Endlich leidet Deutschland unter der Hitze. Jetzt bekommen wir den Klimawandel zu spüren
Die Hitze macht uns dumm und faul. Wir brauchen sie trotzdem, um unsere Zukunft zu retten.
Denken. Einen guten Satz schreiben. Die Finger kleben schon wieder an der Tastatur … Noch eben ein Glas Wasser holen. Und 2 Stücke Melone. So, jetzt: »Deutschland leidet unter einer noch nie da gewesenen Hitzewelle!«
Ja, das ist der Klimawandel!
Hm, eigentlich ist das ja fast auf der ganzen Welt gerade der Fall. Schon wieder tropft der Schweiß von der Stirn … Wann ist denn Mittag, die Hitze macht jeden Versuch, einen klaren Gedanken zu fassen, zum Kraftakt.
Die Erde glüht gerade. Nicht nur in Deutschland. Ein kurzer Überblick über die Superlative, mit denen uns dieser Sommer grillt:
- Temperaturrekorde und -extreme überall:
- Waldbrände auf Abwegen: In
- Gesundheits- und Lebensgefahr für Milliarden: Über
Ist das jetzt schon der Klimawandel?
Die Antwort ist eindeutig: Ja! Die Summe der vielen Wetterextreme –
Der Backofen-Sommer zeigt, was noch kommt.
Unser Backofen-Sommer ist also ein guter Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Klingt ziemlich bedrohlich, oder? Stimmt!
Und genau deshalb ist er das vielleicht Beste, was uns passieren konnte. Denn erst, wenn uns der Schweiß auf der Stirn steht, glauben wir, dass es wärmer geworden ist.
Weil die Hitze aber auch unser Denkvermögen mindert, müssen wir das Zeitfenster nutzen, in dem wir zwar schon ins Schwitzen gekommen sind, aber unser Köpfchen noch funktionstüchtig genug ist, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen.
Endlich: Die Hitze lehrt uns, dass der Klimawandel »echt« ist
Die Hitze ist eine gute Nachricht, weil wir nicht die rationalen – oder gar
Eine Studie nach der anderen belegt, dass Menschen den Klimawandel für »wahrscheinlicher« halten,
Mit Logik oder »objektiver Beurteilung« hat das wenig zu tun. Denn statt diagnostische Informationen – wie beispielsweise globale Muster klimatischer Veränderungen – für die eigene Einschätzung zurate zu ziehen, verlassen wir uns lieber auf weniger relevante, dafür aber direkt verfügbare Informationen. Frei nach dem Motto: Ich schwitze, also muss da doch was dran sein, an der globalen Erwärmung.
»Die Anerkennung des globalen Klimawandels scheint davon beeinflusst zu sein, ob [Menschen] selbst bereits Rekordtemperaturen erlebt haben.« – Felix Pretis, Klimaökonom
Und es kommt noch besser: Wir sind umso
Warum? Weil wir unseren eigenen Erfahrungen am meisten vertrauen. Wenn es gerade schneit, denken wir: »Was wollen die Klimawissenschaftler mir schon erzählen? Ich sehe doch mit meinen eigenen Augen, dass es nicht stimmt!« Da ist es egal, ob den Eisbären die Schollen unter den Pranken wegschmelzen, den Menschen in Pakistan die Ernte vertrocknet oder die Malediven im Meer versinken –
Unsere
Schnell, sonst legt die Hitze unser Gehirn lahm!
Die Hitze ist eine schlechte Nachricht, weil sie nicht nur Felder, Wälder und Städte gart, sondern auch unser Gehirn. Wieder zeigt Studie um Studie,
Das fängt bei einfachen kognitiven Aufgaben an: So gehen Versuchspersonen bei 25 Grad Celsius Raumtemperatur fast die Hälfte aller Rechtschreib- und Grammatikfehler durch die Lappen; im
Weiter geht es mit komplexeren Aufgaben: Eine erhöhte Raumtemperatur mindert unsere Fähigkeit, komplexe Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel wenn wir den langfristig günstigsten Handytarif finden sollen. Je höher die Raumtemperatur, desto schlechter sind die Versuchspersonen in der Lage, verschiedene Angebote auszuwerten und so das günstigste Angebot zu finden.
Die Hitze hat noch einen Effekt: Sie senkt unsere Entscheidungsfreudigkeit und sorgt dafür, dass wir eher zum Altbekannten oder Einfachen greifen. Wenn es warm ist, bevorzugen wir zum Beispiel einfache Rubbellose gegenüber komplizierten
Das Ganze endet hier: Pünktlich zum aktuellen Wetter belegt eine der ersten Feldstudien den negativen Einfluss von Hitzewellen auf die kognitive Leistung von
Also: Die Hitze senkt unsere kognitiven Fähigkeiten und unsere Lust, komplexe Entscheidungen zu treffen. Grob vereinfacht gesagt: Hitze macht dumm! Doch wir brauchen unseren Grips, wenn wir den Herausforderungen des Klimawandels begegnen wollen.
Endlich bekommen wir den Klimawandel zu spüren!
Endlich!
Endlich
Endlich spüren die Menschen, die es in der Hand haben, den Verlauf und das künftige Ausmaß der Klimakatastrophe zu ändern, wie bedrohlich der Klimawandel ist. Diese Menschen sind wir.
Für viele Menschen auf der Welt ist der Klimawandel in Form von Hitze, Trockenheit und Überschwemmung schon lange Realität. Nur: Sie können wenig tun, denn sie sitzen mehrheitlich im »Globalen Süden«, also in Ländern des Globalen Südens. Die sind nur für einen geringen Anteil der Emissionen verantwortlich und haben folglich wenig Einfluss darauf, wie sich das Klima weiterentwickelt.
Hier, im »Globalen Norden« der reichen Industriestaaten, ist es genau umgekehrt: Der Großteil der Treibhausgase, die für den Klimawandel verantwortlich sind, wird hier in die Luft geblasen – ohne bisher von den negativen Auswirkungen betroffen zu sein. Nicht umsonst wird diese Lücke zwischen »Tätern« und »Opfern« des Klimawandels als »climate injustice«, also Klimaungerechtigkeit bezeichnet.
Mit der aktuellen Hitzefront wendet sich das Blatt: Die Amerikaner, Japaner, Engländer und Deutschen, deren Reichtum auf dem Verbrennen von Öl und Kohle basiert, spüren die Folgen ihres Handelns jetzt am eigenen Leib. Endlich!
Es ist kein zynisches »Endlich!«, sondern ein hoffnungsvolles.
Es ist kein »Endlich!«, das aus einem zynischen Bedürfnis heraus nach Rache giert. Sondern ein hoffnungsvolles »Endlich!«.
Jetzt ist es hier endlich heiß genug, um den Klimawandel nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem ganzen Körper zu begreifen. Wir müssen handeln – solange wir es noch mit einigermaßen kühlem Kopf können.