Müssen wir Facebook und Google jetzt verstaatlichen?
Karl Marx würde sagen: Gefällt mir!
Er ist wieder da. 5 1/2 Meter hoch, ein echter Riese, mit ernstem Blick. Der Bartwuchs: wild wie eh und je. Auf den Tag genau an seinem 200. Geburtstag enthüllte die Stadt Trier einen überlebensgroßen Bronze-Karl-Marx. Er ist ein Geschenk der chinesischen Regierung an die Heimatstadt des Philosophen; keine unumstrittene Geschichte, für manche bleibt er einfach ein rotes Tuch. Marx selbst wäre wohl überrascht, wie viel Stoff für Biographien, Studien und Titelgeschichten sein Werk im Jahr 2018 noch so hergibt.
Aber es ist ja so: Der Kapitalismus, Marx Lebensthema, war nie wirklich weg. Er hat einen weiten Weg zurückgelegt, sich immer wieder gehäutet und allerlei Krisen einfach abgestreift. Bis jetzt hat ihn noch keine »Weltrevolution des Proletariats« gestoppt.
Du hast ein Problem mit dem System? Der Mann mit dem Rauschebart liefert noch immer Munition für deine Kapitalismuskritik.
Du willst dich erst mal mit den Grundbegriffen des Marxismus vertraut machen, bevor du richtig einsteigst?
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›Historischer Materialismus‹ ist eine Geschichtsauffassung, die ökonomische Realitäten als die bestimmenden Faktoren der Menschheitsgeschichte begreift.
›Arbeit‹ entsteht, wenn der Mensch mit den ihm gegebenen Mitteln auf die Natur einwirkt. Im besten Fall ist Arbeit eine erfüllende Tätigkeit, durch die sich der Mensch entfalten kann.
Der Mensch ist ›entfremdet‹, wenn er sich nicht mehr mit seiner Arbeit identifiziert und dadurch sich selbst, der Natur und seinen Mitmenschen fremd wird.
›Die Produktionsverhältnisse‹ beschreiben, wie Gesellschaften die Produktion organisieren und Besitz verteilen. Dabei ist der Besitz über die Produktionsmittel ausschlaggebend für die gesellschaftliche Stellung.
›Privateigentum‹ ist das Eigentum an den Produktionsmitteln und den Produkten in den Händen weniger, die durch Zusammenarbeit vieler entstehen. Darin sah Marx die Ursache der Entfremdung und Ausbeutung der Arbeiterklasse.
›Die Bourgeoisie‹ ist die Klasse des wohlhabenden Bürgertums, die Eigentum und Kapital besitzen. Sie unterdrücken die Arbeiterklasse, ›das Proletariat‹, das keinen Besitz an den Produktionsmitteln und außer der Arbeitskraft nichts zu verkaufen hat.
›Kapital‹ ist nach Marx Geld, das primär für die Reinvestition gedacht ist. Im ›Kapitalismus‹ tritt an die Stelle des traditionellen ›kaufen, um zu konsumieren‹ ein ›kaufen, um zu verkaufen‹.
Zur ›Revolution‹ kommt es laut Marx, wenn die unterdrückte Klasse ein gemeinsames politisches Bewusstsein erlangt und sich durch eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse die Produktionsverhältnisse grundlegend ändern.
Marx’ Gegenentwurf zum Kapitalismus ist der ›Kommunismus‹. In ihm sind die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse abgeschafft, Arbeit ist nicht mehr durch Not und Zweckmäßigkeit bestimmt, keine Klasse beutet die andere aus – die Gesellschaft ist klassenlos. Zwischen Kapitalismus und Kommunismus liegt die Revolution – und gegebenenfalls auch die Diktatur des Proletariats.
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Der Kapitalismus hat sich weiterentwickelt, ist global und vor allem digital geworden. Um ihn zu verstehen, reichen die beinahe 3.000 Seiten von »Das Kapital« nicht mehr aus. Doch dafür gibt es die neuen Marxisten.
Nick Srnicek ist einer von ihnen. Am Londoner King’s College erforscht und unterrichtet er Digitale Ökonomie. Seine Theorie:
Willkommen im Zeitalter des Plattform-Kapitalismus
Alle Bemühungen, die Verhältnisse zu verändern, müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass es Plattformen gibt. Die aktuellen Entwicklungen richtig zu verstehen ist unerlässlich, um die für unsere Zeit adäquaten Strategien und Taktiken auszuarbeiten.
Oder einfacher: Wer heute die Revolution starten will, muss erst einmal wissen, wie Plattform-Kapitalismus eigentlich funktioniert.
Während du bei Google nach einem Rezept für Zimtschnecken suchst, nebenbei auf Facebook den Veranstaltungskalender checkst und dir später bei Airbnb eine Unterkunft
So mahnte
Das verlange auch, »dass Unternehmen dauernd nach neuen Wegen zu Profiten, neuen Märkten, neuen Waren […] suchen.« Das heißt nicht, dass ihnen immer jedes Mittel recht ist und alle CEOs über Leichen gehen. Es heißt aber, dass Moral im System nicht vorgesehen ist – und Wachstumszielen mitunter im Weg steht.
Wie ist es so weit gekommen? Wer die Verhältnisse wirklich kritisch hinterfragen will, sollte erst einmal
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- Anfänge auf dem Acker: Bevor kapitalistisches Wirtschaften die Menschen von ihrer Arbeit entfremdete, arbeitete jeder gerade so viel, wie für das Überleben nötig war.
- Die Industriegesellschaft: Dank der neuen Fabriken des 19. Jahrhunderts wurde erstmals im großen Stil produziert und konsumiert. Umschlagplatz wurde der nun schon etwas abstrakter
- Nach den Weltkriegen: Die Nachkriegszeit stellte im Westen einen Bruch in der kapitalistischen Entwicklung dar, die auf einem ungewöhnlichen Zusammenspiel beruhte: »integrierter Liberalismus auf internationaler Ebene, sozialdemokratischer Konsens auf nationaler Ebene und Fordismus auf ökonomischer Ebene«. Es war eine gute Zeit für Gewerkschaften, die Arbeitnehmerrechte durchsetzten; der Wohlfahrtsstaat, wie wir ihn kennen, stammt aus dieser Zeit.
- Globalisierung und Neoliberalismus: In den folgenden Jahrzehnten wurde der Wettbewerb global, auf einmal konkurrierten nicht mehr nur verschiedene Anbieter, sondern ganze Volkswirtschaften. Um effizienter zu werden, bauten Unternehmen um: Die Produktion sollte schlanker werden, Arbeitsschritte kleinteiliger, alles
Ab den 1990er-Jahren floss jede Menge Kapital in die technologische Revolution, die das Internet einläutete. In dieser Zeit weckte das Netz als potenzieller Wachstumsmarkt und -motor das Interesse der Investoren – obwohl eigentlich niemand wusste, wie man damit mal Geld verdienen sollte. Für den Moment verdrängte das Wachstum den Profit von der Pole-Position der kapitalistischen Ideale. Nutzerzahlen und Datenmengen wurden zu Gradmessern des Erfolgs. Damit war das Fundament für den Plattform-Kapitalismus gelegt.
Wie Plattformen Geld verdienen
Das Gemüse vom Acker kommt auf den Tisch, Autos kann man in Massen verkaufen – diese Arten zu wirtschaften sind leicht zu verstehen. Aber wie machen eigentlich Plattformen Geld, wenn dein Gmail-Konto und der Facebook-Account doch kostenlos sind?
Nick Srnicek hat sich die Geschäftsmodelle der Technologie-Konzerne angeschaut und unterscheidet 5 Plattform-Typen.
- Werbe-Plattformen: Unternehmen wie Google und Facebook lassen sich dafür bezahlen, dass dir bestimmte Inhalte angezeigt werden, wenn du bei ihnen unterwegs bist. Damit finanzieren sie andere, kostenlose Angebote wie dein E-Mail-Konto. Diese Strategie der Quersubventionierung von nicht-profitablen Geschäftsbereichen soll dabei helfen, mehr und mehr Nutzer anzulocken – die den Dienst immer besser, relevanter und irgendwann unverzichtbar machen. Warum solltest du ein anderes soziales Netzwerk nutzen, wenn alle deine Freunde bei Facebook sind?
- Cloud-Plattformen: Cloud-Plattformen wie
- Industrie-Plattformen: Konzerne wie Siemens oder General Electric stehen für die
- Produkt-Plattformen: Unternehmen wie Spotify oder Netflix sind ein Mischtyp aus der alten und der neuen Wirtschaftswelt. Güter, die du dir früher gekauft hast, kannst du hier mieten.
- Schlanke Plattformen: Unternehmen wie Uber oder Airbnb haben sogar die Dienste outgesourct, die sie vermarkten. Auf Airbnb kannst du derzeit
Manche Konzerne vereinen auch mehrere Typen in sich – Amazon sogar alle 5. Damit machen sie sich unverzichtbar. Dass es keine echte Konkurrenz mehr gibt, wissen ihre Chefs ganz genau. Genau deshalb muss der Staat eingreifen, sagt Nick Srnicek. Marx würde ihm zustimmen.
Wer die Macht der Plattformen jetzt noch brechen kann
Die großen Plattformen haben nicht nur die Macht über Preise und Regeln. Die Daten, mit denen sie Geschäfte machen, sind nicht irgendein beliebiges Gut: In ihnen stecken Emotionen, Intimitäten und jede Menge politischer Sprengstoff.
Wie kann man die Macht der Konzerne brechen? Nick Srnicek nennt einige mögliche Maßnahmen und stempelt sie, vielleicht ein wenig vorschnell, als »kurzfristig« und »fantasielos« ab. Dabei sind es eigentlich wahre Mammutaufgaben:
Die Lösung für unser neumodisches Monopol-Problem liegt in einer uralten Idee, die nur ein Update für das digitale Zeitalter braucht. […] Wir müssen die Kontrolle über das Internet und die digitale Infrastruktur zurückgewinnen, anstatt zu erlauben, dass es durch das Streben nach Profit und Macht dominiert wird. An minimalen Regulierungen zu basteln, während diese Firmen mithilfe künstlicher Intelligenz immer mehr Macht anhäufen, reicht nicht aus. Wenn wir heute nicht die Plattform-Monopole übernehmen, riskieren wir, dass sie die grundlegende Infrastruktur der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts besitzen und kontrollieren.
Ginge es nach Srnicek, würden die gesammelten Daten für das Gemeinwohl genutzt: Sie könnten dabei helfen, Ressourcen fairer zu verteilen, demokratische Partizipation zu ermöglichen und technische Entwicklung voranzutreiben.
Wie genau das gehen soll? Die Antwort darauf bleibt Srnicek schuldig. Wikipedia ist allerdings ein ganz gutes Beispiel dafür, wie Inhalte von Bürgern für Bürger erstellt werden, gemeinnützig und ohne Einfluss »von oben«.
Ob Google, Amazon und Co. nun wirklich verstaatlicht werden sollten, sei dahingestellt – es spricht einiges dagegen. Aber vielleicht geht es ja auch anders. Srnicek schlägt vor, »öffentliche Plattformen zu errichten, die im Besitz des Volkes sind und von ihm kontrolliert werden.« Das Ergebnis könnte zum Beispiel
Warum so kompliziert, schließlich kannst du deinen Facebook-Account ja auch einfach kündigen? Das würde wenig bringen, denn die Monopolstellung des sozialen Netzwerks und anderer Plattformen ist schon so weit ausgeprägt, dass es schlichtweg unrealistisch ist,
Titelbild: Tobias Kaiser - CC0 1.0