Maja Göpel ist Interessenvertreterin in Berlin. Aber nicht für Daimler oder Siemens – sondern für die Umwelt. Sie leitet den WBGU, die wichtigste Umweltberatung der Bundesregierung, und fordert nicht weniger als eine Revolution der politischen Institutionen.
Führt der Einsatz von Glyphosat zum Insektensterben? Helfen Fahrverbote gegen Luftverschmutzung? Wie müssen unsere Städte wachsen, damit sie künftig nicht aus allen Nähten platzen?
Um wichtige umweltpolitische Fragen dieser Zeit zu beantworten, brauchen Politiker solide wissenschaftliche Informationen – erst recht, weil sie oft selbst und zwischen den Interessen ihrer Wählerschaft und der Wirtschaft stehen.
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung 1992 den »Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen« (WBGU) eingerichtet. Der in dem 9 renommierte Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen zusammenkommen, verfasst regelmäßig Gutachten und berät die Regierung in drängenden Umweltfragen.
Erste Vertreterin der Wissenschaft auf dem politischen Parkett ist seit September 2017 Maja Göpel, die als Generalsekretärin den WBGU organisiert und die Kommunikation zwischen Politik und Beirat regelt.
Warum es für manchen Politiker schwierig ist, wissenschaftliche Fakten in seine Arbeit zu integrieren, und warum wir eine »Revolution der Institutionen« brauchen, erklärt sie im Interview.
Gerade haben CDU und SPD das Programm der nächsten Regierung verhandelt. Habt ihr da ein Wörtchen mitgesprochen?
Maja Göpel:
Wir sind ein Beirat der Bundesregierung und da waren es ja die Parteien, die darum gerungen haben, eine neue Regierung zu bilden. Es wäre zu lobbyistisch, wenn wir uns da ganz direkt an einzelne Player wenden würden. Ab dem Moment, wo der Koalitionsvertrag geschmiedet ist, können wir wieder aktiver werden.
Schade, die beiden Volksparteien könnten doch im Moment ein wenig wissenschaftliche Erkenntnis ganz gut gebrauchen.
Maja Göpel:
Das läge außerhalb unseres Mandats, da wir keine Interessenvertreter sind, sondern die wissenschaftliche Stimme. Natürlich sollte die vielleicht genau in den Momenten gut gehört werden,
Was unterscheidet eure Arbeit noch von typischer Lobbyarbeit?
Maja Göpel:
Für mich ist der ganz große Unterschied natürlich die Transparenz. Dass du immer all das, was du hinter den Türen sagst, auch auf deiner Website stehen hast. Das ist ein ganz wichtiges Unterscheidungskriterium, was die Wissenschaft, die sich wirklich der Wahrheitsfindung verschrieben hat, von Beratungsfirmen unterscheidet. Wir drehen ein Thema nicht so, dass es salonfähig wird.
»Die Frauenthematik kommt gerade zu mir.«
Du bist jetzt als relativ junge Frau neu in dieser Position. Hast du das Gefühl, dass das manchmal Thema ist, wenn du mit älteren Herren aus der Politik zu tun hast?
Maja Göpel:
Ich finde die Frage total spannend: Ich glaube, dass das ein Thema ist, bei dem vielen gerade bewusst wird, dass sich Dinge ändern – und dass sie sich ändern sollten. Wenn ich habe ich schon das Gefühl, es hat mit einer Quotengeschichte zu tun.
Ich glaube aber, das sind 2 Ebenen: Es ist einmal das Geschlechtliche. Auf der anderen Seite hat es aber auch mit dem Alter des Gegenübers zu tun. Ich habe das Gefühl, in meiner Altersgruppe um die 40 ist das Thema gar nicht so präsent. Wenn mein Gegenüber aber 15 oder 20 Jahre älter ist und in einer entsprechenden Institution sozialisiert ist, nehme ich das viel stärker wahr.
Ist das Thema Gleichstellung der Frau auch eines, das du als Teil deiner Aufgabe siehst in deiner Zeit beim WBGU?
Maja Göpel:
Ich weiß noch nicht genau, ob ich diese Frauenthematik für mich als Mission so aufnehmen möchte. Sie kommt aber gerade zu mir. Ich würde sie gerne unter »Was sind die Potenziale einer neuen gleichberechtigten Form des Miteinanders?« sprechend, fühlend, handelnd und Institutionen bauend auffassen – und nicht als Genderfrage.
Ich glaube, diese Gemengelage hat gerade ein großes Potenzial, die Art zu verändern, wie wir agieren, und auch die Ideen anzugehen, wie wir Prozesse gestalten sollten. Und ich weiß noch nicht, ob wir es packen.
Kommt diese Frage gerade zu dir, weil derzeit alle über #MeToo sprechen, oder hat es auch mit deinem Wechsel von der Wissenschaft in die Politik zu tun, wo du gerade einen Kulturwandel erlebst?
Maja Göpel:
Ich glaube, das ist beides.
»Wir müssen Macht und Geld als integrale Bestandteile der Gestaltungsmacht begreifen.«
Zurück zur Arbeit des WBGU: Viele Dinge, die der WBGU fordert, finden sich eher im Wahlprogramm der Grünen oder Linken. Ist deren Politik einfach faktenbasierter als bei den anderen Parteien?
Maja Göpel:
Das kann man einfach historisch betrachten. Der WBGU ist 1992 im Kontext des ersten gegründet worden, wo es um Umwelt und Armut ging. Die Frage war: Wie gehen wir damit um, dass der Umgang des Menschen mit der Natur die Regenerationsfähigkeit des Planeten infrage stellt? Das ist also ein klassisches Grünen-Thema. Jetzt kommt noch die Gerechtigkeitsfrage hinzu, inzwischen ist klar, dass »zu viel haben« und »zu wenig haben« 2 Seiten derselben Medaille sind. Deshalb müssen wir in dem Moment, wo wir die planetaren Grenzen ernst nehmen, nicht mehr nur über sondern auch über Umverteilung sprechen. Diese Fragen sind in der DNA dieser Parteien, deshalb ist das kein Zufall.
Warum sollten sich auch Konservative mit diesen Fragen beschäftigen?
Maja Göpel:
Was ich für wichtig halte, ist, sich nicht davor zu drücken, Macht und Geld als integrale Bestandteile der Gestaltungsmacht zu begreifen. Es genügt vielleicht schon, dass der WBGU auch die Konzerne und die besitzstandwahrenden Kräfte mit anspricht, dass wir als kritisch wahrgenommen werden.
Es macht keinen Sinn, Ökonomie und Geld ohne Macht verstehen zu wollen, und umgekehrt. Deshalb ist es für mich sehr spannend zu schauen, wie wir die Welt wieder politisch und ökonomisch verstehen können, ohne in so einen Ideologie-Kampf à la »Der Staat sollte nicht« und der zu geraten.
Stichwort Ideologie: Dein Twitter-Pseudonym heißt @beyond_ideology. Hast du herausgefunden, wie wir es schaffen, die Ideologie hinter uns zu lassen?
Maja Göpel:
Ich versuche, die Welt wie zu verstehen, der hat zwischen organischen und traditionellen Intellektuellen unterschieden. Die einen erkennen an, dass wir immer mit einer gewissen Art und Weise auf die Welt blicken, also mit einer bestimmten Brille durch die Welt laufen. Ohne die können wir gar nichts sehen.
Die anderen, die Traditionellen, sind die, die wissend an einer bestimmten Lesart der Welt, also an ihrer Brille, festhalten, selbst wenn sie nicht mehr unbedingt mit der Faktenlage übereinstimmt. In dem Moment wird es eben ideologisch. Und wo genau der Übergang stattfindet, lässt sich oft nicht so genau sagen.
Aber nur, weil wir wissen, die Brille ist da und wir brauchen sie, um zu sehen, heißt das eben nicht, dass wir den anderen nicht zuhören und versuchen können, ihre Brille nachzuvollziehen.
»Je politischer der Raum, desto schwieriger ist Offenheit.«
Die Offenheit für andere Brillen-Modelle, siehst du davon derzeit genügend in der Politik?
Maja Göpel:
Je politischer der Raum, desto schwieriger ist diese Offenheit. Interessanterweise ist das gerade im wirtschaftlichen Raum besser möglich, da wird eher mit offenem Visier gekämpft. In der Politik geht es ja auch um ein Ringen um das Beste. Die Politik ist ein wenig darin gefangen, dass wir von ihr wissen wollen, wann wir welche Ergebnisse erreichen werden. Aber weil wir immer genauer wissen, dass die Dinge viel komplexer sind, ist das kaum mehr möglich. Und trotzdem werfen sich die Parteien genau das gegenseitig vor: Dass sie diese Rolle nicht mehr erfüllen. Und das führt zu dieser Lähmung, die wir sehen. Es ist ganz schwer, den Mut aufzubringen, zu sagen: Wir wissen es nicht genau, aber wir müssen etwas probieren.
Was ist das Problem daran?
Maja Göpel:
Weil die Politik keine dieser präzisen Antworten liefern kann, die wir fordern, legt keiner mehr irgendwelche Antworten auf die großen Fragen auf den Tisch.
Das findet sich auch in den Sondierungspapieren. Da wird keines der großen strukturellen Probleme angegangen. Sei es der Klimawandel, sei es die Rentenproblematik, sei es die Gesundheitsversorgung. All die Dinge, bei denen wir uns in eine Richtung bewegen, die nicht nachhaltig ist, werden nicht in dieser Tiefe angegangen, geschweige denn thematisiert.
Da schmeißt du jetzt alle Parteien in einen Topf.
Maja Göpel:
Es gibt noch Unterschiede zwischen denen, die sich progressive Parteien nennen, und den Konservativen: Bei den einen ist die Analyse erst einmal, dass der Status quo so nicht wünschenswert ist und dass etwas wirklich anderes passieren soll. Im konservativen Lager ist genau die andere Kodierung angelegt, es ist gut so, wie es ist. Wir machen zwar hier und da ein Pflästerchen drauf, wenn es zu brenzlig wird, aber die generelle Stoßrichtung wollen wir erhalten. Es gibt aber in jeder Partei progressive und konservative Kräfte.
Wo der WBGU bei diesen Fragen steht, ist relativ klar. Merkst du das daran, wie die Parteien auf euch reagieren?
Maja Göpel:
Ja klar. Wir tragen die globale Umwelt im Titel, es geht um Klima, Meere usw. Da stoßen wir auf offenere Ohren in den Ressorts, die sich damit beschäftigen. Diese Trennung der Ressorts führt aber auch dazu, dass Nachhaltigkeit als Umweltthema aufgefasst wird. Dagegen wehre ich mich: Wie kann man Umweltfragen weiterhin in einem kleineren Ressort ansiedeln, wenn zeigt, dass 3 der 5 größten Risiken der nächsten 10 Jahre Umweltthemen sind? Da hinken wir mit unserer Institutionen-Architektur den Herausforderungen hinterher. Wir brauchen in erster Linie eine Institutionen-Revolution.
»Was in den Sondierungspapieren steht, ist mitnichten das, was aus wissenschaftlicher Sicht notwendig wäre.«
Also teilt der WBGU den Eindruck, dass eine Große Koalition, wie sie sich gerade abzeichnet, Stillstand bedeutet?
Maja Göpel:
Es bleibt zu hoffen, dass das nicht der Fall ist. Aber: Was in den Sondierungspapieren steht, ist mitnichten das, was aus wissenschaftlicher Sicht notwendig wäre. Das Verhältnis zwischen politischen Maßnahmen und der Notwendigkeit an tiefen und schnellen Veränderungen stimmt überhaupt nicht.
Fallen dir 2 Themen ein, wo in Deutschland in den vergangenen Jahren Politik gemacht wurde?
Maja Göpel:
Hmm … Bei vielen Themen kann ich das nicht beurteilen, weil ich mich damit nicht auskenne. Was Nachhaltigkeits-Themen angeht, wurde im Energiebereich versucht, die Evidenz mit reinzuziehen, aber das ist nicht richtig geglückt. Die Energiewende wurde eher ausgebremst, obwohl viele Akteure wiederholt versucht haben, Informationen bereitzustellen, zum Beispiel die
Aus Umweltperspektive muss ich also leider sagen: nein. Mir fällt nicht ein Bereich ein, wo das geglückt ist. Die Agrargeschichte ist der Horror, beim Grundwasser kamen ständig blaue Briefe von der EU. Es ist nicht geglückt, die Dringlichkeit in der Politik zu verankern. Es ist vor allem auch nicht geglückt, zu zeigen, dass Nicht-Handeln im Zweifel teurer ist und die Anpassung sehr viel schwieriger machen wird,
Wenn es schon bei diesen Themen Jahre dauert, bis sich was ändert: Wie soll die Menschheit ein Problem wie den Klimawandel überhaupt schnell genug in den Griff bekommen?
Maja Göpel:
Was wir, glaube ich, ganz dringend vermeiden müssen, ist, Demokratie mit einer bestimmten Form von Parteien-Repräsentanz gleichzusetzen. Die Idee, dass lässt sich auf verschiedene Arten und Weisen regeln. Was die repräsentativen Parteien derzeit an Geschwindigkeit und Legitimität hervorbringen, steht in allem dem hintenan, was die dynamischen Märkte kreieren können.
Da liegt durch die Digitalisierung und die so eine Gestaltungsmacht in den Händen einiger konzentriert, die überhaupt keine öffentliche Rechtfertigung ablegen müssen – solange die Zahlen stimmen.
Was macht die Wirtschaft so gefährlich?
Maja Göpel:
Die müssen keine Partizipation und keinen Interessensausgleich anbieten, sondern dürfen unter dem Mantel der Dinge über den Haufen werfen, für die wir 50, 60 Jahre demokratische Prozesse gebraucht haben, um sie zu installieren.
Für mich ist dieses Missverhältnis bei der Gestaltungsmacht zwischen dem privaten und öffentlichen Raum die größte Herausforderung für die Politik. Das Schlimmste, was wir jetzt machen können, ist deshalb, das demokratische System als obsolet zu betrachten.
Angetrieben von der Frage, warum wir unsere Gesellschaften gemeinsam nicht so gestalten, wie sie jeder für sich gern hätte, hat Maja Göpel in Politischer Ökonomie promoviert, für verschiedene Nichtregierungsorganisationen zu Welthandel, Klimawandel und nachhaltiger Entwicklung gearbeitet und 6 Jahre federführend am Aufbau des in Hamburg und Brüssel mitgewirkt. Als Leiterin des Berliner Büros des arbeitete sie zu Gesellschaftstransformationen, Zukunftsgerechtigkeit und neuen Wirtschaftsmodellen. Neben ihrer Aufgabe beim WBGU arbeitet sie als Hochschuldozentin und ist unter anderem Mitglied des und des Ihre Töchter sind 6 und 3 Jahre alt.
Der Physiker Felix begrüßt den Trend zu Hafermilch und fährt gern Rad. Er weiß aber auch, dass das nicht genügen wird, um die Welt vor der Klimakatastrophe und dem Ökokollaps zu bewahren. Deshalb schreibt er über Menschen, Ideen und Technik, die eine Zukunft ermöglichen. Davon gibt es zum Glück jede Menge!