Nur nackt wären wir uns näher
Egal ob Modemuffel oder Fashionguru – dieser Stoff steckt auch in deiner Kleidung. Darum solltest du wissen, was er aus dir macht.
2 volluniformierte Einsatzkräfte mit heruntergelassenem Visier stürmen auf eine Frau zu, die still vor ihnen auf der Straße steht. Sie trägt nichts, was einer Waffe nur im Entferntesten ähnlich sieht. Ihr Name ist Ieshia Evans. Sie arbeitet als Krankenschwester. Das Foto kurz vor ihrer Festnahme ging um die Welt. Im Juli 2016 protestierte sie in Baton Rouge im US-Bundesstaat Louisiana
Tausende applaudierten der Krankenschwester bei sozialen Medien – warum aber fühlen sich so viele Menschen mit ihr verbunden? Sicher steht sie in diesem Kontext auch als Repräsentantin der
Doch man muss nicht politisch denken, um sich der jungen Frau nah zu fühlen: Die Kleidung macht’s. Was sie trägt, haben viele im Schrank. Im leichten Sommerkleid und Ballerinas stellt sie sich mutig den Polizisten in Kampfmontur entgegen und schafft damit ein Bild mit Symbolkraft für jedermann.
Würdest du dich mit Ieshia Evans identifizieren, wenn sie Punkklamotten oder eine Tracht getragen hätte?
Das zeigt: Kleidung spielt eine wichtige soziale Rolle. Sie ist unsere zweite Haut. Aus ihr lesen wir, noch bevor das Gegenüber den Mund aufmacht,
Das kann Mode leisten
»Ich würde schon sagen, dass Mode der Integration hilft. Ich würde sie wie eine gemeinsame Sprache betrachten«, sagt Antonella Giannone. Sie ist Professorin für Modetheorie und
Der Verbraucher denkt wahrscheinlich weniger darüber nach, warum er ein Kleidungsstück trägt, sondern nur, wie es ihm steht. Giannone aber liest die Zeichen der Mode, die viel über unsere Zugehörigkeit verraten. Sie weiß genau: Vor weniger als 100 Jahren war Kleidung noch ganz klar ein Unterscheidungsmerkmal sozialer Klassen.
Das hat sich geändert: »Es gibt die Casual Mode, die von Jugendlichkeit, Sportlichkeit und Internationalität besetzt ist. Das sind Zeichen, die wir überall verstehen, und deshalb auch eine Integrationsform, die Unterschiede mindert«, sagt Giannone. Casual Mode, das ist alles, was locker und zwanglos sitzt wie T-Shirt und Jeans.
Vor 70 Jahren traten diese Kleidungsstücke am Leib von Filmikonen
T-Shirts, Hoodies und Jeans transportieren einfache Zeichen, die schon einen Integrationsversuch darstellen. Dadurch, dass wir gleich aussehen, wird sichtbar, dass wir etwas miteinander teilen wollen.
Das Modelabel, das sich selbst überflüssig machen will
»Die Sachen sind sehr schön. Da ist jetzt leider nur nichts für mich dabei«, sagt die Frau, die die Kleidung auf der Stange vor dem Verkaufswagen von »bayti hier« hin- und herschiebt. Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern und schwingt sich aufs Fahrrad. Da bemerkt die Designerin und Verkäuferin Ilham Hasan die mit Blumen bestickte Tasche im Fahrradkorb. »Schöne Tasche! Das ist ein arabisches Design«, sagt Hasan zu ihr. Die beiden Frauen lächeln einander an.
Ilham Hasan erkennt die Muster aus ihrer Heimat sofort. Die 30-Jährige und ihr Mann Mohammad Alnamous arbeiteten als Schneider in Damaskus. Im Jahr 2012, mit Beginn des Syrienkrieges, flohen sie vor den Luftangriffen. Erst vor 3 Jahren kamen sie nach einem
Wir vermischen westliche Modelle mit arabischen Stoffen und Mustern.
Auf die Ärmel sind Applikationen mit arabischen Mustern genäht. Auf vielen Oberteilen ist ein arabischer Spruch aufgedruckt, der übersetzt »Gemeinsam vereint« bedeutet. »Unser Produkt ist nicht nur Mode, sondern in gewisser Weise ein Statement für eine offene und tolerante Gesellschaft«, sagt Michael Kortenbrede. Der 27-jährige BWL-Student und seine Cousine Pia Brillen gehören zum deutschen Teil des Teams. Sie lernten das syrische Ehepaar im Jahr 2016 bei einer Veranstaltung kennen und entwickelten die Idee für das integrative Modelabel – erst als Onlineshop, dann mit dem Verkaufswagen auf der Straße.
Aber nicht nur die lässigen Klamotten sollen integrieren, sondern auch die Art, wie sie produziert werden. »Die meisten Unternehmer werden nur die Syrer einstellen, die unser Alphabet kennen und schnell Deutsch lernen. Nicht die, die länger brauchen. Im gesellschaftlichen Diskurs heißt es dann gern, die einen wollen sich integrieren und die anderen nicht«, weiß Kortenbrede. Als studentisches Projekt könne er den Geflüchteten mehr Freiräume geben,
7 studentische Ehrenamtliche unterstützen Hasan und Alnamous bei der Produktion und dem Verkauf der Kleidung. Und Michael Kortenbredes Vision ist dabei, mit dem Verkauf und Kauf der Kleidung gewissermaßen »auch Botschafter für eine offene und tolerante Gesellschaft« zu erzeugen. Als selbsternannter Sozialunternehmer hofft er sogar, dass das Produkt irgendwann nicht mehr gekauft wird: »Wenn die Menschen zu uns hinkommen und sagen, wir sind jetzt fester Bestandteil dieser Gesellschaft, wir haben kein Problem mehr mit Rassismus und Ausgrenzung. Dann ist unser Job getan.« Klingt traumtänzerisch. Das weiß er und
Genauso traumtänzerisch wirkt es, wenn er sagt, dass Mode mit kulturellen Einflüssen der Integration auf die Sprünge helfe. Denn wo Konsum, Kulturen und Kleidung zusammenkamen, gab es immer Gewinner und Verlierer.
Darf ich das überhaupt tragen?
Jacken im bunten Kimonostil oder die Tasche im angesagten Ethnolook sind keine Raritäten mehr in deutschen Einkaufsmeilen. Wenn Kleidungsstücke oder Muster aus ihrem kulturellen Kontext gerissen und kopiert werden, nennt man das »kulturelle Aneignung«. Und das ist ein jahrhundertealtes Problem.
Das Phänomen kennt auch Bekleidungssoziologin Antonella Giannone. Für sie ist die Geschichte der Mode eine permanente Aneignung vom »Fremden« – neben Handel oft auch durch Einsatz von Ausbeutung und Gewalt. Schals aus Indien etwa waren in den Händen der Kolonialherren Luxusgüter, gerade weil sie eigentlich »den Anderen« gehörten.
Ein anderes Beispiel für historische kulturelle Aneignung war sehr fantasievolle Mode. Als in Europa Reiseberichte aus anderen Ländern die Fantasie der Menschen anregten und orientalische Vorstellungen in die Mode und Architektur einflossen.
Mode-Aneignung habe aber nur damals funktioniert, weil es kaum Kontakt auf Augenhöhe zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern gegeben hätte. Und genau deshalb lasse sich das heute anders regeln, findet Giannone. Statt die Mode fremder Kulturen zu kopieren, könne man »sie in Auftrag geben, als Kooperation oder Kollaboration. Man muss dafür sorgen, dass die, die sich mit dieser Kultur identifizieren, auch etwas davon haben.«
Informiert sich der Verbraucher, wer an der Produktion der Jacke mit Stickereien aus Südamerika beteiligt war, entsteht über Mode echte Internationalität, von der nicht nur die Starken und Mächtigen profitieren.
Wie sieht es aber mit Kleidung aus, die nicht jeder tragen kann? Wie zum Beispiel religiöse Kleidung wie das Kopftuch, das auch Ilham Hasan aufsetzt? Ich erzähle ihr von einer Designerin in Deutschland, die islamische Kleidung auch Nicht-Musliminnen zugänglich machen will.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier!
Titelbild: Tanja Heffner - CC0 1.0