Syrienkrieg vorbei? Wer das glaubt, wird bald nach der Rückführung von Geflüchteten rufen. Syrien ist aber nach wie vor nicht sicher, weiß dieser Anwalt, der Assads Foltergefängnisse von innen kennt.
23. August 2018
– 8 Minuten
picture alliance/REUTERS
Also haben wir das syrische Volk im Stich gelassen. Während wir gespalten sind, mit Fingern aufeinander zeigen und uns gegenseitig beschuldigen, zahlen sie mit ihrem Leben.
Kofi Annan wird das Ende des Syrienkrieges nicht erleben. Der Friedensnobelpreisträger verstarb vergangenen Samstag im Alter von 80 Jahren. Seine letzte große Aufgabe sollte sein, den blutigen Krieg in Syrien ein Jahr nach dessen Ausbruch zu befrieden – doch er scheiterte. Im Jahr 2012 gab er das Amt als internationaler Sondergesandter auf,
6 Jahre tobt der Krieg seitdem weiter. Jetzt soll endlich Schluss sein und die Geflüchteten aus dem In- und Ausland zurückkehren. der enge Verbündete des syrischen Regimes. Die Rückkehr vieler Syrer in den letzten Monaten, vornehmlich aus dem Nachbarland Libanon, Der syrische Machthaber Baschar Al-Assad spricht von Aussöhnung und Begnadigung derer, die sich gegen seine Herrschaft erhoben haben. Dazu hat er sogar ein
[…] die Bedingungen für eine Rückkehr nach Hause seien gegeben.Reuters, 14. August 2018
Es ist nicht sicher, sagt der syrische Menschenrechtsanwalt Ibrahim Alkasem, der sich um kümmerte. Jetzt arbeitet er in Deutschland an den sogenannten Er hat mit eigenen Augen gesehen, was denen droht, die das Regime als Feinde einstuft. Für sie könne es schnell gefährlich werden, wenn Aufnahmestaaten auf ihre Rückkehr drängen.
Mit Ibrahim Alkasem habe ich über Dinge gesprochen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind: Es geht um die Verantwortung der Aufnahmeländer, um eine syrische Fahndungsliste mit Millionen von Namen darauf und um eine Bedrohung, die nicht direkt vom Regime ausgeht.
Was du heute über Syrien wissen musst
Viel wird nicht mehr über Syrien berichtet. Lies zunächst die Schnellübersicht, um zu erfahren, an welchem Punkt der Krieg steht.
Mittlerweile haben Viele Gebiete, die im Jahr 2018 zurückerobert wurden, kontrolliert und nicht syrische Soldaten. Hier sind die wichtigsten Schauplätze:
Das Drama vor Assads Haustür – Ost-Ghouta: Von Februar bis März 2018 dauerte die letzte große russisch-syrische Offensive in dem Gebiet nahe der Hauptstadt Damaskus. Laut dem UN-Untersuchungsbericht kamen in dieser Zeit 1.100 Menschen ums Leben, meist durch Luftangriffe.
Die Wiege der Revolution – Daraa: Die Stadt Daraa und die gleichnamige Region südlich von Damaskus war im Jahr 2011 die Geburtsstätte des Protests gegen den syrischen Machthaber Baschar Al-Assad. und dafür festgenommen und gefoltert worden waren, gingen die ersten Demonstranten auf die Straße. 7 Jahre später bereitete die syrische Armee zusammen mit ihren Verbündeten auch die letzte Offensive auf ein Bündnis aus islamistischen Gruppen und Freier Syrischer Armee in Daraa vor.
Das IS-Massaker – Suweida: Vom Gebiet des sogenannten Islamischen Staats in Syrien ist nicht mehr viel übrig. Das einstige Einflussgebiet der Terrorgruppe aus dem Jahr 2014 ist auf ein paar vereinzelte Enklaven geschrumpft. Ende Juli 2018 griffen 50 Kilometer von Daraa entfernt Terroristen die Kleinstadt Suweida an.
Die letzte große Schlacht – Idlib: Dort liegt die Region Idlib mit der gleichnamigen Provinzhauptstadt, die Assad als letzte große Rebellenhochburg angreifen will. Anfang Mai 2017 wurde in Idlib in die Zehntausende besiegte Assad-Gegner transportiert wurden. Viele Bewaffnete vor Ort sind Anhänger der radikal islamistischen Nusra-Front, die sich in umbenannte.
[…] Baschar Al-Assad
Wohin kehren die Menschen zurück?
Die Chance besteht, dass die, die nach Syrien zurückkehren, erst einmal kein Dach über dem Kopf haben werden. Zumindest nicht das eigene. Die Ruinen in den Stadtteilen von Homs, Aleppo und Ost-Ghouta sehen wie zusammengefallene Kartenhäuser aus.
Hinzu kommt, dass sich Besitzverhältnisse durch ein neues Enteignungsgesetz ändern können. Ein Jahr haben Syrer Zeit, Wer zu spät kommt, könnte Haus, Grundstück und Wohnung an Bauprojekte des syrischen Regimes verlieren. Der Druck ist also da, schnell nach Syrien zurückzukehren. Doch im schlimmsten Fall ist der Verlust des eigenen Hauses noch das kleinste Problem für die Rückkehrer.
Juliane Metzker:Seit Wochen betonen Russen und Syrer, dass es sicher sei, in das von Assad kontrollierte Syrien zurückzukehren. Seit Ende Juni 2018 gingen Hunderte Geflüchtete aus dem Nachbarland Libanon zurück in ihre Heimat. Sind sie dort wirklich in Sicherheit?
Ibrahim Alkasem:
Ich sage, es ist nicht sicher. Mit Sicherheit wird sich das syrische Regime an vielen, die geflohen sind, rächen. Ich weiß aber auch von Rückkehrern, die nach ihrer Ankunft festgenommen wurden. Sobald die russische Militärpolizei aus den von ihnen kontrollierten ehemaligen Gebieten der Opposition abziehen, wie beispielsweise Ghouta, wird das Regime dort viele Menschen ins Gefängnis werfen lassen.
Ein Syrer, der mittlerweile wieder zu Hause ist, schrieb mir, dass sich junge Männer, die vor dem Wehrdienst geflohen waren, sofort bei der Armee melden müssten. Dann würde innerhalb der nächsten 3 Monate entschieden, was mit ihnen passiert …
Ibrahim Alkasem:
Es wird keine paar Monate dauern, bis eine Entscheidung fällt. Das Regime wird die Männer zwingen, – ohne irgendein Training.
Vor Kurzem gab es auch viel Aufregung unter syrischen Geflüchteten. veröffentlichte eine Fahndungsliste des syrischen Regimes mit 1,5 Millionen Namen darauf. Ist diese Liste echt?
Ibrahim Alkasem:
Ich kann diese Information weder belegen noch abstreiten. Ich bin mir sicher, dass eine solche Liste existiert, aber die genau Anzahl der Gesuchten kenne ich nicht. Ich vertraue Zaman al-Wasl nicht. Dennoch bin ich mir sicher, dass sich das Regime rächen will.
Zum Beispiel in seinen Foltergefängnissen. Als syrischer Anwalt haben Sie dort Insassinnen verteidigt. Aus welchen Gründen landet jemand in so einem Gefängnis?
Ibrahim Alkasem:
Es reicht, wenn man aus einem Gebiet kommt, in dem Rebellen gegen das Regime gekämpft haben. Das Regime wird jede Art von Aktivismus als »Terrorbeihilfe« bestrafen – auch wenn sie zum Schutz von Zivilisten diente. Denken Sie doch einmal daran, was letzten Monat in der Stadt Daraa passierte. Syrische Soldaten wollten die festnehmen.
»Wer will schon nach Syrien zurückkehren?!«
Trotz allem kehren Menschen jetzt zurück. In vielen Fällen sind das Frauen, Kinder und alte Männer, die nicht zum Militärdienst eingezogen werden können. Sind sie in Gefahr?
Ibrahim Alkasem:
Ich habe als Anwalt in Syrien Terrorismusverdächtige vertreten. Mehr als 90% meiner Klientinnen haben sich nie an Aktivitäten gegen das Regime beteiligt. Ihre Schuld: Sie hatten Verwandte, die sich gegen Assad auflehnten. Selbst wenn sie nicht vor Gericht kommen, sind diese Frauen in größter Gefahr. 8 Jahre lang habe ich Menschenrechtsverletzungen in Syrien dokumentiert und kann sagen:
Aber selbst mit ihren Männern wären sie nicht sicher …
Ibrahim Alkasem:
Wer will schon nach Syrien zurückkehren?! Millionen Menschen sind geflohen. Wie viele gehen zurück? Ich glaube nicht, dass viele zurückwollen. Vor allem die jungen Männer, die nicht nur das Regime, sondern auch Entführungen fürchten müssen.
Entführungen?
Ibrahim Alkasem:
Alle reden über das Regime und dessen Vergeltungssucht. Niemand spricht über die vielen Entführungen durch bewaffnete iranische, irakische und libanesische Milizen – Egal was sie machen, Assad gewährt ihnen Straffreiheit. Über die Entführungen weiß kaum jemand etwas, außer dass die Schabiha dahinterstecken.
Aber was wollen sie?
Ibrahim Alkasem:
Sie wollen Geld erpressen oder einen Gefangenenaustausch erzwingen. Ich denke, meistens geht es einfach um Rache an denen, die sich gegen das Regime gestellt haben.
Die Aufnahmestaaten tragen die Verantwortung
Machen sich Länder, die Geflüchtete in einer solchen Situation nach Syrien zurückbringen wollen, nicht schuldig?
Ibrahim Alkasem:
Die Staaten, die Geflüchtete aufgenommen haben, sind für deren Schutz verantwortlich. Wenn Geflüchtete gehen, müssen sie aus freien Stücken zurückkehren wollen.
Vor allem Behörden des Nachbarlandes Libanon arbeiten zusammen mit syrischen Behörden aktuell eifrig daran, dass Syrer in ihr Land zurückkehren können.
Ibrahim Alkasem:
Die Situation im Libanon ist schlimmer als in Jordanien und der Türkei. Die libanesische Regierung erkennt den Flüchtlingsstatus der Syrer nicht an. Sie sprechen von ihnen als Sie wollen die Syrer aus ihrem Land entfernen. Also macht der Libanon es unmöglich für Geflüchtete zu bleiben. Außerdem werden sie eingeschüchtert, manchmal auch mit Gewalt.
Keine 15 Kilometer weiter fielen die Bomben auf Ghouta. Die Politiker schlugen einen Deal mit Assad vor, um die Rückkehr von Syrern zu erleichtern, die sich gerade in Deutschland aufhalten. Was halten Sie davon?
Ibrahim Alkasem:
Dazu müsste das syrische Regime deren Sicherheit garantieren. Die Russen und Syrer erzählen den Europäern gerade, dass sie sich nicht rächen werden, Aber Rache kommt in vielen Gestalten: Vielleicht werden sie ehemalige Städte oder Gebiete, in denen Rebellen gekämpft haben, nicht wiederaufbauen. Das Ziel des Regimes ist es, Syrien wieder vollständig zu kontrollieren. Und das auf eine schlimmere Art und Weise als zuvor.
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.