Suche dir dein Gehalt doch selbst aus!
Das sagt dein Chef vielleicht demnächst zu dir. Diese deutschen Unternehmen denken das Thema Gehalt neu – und lassen die Mitarbeiter mitentscheiden.
Gehaltsverhandlungen sind zäh und werden nicht selten mit harten Bandagen geführt. Nicht umsonst heißt das Ganze bei den Gewerkschaften auch »Arbeitskampf«, und wenn Piloten, Lokführer oder Klinikpersonal streiken, dann ziehen sie zusätzlich zum Unverständnis des Arbeitgebers meist auch noch den Zorn des ganzen Landes auf sich.
Dabei ist ein als fair empfundenes Gehalt wichtig – für alle.
Gibt es also einen Weg, den Konflikt rund ums Gehalt friedlich zu lösen, ganz ohne Gebrüll, Zurückweisungen, Scham und Verletzungen?
Ja, gibt es, sagt Eugen Friesen. Er arbeitet bei der Kommunikationsagentur Wigwam in Berlin-Wedding, zusammen mit 19 Kollegen und Kolleginnen. Seit dem Jahr 2016 wird hier ein »Wunschgehalt« gezahlt, das alle gemeinsam beschlossen haben.
Das ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Gehalt heute ganz neu zu denken.
Auch »Wünsch dir was« ist kein Ponyhof
Wigwam macht Kommunikation, aber nach eigenen Angaben nur für »das Gute«. Was das ist, bestimmen die Mitarbeiter untereinander von Fall zu Fall – vom Flüchtlingshilfswerk der UNO über Wahlkämpfe der Grünen bis hin zu Projekten für das Rote Kreuz.
Damit, auch den Verdienst von Fall zu Fall zu bestimmen, fühlte sich das Team aber nicht wohl, weil es dann zu sehr auf die Verhandlungsstärke jedes Einzelnen angekommen wäre. Früh entschloss sich
»Wir haben festgestellt, dass wir nur 20% über dem Betrag lagen, den wir in unserem Gehaltstopf hatten«, sagt Eugen Friesen. Also entschieden alle, dass jeder erst mal 80% seines Wunschgehaltes bekommt. Und wenn mehr Geld in den Wigwam gespült wird, rückt auch jeder Mitarbeiter ein paar Prozent näher an seine gewünschte Summe heran. Bisher ist noch keiner angekommen. So wird aus dem Wunschgehalt ein Zukunftsgehalt.
Denn Wigwam hat wie viele Unternehmen mit klaren moralischen Vorstellungen schmale Budgets. Die Gefahr einer Selbstausbeutung für die gute Sache ist dem Team dabei klar. Deshalb war Eugen Friesen und seinen Mitarbeitern auch eine Gehaltsuntergrenze wichtig: »Das waren 2.700 Euro brutto für eine Vollzeitstelle, weniger sollte niemand bekommen.«
Immer wieder wägt Wigwam in Teambesprechungen ab, ob sich die Mitarbeiter mit dem Verdienst gerecht bezahlt fühlen und ob das Geld für ein gutes Leben reicht. Ein Ergebnis dabei: Einfach Werbung für Großkonzerne machen wie alle anderen wollen sie nicht – auch wenn das Wunschgehalt dann noch etwas weiter weg ist.
Eugen Friesen sieht das so: »Es spielt auch viel Selbstreflexion mit rein. Man stellt fest, dass es eben nicht nur um Geld geht.
Gehör zu finden, Reflexion und Mitgestaltung gehören also zum Wunschgehalt dazu. Sind diese Faktoren am Ende vielleicht sogar wichtiger als das, was wirklich auf dem Gehaltszettel steht? Untersuchungen belegen jedenfalls, dass die
Mancher wird jetzt einwenden: Klar, bei einer jungen, hippen Agentur geht das vielleicht »sinnhaft«, aber funktionieren alternative Gehaltsmodelle auch bei größeren Unternehmen in anderen Branchen? Ja tun sie, das zeigt sich im schwäbischen Leutkirch.
Titelbild: Fancycrave - CC0 1.0