Lotto macht die Armen ärmer. Dahin verschwindet ihr Geld
Deutschland streitet über die Reichensteuer, die Armensteuer ist längst da. So verteilt das System Lotto von unten nach oben.
»Ich soll das hier für meine Oma abgeben«, flüsterte ich schüchtern und reichte den Lotto-Schein auf den Zehen stehend zusammen mit 20 Mark über den Tresen des kleinen Tabakladens. Auf ihm waren viele Quadrate mit Mustern aus 6 Kreuzchen, die ich, wie jeden Sonntag, zuvor mit meiner Oma gesetzt hatte.
Lotto ist in jeder Hinsicht ein gigantischer Umverteilungsapparat.
Was mir damals als 8-Jähriger noch nicht bewusst war: Oma »investierte« ihre knappe Rente in ein Glücksspiel, das besonders diejenigen lockt, die wenig haben. Sicher, im äußerst unwahrscheinlichen Fall, »die Richtigen« zu tippen, hätte sie unsere Familie am sonst unerreichbaren Reichtum teilhaben lassen. Doch das große Glück blieb natürlich aus.
Diese Geschichte ist bis heute auf Millionen von Menschen übertragbar. Lotto ist nichts anderes als ein mit staatlicher Hilfe betriebener, gigantischer Umverteilungsapparat: Er sammelt Geld von sehr vielen ein, um sehr, sehr wenigen ein Riesenvermögen zu bescheren. Ein Milliardengeschäft mit der Hoffnung derer, die in unserer Gesellschaft schon wenig haben.
Kann das gerecht sein?
Was der Staat mit der Hälfte des Lotto-Kuchens will, den er für sich behält
Ein hoher Lotto-Jackpot freut nicht nur die Spieler, sondern auch die Finanzminister.
Die Politik hat schnell gelernt, dass sich mit dem Traum vom großen Los gut verdienen lässt. Nachdem im 16. Jahrhundert erstmals in Deutschland lotterieähnliche »Glückstöpfe« verlost wurden und für viel Aufsehen sorgten, wurden die Regierenden hellhörig. Der Herzog von Württemberg finanzierte im Jahr 1704 sein neues Schloss mit einer »Leibrenten-Lotterie«. Schon bald darauf erhoben auch andere Fürsten ein Staatsmonopol auf das lukrative Glücksspiel, bei dem die Bürger fleißig
Im Kern hat sich daran bis heute nicht viel geändert, nur dass heute
Ziele des Staatsvertrages sind […] das Entstehen von Glücksspielsucht zu verhindern, wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen […] und durch ein begrenztes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken […].
Die Spieler zu schützen und Transparenz sicherzustellen, liegt dabei in der Verantwortung der Bundesländer. Diese beauftragen
- Nur 50% der Einsätze fließen wieder als Gewinn an die Spieler zurück.
- Die übrigen 50% des Milliarden-Kuchens teilen die jeweiligen Bundesländer auf. Die genaue Verteilung wird von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt.
Der daraus entstehende Zwiespalt ähnelt dem der Tabaksteuer: Einerseits soll
Lotto ist hier jedoch klar im Vorteil, und zwar nicht nur, weil es wesentlich weniger tödlich daherkommt als das Qualmen. So wurden die Einnahmen in der Geschichte des Lottos auch immer wieder für gemeinwohlorientierte Zwecke genutzt – etwa in der Nachkriegszeit zum Wiederaufbau von Berlin.
Auch heute noch sei »Lotto das sozialste Glücksspiel überhaupt«, wie der
Es ist sicherzustellen, dass ein erheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen zur Förderung öffentlicher oder gemeinnütziger, kirchlicher oder mildtätiger Zwecke verwendet wird.
Wer Lotto spielt, finanziert also Kunst und Kultur mit, zudem Ausstellungen sowie Museen, aber auch Denkmal- und Umweltschutz oder Breitensport wie Fußball. Die Idee dahinter ist nicht verkehrt: Gezockt wird ohnehin, warum also nicht von den Abgaben Projekte zum Allgemeinwohl fördern?
Und das System funktioniert: Im Jahr 2017 kam die stolze Summe von 1,6 Milliarden Euro zusammen. Weitere 1,2 Milliarden Euro flossen durch die Lotteriesteuer
Das System hat allerdings ein zentrales Problem: Die Nutznießer dieser Projekte sind überdurchschnittlich häufig Menschen, die gar kein Lotto spielen.
Warum Lotto eigentlich eine Armutssteuer ist
Lotto wird im englischsprachigen Raum häufig als »A tax on the poor«, also als »Armutssteuer« bezeichnet. Dass das auch für Deutschland gilt, haben Wissenschaftler vom
- Sie stammen aus der
- Sie verfügen über einen geringeren Bildungsgrad.
- Sie weisen ein höheres Alter als die Durchschnittsbevölkerung auf.
- Sie gehören einer ethnischen Minderheit an.
Lotto ist daher eine sogenannte
- deutlich höher gebildet,
- jüngeren Alters,
- überwiegend deutscher Staatsangehörigkeit.
Kurz gesagt: Die Lottogelder werden umverteilt, und zwar von unten nach oben. Und der Motor ist allein die Hoffnung auf einen Gewinn in einem Glücksspiel, bei dem die Chance auf den Jackpot bei gerade
Bei keinem anderen Spiel ist die Differenz zwischen Einsatz und Gewinn so groß wie beim Lotto. Da ist es auch kein Zufall, dass sich 40% der Spieler wie
10 Euro einsetzen, 10 Millionen kassieren?
Da ist es besonders verlockend, dass die Einsätze so niedrig sind: 10 Euro einsetzen, 10 Millionen kassieren – vielen bleibt kein anderer Weg, ihre materielle Situation auf legalem Weg nachhaltig zu verbessern.
So werden mit den Lottoabgaben des prekär Beschäftigten teilweise die neuen Trikots für die Hockeymannschaft gefördert, in der seine eigene Tochter
Ein ähnliches Problem liegt vor, wenn das Geld in Museen oder die Restaurierung von Kirchen gesteckt wird. Die Bundesländer setzen bei der Verwendung der Mittel zum Teil sehr unterschiedliche Schwerpunkte:
Will man das ändern, liegt die Lösung auf der Hand: Das System gerechter gestalten und den Lotto-Profit in die Bereiche investieren, die auch bei den Spielern ankommen. Das ist jedoch nicht so einfach, denn bei der Verteilung haben viele Politiker ihre Finger im Spiel – und manche leiten einen Teil des Geldes lieber ganz woanders hin.
So haben die Funktionäre mit Lotto immer 6 Richtige
Große Summen wecken Begehrlichkeiten. Das gilt nicht nur für hoffnungsvolle Lottospieler, sondern auch für die Politik. So gibt es zwar in jedem Bundesland feste Vorgaben für die Verteilung der Lotto-Profite – die können aber kreativ interpretiert werden.
Der Interessenkonflikt besteht darin, dass die Landesregierungen sowohl als Anbieter als auch als Kontrolleur auftreten müssen.
Wie im Staatsvertrag festgeschrieben, sollen mit den eingenommenen Geldern eigentlich gemeinnützige Projekte, Suchtprävention und Eindämmung des Glücksspiels angegangen werden. Doch damit würde sich das System Lotto ins eigene Fleisch schneiden. Interessenkonflikte sind vorprogrammiert:
- Verlockende Einnahmequelle: Der Freistaat Sachsen geriet im Jahr 2012 in die Kritik, weil er anstatt Spielsucht einzudämmen lieber 20 Millionen in den Ausbau des Geschäfts mit dem Lotto investierte.
- Profit für die Funktionäre: Der baden-württembergische Landesrechnungshof kritisierte im Jahr 2012, dass die Staatsbediensteten des Lotterieunternehmens weit mehr als im öffentlichen Dienst üblich verdienen und deren Gehälter sogar
- Die Politik klüngelt mit hohen Posten: »Die Stellen (der Geschäftsführer) werden nicht öffentlich ausgeschrieben, sie werden durch die jeweiligen Landesregierungen besetzt. So wird nicht unbedingt der eingesetzt, der am besten dafür geeignet ist«, sagt Tillmann Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim. Zwar sei die »politische Erfahrung sicher eine wichtige Qualifikation für die Aufgabe, aber leider spielt die Parteizugehörigkeit oft eine wichtigere Rolle bei der Besetzung.« So bekleidete zum Beispiel eine ehemalige Staatssekretärin der SPD die Spitzenposition in Baden-Württemberg, bis sie zum 1. Januar 2018 von einem ehemaligen CDU-Landtagsabgeordneten
Problematisch ist das besonders deshalb, weil die Landes-Lotteriegesellschaften von denselben Instanzen kontrolliert werden sollen, die von den Einnahmen profitieren: nämlich von den Landesregierungen selbst.
Weil die Landespolitik, […] selbst Hauptprofiteur der Glücksspielabgaben ist, hat sie kein Interesse an besserer Regulierung und wirksamer Aufsicht über den Lottoblock
Das System steckt fest. Lässt es sich ändern? Ja – und zwar so, dass Lotto auch gleich die Chancen für die Spieler erhöht.
Wie Lotto gerechter für die Spieler werden kann
Glücksspiel, egal in welcher Form, wird es immer geben. Dieses Laster hoch zu besteuern, um das Gemeinwohl zu fördern, ist daher eine sinnvolle Strategie. Auch ist es nicht verkehrt, Sportvereine, Museen und Tierschutz zu finanzieren. Aber muss dafür das Lotto-Geld der weniger Privilegierten der Gesellschaft ausgegeben werden? Oder sind das Ausgaben, die der Staat ohnehin aus dem allgemeinen Haushalt bereitstellen sollte?
Wenn Lotto dem Anspruch als »sozialstes Glücksspiel überhaupt« gerecht werden soll, dann müssen die Hauptzahler nicht nur den Jackpot, sondern wesentlich mehr vom ganzen Geldsegen abbekommen. Und so könnte es aussehen:
- Jackpots begrenzen: Wird der Gewinn begrenzt, könnte das dabei helfen, irrationale Spielanreize abzubauen. Stattdessen kann der Jackpot häufiger ausgeschüttet und gleichmäßiger
- Mehr Einnahmen ausschütten: Würden die Gewinne gleichmäßiger verteilt, wäre es denkbar, mehr als 50% der Spieleinsätze wieder als Gewinne auszuzahlen. Auf diese Weise würde weniger Umverteilung von unten nach oben durch den Staat stattfinden.
Bleibt noch das Problem der nicht immer gerechten Verteilung der übrigen Gelder. Hier braucht es Kontrollinstanzen, die das Geld mit weniger Gewissenskonflikten verteilen können.
»Es wäre hier sinnvoll, eine Anstalt öffentlichen Rechts mit der Aufgabe der Kontrolle zu betrauen. Nur die groben Eckdaten können von der Politik vorgegeben werden. Bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben sollte diese Glücksspiel-Aufsichtsbehörde möglichst frei agieren können«, sagt Tillmann Becker von der Universität Hohenheim.
So könnte das Geld verstärkt in Kanäle gelenkt werden, die wirtschaftlich schwachen Menschen (und damit den Spielern) zugutekommen. Eine wirksame Idee wäre ein »Lotteriefonds«. Der könnte dazu genutzt werden, die soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen – und zwar so:
- Bildungsförderung: Mehr Geld für den Ausbau der frühkindlichen Bildung kann die Chancengleichheit schon vor der Einschulung verbessern. Auch die individuelle Förderung von Problemschülern könnte gezielt verbessert werden.
- Integration: Integrations- und Sprachkurse sind häufig unterfinanziert. Von besseren Sprachkenntnissen profitieren sowohl zugewanderte Menschen als auch deren Kinder.
- Soziale Teilhabe: Kultureinrichtungen, Sportvereine und Museen werden schon heute gefördert, sind aber nicht kostenfrei. Sozialtickets ermöglichen es auch finanziell Schwachen, teilzunehmen. LOTTO Hessen etwa finanziert bereits heute Kino- und Konzerttickets
Ohne Druck auf die Politik wird sich hier aber wenig tun. Denn Lotto ist fest in staatlicher Hand. Noch jedenfalls: »Wenn in diesem Jahr nichts passiert, ist der Deutsche Lottoblock nicht mehr zu retten«, mahnte Hans-Jörg Arp, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion Schleswig-Holstein, angesichts sinkender Einnahmen Anfang des Jahres. Zu den Gründen zählt das starke Wachstum der europäischen Lotteriemärkte und unseriöser digitaler Angebote, an denen jeder über das Internet teilnehmen kann.
Genau diesem Problem ließe sich sehr gut begegnen, indem die Bundesländer die Gelder gerechter verteilen und Lotto so wirklich zum sozialsten Glücksspiel überhaupt machen – und es dann auch als solches bewerben.
Titelbild: Dylan Nolte - CC0 1.0