Diese Frau macht vor, wie ein guter Umgang mit dem Bösen gehen kann
Eine Woche nach dem Terroranschlag ist klar: Neuseelands Premierministerin hätte kaum besser reagieren können. Weil sie alles anders macht.
Neuseeland. Kein Land der Erde ist von Deutschland weiter entfernt, und so viel mediale Aufmerksamkeit wie in dieser Woche hat der ferne Inselstaat hierzulande wohl noch nie erhalten – vermutlich nicht einmal im Jahr 2011, als ein Erdbeben die Südinsel verwüstete.
»Kia kaha«
In den vergangenen Tagen haben wir viel über ein Land erfahren, dessen Bewohner näher zusammenrücken. »Kia kaha«, Maori für
Dieses Grauen und dieser Schmerz sind kaum zu ertragen. Neuseeland, angeführt von seiner Premierministerin, findet jedoch einen erstaunlich guten Weg.
Eine starke Premierministerin für alle
Wenn irgendwo auf der Welt ein Anschlag gegen eine gesellschaftliche Minderheit verübt wird, dann heißt es oft reflexhaft: »Sie gehören zu uns.« Doch darin schwingt das Bild des gut integrierten Anderen mit, der geduldet, vielleicht sogar als Bereicherung angesehen wird, aber dennoch niemals
Denn wer sich mit Opfern solidarisiert, ist selbst meist nicht betroffen. »Sie« und »wir«, das sind in diesem Ausdruck immer noch 2 separate Gruppen, so wie Öl und Essig in der Salatsauce.
Zugegeben,
Überhaupt hat Jacinda Ardern vom ersten Moment an vorbildlich reagiert – und
Ebenfalls noch am Wochenende stellte Jacinda Ardern in Aussicht, die neuseeländischen Waffengesetze zu verschärfen: Bislang durften in dem dünn besiedelten Land bereits 16-Jährige nach einer Überprüfung Waffen kaufen, auch der Attentäter dürfte die meisten Waffen legal erworben haben.
Am Montag brachte Jacinda Ardern dann im Parlament die nächste große Geste: Sie sagte erneut, sie wolle die Opfer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken, und sprach ein kurzes Gebet auf Arabisch. Selbst das wirkte nicht inszeniert und anbiedernd, sondern respektvoll und authentisch. Der deutsche Soziologe Armin Nassehi sagte später:
Jacinda Ardern kündigte 2 Schweigeminuten und eine
Das Täter-Dilemma
Im alten Griechenland legte ein Mann Feuer im Tempel der Artemis, einem der Sieben Weltwunder der Antike, damit sich die Menschheit an seinen Namen erinnern möge. Nach ihm heißen Menschen, die aus Geltungsdrang Verbrechen begehen, auch heute noch »Herostraten«. Aber der Schütze von Christchurch ist kein typischer Herostrat, denn allem Anschein nach wollte er mit den Morden vor allem Aufmerksamkeit auf seine rechtsextreme Vorstellung von der Welt lenken.
Ohne den Massenmord hätte sich niemand für seine Gesinnung interessiert
Das wollte im Jahr 2011 auch der Norweger Anders B. – dessen Nachname dir sicher sofort einfällt, an dieser Stelle aber nicht wiederholt werden muss –, er nannte den Mord an 77 Menschen in Oslo und auf der Insel Utøya seine »Buchpräsentation«. Gemeint ist ein 1.500 Seiten langer Text, in dem er seine rechtsextreme Gesinnung darlegte – und der ohne die große Aufmerksamkeit für seine Person nach dem Massenmord wohl niemanden interessiert hätte.
So wurde Anders B. zu einem Idol für viele, die sich in menschenverachtenden Kreisen bewegen. Am fünften Jahrestag seiner Morde ermordete der bekennende Anders-B.-Verehrer David S. in München 9 Menschen, die nicht in sein rassistisches Deutschlandbild passten.
Auch der Schütze von Christchurch nennt Anders B. ein Vorbild für seinen Terror und will mit ihm in losem Kontakt gestanden haben. Der Täter von Christchurch hat sogar, genau wie Anders B., sein Weltbild verschriftlicht und im Internet verbreitet (sein Text war nur rund 70 Seiten lang). Vor allem aber hat er mit einer Helmkamera seine Morde per »Facebook Live« gestreamt und damit Videomaterial hinterlassen, das ihn in denselben menschenverachtenden Kreisen zum nächsten Idol machen könnte.
Denn in der Logik des Terrors hat der Menschenhasser die nächste Evolutionsstufe betreten: Das Video wird nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein
Auf dem unter Rechtsextremen beliebten Portal
Guter Umgang mit dem Bösen
Die Verbreitung innerhalb der gut vernetzten rechtsextremen Szene ist das eine – der überwiegende Teil der Weltbevölkerung erfährt die Details nur aus den Massenmedien. Taten wie die von Christchurch stellen Journalisten auf der ganzen Welt vor eine schwierige Entscheidung: Die Öffentlichkeit hat das Recht, die Details zu erfahren, allerdings ist die Verbreitung genau das, was der Täter will. Wo der schmale Grat zwischen Interesse und Voyeurismus verläuft, ist kulturell sehr unterschiedlich – in Deutschland sind wir beispielsweise wesentlich zurückhaltender als in den USA. Im
Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. […]
Trotzdem muss man auch in deutschen Medien nicht lange nach dem Klarnamen des Schützen oder Ausschnitten des Videos suchen. Beim Presserat gingen
Kein Innehalten, kein sorgfältig abgewogenes Wort ist vergebens – egal von wem
Doch ist kein Innehalten, kein sorgfältig abgewogenes Wort vergebens, egal ob von Journalisten oder der Premierministerin. Es wird weiter darauf ankommen, sich von keinem extremistischen Massenmörder dieser Welt dazu einspannen zu lassen, seinen Hass weiter in die Welt zu tragen.
In Neuseeland, aber auch der restlichen Welt haben viele Menschen signalisiert, dass sie diesen Hass nicht zulassen wollen. Als der Tag des Anschlags in Ozeanien bereits zu Ende ging, standen in weiter westlich gelegenen Zeitzonen noch die Freitagsgebete bevor. Um den Betenden die Angst vor Nachahmungstätern zu nehmen, postierten sich einzelne Menschen wie dieser Brite vor Moscheen:
Ein neuseeländisches
Jacinda Ardern ist mit einem leuchtenden Beispiel vorangegangen, wie den Opfern und ihren Angehörigen Raum gegeben und er
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