Habe ich verlernt, mich zu konzentrieren?
Wer immer mindestens 3 Dinge gleichzeitig macht, ist erfolgreicher und nimmt mehr mit. Soweit der Mythos vom Multitasking. In Wahrheit kostet uns das Zeit und macht uns unglücklich.
Umgeben von Schnee, Bergen und kalter klarer Luft, zu hören ist nur ab und an das Bimmeln von Kuhglocken: Ich habe mich eine Woche in der Schweiz in die Einsamkeit verabschiedet. Internet gibt es nicht.
Ständig abgelenkt zu werden und sich nicht konzentrieren zu können, ist ein Gefühl, das immer mehr Menschen belastet.
Wie sind wir hier gelandet?
Zeitungsartikel und Ratgeber zum Thema schieben der »Informationsflut unserer Zeit« die Schuld zu. Tatsächlich verleiten die vielen bunten Bilder und Links auf immer mehr Displays uns zu etwas, was heute ganz selbstverständlich ist: Fakt ist, Menschen können nicht multitasken.
Die neue Serie schauen und dabei einen Artikel überfliegen; Spanisch lernen und zwischendurch im Internet nach einem Geburtstagsgeschenk suchen – wer wünscht sich nicht mehr Zeit?
Teste dich selbst: Schaffst du es, den ganzen Artikel ohne Multitasking zu lesen?
Verstehe dein Gehirn: Es ist normal, dass unsere Gedanken wandern
Frustriert und irritiert lege ich mein Buch beiseite. Ich ärgere mich über mich selbst, über meine Gedanken, die nicht bei mir bleiben wollen. Warum verliert mein Gehirn so schnell das Interesse an einer Sache,
Wenn ständig Gedanken in unserem Kopf hochsteigen, dann kann das nerven. Dabei ist das völlig natürlich und gewissermaßen der Urzustand des menschlichen Denkens. In der wissenschaftlichen Fachsprache heißt dieses Umherwandern des Geistes »Mind-Wandering«. Dabei springt unser Verstand von einem äußeren Reiz zum nächsten, lässt sich von Assoziation zu
Zerstreuung und Begierde nach immer neuen Reizen sind völlig normal.
Unsere Zerstreuung und Begierde nach immer neuen Reizen sind also völlig
- Der tief im Inneren unseres Gehirns sitzende Thalamus entscheidet als »Filter«, welche Reize stark genug sind, dass wir sie bewusst
- Das Arbeitsgedächtnis dient als »Zwischenspeicher«, in dem alle Informationen abgelegt werden, die wir vielleicht noch für eine bestimmte Aufgabe
Würden wir jeden Reiz ohne diese 2 Sicherungen wahrnehmen, wären wir im wahrsten Sinne des Wortes reizüberflutet und damit schlicht handlungsunfähig. Doch die beiden Strukturen schützen uns nicht vor jeglicher Ablenkbarkeit:
- Je langweiliger die Aufgabe, desto leichter lassen wir uns schon von Banalem ablenken. Sind wir unterfordert, gehen wir gedanklich leichter auf die Suche nach Neuem.
- Ist eine Aufgabe zu anspruchsvoll oder strapazieren wir unsere Konzentration schon zu lange, sind wir überfordert. Unser Arbeitsgedächtnis ist dann
- Äußere Reize: Je attraktiver ein Reiz, desto schwerer fällt es uns, ihn auszublenden. Es reicht schon, wenn unser Handy ausgeschaltet in unserem Sichtfeld liegt, während wir uns konzentrieren wollen, damit unsere Leistungen
- Innere Reize: Beinahe die Hälfte der Arbeitsunterbrechungen gehen auf unser
Es ist beruhigend, dass Gedanken gern wandern – und das völlig normal ist. Doch es bringt mich dem Ziel noch nicht näher: endlich wieder ein Buch verschlingen. Das ging doch früher auch! Habe ich also meine Fähigkeit verloren, mich zu konzentrieren?
So richten wir den mentalen Scheinwerfer aus
Im Alltag verwenden wir die Begriffe »Konzentration« und »Aufmerksamkeit« oft synonym. Dabei bezeichnen sie nicht dasselbe:
- Aufmerksamkeit meint unsere Fähigkeit, aus dem Reizangebot einzelne Informationen auszuwählen und bewusst wahrzunehmen – und dafür andere zu unterdrücken. Das ermöglicht zielgerichtetes Handeln. Dabei schwankt das »Aktivierungsniveau« über den Tag – wie von selbst sind wir mal mehr und mal weniger aufmerksam.
- Konzentration (oder auch Daueraufmerksamkeit) bedeutet, dass wir unsere Wahrnehmung gezielt auf bestimmte Reize fokussieren und damit unsere Reaktionsbereitschaft auf diese
Fokussierte Aufmerksamkeit ist wichtig, weil wir vor allem konzentriert neue Fähigkeiten
Warum aber konzentrieren wir uns dann nicht einfach nur auf das, was wir wollen – sondern geben den verlockenden Reizen nach?
Studien legen nahe, dass einige Menschen ungern allein mit ihren Gedanken und Gefühlen sind. In einem Experiment bekamen Versuchsteilnehmer die Aufgabe, 15 Minuten lang »nichts zu tun«. Die einzige Beschäftigung, mit der sie sich von der eigenen Gedankenwelt ablenken konnten, waren milde Elektroschocks. Immerhin 18 von 42 Teilnehmern verabreichten sich selbst mindestens einen Elektroschock.
Die Teilnehmer haben sich lieber Elektroschocks verpasst, als sich der eigenen Langeweile zu stellen.
Auch bei Konzentration können unangenehme Gedanken und Gefühle entstehen – etwa wenn wir
»Multitaskende Tausendsassas« könnten jetzt behaupten, dass es hilft, viele Dinge gleichzeitig zu tun, um der Ablenkung gar keine Chance zu geben. Doch das macht alles nur noch schlimmer.
Deshalb funktioniert Multitasking nicht
Eigentlich müssen wir nur eine Tatsache akzeptieren, um den Anspruch vom »Multitasking« aus der Welt zu schaffen: Wir haben alle nur einen Aufmerksamkeitsscheinwerfer. Wir können das Licht zwar bündeln oder streuen, aber wir können den Strahl nicht aufsplitten und daraus mehrere kleine Aufmerksamkeitsbündel
Wer versucht zu multitasken, wird erschöpft, gestresst, dümmer, konzentrationsschwach und unzufrieden.
Versuchen wir das trotzdem, springen wir nur schnell zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her. Wir fuchteln quasi mit dem Scheinwerfer herum und streuen das Licht. Das Ergebnis: Wir sehen alles deutlich schwächer und weniger scharf.
Genau das lässt sich auch im Gehirn messen.
Und das hat Folgen. Das ständige Springen macht uns:
- Erschöpft und gestresst: Jeder Aufgabenwechsel verbraucht Energie und damit Zeit, da wir uns in den neuen Kontext einfinden und immer wieder kleine Entscheidungen treffen müssen – je häufiger wir wechseln, desto schneller sind wir erschöpft.
- Dümmer: Sind wir abgelenkt, speichern wir neue Inhalte falsch ab und machen mehr Fehler. Unser IQ sinkt dabei um bis zu 15
- Konzentrationsunfähig: Unser Gehirn verändert sich auch durch unser Verhalten ein Leben lang. Lassen wir uns dauernd ablenken, verändert das zum Beispiel die Anatomie einer Gehirnregion, die bei der Kontrolle von Impulsen eine Rolle
- Unzufrieden: Menschen sind unzufriedener, wenn sie gedanklich abwesend
Springen wir dauernd hin und her, gerät unser Gehirn in eine Abwärtsspirale: Je mehr wir wechseln, desto leichter lassen wir uns ablenken. Wir springen dann aus
Doch die schlechte Nachricht ist zugleich eine gute: Wir haben die Konzentration verlernt. Das heißt, wir können sie auch wieder erlernen.
So können wir uns wieder konzentrieren
Ich habe mich daran gewöhnt, bestimmten Reizen nachzugeben, wenn sie anklopfen. Ich mache mich sogar unbewusst nach ihnen auf die Suche. Meine Filter im Gehirn sind »schläfrig« geworden, überlastet durch die scheinbar unbegrenzten Verlockungen, meine Zeit zu verbringen. Jetzt muss das richtige Training her.
Unsere Aufmerksamkeit trainieren wir wie einen Muskel: indem wir an unsere »Schmerzgrenze« gehen. Beim Multitasken trainieren wir nur, uns abzulenken. Die Lösung liegt auf der Hand: Wir müssen uns ganz
- Entscheiden: Wir wählen eine Sache bewusst aus, die wir gerade tun wollen, und verschieben alles andere.
- Zeit aufwenden: Damit das Training funktioniert, müssen wir Zeit mit der einen Sache verbringen. Ein Wecker kann dabei die Angst nehmen, dass wir die Zeit vergessen könnten.
- Ablenkungen ausblenden: Sind wir dabei, lenken wir den Fokus immer wieder zurück, falls wir abschweifen. Dann müssen wir uns auch der aufkommenden Unruhe und dem unangenehmen Gefühl stellen, etwas zu verpassen.
Wie jedes Training braucht auch dieses Zeit, bis es wirkt. Bei mir dauerte es 2 Tage, in denen ich immer wieder in Ruhe gelesen habe. Erst dann konnte ich mich wieder völlig in den Bann ziehen lassen. Jetzt bleibe ich dran, indem ich mir für meine Bücherfluchten wieder abgeschottet Zeit nehme.
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