Von dieser Krankheit ist jede zehnte Frau betroffen. Und fast niemand spricht darüber
Nein, Menstruationsschmerzen gehören nicht zum Frau-Sein dazu. Trotzdem bestimmen sie das Leben zahlreicher Frauen.
Auf den ersten Blick sieht das Instagram-Profil von Anna Wilken aus wie viele andere: eine öffentliche Fotogalerie persönlicher Alltagshighlights. Doch zwischen Selfies, Reiseschnappschüssen und Bildern mit ihrem Zwergspitz Oskar berichtet die 22-Jährige in ihren
Für Menstruationsbeschwerden haben viele Menschen wenig Verständnis. Selbst manche Frauen stempeln einander als wehleidig ab, weil sie persönlich keine oder kaum Beschwerden während der
Ja, Menstruation ist keine Krankheit. Trotzdem können die Schmerzen auf eine mit der Periode zusammenhängende Erkrankung hinweisen: Endometriose. Tatsächlich ist davon
Endo-was?
Letztes Jahr habe ich angefangen, über Endometriose zu sprechen. Die einzelnen Symptome – Durchfall, Rücken- oder Kopfschmerzen – kennt ja letztlich jeder, auch ohne Endometriose. In diesem Gucci-Business wird das halt nicht thematisiert. Mir hilft immer wieder, dass ich frei Schnauze sagen kann, wie ich mich fühle. Und ich freue mich sehr über die Nachrichten von Betroffenen, ich bekomme sehr viel Vertrauen geschenkt. Ich habe ja selbst gemerkt, wie anstrengend es war, meine eigene Familie dafür zu sensibilisieren – und wie schön es wäre, wenn alle aufgeklärter wären.
Endometriose ist ein schwieriger Fall: Wir wissen bisher weder, wie die chronische Krankheit genau entsteht, noch gibt es eindeutige Symptome, die sie verraten. Und selbst wenn es einen Befund gibt, lässt sich nur schwer eine Prognose für den weiteren Verlauf stellen.
Trotzdem können wir einiges mit Sicherheit sagen. Also der Reihe nach:
Das Endometrium – die Gebärmutterschleimhaut – ist grundsätzlich nicht problematisch. Im Gegenteil: Sie ist elementarer Teil des weiblichen Zyklus. Sie baut sich immer wieder auf und blutet während der Periode ab, wenn sich keine befruchtete Eizelle in ihr einnistet.
Schmerzen entstehen allerdings, wenn Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, an Stellen außerhalb der Gebärmutterhöhle sitzt. Diese sogenannten Endometriose-Herde sitzen dann beispielsweise an den Eierstöcken, am Darm oder der Blase und
Mediziner sprechen bei Endometriose von
Anna Wilken hat nicht nur Schmerzen, wenn sie ihre Tage hat – nur an wenigen Tagen im Monat ist sie komplett schmerzfrei. An den meisten Tagen hat sie – so nennt sie es – ein »unwohles Gefühl« im Unterleib. Während ihrer Periode entwickeln sich daraus Unterleibskrämpfe.
Das war schon während ihrer Schulzeit so. Oft waren die Schmerzen dann so stark, dass sie im Unterricht fehlte und Schmerztabletten schluckte. Auch beim Geschlechtsverkehr tat ihr der Unterleib weh.
Was die Endometriose zusätzlich so schwierig zu greifen macht: Selbst wenn die Schmerzen so intensiv sind wie bei Anna Wilken, sagt das nicht zwangsläufig etwas darüber aus, wie schwer die Endometriose ausgeprägt ist. Mit anderen Worten: Besonders starke Schmerzen gehen nicht automatisch mit besonders vielen Krankheitsherden einher und umgekehrt. Allerdings hängen die Beschwerden oft damit zusammen, an welchen Organen die Herde liegen. Eine Frau mit Endometriose-Herden an der Blase wird wahrscheinlich Probleme haben, wenn sie auf die Toilette geht. Hinzu kommen bei vielen Frauen unspezifische Begleitsymptome. Anna Wilken hat Endometriose am Darm, an der Gebärmutter und im
Warum ist die Diagnose so schwierig?
Sebastian Schäfer ist leitender Oberarzt an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Münster mit den Schwerpunkten gynäkologische Onkologie, Endometriose und minimal invasive Chirurgie. Er erklärt die Herausforderungen einer Endometriose-Diagnose:
Viele Patientinnen werden von ihren Ärzten über viele Jahre vertröstet.
»Typische Beschwerden können auch vorkommen, wenn die Erkrankung nicht vorliegt – meistens nur nicht so ausgeprägt. Viele Patientinnen werden von ihren Ärzten über viele Jahre vertröstet. Das klingt dann in etwa so: ›Sie haben zwar Schmerzen, aber das ist bei Frauen halt so. Nehmen Sie Schmerzmittel, wenn es gar nicht geht.‹ Das wird der Situation natürlich überhaupt nicht gerecht. Die Tendenz, Regelschmerzen nicht sofort mit Endometriose in Verbindung zu bringen, erklärt sich dadurch, dass nicht jede Patientin mit Regelschmerzen krank geredet werden soll. Wenn eine Patientin aber lang andauernde Beschwerden hat, eventuell mit Fehlzeiten in der Schule oder Arbeitsunfähigkeit, wenn die Patientin regelmäßig Schmerzmittel einnehmen muss und die Beschwerden zunehmen, sollte in jedem Fall an Endometriose gedacht werden.«
Hinzu kommt, dass viele Ärzte wenig über Endometriose und ihre Häufigkeit wissen. So müssen Betroffene im Schnitt 6 Jahre auf eine Diagnose und damit auf ihre Behandlung warten. Viele erhalten erst im Zuge eines unerfüllten Kinderwunsches eine Diagnose, weil Endometriose
Die Diagnose kann nur über eine
Sebastian Schäfer betont: »Information ist der Schlüssel, damit Betroffene nicht immer weiter diese Unklarheit aushalten müssen.«
Das rät auch Anna Wilken den jungen Frauen, die sich per E-Mail an sie wenden. Sie ist immer wieder erschrocken, wie viele Frauen in ihrem Umfeld kein Verständnis finden und sich von Ärzten alleingelassen fühlen. Das junge Model gibt online ehrliche Einblicke in ihr Leben mit Endometriose und zeigt anderen Betroffenen, dass sie nicht allein sind. Sie ermutigt dazu, sich zu vernetzen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wie können Frauen »normale« Regelschmerzen von einer Endometriose unterscheiden?
Gerade weil das Krankheitsbild selbst unter Ärzten vernachlässigt wird, ist der offene Austausch so wichtig. So bemängelt Sebastian Schäfer, dass der erste Verdacht häufig ganz unabhängig von einem Arzt entstehe, zum Beispiel im Austausch mit Verwandten oder Freundinnen, die selbst die Erkrankung haben. Damit sich das ändere, müsse sich die Ausbildung der Ärzte in Deutschland verbessern. Die ersten Schritte dahin sind gemacht: Im Medizinstudium wird Endometriose in einer Vorlesung zumindest vorgestellt, und ihre hohe gesellschaftliche Bedeutung betont. So haben auch angehende Ärzte, die später nicht Gynäkologen werden, ein Grundwissen über Endometriose und denken als Haus- oder Fachärzte an die Krankheit, wenn Patientinnen entsprechende Beschwerden äußern. Auch in der Facharztausbildung rücke die Krankheit immer mehr in den Vordergrund. Auf den Kongressen sei Endometriose mittlerweile ein prominentes Thema.
Solange Ärzte nicht immer von sich aus bei Regelbeschwerden ihrer Patientinnen die Ohren spitzen und nachfragen, lautet die wichtigste Frage: Wie können Frauen »normale« Regelschmerzen von einer Endometriose unterscheiden?
Ohne Operation keine Diagnose
Auch wenn Anna Wilken schon mit 13 Jahren von ihrer Frauenärztin hörte: »Ich vermute, dass du unter Endometriose leidest«, passierte erst mal nichts. Ihre Mutter zweifelte an den Symptomen und als Teenagerin in der Pubertät hatte sie »andere Dinge im Kopf«. Auch sie hatte sich irgendwie an die Schmerzen gewöhnt.
Woher soll das Verständnis auch kommen?! Wenn man damit selbst nicht viel zu tun hat und diese Symptome auch so alltäglich sind … man wird ja nicht dauernd ohnmächtig – auch wenn es Frauen gibt, die ohnmächtig werden. Das sind so kleine Sachen, Kopfschmerzen, Unterleibsschmerzen, Rückenschmerzen. Klar, in der Menge und Intensität sind die Symptome belastend, aber für den Zuhörer sind es halt Kleinigkeiten.
So ist Anna Wilken irgendwann im Alleingang auf die Suche nach Hilfe gegangen und hat sich in einem zertifizierten Endometriose-Zentrum vorgestellt. Mit 19 kam die Diagnose im Rahmen der Bauchspiegelung. Bei dem 4-stündigen Eingriff wurden alle sichtbaren und tastbaren Herde entfernt. Denn finden die Chirurgen bei der Bauchspiegelung Endometriose-Herde, werden sie in der Regel direkt
So wachsen bei vielen Frauen
Das heißt: Die Schmerzen und Beschwerden können bleiben. Darum wirbt Anna Wilken für einen offenen Umgang mit Endometriose und chronischen Schmerzen.
Endo-Schwestern und Körpergefühl
Die
Das geht auch offline: So berät die 48-jährige Physiotherapeutin und Endometriose-Patientin Christel Fröse seit einem knappen Jahr ehrenamtlich bei der
Ein großes Problem sind die emotionalen Begleiterscheinungen, vor allem dieses ständige schlechte Gewissen.
Dahinter steckt ein 2-teiliges Konzept: In jeder der 6 Sitzungen tauschen sich die Teilnehmerinnen unter Anleitung von Christel Fröse aus. Es geht um individuelle Auslöser für Symptome, Möglichkeiten zur akuten und langfristigen Selbsthilfe und um Zeitmanagement für eine gesündere Work-Life-Balance. Im zweiten Teil der Sitzungen erlernen die Betroffenen Schritt für Schritt die Entspannungsmethode des
Christel Fröse gibt Betroffenen Wissen an die Hand, um ganzheitlich und eigenständig mit den Beschwerden umzugehen. Sie berichtet, dass der Kurs gut angelaufen sei. Die Gruppe sei sehr offen und dankbar, sie spüre, wie groß das Bedürfnis nach Unterstützung und Austausch sei:
Als Schmerzpatientin mit Endometriose hat sie selbst positive Erfahrungen mit der psychologischen Betreuung in der Reha gemacht und gleichzeitig durch ihren Beruf als Physiotherapeutin viel Kontakt mit
Die Endometriose-Vereinigung betont, dass Betroffene im Alltag und auf körperlicher wie emotionaler Ebene ansetzen müssen, um gut mit der Erkrankung leben zu können. Das reicht von alternativen Therapieansätzen wie Kälte- oder Physiotherapie bis hin zur Selbstfürsorge durch spezielle Yoga-Übungen, Teemischungen, die entkrampfend wirken, und Selbsthilfegruppen.
Christel Fröses Kurs kann für Frauen eine Form von Empowerment sein, sich weniger von Schmerzmitteln und Hormonpräparaten abhängig zu fühlen und dafür einen
»Solche Angebote müssten jedem zugänglich gemacht werden. Nicht nur Endometriose-Patientinnen – sondern allen Schmerzpatienten«, merkt Christel Fröse zum Schluss an.
Titelbild: Kinga Cichewicz - CC0 1.0