84% aller Flüge innerhalb Deutschlands sind Nonsens
... nicht nur weil sie schlecht fürs Klima sind. Diese Berechnungen zeigen, wie auch wir besser ans Ziel kommen.
Eigentlich ist Instagram die unpolitischste Plattform, die man sich vorstellen kann. Erst recht bei Urlaubsfotos, wie Katharina Schulze am 2. Januar eines gepostet hat: Darauf zu sehen ist ein Eisbecher, bei Sonne im Freien fotografiert. »Starting the year right« hat sie das Foto beschriftet. Die meisten Nutzer hätten für so einen Post nur zahlreiche Herzchen bekommen.
Katharina Schulze bekam den Shitstorm gleich dazu.
Nicht weil die 33-Jährige gern Eis isst – das ist für ihre Follower nichts Neues –, sondern weil dieses Eis in einem Wegwerf-Becherchen vor sich hinschmilzt, ein Plastiklöffel darin steckt und ganz besonders weil das Foto im fernen Kalifornien aufgenommen wurde. An dieser Stelle wird Instagram dann doch politisch, weil Schulze Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag ist. Zuvor hatte sie als Sprecherin eines Bürgerbündnisses erfolgreich gegen die dritte Startbahn des Münchner Flughafens mobilisiert.
»Und wenn sie wieder in Bayern ist, packt sie als grüne Fraktionschefin erneut den Verbotspolitikhammer für das Volk aus, weil Umwelt«, schrieb der Kolumnist Rainer Meyer alias
Wie kann man den Widerspruch zwischen Fernweh und Klimaschutz auflösen?
Viele von Meyers Followern sind konservativ bis rechts – wenn sie Schulzes Reise kritisieren, geht es ihnen wohl hauptsächlich um die Diskreditierung eines politischen Gegners. Aber jenseits dieser
Weltweit gehen immer mehr Menschen in die Luft; im Jahr 2018 zählten die Airlines insgesamt 4,3 Milliarden Fluggäste, das entspricht einem Plus von 6,1% im
#IchbleibeamBoden
Eine jüngst veröffentlichte YouGov-Umfrage ergab, dass 47% der Deutschen sich durchaus vorstellen können,
#jagstannarpåmarken
Einen Schritt weiter sind die Schweden, die dafür bereits ein Hashtag haben: #jagstannarpåmarken, Ich bleibe am Boden – oder, etwas seltener, das neu erfundene Substantiv #flygskam, Flugscham. Bei sozialen Medien häufen sich die Beiträge von Schweden, die angeben, auch längere Strecken der Umwelt zuliebe ohne Flugzeug zurückzulegen – zum Beispiel Schwedens bekannteste Schülerin
Dass diese gesellschaftliche Ächtung des Fliegens ausgerechnet bei sozialen Medien stattfindet, ist bemerkenswert. Schließlich sind Instagram und Co. sonst häufig dazu da – siehe Katharina Schulze –, um die Schnappschüsse von (Fern-)Reisen ohne viel Zeitverzögerung in die
Weil viele Schweden ähnlich handeln, sind die Erfolge der Kampagne sogar messbar. Die Schwedische Bahn hat gerade ihr Nachtzug-Angebot ausgebaut,
Flugscham auf Deutsch
Ein gesellschaftlicher Trend gegen Flugreisen, wie es ihn in Schweden anscheinend gibt, lässt sich in Deutschland bislang noch nicht ausmachen. Obwohl, wie gesagt, fast jeder Zweite Bereitschaft zum Verzicht bekundet. In derselben Umfrage gaben nur 4% an, im Jahr 2019
Wer weiterhin reisen, aber trotzdem nicht ungehemmt das Klima anheizen will, muss für sich einen Kompromiss finden. Eine Möglichkeit ist, längere Flüge zu kompensieren und auf kürzeren Strecken komplett auf emissionsarme Verkehrsmittel umzusteigen. Das ergibt doppelt Sinn:
- Die Minuten unmittelbar nach dem Start sind die umweltschädlichsten, weil die tonnenschwere Maschine mit vollen Tanks erst einmal auf Reisehöhe gebracht werden muss. Deshalb ist die CO2-Bilanz pro Kilometer auf kurzen Strecken besonders verheerend. Teilweise entschärft wird dieses Argument nur, weil auf kürzeren Distanzen die Reiseflughöhe geringer ist. 2 Flüge von Berlin nach München (je 470 Kilometer Luftlinie) einzusparen, ist trotzdem oft effektiver als einen einzigen nach London
- Dazu kommt, dass die Anreise zum Flughafen und die Sicherheitskontrollen immer gleich lang dauern, unabhängig von der
Deutschlandreise per Flugzeug?
Es liegt auf der Hand, dass man bei Inlandsflügen besonders genau überlegen sollte – das gilt natürlich im gleichen Maße auch für kurze grenzüberschreitende Verbindungen. Weil besonders viele Menschen zwischen den europäischen
Ein durchschnittlicher Inlandsflug überwindet gerade einmal 350 Kilometer.
Der durchschnittliche Inlandsflug in Deutschland überwindet nach meinen eigenen Berechnungen eine Distanz von knapp 350 Kilometern. Sie ist über 4 Jahre um ein knappes Prozent gesunken, der Trend geht also leicht zu
Die meisten Inlandsflüge verkehren, das ist wenig überraschend, zwischen den größten Drehkreuzen. Oft werden sie auch als Zubringer für längere Flüge genutzt. Darunter sind auch ökologisch so fragwürdige Verbindungen wie die 187 Kilometer zwischen Frankfurt und Düsseldorf: Fast 4.500
Interessant wird es, wenn man betrachtet, wie viele Flüge entfallen würden, wenn man auf den kürzeren Strecken auf andere Verkehrsmittel ausweicht. Würde man alle Verbindungen unter 400 Kilometern aus dem Flugplan streichen, so würde das Verkehrsaufkommen zwischen den Hauptflughäfen sofort um 57% sinken. Ohne alle Verbindungen unter 500 Kilometern blieben sogar nur noch 16% der Flüge übrig.
Erst mit dieser höheren Kilometergrenze sind auch Flüge zwischen Berlin und München oder Köln nicht mehr Teil der Betrachtung. Beide Strecken sind mit dem jeweils schnellsten ICE in knapp 4 bzw. 4 1/4 Stunden zu bewältigen. Wenn man mit jeweils 2 Stunden am Flughafen, einer guten Stunde Flug und den S-Bahn-Fahrten zwischen Innenstädten und Flughäfen kalkuliert, bleibt damit keine oder kaum mehr Zeitersparnis übrig.
Der ICE-Effekt
Zugegeben, zwischen Berlin und München ist die Bahn erst wirklich konkurrenzfähig, seitdem Ende 2017 die neue Hochgeschwindigkeitstrasse eröffnet wurde. An diesem Beispiel lässt sich aber auch ablesen, wie ein zeitgemäßes Schienennetz die Reisenden vom Fliegen abhält: Im ersten Jahr auf der neuen Strecke hat die Bahn ihren Marktanteil verdoppelt, in knapp 12 Monaten zählte sie
Was das für die Luftfahrt auf der Strecke bedeutet, lässt sich erst seriös sagen, wenn Passagierzahlen für das gesamte Jahr 2018 vorliegen. Wegen der Zerschlagung der insolventen Air Berlin gab es im gesamten Markt einige Turbulenzen. Im Oktober 2018 war der Anteil der Flüge auf der Strecke Berlin–München nur noch auf Platz 2.
Vielleicht hilft es ja, wenn mehr Reisende unter dem Hashtag #jagstannarpåmarken posten, statt ihr Eis in Kalifornien zu fotografieren.
Trotzdem flog in dem Monat durchschnittlich fast jede Stunde eine Maschine von München nach Berlin-Tegel und eine zurück. Kein Wunder, denn auch wenn die Bahn nun in der Disziplin Zeit so manches Rennen gewinnt, bleiben die Tickets für den Flug viel günstiger. Daran werden letztlich nur politische Maßnahmen etwas ändern, zum Beispiel Mehrwertsteuer auf allen Flugtickets, eine CO2-Steuer oder ein Verbot von Bonusmeilen-Programmen.
Bis dahin kann sich jeder Reisende gegen den Markt fürs Klima entscheiden, wenn er eine Reise bucht. Vielleicht hilft es ja, wenn mehr Reisende unter dem Hashtag #jagstannarpåmarken posten, statt ihr Eis in Kalifornien zu fotografieren.
Titelbild: Oliver Holzbauer - CC BY-SA 3.0