Meinung 

Wer gegen Konstruktiven Journalismus ist, hat ihn nicht verstanden

Die Welt besteht nicht aus Zuckerwatte. Genau deshalb sollten Medien darüber berichten, wie wir sie besser verdauen können.

21. Juni 2017  –  6 Minuten

Für die Nachrichten brauchst du starke Nerven: Schon wieder ein Lastwagen, der in eine Menschenmenge rast, der nächste Krieg tobt, und gleichzeitig sind noch mal 80 Geflüchtete ertrunken. Als wäre die Welt nicht verrückt genug, kommt noch Donald Trump. Kurz bevor du verzweifelt abschaltest, beginnt der Wetterbericht: Sonnig bis heiter, dem Grillen mit Freunden steht nichts im Weg und beim ersten Bissen ist der vermeintliche Die Sonne lacht, das Essen schmeckt, die Stimmung ist gut.

Bist du Oder kommen die Nachrichten einfach nur aus einer anderen Welt?

Weder noch.

Nachrichten informieren dich in erster Linie darüber, was alles schiefläuft in der Welt. Das ist wichtig – aber zu wenig. Nicht erst seit Donald Trump ist es Zeit für einen Journalismus, der schon vor dem Wetter damit anfängt, dir die Welt realistisch zu erklären.

Hier sind 3 Gründe, warum die Welt so dringend mehr Konstruktiven Journalismus braucht.

1. Weil es nichts bringt, den Kopf in den Sand zu stecken

Kein Problem der Welt wird dadurch gelöst, dass du dich resigniert abwendest oder dass Journalisten aufhören, darüber zu berichten. Wenn du krank bist, wirst du auch nicht gesund, indem du die Symptome ignorierst. Stattdessen gehst du den Ursachen auf den Grund und bekämpfst sie.

Wo die Welt Fieber hat, sollten Journalisten recherchieren, wie es geheilt werden kann. Genauso wird Journalismus besonders dort gebraucht, Aber nicht nur, indem Journalisten über Symptome berichten, sie müssen auch Ursachen recherchieren und erklären, wie es geheilt werden kann.

Was wäre also, wenn Journalisten bei jeder Recherche zu einem Problem auch die Frage stellten, wie es gelöst werden kann? Wenn sie nicht nur über Krankheiten, sondern auch über Medikamente – – berichten würden? Genau das machen Anhänger des Konstruktiven Journalismus.

Leider wird der Konstruktive Journalismus oft missverstanden: Er sei belangloser Rosa-Zuckerwatte-Journalismus, meinen die einen. Und dritte glauben, er erhebe sich über den vorhandenen Journalismus, der nach der Logik eines Sprachfuchses dann ja destruktiv sei.

Deshalb eine kurze Auffrischung, worum es eigentlich geht. Wichtigste Zutat ist die zusätzliche W-Frage: Neben Wer?, Wie?, Was?, Wo? … fragt Konstruktiver Journalismus auch: »Wie geht es weiter?«

Die Welt ist nicht komplexer geworden – sie ist nur näher an uns heran gerückt. Viele Menschen beklagen, die Welt sei komplexer geworden. Die Welt ist schon lange komplex, aber unsere Wahrnehmung reicht jetzt dank Dauerinternet und Smartphone viel weiter als noch vor wenigen Jahren. Mit einem stärkeren Fokus auf Langzeitentwicklungen können Journalisten für mehr Verständnis sorgen. (Auch ohne die wichtigen Ereignisse des Tages auszublenden.) Das hilft dabei, sich weniger erschlagen zu fühlen von der Fülle an Nachrichten, die jeden Tag auf dich einprasseln. Dabei den Blick auf die Zukunft zu richten – und die willst du doch auch miterleben, oder nicht? –

2. Weil Zusammenhänge die Welt besser erklären

Deshalb berichten wir über Langzeitenwicklungen statt über Einzelereignisse. Konstruktiver Journalismus zeigt mögliche Szenarien, wie sich Dinge weiterentwickeln können und wie wir das beeinflussen. Das heißt, ein Ereignis – sagen wir, ein Terroranschlag – wird eingeordnet. So kann die Wahrscheinlichkeit genannt werden, selbst zum Opfer zu werden Er erklärt die statt sein Mithelfer zu werden, oder

Es ging der Menschheit nie besser als jetzt. Wusstest du, dass es der Menschheit und während du diese Zeilen liest, arbeiten Millionen Menschen auf der ganzen Welt an Dingen, die sie zu einem besseren Ort machen: an neuen Krebstherapien, umweltfreundlichen Baumaterialen oder der Abschaffung diskriminierender Gesetze. Das ist nicht rosa Zuckerwatte, sondern ein beträchtlicher Teil des Weltgeschehens – der Realität – genau wie Unfälle, Mord und Totschlag. Und tatsächlich sind es genau diese Entwicklungen und Zusammenhänge, die für dein Leben langfristig mehr Bedeutung haben. Mord und Totschlag gab es zu jeder Zeit der Geschichte. Smartphones, Penicillin und Photovoltaik haben Dieser Bedeutung stellt sich der Konstruktive Journalismus, indem er Einzelereignisse einordnet.

Dadurch verschieben sich die Prioritäten. Völlig egal, Der Konstruktive Journalismus schert sich um die Zukunft und damit um die wirklich bedeutsamen Fragen, anstatt sich in der intellektuellen Tiefe von wilden Behauptungen in 140 Zeichen zu erschöpfen.

3. Weil Journalisten auch nur Menschen sind

Egal ob bei Workshops von Perspective Daily oder von unseren internationalen Kollegen – überall auf der Welt äußern Journalisten dieselbe Motivation, warum sie ihren Job machen: »Ich bin Journalist geworden, nicht nur weil ich dabei an interessante Orte komme, spannende Menschen treffe und die auch noch alles fragen kann. Vor allem bin ich Journalist geworden, weil ich etwas bewegen und mich in die Gesellschaft einbringen will. Meine Arbeit als Journalist hat direkte Auswirkungen auf die Welt, in der ich lebe«, sagt David Ehl.

»Meine Arbeit hat direkte Auswirkungen auf die Welt – und ist immer Produkt meines Weltbilds.« »Ich bin zwar nur ein kleiner Schreiberling in einer aber es ist auch an mir und meiner Berichterstattung, ob die Gesellschaft weiter auseinanderdriftet oder zusammenfindet. Meine Arbeit macht einen Unterschied – und sie ist immer Produkt meines Weltbilds.« Es ist Zeit für einen Journalismus, der sich dieser Verantwortung bewusst ist. Denn kein Journalismus bildet die Welt nur ab,

Konstruktiver Journalismus gibt sich gar nicht erst der Illusion hin, objektiv zu sein. Vielleicht denkst du jetzt: Moment, aber ich will doch objektiv informiert werden! Das ist schlichtweg nicht möglich. Ob Journalisten zuerst über die Opfer oder die Täter schreiben, das ist ihre Entscheidung als Journalisten, die sie aufgrund ihrer persönlichen Einschätzungen treffen. vertraust du ihnen als Leser und bezahlst ihre Arbeit. Wenn dir klar ist, dass ein sorgfältiger, erfahrener, aber nicht unfehlbarer Mensch diese Zeilen tippt, vor allem aber der Glaubwürdigkeit des Journalismus.

Wenn wir Journalisten es schaffen, in unserer Berichterstattung ein realistisches Weltbild zu vermitteln, dann schafft das auch eine stärkere Bindung zu dir. Als Leser (oder Hörer oder Zuschauer) bist du genauso Teil dieser Welt. Konstruktiver Journalismus diskutiert nicht nur Lösungen – er ist Teil der Lösung für viele Probleme unserer Zeit.



Dieser Text wäre nicht ohne die Unterstützung von Han Langeslag und Felix Austen entstanden.

Titelbild: Oleg Kr - copyright

von David Ehl 
Wenn Zugvögel im Schwarm fliegen, beeinflusst jedes einzelne Tier die Richtung aller – das hat David bei einer Recherche gelernt. Sonst berichtet er eher über Menschen, stellt sich dabei aber eine ganz ähnliche Frage: Welche Rolle spielt der einzelne Wähler und Verbraucher, welchen Einfluss hat jeder von uns auf die Gesellschaft? David recherchiert gern unterwegs, studiert hat er Musikmanagement, Englisch und Journalismus.

von Maren Urner 
Maren ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster. Nach dem Studium der Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, Kanada und den Niederlanden wurde sie am University College London promoviert. 2016 gründete sie Perspective Daily mit und war bis 2019 Chefredakteurin und Geschäftsführerin.