darin liegt schon der erste Schritt zu einer Lösung.
Wer sich die Beteiligung an den bisherigen Bundestagswahlen anschaut, stellt fest: Die Gesamtwerte schwanken, aber die jungen Wähler haben sich seit jeher besonders schwer getan beim Urnengang. Das mag man als Zeichen deuten, dass junge Erwachsene dem eigenen Stimmzettel in der Vergangenheit schon weniger Bedeutung beigemessen haben als Routine-Wähler. Es zeigt sich darin aber auch, dass viele in jungen Jahren erst mal die eigene Biografie in Schwung bringen müssen, bevor sie politische Entscheidungen über sich selbst hinaus treffen. »Die Mehrheit der jungen Deutschen sagt: Mein Hauptproblem ist das Finden von Halt«, sagt Bernhard Heinzlmaier.
Die Leute sind heute beruflich, aber auch familiär in einem so hohen Ausmaß gefordert, dass die Zeit zum politischen Engagement gar nicht mehr in dem Ausmaß wie früher vorhanden ist. Beruflich wird heute so viel abverlangt, es ist der ganze Mensch gefordert. Am Abend sind die Leute müde und haben dann keine Lust mehr, sich zu engagieren.
Dass die Studenten von heute also weniger politisch aktiv sind als die rebellischen 68er, ist kein Zeichen von Abstumpfung. Vielmehr zeigt es, dass Bologna und
Es wird eine Aufgabe der jungen Generation sein, diese Dominanz der Arbeit über das eigene Leben in Schach zu halten – also eine Work-Life-Balance herzustellen, die den Namen verdient hat. Das entspricht auch den Anforderungen, die die Befragten der Shell-Jugendstudie an ihre Arbeit formulieren: »Sie wollen etwas leisten, aber genügend Freizeit und Freiraum für eine eigene Familie haben«, schreiben die Autoren der Studie.
Eines darf man nicht vergessen: Auch wenn sich Jugendforscher wie Bernhard Heinzlmaier ein breiteres Engagement wünschen, schmälert das nicht die Leistung der Engagierten. Auch wenn es vielleicht mehr von ihnen geben könnte, steckt in vielen der politisch tätigen Jugendlichen großes Potenzial – und die #DieseJungenLeute-Kampagne zeigt, dass dieses Potenzial nicht immer wahrgenommen wird. Es ist der jungen Generation durchaus zuzutrauen, die Work-Life-Balance auf die Reihe zu kriegen. Wer diese Reformen anstößt – Parteipolitiker wie Kevin Kühnert und Roman Müller-Böhm oder doch Menschen abseits etablierter Strukturen –, wird sich noch herausstellen.
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