Dieser Mann hat dabei geholfen, jedem von uns 390 Euro zu stehlen
Durch Cum-Ex haben uns Banken und Investoren um viele Steuer-Milliarden betrogen. Nach diesem Text weißt du, wie die Masche funktioniert (hat) und was du dagegen tun kannst.
Was würdest du denken, wenn ich dir 390 Euro stehle?
Das wäre nicht in Ordnung: Du würdest mich sicher zur Rede stellen, mich anzeigen, vielleicht sogar anschreien – was ich mir dabei gedacht habe und warum ich geglaubt habe, damit durchzukommen. Und du hättest jedes Recht dazu, wütend, verletzt und empört zu sein.
Die Sache ist die: Du wurdest um 390 Euro bestohlen. Nicht von mir, sondern von Bankern, Anwälten und Investoren. In den Jahren 2001–2016 haben sie allein dem deutschen Staat bewusst und organisiert 31,8 Milliarden Euro aus der Tasche gestohlen – und damit uns allen.
Gemessen an der Größe des Diebstahls ist es ohne Übertreibung der Coup des Jahrhunderts. Der kriminelle Wille dahinter ist gewaltig. Einige Verantwortliche werden nun angeklagt, die meisten nicht. Aber bist du empört, wütend, verletzt?
Wenn nicht, bist du in bester Gesellschaft: Nach ein paar Aufmachern in deutschen Leitmedien sind die Namen »Cum-Ex« und »Cum-Cum« längst wieder aus den Medien verschwunden. Zu kompliziert scheint das Gewirr aus Briefkastenfirmen, Steueroasen und Finanzkonstrukten, zu ungreifbar – weil zu hoch – die entwendete Geldsumme. Und das ist kein Zufall, denn die Verwirrung ist Teil des Plans.
Doch damit sollten wir sie nicht durchkommen lassen. Und mit den richtigen Zahlen kann aus der Verwirrung die Wut werden, die dieses Verbrechen verdient.
Steuerklau mit System: So funktionierte Cum-Ex
Die Masche, mit der die Finanzjongleure vorgegangen sind, ist eigentlich gar nicht so kompliziert: Einmal im Jahr schütten alle Aktiengesellschaften einen Teil ihrer Gewinne an die Aktionäre aus. Der Fiskus erhebt auf diese Einkünfte 25% Kapitalertragsteuer. Bei Cum-Ex handeln die Täter große Aktienpakete kurz vor und nach der Ausschüttung so im Karussell, dass die Finanzbehörden mehrere Steuerbescheide aushändigen – für ein und dieselbe Steuerzahlung. Die Betrüger lassen sich diese Steuer mehrfach zurückerstatten, obwohl sie nur einmal gezahlt wurde. Das ist in etwa so, als ob du ein Kind hast, in der Steuererklärung aber 2 angibst und als Beleg Fotos deines Kindes in verschiedenen Verkleidungen beilegst.
Du willst genauer wissen, wie das funktioniert?
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zur kompakten Version.
An einem typischen Steuertrick nach dem Cum-Ex-Schema sind 3 Akteure beteiligt: Die Investoren A, B und C, die alle davon profitieren.
- Investor A besitzt Aktien eines DAX-Konzerns im Wert von 20 Millionen Euro.
- Investor B kauft Aktien des gleichen Konzerns ebenfalls für 20 Millionen und zwar kurz vor Zahlung der Dividenden. Diese Aktie ist »cum«, also mit Anspruch auf die Dividende.
- Investor B kauft diese Aktien aber nicht von Investor A, sondern von Investor C. Dabei besitzt C diese Aktien noch gar nicht. C macht einen sogenannten Leerverkauf. Er muss B die Aktien erst zu einem späteren Zeitpunkt liefern.
- Der Stichtag ist gekommen. Der DAX-Konzern zahlt 1 Million Euro Dividende aus. Investor A bekommt 750.000 Euro Nettodividende. Die restlichen 250.000 Euro sind automatisch als Kapitalertragsteuer an den Fiskus geflossen. Für die gezahlten Steuern bekommt A eine Steuerbescheinigung, mit der er sich die Steuer zurückerstatten lassen kann.
- Investor B bekommt diese Bescheinigung ebenfalls. Zwar hat er die Aktie von C noch nicht erhalten, ist aber der rechtmäßige Eigentümer.
- Erst jetzt verkauft Investor A seine Aktien an Investor C, der ja noch Investor B beliefern muss. C zahlt A allerdings keine 20 Millionen Euro, sondern nur 19, weil die Dividende schon ausgezahlt wurde. Die Aktie wird jetzt »ex« Dividende gehandelt.
- Nun gibt C die Aktien an B weiter, legt aber noch 750.000 Euro drauf, den Betrag der Nettodividende. Schließlich hat B die Aktien vor der Ausschüttung mit Anspruch auf die Dividende »cum« gekauft. Über die fehlenden 250.000 Euro hat Investor B genauso wie A eine Steuerbescheinigung bekommen.
- Investor A kauft sich seine Aktien (wie an C verkauft) für 19 Millionen von B zurück.
- Alles sieht aus wie vorher. Allerdings sind 2 Steuerbescheinigungen rausgegangen, an A und an B. Obwohl der Staat nur einmal Steuern kassiert, lassen sich beide die Steuer zurückerstatten. Der Staat verliert 250.000 Euro an die 3 Betrüger. Diese teilen das Geld unter sich auf.
Ähnlich funktioniert auch
Aufgedeckt wurde das Verbrechen von einem Recherchekollektiv mit Journalisten verschiedener Medien, unter anderem der Organisation
Neu sind solche Maschen nicht: Erste Hinweise auf derartige Praktiken gab es bereits Ende der 1970er-Jahre. Der Kronzeuge aus dem Correctiv-Film bezeichnet Cum-Ex-Geschäfte als »organisierte Kriminalität in Nadelstreifen«. Seinen Höhepunkt hatte der Raubzug ausgerechnet im Jahr 2010, als Politiker in der Finanzkrise strauchelnde Geldhäuser mit Steuergeldern retteten. Fast alle Banken sollen beteiligt gewesen sein – darunter die Deutsche Bank, die Commerzbank und die HypoVereinsbank. Und die Bundesregierung sah jahrzehntelang tatenlos zu.
Heute ist diese Masche nicht mehr möglich. Denn seit dem Jahr 2012 ist das Steuerschlupfloch geschlossen, das den Raub möglich machte – rund 20 Jahre nach den ersten offiziellen Hinweisen. Doch um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, müssten wir uns lautstark empören. Warum passiert das nicht?
Deshalb gab es bei Cum-Ex keinen Aufschrei
Die Macher hinter Cum-Ex taten alles, um ihre Spuren zu verwischen. Und das ist in der Finanzwelt beängstigend leicht: Indem sie beispielsweise Eigentumsverhältnisse gezielt verschachteln und anonymisieren. Ich frage mich, warum sie damit so lange durchgekommen sind.
Sind den Menschen Finanzthemen einfach zu kompliziert? Denn das europaweite Mediennetzwerk unter der Leitung von Correctiv hat gute Arbeit geleistet und den Fall präzise und bis ins Detail aufgedeckt. Anscheinend genügt das nicht.
Für ein wirklich langanhaltendes Medienecho braucht es Deutschlands einflussreichstes Leitmedium. Die BILD-Zeitung hat beim Thema Cum-Ex jedoch keinen medialen Druck ausgeübt – was zu erwarten war. Selbst als der kürzlich noch als Merkel-Nachfolger gehandelte Friedrich Merz Gefahr läuft, zum Gesicht der Cum-Ex-Affäre zu werden, bleibt der große Knall aus. Während die BILD-Redaktion heftig gegen »Pleite-Griechen« oder »Sozial-Schmarotzer« wettert, schreibt sie als Deutschlands einflussreichste Tageszeitung überraschend dezent, ja fast handzahm über die Verstrickungen von Friedrich Merz: »Wie es hieß, gehe es bei den Ermittlungen um den Zeitraum von 2007 bis 2010, also lange vor dem Eintritt Merz’ in das Unternehmen.«
Weiter heißt es: »Am Rande einer Sitzung des CDU-Landesvorstands in NRW sagte Merz am Dienstagabend, er betrachte die Diskussion um seinen Aufsichtsratsjob bei BlackRock als »normal«, alles andere wäre auch »komisch«. Im Übrigen habe er den Vorstand am Dienstag angewiesen, bezüglich der aktuellen Ermittlungen alles auf den Tisch zu legen. Ein sachlicher Ton, wie ihn BILD-Leser bei den oben genannten anderen Finanzthemen kaum finden.
Verwischte Spuren, komplexe Finanzkonstrukte, verklärende Worte in den einflussreichsten Medien – es ist kein Wunder, dass die Reaktionen vieler Menschen über ein Schulterzucken nicht hinausgehen.
Deshalb muss Cum-Ex klar und deutlich erklärt werden.
Wer Cum-Ex versteht, muss empört sein
Bleiben wir beim Liebling der BILD-Zeitung, den »Pleite-Griechen«. Kosten Sie »uns« mehr als Cum-Ex- und Cum-Cum-Tricks? Oberflächlich gesehen führten in beiden Fällen »Finanzgeschäfte« zu einem großen Verlust. Also liegt der Vergleich nahe.
Was hat es uns gekostet, das Land finanziell zu stützen? Die Antwort lautet: bisher 1.135 Euro für jeden Einwohner. Das klingt erst mal nach viel mehr als bei Cum-Ex und Cum-Cum. Doch es gibt einen großen Unterschied: Das Geld ist nur ein Kredit, der einmal zurückgezahlt werden soll. Dazu hat bisher jeder Einwohner in Deutschland rechnerisch rund 35 Euro Gewinn aus den Zinsen der sogenannten Rettungspakete bezogen, insgesamt
Dafür bleibt einem ganzen Land mit knapp 11 Millionen Menschen die Staatspleite und der Austritt aus der Eurozone erspart. Wir wissen also, wofür wir das Geld verliehen haben. Anders ist es bei Cum-Ex und Cum-Cum. Die 390 Euro, die jeder deutsche Bürger dabei verloren hat, sind futsch. Zinsen gibt es dafür keine, und gerettet wurde auch niemand.
Das Geld, das dabei in Summe die Hände gewechselt hat, passt in keinen Geldkoffer. Denn in einen mittelgroßen Koffer passen rund 7.000 Scheine à 50 Euro, insgesamt also 350.000 Euro. Würde sich jemand die Mühe machen, 31,8 Milliarden Euro in Form von 50-Euro-Scheinen in Koffern übereinander zu stapeln, dann wäre der Kofferturm 9.086 Meter hoch, also etwas höher als der Mount Everest. Der Geldberg wöge 585 Tonnen, etwa so viel wie 2 Einfamilienhäuser.
Doch richtig ärgerlich wird die Rechnung, wenn man schaut, was wir mit den entwendeten Steuergeldern hätten finanzieren können:
- Ein ganzes Ministerium bezahlen: Mit 31,8 Milliarden Euro könnte der Etat des Familienministeriums 3 Jahre lang gestemmt werden.
- Den Schienenverkehr stärken: Im Winter keine Heizung, im Sommer keine Klimaanlage, defekte Türen und überlaufende Toiletten: Nur 20% der ICEs der Deutschen Bahn sind voll funktionsfähig. Die Züge sind in die Jahre gekommen. Glückerweise fahren immer mehr Menschen Bahn, doch da mangelt es der Bahn an Reserven. 1.112 neue ICEs könnte die Bahn mit den aus Cum-Cum und Cum-Ex
- Die deutschen Schulen modernisieren: Der Digitalpakt, mit dem Schulen mit
- Die Energiewende
- Die Kosten aus der Bankenrettung abfedern: Die Bankenrettung kostet den Steuerzahler in Deutschland
- Hartz IV für 1 Jahr bezahlen: Mit 31,8 Milliarden Euro hätte man im Jahr 2017 die knapp 6 Millionen Hilfsbedürftigen 10 1/2 Monate lang finanzieren können. Ihre Grundsicherung, abzüglich Verwaltung und Eingliederungsmaßnahmen kostete die Steuerzahler im Jahr 2017 rund
- Kosten für alle Geflüchteten in Deutschland für 13 Jahre lang übernehmen:
Knapp 31,6 Milliarden Euro haben laut statistischem Bundesamt Bund, Länder und Kommunen in den Jahren 2005–2017 für die Unterbringung und finanzielle Unterstützung von Asylbewerbern ausgegeben.
Kostspielige Baustellen, die entscheidend sind für Deutschlands Zukunft, gibt es also zur Genüge …
Welche Konsequenzen hat Cum-Ex jetzt?
Bist du jetzt endlich empört? Hoffentlich!
Die Frage ist: Wie kommt der Staat nun an die 390 Euro, die dir gestohlen wurden?
Das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Hessen hat sich 770 Millionen Euro zurückgeholt. Und trotzdem bleibt ein Schaden von
Auch gegen andere Institute wird ermittelt. Das bezeugen Razzien bei der Deutschen Bank und dem weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock. Viele Taten sind jedoch
Einige Reporter haben den Test gemacht und sich als Milliardäre ausgegeben, die in Cum-Ex
Immerhin versucht die Europäische Union, Steuerbetrügern das Leben schwer zu machen. Schließlich kostet Steuervermeidung die EU-Staaten jedes Jahr 50–70 Milliarden Euro. Großkonzerne sollen öffentlich bekanntmachen, wo sie ihren Gewinn verbuchen und wie viel Steuern sie dafür bezahlen. »Mit diesem sogenannten »country-by-country reporting« ließe sich das mal endlich angehen«, erklärt Schick. »Aber wer blockiert das im Rat der Finanzminister? Deutschland.«
Das ist keine Ausnahme. Geschlafen hat auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Die BaFin soll den Finanzmarkt kontrollieren. Bei Cum-Ex hat sie aber erst reagiert, »als wir mit dem Untersuchungsausschuss schon angefangen haben«, erklärt Schick. »Aber sie hat nun einmal die Aufgabe, den Akteuren auf dem Finanzmarkt auf die Finger zu schauen. Und sie hat auch die technischen Möglichkeiten dazu. Das hat sie versäumt.«
Die Politik kann mehr tun. Erste Hinweise zu Cum-Ex gab es bereits Anfang der 1990er-Jahre. »Natürlich passieren Fehler«, räumt Schick ein: »Und es rutscht mal was durch, aber was hier gelaufen ist, ist eine wahnsinnige Fehlerkette. Ab einem gewissen Zeitpunkt kam sicher der Gedanke dazu, dass man die eigenen Leute schützen wollte, indem ihre Verantwortung für den Skandal nicht in vollem Umfang öffentlich wird.«
Die Verantwortung sieht Gerhard Schick auch bei »Peer Steinbrück, der darüber informiert wurde, aber es nicht geschafft hat, ein wirksames Gesetz vorzulegen.« Mit Wolfgang Schäuble geht es weiter: »Der hat auch nicht richtig reagiert und erst recht nicht umfassende Konsequenzen gezogen.«
Zu große Hoffnung können wir uns also nicht machen, dass die Politik angemessen reagiert – wenn wir nicht selbst den ersten Schritt machen!
Was du tun kannst!
Um ordentlich Druck zu erzeugen, kann jeder einzelne etwas tun:
- War deine Bank an Cum-Ex beteiligt? Dann wechsle zu einem anderen Geldhaus! Du gehst doch auch nicht weiterhin zum selben Bäcker, wenn dir die Verkäuferin absichtlich 30 Euro zu wenig Wechselgeld herausgibt! Welche Banken als in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt gelten, siehst du auf
Ach ja, wenn du schon dabei bist: Warum nicht zu einer Bank umsteigen, die transparent nach hohen ethischen und nachhaltigen Standards investiert, anstatt in Kohle, Landraub und Lohndumping? Informationen, welche Banken derlei Anlagen ausschließen, bieten zum Beispiel die - Unterstütze das Journalisten-Kollektiv Correctiv! Sie brauchen jede Hilfe, denn die Cum-Ex-Banken schießen zurück gegen die Journalisten. Nach einer Anzeige der Schweizer Bank Sarasin ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Correctiv-Chefredakteur Oliver Schröm. Sie wirft ihm vor, zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen angestiftet zu haben. Während sich Deutsche Bank und Citigroup mit einstelligen Millionenzahlungen die Behörden vom Hals schaffen, werden die Journalisten, die den Steuerraub aufgedeckt haben, mit Ermittlungen schikaniert. Du kannst dem Correctiv helfen, indem du deren offenen Brief gegen diesen Angriff auf die Pressefreiheit
Titelbild: Ivo Mayr/ CORRECTIV - copyright