Wir alle verhalten uns rassistisch, sagt Tarik Tesfu – und nimmt sich selbst nicht aus.
30. Oktober 2018
– 10 Minuten
Kristina Kast
Deutschland hat so ein krasses Rassismusproblem, dass die deutsche Heide wackelt.Tarik Tesfu,
Wenn Tarik Tesfu die Krise kriegt, dann dürfen sich alle Hater warm anziehen. Denn dann tritt er vor die Kamera und liest Sexisten, die glauben, dass oder Rassisten, die ihn als »Kulturverhunzungsexperiment« beschimpfen, ordentlich die Leviten.
Seit 3 Jahren gibt es Kurze Videos, in denen der selbsternannte »Gender Love Messias« Diskriminierung aller Art an den Pranger stellt. Das hat auch persönliche Gründe. Er ist der erste Videoblogger in Deutschland. In seiner aktuellen Kampagne »Rassismus den Stinkefinger zeigen« sammelte er Geld für Vereine, die Front gegen Diskriminierung machen. In Berlin haben wir uns getroffen und darüber gesprochen, wann er sich rassistisch verhält – und über seine Pläne, vom Thron im Heimatministerium zu stoßen. Los geht’s mit ein paar nicht so ernst gemeinten Fragen.
Weltoffenheit schützt nicht vor Rassismus
Tarik, gibt es Rassismus in Deutschland?
Tarik Tesfu:
Mhm.
Hast du Erfahrungen mit Rassismus gemacht?
Tarik Tesfu:
…
Stört dich etwas an den Fragen?
Tarik Tesfu:
Also irgendwie suggerieren die, dass Rassismus in Deutschland so ein kleines Ding wäre. und alle anderen können sich stattdessen auch mal selbst fragen: Wann verhalte ich mich eigentlich rassistisch? Da würde mehr bei rumkommen, als immer bei Leuten nachzufragen, die ganz klar von Rassismus betroffen sind.
Rassist will niemand sein. Die einen mauern, andere aus der weißen Mehrheitsgesellschaft, die sich gegen Rassismus aussprechen, betonen, dass sie »international und weltoffen« aufgewachsen sind. Gibt das Extrapunkte auf der Rassismusskala? »Ich verhalte mich rassistisch.«
Tarik Tesfu:
Das ist total krass. Wenn ich in meinen Videos über Rassismus in der Gesellschaft spreche, dann fühlen sich auf einmal ganz viele Menschen angegriffen, die ich vielleicht gar nicht gemeint habe. Aber das zeigt mir, dass ich sie eventuell doch gemeint habe. Nur weil man zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg groß geworden ist, heißt das noch lange nicht, dass man sich nicht auch rassistisch verhält. Ich verhalte mich rassistisch.
Ich glaube, das machen sich viele nicht klar …
Tarik Tesfu:
Das ist das Ding. Ich verhalte mich gegenüber nicht-weißen Menschen oft rassistisch, weil ich auch in diesem System groß geworden bin. Ich nehme eine Gruppe von weißen Männern manchmal anders wahr als eine Gruppe von nicht-weißen. Weil auch ich und Ideen groß geworden bin, dass nicht-weiße Menschen eher eine Gefahr, kriminell oder im schlimmsten Fall Terroristen sind. Nur weil ich selbst bin, kann ich mich davon nicht befreien. Egal als wie weltoffen wir uns sehen, egal wie viele People-of-Color- oder Trans-FreundInnen wir haben oder ob wir selbst trans, bi oder lesbisch sind. Das schützt nicht davor, dass wir uns in gewissen Momenten rassistisch verhalten. Wir diskriminieren immer, weil wir gelernt haben, Menschen oft schlechter zu behandeln, die wir als nicht normal ansehen. Da müssen wir ansetzen.
Mit derselben Botschaft standst du vor 242.000 Menschen bei der #unteilbar-Demo in Berlin. Da hast du gesagt: Machen wir denn Fortschritte gegen Rassismus?
Tarik Tesfu:
Ich glaube schon, dass die Dinge auf jeden Fall besser werden. In der Generation meiner Eltern hieß es noch: Sei schön unauffällig, sei besser als deine weißen FreundInnen. Sie hatten damals nicht die Ressourcen, die ich heute habe, um das Maul aufzumachen. Ich habe das Privileg, so wichtige Dinge ansprechen zu können wie Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit oder dass, wenn in Medienhäusern nur weiße Menschen arbeiten, eventuell rassistische Texte dabei rauskommen. Das passiert noch viel zu wenig, aber zumindest ist der Zeitpunkt da, um diverser darüber zu diskutieren.
Wer ist hier die Kartoffel?
Reden wir über deinen Aktionismus: Es ist ein Gesetzesbruch, Straßennamen zu überkleben. Aber das war dir egal und du hast genau das in Berlin gemacht. Warum braucht diese Stadt dringend die von dir vorgeschlagene »#MeTwo-
Tarik Tesfu: muss nicht unbedingt von einer Person ausgehen. Das kann auch so etwas sein wie ein rassistischer Straßenname. Ich finde es krass und abartig, dass es die
In meiner Aktion ging es um zivilen Ungehorsam. Schon seit Jahren wollen AktivistInnen diese Straße umbenennen und da passiert einfach nichts. Das M-Wort ist ein rassistisches Wort, und dass so im öffentlichen Raum und somit auch institutionell diskriminiert werden, wird nicht ernst genommen. Es braucht eine Form von Solidarität, ganz besonders von nicht-Schwarzen Menschen. Es ist an der Zeit, dass die Mehrheitsgesellschaft schnallt, dass es halt nicht okay ist, das M-Wort zu benutzen. Egal wie das gemeint ist, ob lustig oder sonst wie.
In anderen Berliner Stadtteilen tut sich da mehr.
Tarik Tesfu:
Total. mit den Namen toller Persönlichkeiten, die selbst Schwarz sind und sich antirassistisch positioniert haben. Das sollte bei der M-Straße, bitte schön, genauso passieren.
Adolf Lüderitz war ein Bremer Kaufmann, der sich im Jahr 1884 große Teile des heutigen Namibias mit unlauteren Verträgen aneignete. Der Vertrag, den er mit dem Häuptling der ansässigen Nama schloss, die er »Hottentotten« nannte, wird unter Historikern als »Meilenschwindel« bezeichnet: Lüderitz gab in dem Vertrag keine englischen Meilen (1,6 Kilometer), sondern preußische (7,5 Kilometer) an. So konnte er große Landesteile zu einem Spottpreis kaufen. Bis heute gibt es eine namibische Bucht, die Lüderitzbucht genannt wird.Der Nachtigal- soll zum Bell-Platz umbenannt werden. Gustav Nachtigal ist als deutscher Afrikaforscher während der Kolonialzeit bekannt. Emily und Rudolf Duala Manga Bell waren das Königspaar des Duala-Volkes in Kamerun während der deutschen Kolonialzeit und setzten sich gegen die Vertreibung ihres Volkes ein.
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Bei fühlten sich weiße Menschen von Begriffen wie »Kartoffel« und »Alman« angefasst. Mit den Argumenten, dass Beleidigung gegen Beleidigung nicht cool sei und nicht zu mehr Verständnis führen würde. Kannst du hier einmal Aufklärungsarbeit leisten?
Tarik Tesfu:atmet tief ein Ich werde demnächst ein Video machen: Warum der Begriff »Kartoffel« nicht rassistisch ist. Also ich persönlich kenne keine Kartoffel, die versklavt wurde. Ich kenne keine Kartoffel, die Opfer der geworden ist. Ich kenne keine Kartoffel, die in Menschenzoos ausgestellt wurde. Das gibt es nicht. Aus einer Kartoffel macht man Pommes und die schmecken meistens richtig lecker. Ich liebe Kartoffeln und ich bin selbst eine!
Ich bin Deutscher und wenn ich mich über Kartoffeln oder mit ’nem Deutschland-Trikot über Fußballfans amüsiere, dann mache ich mich auch über mich selbst lustig. Das begreifen die Leute einfach nicht, weil es für sie nicht sein kann, dass eine Schwarze Person deutsch ist. Das ist das größte Problem!
Lass uns einmal bei Begriffen bleiben: Das Privileg des Weißseins – in der Antirassismus-Forschung auch unter bekannt – hat in Kommentarspalten eingeschlagen wie eine Bombe. Wie erklärst du dir das?
Tarik Tesfu:
Wenn ich das Wort »Privilegien« in meinen Videos benutze, dann kriegt es die krassesten Negativreaktionen, weil es die Leute irgendwie nicht richtig verstehen. Warum? Weil sie es dann auf sich beziehen. Die denken sich: Wo habe ich denn ein Privileg? Ich bin gerade arbeitslos, finde keine oder habe zu wenig Rente.
Aber niemand will dir deine Diskriminierungserfahrungen absprechen. Es geht nicht darum, zu sagen, dir darf es nicht mehr scheiße gehen, weil andere, die zum Beispiel ein Kopftuch tragen, noch beschissener dran sind. Es geht darum, zu merken, dass gewisse Dinge, für die man halt einfach nichts kann – Aussehen, sexuelle Orientierung, Geschlecht –, dazu führen, dass man noch stärker diskriminiert wird. Menschen, die keinen deutschen Namen haben, werden Und, wenn ich höre, dass eine Frau mit Kopftuch in Deutschland nicht Richterin werden kann, sage ich doch nicht: Übrigens, mir als Schwarzer passiert das und das und dadurch sind deine Erfahrungen weniger schlimm.
Mit Pegida auf Kuschelkurs?
Führen wir unser kleines Rassismus-Wörterbuch fort. Du hast jetzt schon häufiger »People of Color« gesagt. Ein Freund meinte zu mir, er hätte jetzt erst herausgefunden, dass er eine »PoC« sein soll. Muss man denn sich selbst als solche bezeichnen?
Tarik Tesfu:
Das Wunderbare beim Begriff »People of Color« ist ja, dass das ein selbstbestimmter Begriff ist. Das ist der erste Begriff, der nicht von weißen Menschen gewählt wurde, um über nicht-weiße Menschen zu sprechen. Er ist Empowerment und stark. Und genau deswegen sind Menschen nicht automatisch People of Color. Wer den Begriff für sich selbst nicht annehmen möchte, kann sowas von easy peasy sagen: Ich persönlich bin keine Person of Color. Die Zeiten sind jetzt auch langsam vorbei, in denen man von anderen bezeichnet wird und das annehmen muss.
Werde ich an meinen Freund weitergeben.
Tarik Tesfu:
Mit lieben Grüßen!
Wie soll es denn jetzt weitergehen? Viele Politiker fordern Dialog. Findest du es sinnvoll, als Antirassismus-Aktivist beim Pegida-Stammtisch auf Kuschelkurs zu gehen?
Tarik Tesfu:
Gerade wollen ja alle diskutieren. Und ja, das ist super wichtig. Aber ganz ehrlich – Leute, die immer noch auf die gehen und Merkel oder Ausländer jagen wollen; mit denen will und kann ich persönlich nicht reden. Die wollen auch nicht mit mir reden. Ich glaube aber auch, dass dieser Teil der Gesellschaft relativ klein ist. Es ist auch nicht die Aufgabe von Demokratie, es allen recht zu machen, und diese zu empowern, die diskriminiert werden.
Und deshalb willst du in die Politik?
Tarik Tesfu:
Ja, ich habe auf der #unteilbar-Demo gesagt, dass ich jetzt Heimatminister werden möchte. Das klingt ein bisschen verrückt. Aber ich glaube, Deutschland braucht genau das. Wenn überhaupt einen Heimatminister, dann jemand, der halt nicht weiß ist und der den Begriff auf ein neues Level hebt. Dass Heimat auch heißt, Schwarz und deutsch sein. Und, dass auch die einen Anspruch auf Deutschland und Heimat haben, die neu hierherkommen. Das müssen langsam alle Menschen schnallen. Und ich glaube nicht, dass sie das verstehen, wenn die Politik oder auch alle Entscheidungsgremien unserer Gesellschaft nur von weißen Menschen geführt werden. Menschen mit Migrationsgeschichte, egal ob arabisch, türkisch oder aus Eritrea wie meine Eltern – wenn die sichtbarer sind, dann glaube ich, werden auch die Leute weniger diskriminierend sein.
Ein ganz anderer Ansatz, als ständig nur die »gut Integrierten« zu loben …
Tarik Tesfu:
Ich bin halt auch der Paradeausländer, weil ich gut deutsch sprechen kann. Wow, ich kann meine Muttersprache gut sprechen. Danke für die Blumen! Und das Schlimme ist, wenn ich es nicht könnte, würde ich einen auf den Deckel bekommen. Es ist schlimm, wie wir mit bestimmten Akzenten umgehen. Ich weiß noch, früher war es mir echt peinlich, dass meine Eltern einen Akzent haben, weil sich andere SchülerInnen darüber lustig gemacht hatten. Aber dieser Akzent zeigt doch, dass sie den Arsch in der Hose hatten, vor Krieg flohen, um ihren Kindern ein besseres Leben zu bieten. Also, Akzent und Migration sind Zeichen von Stärke und Mut. Dass Menschen das noch immer nicht begreifen, ist extrem traurig. Als Kind war mir das noch unangenehm – ich schäme mich für wenige Sachen, aber dafür schäme ich mich schon.
Wenn ich mich jetzt rassistisch verhalten habe und das merke – wie sollte ich danach reagieren?
Tarik Tesfu:
Wir alle müssen uns fragen, warum wir das tun. Dann reicht auch eine Entschuldigung nicht, im Sinne von: Ich habe das nicht so gemeint. Es ist egal, wie du das gemeint hast. Ob es die Umstände waren. Die Person, die das abbekommt, fühlt sich schlecht und dafür sollte man sich entschuldigen. Das ist ziemlich anstrengend und schwierig.
Was kann denn jeder Einzelne sonst noch tun, um Deutschland rassismus-, sexismus-, homophobiefreier zu gestalten?
Tarik Tesfu:
Ich habe eine Kampagne gestartet: die großartige Antidiskriminierungsarbeit leisten. Jeder kann selbst auch eine Kampagne machen und Geld sammeln. Einfach mal schauen, welchen Verein gibt es bei mir im Dorf, in der Stadt um die Ecke, der coole Antirassismusarbeit macht.
Wenn wir jetzt groß denken, dann müssen PersonalerInnen diverser einstellen. Wir brauchen echte Repräsentation. Erst durch meinen Aktivismus habe ich zum Beispiel Menschen kennengelernt, die transsexuell oder intergeschlechtlich sind oder im Rollstuhl sitzen wie Wir müssen doch merken, dass unsere Gesellschaft diese Menschen immer noch ausschließt. Sie sind nicht sichtbar und das macht mich traurig. Ich will, dass diese Menschen sichtbar sind, und da müssen wir alle ran.
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.