Wieso Drogen aus dem Radio nicht abhängig machen
Verführen Breaking Bad, Bob Marley und die Beatles zum Drogenkonsum? Eher nicht. Entscheidend ist sowieso etwas ganz anderes.
Kakteen. Schroffe Felsen. Mittagssonne, stahlblauer Himmel. Eine beige Hose (wie zur Hölle kommt eine Hose in den Himmel über New Mexico?) weht ins Bild, bis sie auf der staubigen Straße landet. Dann brettert ein ramponiertes Wohnmobil über sie hinweg. Der Fahrer, nur in Unterhose und mit einer Gasmaske im Gesicht, rast wie irre durch die Wüste, verliert die Kontrolle und setzt das Wohnmobil in den Sand. Er steigt aus, tauscht Gasmaske gegen Brille und zieht sich ein Hemd an. Er kramt eine Videokamera hervor, richtet sie auf sein Gesicht und sagt: »Mein Name ist Walter Hartwell White.«
Mit diesen Bildern beginnt die Fernsehserie Breaking Bad, ein Drogen-Drama, in der Walter White der Held ist. Der Chemielehrer ist an Krebs erkrankt und braucht Geld für seine Behandlung, also beginnt er, Chrystal Meth zu kochen und wird im Verlauf der Serie zum Großproduzenten.
Breaking Bad ist laut
Drogen machen kreativ, glücklich, lustig, unbesiegbar, energiereich oder geil. Deshalb werden sie konsumiert, obwohl sie auch abhängig, krank, lustlos, apathisch oder traurig machen. Und deshalb greifen viele Künstler, Intellektuelle und Visionäre auf sie zurück. »Wenn man von einem unerträglichen Druck loskommen will, so hat man Haschisch nöthig«, schreibt Friedrich Nietzsche in
Bibel, Bosch, Beatles: Die Drogenlobby von damals
Seitdem Menschen sich Geschichten erzählen, tauchen im Plot immer wieder die gleichen Elemente auf: Liebe, Hass, Gewalt, Macht – und Drogen. In den israelischen Ort Kfar Kanna würden sicher kaum Pilger reisen, erzählte nicht die Bibel von einer Hochzeit vor 2.000 Jahren, auf der Jesus Wasser zu Wein – also zu Alkohol, einem Rauschmittel – verwandelt haben soll.
Zeitsprung, 1.500 Jahre nach vorne: Der niederländische Maler Hieronymus Bosch malt christliche Motive in einem surrealistischen Stil, der seiner Zeit voraus ist. Seine detailreichen Arbeiten sind voller Gewalt, Sex und Fantasiekreaturen. Bis heute ist nicht geklärt, was seine Fantasie derart beflügelt hat; oft werden jedoch in dem Zusammenhang Drogen erwähnt. Die Kunsthistorikerin Laurinda Dixon, die sich viel mit Bosch beschäftigt hat, äußerte die
Hieronymus Bosch war vielleicht der erste, aber nicht der letzte Maler, dessen Werk oft mit Drogen in Verbindung gebracht wird. Pop-Art-Ikone
Wenn wir von Popkultur reden, beginnt unsere Vorstellung meist vor knapp 100 Jahren, als sich der Swing als populäre Spielart des intellektuellen Jazz etablierte. Zu den rauschenden Festen der Goldenen Zwanziger gehört auch der Rausch. Der schlägt sich unter anderem in der Musik nieder, zum Beispiel im Instrumentalstück
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehren sich viele junge Menschen in Amerika ab vom konservativen Bürgertum älterer Generationen und verlangen Freiheit und Eigenständigkeit. Der Autor Jack Kerouac findet sie auf einem Road-Trip, den er – Drogen-Trips inklusive – in seinem Roman »On the Road« verarbeitet. Die Musik wird wilder, irgendwo zwischen Bebop und Blues entsteht im Nachkriegs-Jahrzehnt der Rock ’n’ Roll. Auch die Musiker werden wilder und begründen den populären Mythos von »Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll«.
Kurzer Kameraschwenk zurück auf den 19. April 1943: Der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann stellt für ein pharmazeutisches Experiment erstmals LSD her. In Tierversuchen zeigt es keine Wirkungen, also testet er es selbst und erlebt auf dem Fahrrad den ersten
Kameraschwenk wieder auf die 1960er-Jahre. Gut 20 Jahre nach Hoffmanns Fahrradfahrt sind die Beatles-Mitglieder
In dieser Zeit, 1968, entsteht Stanley Kubricks Filmklassiker »2001: A Space Odyssey« mit seiner nüchtern kaum zu ertragenden, quälend langsamen Erzählweise und den bunten Traumreisen am Ende. Im selben Jahr erscheint der erfolgreiche Beatles-Animationsfilm »Yellow Submarine«. Die Community entdeckt für sich, dass auch der Disney-Zeichentrickfilm »Alice im Wunderland« von 1951 mit seinen psychedelischen Kolorationen (angeblich waren die Zeichner damals »high«) unter Drogeneinfluss besonders interessant wird.
Reggae, Metal, Techno: Die jüngere Drogen-Geschichte
Währenddessen erlebt der Kalte Krieg eine seiner heißesten und der Vietnam-Krieg eine seiner blutigsten Phasen. Aus Protest bildet sich die pazifistische Hippie-Bewegung, zu deren entspanntem Lebensgefühl auch ein entspannter Umgang mit Drogen gehört. Das reicht bis zur Drogen-Religion Timothy Learys, der die Freigabe aller psychedelischen Drogen fordert, weswegen manche seiner Schriften für lange Zeit
Dazwischen, 1968, veröffentlicht die jamaikanische Band Toots and the Maytals die Single
Neben Hippies und Reggae-Anhängern entwickelt sich eine Subkultur, die musikalisch und ideell wieder stärker auf Konfrontation und auf Provokation setzt. Von Großbritannien aus erobern Punk und Heavy Metal die Welt.
In den 1970er-Jahren fordern Drogen so viele prominente Todesopfer wie nie zuvor – ein paar bekannte Beispiele: 1970 Jimi Hendrix und Janis Joplin, 1971 Jim Morrison von den Doors, 1976 Tommy Bolin von Deep Purple, 1977 Elvis Presley, 1978 Keith Moon von The Who, 1979 Sid Vicious von den Sex Pistols.
Die Liste ließe sich fortsetzen; 1980 sterben AC/DC-Sänger Bon Scott und Led Zeppelin-Schlagzeuger John Bonham (beide jedoch nicht an einer Überdosis harter Drogen, sondern im Alkoholrausch).
In den 1980er-Jahren werden Drogen gesellschaftlich stärker geächtet als zuvor, die USA und andere Regierungen weiten den Kampf gegen sie aus. 1980 erscheint in Deutschland »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«, das autobiografische Buch von Christiane F., in dem die hässliche Seite der Drogen detailliert geschildert wird.
Um 1990 kommen ein neuer, synthetischer Musik-Hype, Techno, und neue synthetische Drogen auf. Diejenigen, die die Loveparade kritisch aus der Distanz beäugen, verknüpfen sie (teils zu Recht) mit Extasy und Speed. Der klassische Techno hält sich einige Jahre, bevor Hip Hop zur wichtigsten Subkultur der Jahre um die Jahrtausendwende wird.
Koks, Nutten und Hitler
Viele Rapper spielen wieder stärker mit dem Drogen(dealer)-Image, das häufig
Ende der 2000er-Jahre gewinnt eine neue Droge an Bedeutung: Crystal Meth. In einer früheren Form – damals noch unter dem Namen »Pervitin« – die
Drogen und Popkultur: Ein Verhältnis wie Henne und Ei
Wir erinnern uns, Breaking Bad ist die am besten bewertete Serie der Welt. Hat ihr Erfolg mit der Explosion des Crystal-Meth-Marktes zu tun? Ist Popkultur mitverantwortlich für die Verbreitung von Drogen?
Die Antwort darauf steht auf demselben Blatt, wie die, wer zuerst da war: Die Henne oder das Ei. Es steht fest, dass Popkultur und Drogen immer sehr stark miteinander verknüpft waren. Die Popkultur
Die Trennung zwischen beiden Welten verschwindet sogar manchmal. Der Streaming-Anbieter Netflix hat die reale Geschichte um den kolumbianischen Drogenbaron
Warum den Staat ein »gutes Drogen-Wochenende« interessiert
Die Geschichte der Popkultur zeigt: Drogen sind aus ihr nicht wegzudenken. Künstler haben zu jeder Zeit auch Drogen genommen. Weite Teile der Gesellschaft stehen Drogen jedoch negativer gegenüber als die Akteure der Popkultur. Vergangenes Jahr haben sich einer
Politik und Öffentlichkeit debattieren trotzdem immer aufgeschlossener über die Legalisierung. Der Staat bleibt bei drogenverherrlichender Musik restriktiv: Musik, die Drogen positiv konnotiert, verleite zum Drogenkonsum.
Was Dieter Bohlen zusätzlich alarmieren dürfte: Insgesamt werden Alkohol und Drogen
Olli Schulz: Schlaue Künstler verherrlichen Drogen nicht
Anruf bei
Führen Songs über Drogen also doch ihre Hörer an Drogen heran? »Ob das die zum Nachahmen anregt, das weiß ich nicht«, sagt Olli Schulz. »Ich habe ›Lucy in the Sky with Diamonds‹ auch verstanden, ohne dass ich Drogen genommen habe.«
Die Beatles seien klug genug gewesen, das damals nicht an die große Glocke zu hängen. »Jeder schlaue Künstler, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, hat niemals in der Öffentlichkeit gesagt ›Nehmt alle Drogen!‹. Das machen die dummen Bauern wie Mötley Crüe oder Rapper, die sich glorifizieren.«
Für Olli Schulz haben Drogen großen Anteil an der Musikgeschichte, und zwar auf drei verschiedene Arten. Zur ersten Art gehören die Beatles, Pink Floyd, die Beach Boys: »Wenn es dich kreativ macht, kann es dir krasse künstlerische Erfahrung bringen.« In die zweite Kategorie fallen Mötley Crüe: »Stumpfe Proleten, die Drogen genommen haben, um ihren Lifestyle zu feiern.« Zur
Die Biografien der letztgenannten, die beide
Und dann gibt es ja auch noch all die Musiker, die überhaupt keine Drogen nehmen oder bei denen das Thema gar keine Rolle spielt. »Ich glaube, dass es in erster Linie wichtig ist, den Menschen zu berühren, zu verzaubern, in eine andere Welt zu bringen. Und nicht, ihm mitzuteilen, was er konsumieren soll.«
Eine Studie zeigt: Drogen-Texte sind nicht ausschlaggebend
Das gilt für jede Form von Musik, Filmen, Serien, Büchern – Popkultur eben. Die Kunst zählt und nicht irgendwelche Drogen-Messages. Ob und wie Drogen in Musiktexten thematisiert werden, ist überhaupt nicht das entscheidende Kriterium beim Drogenkonsum. Zu diesem Ergebnis kommt eine 2012 veröffentlichte
Die Jugendlichen sollten angeben, wie stark ihnen einzelne Musikstile (Pop, Rock, Dance, Urban und E-Musik; jeweils unterteilt in Sub-Kategorien) zusagen und wie oft sie verschiedene Drogen (Alkohol, Cannabis, Zigaretten) konsumieren. Die Ergebnisse zeigen länderübergreifend: Es gibt zwar einen Zusammenhang zwischen Freundeskreis, Musikgeschmack und Drogenkonsum. Der Drogenkonsum ist in Mainstream-ferneren Genres (Metal, Dance) tendenziell ausgeprägter. Wie positiv oder negativ in einem bestimmten Genre Drogenkonsum konnotiert wird, hat der Studie zufolge damit nichts zu tun: »Wenn überhaupt, beeinflussen die Texte nur einen kleinen Teil der Hörer.« Der Drogenkonsum steigt, je extremer und rebellischer der Musikstil ist. Die Studie legt nahe, dass die Festigung der Persönlichkeit und das soziale Umfeld nicht nur Musikgeschmack, sondern auch Drogenkonsum beeinflussen.
Das beantwortet zwar nicht die Frage nach Henne und Ei, zeigt aber: Es geht gar nicht allein um Drogen und Popkultur, sondern vor allem um Faktoren wie das Umfeld. Diese Faktoren lassen sich von der BPjM kaum indizieren.
Drogenkonsum ≠ Abhängigkeit
Drogenkonsum heißt nicht automatisch Drogenabhängigkeit. Wenn –
Fassen wir zusammen: Dass Songs und Filme über Drogen den Rezipienten in den Konsum drängen, ist unwahrscheinlich. Ein Reggae-Album, auf dem 147 Mal das Wort »Weed« vorkommt, macht, für sich betrachtet, seine Hörer genauso wenig Cannabis-abhängig wie ein Egoshooter-Game seine Spieler zum Amokläufer. Zu dieser Einsicht muss auch die Gesellschaft kommen.
»Wir haben ein soziales Problem, weil wir falsch mit Drogen umgehen«, sagt Olli Schulz. »Wir verteufeln Abhängige als Kriminelle, dadurch finden wir keine richtige Weise, mit Drogen umzugehen.«
Besser als tabuisieren: über Drogen reden (und zwar richtig)
Wir müssen offen und undogmatisch darüber reden, Gefahren und Risiken thematisieren, ohne Drogen aus Prinzip zu verteufeln. Der Schlüssel dazu: Valide Informationen, seriös aufbereitet und
Seit 2004 läuft das Beratungsprogramm »Quit the Shit«, in dem qualifizierte Berater individuell dabei helfen, den Cannabiskonsum zu reduzieren. Im vergangenen Jahr haben 741 Teilnehmer das 7-wöchige Programm durchlaufen. Anonym und ohne Strafverfolgung, versteht sich.
Eine der Beraterinnen ist Reglinde Schöbl. Die Arbeit der Psychologin bei »drugcom« ist mit der ihrer Berufskollegen in der analogen Welt zu vergleichen: Es gibt eine offene Sprechstunde, ein Wartezimmer (also einen Gruppenchat, in dem sich ihre Klienten austauschen können) und ein persönliches Sprechzimmer für alles, was hinter verschlossenen Türen besprochen werden soll. »Die meisten, die zu uns kommen, sind 1- oder 2-mal in der Sprechstunde«, sagt Reglinde Schöbl. Eine kleinere Gruppe nehme längerfristige Beratungsangebote in Anspruch. »Das liegt auch daran, dass wir eine sehr niedrigschwellige erste Anlaufstelle sind. Wir vermitteln viele weiter, etwa an Suchtberatungsstellen, Selbsthilfegruppen, Psychiater oder was uns im jeweiligen Fall sinnvoll erscheint.« Manchmal rät sie auch zu einem stationären Klinikaufenthalt, weil ein Ausstieg in geschützter Umgebung einfacher sei.
Gefragter als Beratung: Antworten
Das Angebot nehmen vor allem junge Erwachsene in Anspruch, die im Schnitt 26 Jahre alt sind. Darunter seien überdurchschnittlich viele Abiturienten und Studenten, sagt Reglinde Schöbl: »Die meisten kommen in Schwellensituationen zu uns, in denen die Bereitschaft oder auch die Notwendigkeit entsteht, etwas zu verändern.« Ein ganz typischer Zeitpunkt sei das Ende des Studiums, wenn ausgedehnter Cannabiskonsum dem Berufseinstieg oder der Gründung einer Familie im Weg stehe.
»Die meisten Besucher auf der ›drugcom‹-Seite«, sagt Reglinde Schöbl, »wenden sich zunächst gar nicht an die Beratung.« Häufiger genutzt würden die Info-Angebote: Ein Drogen-Lexikon und FAQs erklären kurz und verständlich Form, Wirkungen und Nebenwirkungen sowie das Abhängigkeitspotenzial der einzelnen Substanzen.
Fazit: Wer Bescheid weiß, darf Sido hören
»drugcom« hatte im vergangenen Jahr
Das zu gewährleisten, ist eine große gesellschaftliche Aufgabe – aber sicher eine zielführendere, als alte Sido-Songs zu verbieten. Wer sich nach dem Hören von Sido ausreichend informiert, kann also selbst entscheiden, ob der Genuss von Drogen zu einem »guten Wochenende« selbstverständlich dazugehört.
Zum Schluss eine Anmerkung: In diesem Text bezieht sich der Begriff »Drogen« nicht durchgängig auf dieselbe Gruppe von Substanzen. Dieser Text sollte einen Überblick über die popkulturellen Referenzen liefern, für die letztlich weniger entscheidend ist, ob sie sich immer auf eine identische Palette an Substanzen beziehen.
Mehr davon? Dieser Text ist Teil unserer Drogen-Reihe!
Titelbild: Robin Schüttert - copyright