Beginnt in dieser Stadt das Ende des Plastiks?
Das beschauliche Penzance ist offiziell die erste plastikfreie Stadt Großbritanniens – obwohl es dort auch weiterhin Wegwerfplastik gibt. Gerade deshalb könnte das Modell Penzance auch bei uns funktionieren.
Die See brandet mit kräftigen, gleichmäßigen Wellen gegen Englands Küste. Der Himmel ist grau, der Wind scharf, der Frühling existiert bislang nur im Kalender. Trockengefallener Seetang verbreitet einen salzig-modrigen Geruch, außer Rachel Yates und mir sind nur wenige Menschen am Strand. Ein zotteliger brauner Hund läuft geradewegs auf uns zu, als er uns sieht, und legt einen zerbissenen Tennisball vor Yates’ Füßen ab. »Igitt, wie schleimig, ich will das nicht anfassen«, sagt sie, wirft den Ball dann aber doch in Richtung Meer, der Hund japst hinterher.
Rachel Yates ist oft am Meer, und so wie es die Temperaturen zulassen, stürzt sie sich mit ihrem Surfbrett in die Fluten. Die Bucht am westlichen Ende des Ärmelkanals mit dem pittoresken St Michaels Mount auf der einen und dem 20.000-Einwohner-Städtchen
Die Surferin und der Bürgermeister
Rachel Yates’ Kampf gegen den Plastikmüll begann im November 2013, als der Taifun Haiyan auf den Philippinen wütete. Die Journalistin half als Freiwillige beim Wiederaufbau und sah dort zum ersten Mal bewusst, welche Mengen Plastik vom Meer angeschwemmt werden. »Als ich im Februar 2014, mitten während der Winterstürme, zurück nach England kam, bot sich mir zum ersten Mal an den Stränden meiner Heimat dasselbe Bild.« Also organisierte sie ein »Beach Cleanup«, eine öffentliche Aufräumaktion. Das war zwar dringend nötig, aber nicht nachhaltig:
Du kannst für immer Strände aufräumen, aber damit löst du das Problem nicht. Du musst es an der Wurzel packen. Diese Kampagne ist ein Versuch, es an der Ursache zu bekämpfen.
Im Jahr 2017 zählte die britische Marine Conservation Society in einer Studie 718 Plastikteile pro 100 Meter Strand –
»Wir sind dabei, seitdem Rachel Yates
»Penzance war immer arm, Teile der Stadt sind schäbig, wir hatten hier schon immer ein Drogenproblem«, sagt Cliffe. Er sagt das nicht abschätzig, sondern wie ein Mann, der die Größe der vor ihm liegenden Probleme kennt. Im Mai sollen die Kommunen in ganz Cornwall über einen neuen Müllentsorgungs- und Recyclingvertrag abstimmen – aber weil Penzance nicht die einzige Kommune mit klammem Haushalt ist, macht sich Cliffe keine Hoffnungen, allzu viele
Und so hat auch ein großer Teil der Arbeit, die Cliffe zur Kampagne gegen Plastik beisteuert, nur wenig mit Geld zu tun: Der parteilose Bürgermeister versucht vor allem, andere Politiker und Gremien in Cornwall zu beeinflussen und in der Presse bei dem Thema Druck aufzubauen. Dass die Kampagne in Penzance durchweg positiv aufgenommen wird, überrascht Cliffe nicht; schließlich leben die Menschen direkt an der Bucht mit ihren weiten Stränden sowie den Delfinen und Walen, die manchmal vorbeischauen.
Die Tatsache, dass diese Kampagne von unten kam, macht sie effektiver, als wenn sie von oben verordnet worden wäre. Dann gäbe es 1.000 Gründe, warum sie unvernünftig sei. Aber weil es eine Graswurzelbewegung ist, unterstützen die Leute sie gerne.
Vielleicht liegt es also an den Menschen selbst, dass die Initiative sofort auf fruchtbaren Boden fiel. Nicht zu vernachlässigen ist für Cliffe aber auch die klare und pragmatische Zielsetzung – und nicht zuletzt das Timing.
Plastikfrei shoppen in Penzance: Kosmetik und Kaffee
Diesen Zeitpunkt beschreibt Emily Kavanaugh, die in der Stadt ein Naturkosmetik-Unternehmen führt, als »perfekten Sturm«, der seit Jahresbeginn die britische Psyche verändert habe: Sie ist die Erste, aber bei Weitem nicht die Einzige, die mir in Penzance von der neuesten
Wir müssen in der Breite aktiv werden, damit wir Weltmeister im Kampf gegen das Einweg-Plastik werden, das unsere Straßen, Landschaften und Küsten zumüllt.
Ich treffe Kavanaugh in ihrem Laden, dem Pure Nuff Stuff im »Ägyptischen Haus«, mit dessen bunter, historisierender Fassade ein neureicher Bürger des 19. Jahrhunderts zeigen wollte, was er sich leisten kann. Vor 12 Jahren begann Emily Kavanaugh hier, Handcreme nach dem Rezept ihrer Großmutter anzurühren, ganz einfach, weil sie sich Naturkosmetik nicht leisten konnte. Mittlerweile betreibt sie eine Manufaktur direkt nebenan und stellt mit ihren Mitarbeiterinnen dort über 150 verschiedene Produkte her. Die US-Amerikanerin, die seit ihrer Kindheit in Cornwall lebt, war eine der Ersten, auf die Rachel zuging – und kam sofort an Bord.
Manchmal muss es eben Plastik sein.
Bambus-Zahnbürsten gab es bei ihr schon immer – neu ist zum Beispiel, dass die Wascherde (Russell Mud) in Papiertüten verkauft wird. Jedoch: »Duschgel hält sich in Papiertüten nicht besonders lange«, lacht Kavanaugh.
Ich muss den Leuten nicht länger erzählen, warum es eine gute Idee wäre, Seifenriegel für Haare und Körper auszuprobieren. Sie kommen in den Laden und fragen speziell danach, weil die Riegel plastikfrei sind.
Die meisten Produkte, erzählt Kavanaugh, verkaufe sie nicht im Laden, sondern online. Vor wenigen Wochen führte sie die »plastic free«-Option im Webshop ein: »Wir haben Pakete aus Karton, biologisch abbaubare Verpackungsflocken aus Maisstärke und das Klebeband ist aus Papier statt aus Plastik.« Sie schätzt, dass sich etwa 4 von 5 Online-Kunden für plastikfreie Verpackung entscheiden – das interpretiert Kavanaugh als »klaren Appell«, plastikfrei zum neuen Standard zu machen.
Alternativen zum Plastik sind teurer.
Die plastikfreien Alternativen seien teurer, erklärt mir Simeon Portway, pro Coffee-to-go-Deckel aus Maisstärke zahle er den doppelten Preis. Mit seinem
Er verspricht sich nicht viel von den Überlegungen der britischen Regierung, pro verkauftem Coffee-to-go-Becher 25 Pence Abgabe
Plastikfrei shoppen in Penzance: Lebensmittel
An einem Werktag wie diesem sind vor allem ältere Menschen in der Fußgängerzone unterwegs. Natürlich gibt es auch einen 1-Pound-Shop und eine »Subway«-Filiale, ansonsten fällt mir jedoch eine größere Häufung von inhabergeführten Läden auf. Und am »Causeway Head« häufen sich besonders die Lebensmittelläden, die bei der »Plastic Free Penzance«-Kampagne dabei sind: Direkt nebeneinander liegen ein Lebensmittelhändler und ein Bäcker, gegenüber davon ein
Mehr Plastik = mehr Komfort für den Verbraucher?
Bei Thornes Fruit & Veg stehen Papiertüten mit abgewogenen Kartoffeln bereit, kleinere Papiertüten hängen neben den losen Pilzen. Aber trotzdem fällt hier und da das Plastik auf – die Plastikschalen, in denen die Trauben aufbewahrt werden, sind sogar teilweise noch mal mit Frischhaltefolie umwickelt. »Wir hatten viele vorgepackte Waren, weil es für den Kunden einfach ist, eine Packung zu nehmen«, sagt Geschäftsführerin Sue Hendy. Sie hätten kürzlich aufgehört, die Trauben noch einmal einzuwickeln, die unteren Pakete seien die letzten Restbestände. Zum Beispiel habe man früher Paprika im Dreierpack verkauft; heute liegen sie nur noch lose in den Kisten. In Penzance wird Spinat hauptsächlich lose gekauft – in einer anderen Filiale mussten sie jedoch zum verpackten zurückkehren, weil der lose liegengeblieben ist. Und die Schaumstoff-Netze, die Birnen aus China vor Transportschäden bewahren sollen, werden an der Kasse abgenommen, um sie fachgerecht zu recyceln.
Kleine Händler + lokale Lieferanten = schnelle Veränderung
Die Fleischtheke bei Thornes, die von einem Metzger aus dem nahen St Ives bestückt wird, wandelt sich gerade: Die Würste sind nicht mehr in Plastik eingepackt, laut Sue Hendy sollen andere Produkte folgen. »Wir haben unseren Zulieferern gerade gesagt: Unsere Kunden sind damit nicht glücklich, und wir auch nicht. Wir müssen die Dinge verändern, jeder muss das. Und die Produzenten, die die Früchte anbauen, müssen auch eingebunden werden.«
Im etwas kleineren The Granary schräg gegenüber ist etwas weniger Plastik zu sehen: Hier sind die Eier ausnahmslos in
Manche Markenprodukte wie Lipton-Tee sind jedoch auch bei The Granary eingeschweißt. »Ich denke, bei diesen größeren Firmen müssen einfach regelmäßig viele Leute nachfragen«, sagt Sasha Williams. Aber weil sich immer mehr Menschen mit dem Thema beschäftigten, gebe es einen Schneeball-Effekt.
Zu The Granary kommen laut Williams schon immer Kunden, die etwas bewusster einkaufen. Auch deshalb gibt es seit Jahren keine Plastiktüten, sondern nur noch Taschen aus Baumwolle oder Papier – die meisten Kunden haben sowieso ihre eigenen Beutel dabei.
Ich denke, unsere Kunden hier waren darüber schon immer recht aufgeklärt.
Plastikfrei einkaufen ist nicht unbedingt teuer – aber aufwendig.
Läden wie Thornes oder The Granary können nicht mit den Preisen der großen Supermärkte außerhalb des Zentrums mithalten, das ist unbestritten. Dass Plastikvermeidung eine Luxusbeschäftigung der Besserverdiener sein könnte, weist die Surferin und Aktivistin Rachel Yates jedoch entschieden zurück: »Ich bin Mutter zweier Teenager, arbeite Vollzeit und habe sehr wenig Geld, und
Die Supermarktkette Tesco betreibt sogar einen kostenlosen Shuttlebus aus dem Zentrum zum Superstore am Stadtrand von Penzance, das ist gut fürs Geschäft. Aber passiert auch hier etwas, um Plastikmüll zu vermeiden? Man verfolge einen »ganzheitlichen Ansatz«, sagt mir eine Sprecherin am Telefon. Bis zum Jahr 2025 sollen sämtliche Verpackungsmaterialien
Kinder sind die Zukunft
Über eines sind sich alle einig, mit denen ich in Penzance spreche: Ihre Maßnahmen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein – und selbst wenn ganz Großbritannien ab morgen plastikfrei wäre, würden die Strände noch über Jahrzehnte aussehen wie
Die Bürger von morgen sollen zu Beschützern statt Beschmutzern der Umwelt erzogen werden.
Was aber wirklich einen Unterschied für die Zukunft ergeben könnte, ist der Ansatz, mit dem das Thema an die nächste Generation herangetragen wird.
»Are we protectors or polluters?«, fragt Grundschul-Lehrerin Helen Knowles ihre Klasse – sind wir Beschützer oder Beschmutzer? Die Antworten fallen gemischt aus, Georges Antwort »Half and half«, sowohl als auch, ist vielleicht die beste, um das Stimmungsbild in der Klasse wiederzugeben.
Die 87 Drittklässler der Alverton Primary School haben sich zwischen Weihnachten und Ostern schwerpunktmäßig mit dem Thema Plastik beschäftigt; im gemeinsamen Vorraum, den sich die 3 Klassen teilen, hängt von der Decke ein Blauwal mit Professor-Hut herab und ein Netz, das die Kinder mit Wegwerfplastik gefüllt haben. Einige Kinder erzählen mir, dass sie im Elternhaus einiges verändert hätten: »Wir haben zu Hause keine Milchflaschen aus Plastik mehr.« – »Jetzt nehme ich mein Essen in einer Brotdose mit.« – »Meine Mama hat Papier-Strohhalme gekauft.« …
Vor allem haben die Schüler aber Informationen über die Bedrohung durch Plastikmüll recherchiert, Bilder gemalt und Flyer designt: Sie alle sind Teil einer großen Ausstellung, die kurz nach meiner Abreise im größten Hotel der Stadt stattfinden sollte. Der Bürgermeister soll eine Eröffnungsrede halten, und alle großen Unternehmen der Stadt sollen von den Kindern lernen, wie sie Plastik reduzieren können.
Es ist ein Mammutprojekt, aus Beschmutzern Beschützer zu machen, und auch in Penzance gibt es noch viel Plastik, das eingespart werden kann. Vielleicht ist das Beste an der Kampagne, dass sie von niemandem erwartet, sofort perfekt zu sein. Ein bisschen Plastik kann jeder einsparen. Rachel Yates hat in Penzance die erste Welle angestoßen – doch die Flut beginnt gerade erst.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier!
Titelbild: David Ehl - copyright